Magazinrundschau - Archiv

La vie des idees

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Magazinrundschau vom 07.03.2023 - La vie des idees

Die Konzentration der Medien nimmt in Frankreich absurde Ausmaße an. Was nicht im Besitz der Rüstungsgruppe Dassault ist, gehört dem LVHM-Milliardär Bernard Arnault oder seinem Schwiegersohn Xaviel Niel. Nikos Smyrnaios warnt in einem etwas akademischen Artikel vor der Monopolisierung von Medienkonzernen in Frankreich. Dies verzerre den politischen Wettbewerb und höhlt demokratische Prinzipien aus: "Der Idealtypus eines pluralistischen und demokratischen öffentlichen Raums beinhaltet die möglichst gleichmäßige Verteilung des Zugangs zu Kommunikationsmitteln, die eine öffentliche Meinungsäußerung ermöglichen, in der gesamten Gesellschaft. Die Konzentration des Medienbesitzes verschärft jedoch die Ungleichheiten bei der Verteilung der Kommunikationsressourcen zugunsten einiger weniger gesellschaftlicher Gruppen oder Geschäftsleute, die diese mit beträchtlichen materiellen Ressourcen kumulieren, was ihnen einen unverhältnismäßigen Vorteil im politischen Wettbewerb verschafft. In dieser Hinsicht stellt die Medienkonzentration eine Bedrohung für die Demokratie dar. Bernard Arnault, Eigentümer von Les Échos, Le Parisien und Radio Classique, ist einer der drei reichsten Männer der Welt und mit einem geschätzten Vermögen von 149 Milliarden Euro im Jahr 2022 der reichste Mann Frankreichs. Seine Zeitungen waren zudem mit mehr als 15 Millionen Euro für 2021 die ersten Empfänger von staatlicher Presseförderung. Man kann davon ausgehen, dass eine solche Konzentration von wirtschaftlicher und medialer Macht eine Verzerrung des öffentlichen Raums darstellt, da sie diesem Geschäftsmann, der bereits mit außergewöhnlichen Mitteln ausgestattet ist, unverhältnismäßig große kommunikative Ressourcen bietet, um die Interessen seines Unternehmens, in diesem Fall der LVMH-Gruppe, zu fördern und seine politischen Ideen und die kollektiven Interessen seiner eigenen sozialen Klasse zu verteidigen. Die Medienkonzentration macht somit weitreichende Einflussnahmen möglich, die gleichermaßen industriellen Strategien, finanziellen Interessen und politischen und ideologischen Zielen gehorchen. Die Propagierung der Kandidatur von Éric Zemmour für die Präsidentschaftswahlen 2022 durch die Medien von Vincent Bolloré ist ein deutliches Beispiel dafür."

Magazinrundschau vom 21.02.2023 - La vie des idees

Soufiane Hennani ist ein mutiger Mann - er kämpft in Marokko für die Rechte Homosexueller, unter anderem in einem Podcast, in dem er eine "positive Männlichkeit" gegen "toxische Männlichkeit" definieren will. Das Land hat sich längst modernisiert. Nur die Gesetzgebung hat nicht mitgezogen. Und so sind die Menschen gezwungen, ihre Freiheit im Verborgenen auszuleben, erzählt er im Gespräch mit Ivan Jablonka: "Die Absurdität des verbotenen Sexuallebens liegt auch in der Ungerechtigkeit. Wenn man reich ist, wenn man in ein Fünf-Sterne-Hotel geht, auch als Homosexueller oder als jemand, der eine außereheliche Beziehung hat, wird niemand nach einem suchen. Ist man aber arm... Nehmen wir als Beispiel zwei 17- oder 18-jährige Jungen, die sich lieben, die aber keinen Raum der Liebe für sich haben: Sie gehen an den Strand, küssen sich, und dann kommen die Polizisten, um sie zu verhaften, sie zu erniedrigen und manchmal sogar zu zwingen, eine Geldstrafe zu zahlen." Die Unehrlichkeit in Bezug auf Homosexualität gefährdet auch die Frauen, hat Hennani in seinem Engagement gegen Aids erfahren: "Damals hatte ich erfahren, dass sich 70 Prozent der Frauen, die mit HIV leben, durch ihre Ehemänner angesteckt haben, ohne es zu wissen. Diese Zahl hat mich sehr betroffen gemacht. Daraufhin fragte ich mich, wie Männer sich engagieren könnten, um etwas zu ändern." In höchsten Tönen spricht Hennani übrigens über die Beiträge Leila Slimanis zur Debatte über Sexualität in Marokko.

