Magazinrundschau
Helden der Globalgeschichte
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
04.08.2020. Überreiche Ausbeute diese Woche: Die NYRB lernt, dass man im 18. Jahrhundert als Schwarzer gegen Rassendiskriminierung kämpfen und trotzdem Sklaven besitzen konnte. La vie des idees lernt, dass Aufklärung ein Ursprung des Rassismus ist und trotzdem die Abolition beförderte. Der Guardian lernt in Melbourne, dass es jetzt eine globale schwarze Identität gibt. Africa is a Country blickt auf die neuen Privatstädte in Afrika. Auch in Weißrussland hätte es nach der Wende eine Stasi-Aufarbeitung geben müssen, erklärt Swetlana Alexijewitsch in Eurozine. Die NYT staunt über die irakische Kleptokratie, die fröhlich das Land plündert.
New York Review of Books (USA), 20.08.2020

Weiteres: Jonathan Freedland liest Neuerscheinungen zur politischen Desinformation, mit der vor allem Wladimir Putins Klickfabriken etliche Demokratien destabilisierte, darunter Thomas Rids "Active Measures" und Philip N. Howards "Lie Machines". In keinem Land zirkuliert so viel Desinformation wie in den Vereinigten Staaten, erschrickt Freedland: "Die USA wiesen den höchsten Stand an Informationsmüll auf, während der Präsidentschaftswahl 2016 lag das Verhältnis von seriösen Nachrichten und Infomüll, die bei Twitter geteilt wurden, bei eins zu eins."
La vie des idees (Frankreich), 31.07.2020

New Yorker (USA), 22.07.2020

New Republic (USA), 29.07.2020

Weitere Artikel: Ben Schwartz liest Charlie Kaufmans Roman "Antkind", der "auf die schlimmste Art von Kritiker zielt". Und Rumaan Alam bespricht die Coronavirus-Essays von Zadie Smith.
Eurozine (Österreich), 30.07.2020

LA Review of Books (USA), 20.07.2020

Guardian (UK), 11.07.2020

Matthew Taylor erzählt in einem nicht gerade von allzu kritischem Geist angekränkelten Riesenartikel die Geschichte der Protestbewegung Extinction Rebellion, um die es nur scheinbar ein wenig still geworden ist. Für September hat die Bewegung Protestaktionen vor dem Westminster Palace angekündigt, wo das Parlament gezwungen werden soll, über die apokalyptische Agenda der Gruppe zu beraten. Taylor behauptet, dass sich die Gruppe von der Coronakrise, die die Klimafrage verdrängt hat, dennoch bestärkt fühlt, weil sie zeige, dass es möglich ist, die Wirtschaft stillzulegen: "Im Lauf des Sommers wuchs dieses Gefühl politischen Potenzials als die Black Lives Matter-Proteste weltweit explodierten und Millionen von Menschen auf die Straße gingen, um grundlegende Änderungen der Polizeiarbeit und ein Ende des strukturellen Rassismus zu fordern. Laut der Aktivistin Zoë Blackler haben die Krisen des Jahres 2020 'unterstrichen, dass Klimawandel, strukturelle Ungleichheit und Rassismus alle die gleiche Wurzel haben, und das ist unser globales Finanzsystem'." Man hat allerdings auch zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Klimabewegung vorwiegend weiß ist und auch dazu die entsprechende Prosa entwickelt: "Am 1. Juli gab XR eine Erklärung ab, in der man sich für frühere Fehler entschuldigt: 'Wir erkennen, dass unsere Taktik, Festnahmen zu provozieren, die Beteiligung privilegierter Menschen erleichterte und dass unsere Verhaltensweisen das System der white supremacy bestärkten. Dafür entschuldigen wir uns.'"
Der Gründer und Charismatiker der Bewegung Roger Hallam hat sich übrigens aus dem direkten Stab zurückgezogen und eine Partei namens "Beyond Politics" gegründet, mit der er die "genozidale Regierung" zu Fall bringen und das "schlimmste Verbrechen in der Geschichte der Menschheit" bekämpfen will.
Damage (USA), 17.07.2020

New Politics (USA), 11.06.2020

Standpoint (UK), 10.07.2020

Times Literary Supplement (UK), 17.07.2020

Außerdem: Lesley Downer liest höchst angeregt Amy Stanleys Geschichte einer Japanerin aus dem 19. Jahrhundert, "Stranger in the Shogun's City".
Africa is a Country (USA), 31.07.2020

Außerdem: "Men Lebsa Neber" ist Amharisch und heißt: was sie trug. Es ist auch der Titel einer Ausstellung in Äthiopien, die die Kleider von Vergewaltigungsopfern zeigt, erzählt Seble Samuel. Zahra Moloo bespricht Janet McIntoshs Buch "Unsettled: Denial and Belonging Among White Kenyans".
Merkur (Deutschland), 01.08.2020