Alain Blum und Sergei Zakharov schreiben über eine der Obsessionen Wladimir Putins, die Demografie. Gerne tönt Putin, dass Russland mit seinen traditionellen Familienwerten dem Westen überlegen sei, nur hat Russland eine der niedrigsten Geburtenraten Europas und ein sehr niedriges durchschnittliches Sterbealter - selbst wenn sich die Zahlen in den goldenen Jahren des Putinismus zu Beginn des Jahrtausends verbessert hatten. Durch den Krieg, den Putin unter anderem zu führen scheint, um seinem Land zusätzliche Bevölkerung einzuverleiben, verschlechtern sich die demografische Prognosen wieder: "Während die Folgen des Krieges .. kaum vorhersehbar sind, gibt es doch einige wahrscheinliche Faktoren. Die Alterspyramide der Bevölkerung der Russischen Föderation ist für ein Bevölkerungswachstum sehr ungünstig, da die gebärfähigen Jahrgänge in den nächsten Jahren immer kleiner werden. Außerdem sind die Männer dieser Generationen mobilisierbar: Ein Teil von ihnen hat das Gebiet der Russischen Föderation verlassen, um der Mobilisierung zu entgehen, als die anderen nun einberufen wurden. Diese Faktoren erklären übrigens höchstwahrscheinlich die unerwartete Entscheidung, das Alter der mobilisierbaren Männer von 18-27 auf 21-30 Jahre zu ändern."
Stichwörter: Homosexualität

Magazinrundschau vom 17.01.2023 - La vie des idees

Die israelische Arbeiterpartei hatte einmal 35,7 Prozent und charismatische Ministerpräsidenten wie David Ben Gurion, Golda Meïr, Yitzhak Rabin oder Schimon Peres, und ist in den letzten Wahlen auf 3,69 Prozent herabgesunken, gerade mal über die Dreiprozentschwelle, die es erlaubt, in die Knesset einzuziehen. Denis Charbit bespricht zwei nicht mehr ganz neue Bücher, die den Niedergang der isaelischen Linken ergründen, Steve Jourdins "Israël - autopsie d'une gauche (1905-1995), und Thomas Vescovis "L'Echec d'une utopie - une histoire des gauches en Israël". Charbit neigt mehr zu Jourdins differenzierter, melancholischer Darstellung. "Jourdin setzt mit der Ermordung von Yitzhak Rabin einen Schlusspunkt unter seine Geschichte. Der Todesstoß für den Friedensprozess lag jedoch weniger im Verschwinden dieses politischen Führers (die Mehrheit der Israelis war bereit, ihm auf seinem Weg zum Frieden zu folgen) als vielmehr im wachsenden Zweifel an den Zielen des palästinensischen Nationalismus infolge der zweiten Intifada, des Rückzugs aus dem Gazastreifen und des zweiten Libanonkriegs. Gleichzeitig zweifelten die Palästinenser an der israelischen Absicht, sich nach dem ersten Schritt, der Auflösung des Gazastreifens, aus dem Westjordanland zurückzuziehen. Paradoxerweise sieht Vescovi dort, wo Jourdin die Todesnachricht registriert, ohne irgendeine Aussicht auf eine Wiedergeburt zuzulassen, in der Bildung einer jüdisch-arabischen Linksfront den einzigen Ausweg aus diesem historischen Niedergang. Mehrere Initiativen sprechen für diese Neuzusammensetzung".
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Stichwörter: Israel, Nahost-Konflikt

Magazinrundschau vom 20.12.2022 - La vie des idees

Der britsche Historiker Timothy Gibbs lehrt in Paris und wirft einen interessanten Seitenblick von Frankreich aus auf die Geschichte des britischen Empire und des Commonwealth unter Königin Elisabeth. Die Briten mussten sich anders als die Franzosen nicht schmerzhaft mit ihrer Kolonialvergangenheit auseinandersetzen, merkt er an, was wohl auch dem kontinuierlichen Wandlungsprozess unter der Queen zu verdanken ist. Dabei war sie der Gewalt des späten Kolonialregimes noch sehr nahe gekommen: 1952 erfuhr sie im Treetops Hotel in Kenia, dass ihr Vater gestorben war und dass sie Königin wurde: "Zwei Jahre später brannten die aufständischen Mau Mau das Hotel nieder, das dem Bataillon der King's African Rifles bei seiner Überwachung der Guerilla als Beobachtungsstützpunkt diente. 1952, im Jahr der Krönung von Königin Elisabeth II., rief der letzte kaiserliche Gouverneur Kenias den Ausnahmezustand aus, der sieben Jahre lang, bis 1959, andauerte. Mindestens 25.000 Kenianer verloren ihr Leben; weitere 30.000 wurden in Internierungslager geschickt, wo sie Zwangsarbeit und Folter ausgesetzt waren; eine Million Dorfbewohner, die in der Konfliktzone lebten, fanden sich in Notlagern hinter Stacheldraht wieder."

Außerdem in La Vie des Idees, ein leider arg akademisch zu lesender Artikel des Ökonomen Pierre Levasseur über die Epidemie des Übergewichts, insbesondere in Mexiko.

Magazinrundschau vom 27.09.2022 - La vie des idees

Der in Korea lehrende Politologe Christophe Gaudin gibt eine faszinierende Lektion in kultureller Differenz. Er schreibt zunächst über die letzten Wahlen in Südkorea und den neuen, rechtspopulistischen Premierminister Yoon Suk-yeol, der mit einer offen antifeministischen Rhetorik ins Amt kam. Die vorherige Mitte-Links-Regierung hatte eher eine Gleichstellungspolitik verfolgt. Das Interessante am Wahlergebnis ist aber, dass alle Alterstranchen wie erwartet gestimmt haben, die Alten eher rechts, die Jüngeren eher links. Nur im Segment zwischen 20 und 30 stimmten fast zwei Drittel der Männer für die Rechten, und zwei Drittel der Frauen links. Seltsam ist, dass dieses Ergebnis absolut nicht mit dem k-popkulturellen Ideal einhergeht, nach dem die Männer in Korea immer weiblicher werden. "Das ist bis in die Sprache hinein spürbar. Das Koreanische markiert grammatikalisch nicht das Geschlecht als solches, aber früher wurde davon ausgegangen, dass nur die formellere Ebene (Konjugation auf '-mida') mit ihrer steifen Würde für Männer geeignet sei, die im Leben stehen. Das höfliche Duzen mit seiner leichten und angenehmen Konnotation (Konjugation auf '-yo') war Frauen, Kindern und Jugendlichen sowie dem häuslichen Bereich im Allgemeinen vorbehalten. Heute ist es die Endung, die sich Männer bis um die vierzig und je nach Milieu manchmal darüber hinaus angeeignet haben, zusammen mit Körperpflege aller Art, Schönheitsoperationen, heute auch Make-up und so weiter. Der massive Einsatz von Kosmetika ist in westlichen Augen sicher überraschend, zumal er in erster Linie darauf abzielt, die Haut so weiß wie möglich zu halten, ein möglichst großer Kontrast zum Dreitagebart, wie er im Westen in Mode ist… In Korea gibt es kein größeres Kompliment für die Schönheit einer Frau als zu sagen, 'sie ähnelt einer Puppe'. Neu ist, dass Männer ihnen hier nacheifern."
Stichwörter: Korea, Südkorea, K-Pop