Chris Decker erkundet das zerklüftete Terrain, auf dem sich "diverse Kilmatologenkulturen" angesiedelt haben, um Daten und Materialien zur Erforschung ihres Gegenstands zu bergen und zu bewahren: "Eisbohrkerne, Baumringe, Algen, Korallen, Seesedimente, Stalagmiten und eben Archivmaterial bilden die Grundlage für Erkenntnisse zum wilden Schwanken des Klimas über Zeiträume, die von Jahrzehnten zu Jahrhunderttausenden reichen. Weit hinter den Beginn der Industrialisierung, bei der die aus der Zeitung bekannten Kurven von CO2 und Temperatur ansetzen."
Open Democracy (UK), 03.08.2020

Außerdem identifiziert Melanie Newton einen weiteren Kandidaten für zahlreiche Denkmalstürze in England, Schottland und darüber hinaus: Henry Dundas, der als Kolonialminister William Pitts' de Jüngeren sehr lange Zeit für und nur recht kurz gegen die Sklaverei kämpfte. Und Michael Edwards nimmt sich vor, selbst angesichts grassierenden Populismus immer mit politisch fairen Mitteln zu kämpfen.
The Atlantic (USA), 30.09.2020

Timothy McLaughlin berichtet von der Pressefront in HongKong. Schon vor dem neuen nationalen Sicherheitsgesetz hatte es die Presse in Hong Kong schwer: entweder wurden Zeitungen einfach von staatskonformen Unternehmen aufgekauft und so die Vielfalt beschnitten oder Peking hat Journalisten gezielt verfolgt. "Das neue Gesetz hat die Lage noch verschlimmert. Reporter, Herausgeber und Redakteure fragen sich, welche journalistische Aktivität als nächstes kriminalisiert wird. Von offizieller Seite bekommen sie wenig Unterstützung. Einige Zeitungskolumnisten haben aus Angst im voraus ihren Job geschmissen. Die New York Times will einen Teil ihrer Redaktion nach Südkorea umziehen, eine Entscheidung, die Nachahmer finden dürfte. Times und The Wall Street Journal warten auf die Verlängerung von Visas für ihre Mitarbeiter. Die South China Morning Post (größte englischsprachige Zeitung Hong Kongs, d. Red.) befindet sich im Zentrum der Spannungen."
Ein anderer Artikel von Ross Andersen befasst sich mit Chinas totalitärem Kontrollsystem, das auf KI baut und von Xi Jinping als Exportschlager verkauft wird: "Xi möchte die analytischen Potenziale der KI nutzen, um China bei der Überwachung an die Spitze zu bringen. Er will ein allwissendes digitales System der sozialen Kontrolle, angeführt von Algorithmen, die potenzielle Abweichler in Echtzeit identifizieren können … Diese digitale Infrastruktur könnte die Machtbalance zwischen Individuum und Staat weltweit verändern … China entwickelt bereits die neue Überwachungstechnik und exportiert sie in Autokratien, bereits existente und künftige. In den kommenden Jahren wird diese Technik verfeinert und in allumfassende Überwachungssysteme eingepasst werden, die Diktatoren nach dem Plug-and-Play-Prinzip verwenden können."
Magyar Narancs (Ungarn), 02.07.2020

New York Times (USA), 02.08.2020

Nach dem Corona-Lockdown in Indien mussten Zehntausende von Wanderarbeitern zurück in ihre armen Dörfer. Auf einem Bild war ein kniender junger Mann am Straßenrand zu sehen, der seinen sterbenden Freund festhält. Basharat Peer ist der Geschichte dahinter nachgegangen, die so alltäglich wie tragisch ist. Und an Grausamkeit kaum zu überbieten: Die beiden waren in einem vollgepackten LKW unterwegs nach Hause, als Amrit anfing zu zittern und immer heißer wurde. "Eingezwängt mit etwa fünfzig anderen Arbeitern begann Amrit zu husten und zu schwitzen. Seine Mitreisenden waren alarmiert und Protestschreie stiegen auf: 'Er hustet. Er hat Fieber. Er hat Corona.' Die Stimmen wurden wütender: 'Wir fliehen nach Hause, um uns vor Corona zu retten.' 'Er wird uns alle anstecken.' 'Wir wollen nicht seinetwegen sterben.' Der Fahrer hielt den Lastwagen an. Er und die Passagiere bestanden darauf, dass Amrit aussteigt. Saiyub bat den Fahrer, an einem Krankenhaus anzuhalten. Der Fahrer und die Arbeiter waren unsicher über die Sperrzeiten und nicht bereit, Zeit für Amrit zu verlieren. Sie weigerten sich und bestanden darauf, dass Amrit hier aussteigen sollte. 'Lass ihn hier. Du solltest mit uns nach Hause kommen', sagte der Fahrer zu Saiyub. 'Ich kann Amrit nicht allein lassen', sagte er. Saiyub holte ihre Taschen und half Amrit vom Lastwagen." Kurz danach starb er - nicht an Corona, wie sich später herausstellte.
Außerdem: Helen McDonald beobachtet die Vögel, die niemals landen: Schwalben. Und Jeff Medrick stellt zwei Bücher vor, die sich mit der Frage befassen, warum weiße Arbeiter in Amerika seit den 80er Jahren gegen ihre eigenen Interessen republikanisch wählen.
Kommentieren