Magazinrundschau vom 21.06.2022 - La vie des idees

Es passiert nicht häufig, dass ein trocken akademisches Magazin wie La Vie des Idées (das vom Collège de France betrieben wird), eine Netflix-Serie aufgreift. Die Japanologin Adrienne Sala schreibt hier über die japanische Serie "The Journalist", die hierzulande kaum wahrgenommen wurde. Wer sie gesehen hat, kann Sala in der Behauptung, dass diese Serie einen ungewöhnlichen Blick auf das Funktionieren der Institutionen in Japan zulässt, nur bestätigen. Nebenbei zeige die Serie "durch einige Protagonisten, vor allem weiblichen Geschlechts, die Fähigkeit zu Widerstand in der japanischen Gesellschaft". Die titelgebende Journalistin arbeitet allerdings daran, die Ehre eines Beamten wiederherzustellen, der sich umgebracht hatte, weil er es nicht ertrug, bei der Fälschung von Dokumenten mitzumachen. Das Ganze spielt auf eine Affäre in der Regierungszeit des nationalistischen Premiers Shinzo Abe an, erläutert Sala: "Die Verbindung zum Moritomo-Gakuen-Skandal, der das politische Leben in Japan von 2017 bis 2020 erschütterte, wird kaum verborgen. Wie in der Serie ging es auch in dieser politischen Affäre um den Verkauf eines öffentlichen Grundstücks zu einem Betrag weit unter dem Marktpreis für den Bau einer patriotischen Privatschule. Diese Schule stand wiederum der ultra-nationalistischen Ideologie und dem Konservatismus eines Teils der Mitglieder der Liberaldemokratischen Partei (LDP) nahe und steht mit der Nippon Kaigi - einer radikalen politischen und religiösen Organisation - in Verbindung, der auch Shinzo Abe angehört."

Magazinrundschau vom 24.05.2022 - La vie des idees

Der Ukraine-Krieg ist auch ein Krieg der Erinnerungen, den die Historiker Bertrand de Franqueville und Adrien Nonjon sehr differenziert beleuchten. Auf ukrainischer Seite stellt stellt sich bei der Konstruktion einer nationalen Identifikation das Problem, dass der Widerstand gegen den einen Totalitarismus durch die Kollaboration mit dem anderen kontaminiert ist. In diesen Widerspruch stößt die russische Propaganda, die Russland durch die Verabsolutierung des "Großen Vaterlandischen Krieges" als einzig maßgebliche antifaschistische Kraft stilisiert - und doch als der neue Faschismus agiert. Für die Ukraine inkarniert sich der Widerspruch in der Figur Stepan Banderas, der in dem vom Holodomor entkräfteten Land mit den Nazis kollaborierte und an genozidalen Verbrechen gegen Juden und Polen beteiligt war. Der wichtigste Unterschied, so die beiden Autoren, ist, dass in der Ukraine um die Erinnerung gerungen wird. "In einem langen Twitter-Thread vom 18. März 2022 erklärt Anna Colin Lebedev, dass 'die überwältigende Mehrheit der ukrainischen Soldaten in der Roten Armee gegen die Nazis gekämpft hat (mehr als 4 Millionen). Etwa 200.000 haben an der Seite von Nazi-Deutschland gekämpft. Das macht maximal 5 Prozent Nazi-Anhänger unter den Kämpfern'. Sie prangert die Pauschalisierung an, dass die gesamte Ukraine gewesen kollaborationistisch sei, und erinnert daran, dass 'die intellektuelle Debatte in der Ukraine offen ist, die Gesellschaft arbeitet ihre Vergangenheit auf'. Aber die Pauschalisierung ermöglicht es Russland, eine antifaschistische Erzählung des patriotischen Großen Krieges zu mobilisieren, indem es die Episode der Kollaboration missbraucht, um das nicht zu Rechtfertigende zu rechtfertigen: die massive Invasion der Ukraine."

Hier Lebedevs von den Autoren zitierter Twitter-Thread:

Magazinrundschau vom 17.05.2022 - La vie des idees

Die Politologin Clémentine Fauconnier hat über Wladimir Putins Partei "Einiges Russland" geforscht. Im Gespräch mit Florent Guénard erzählt sie, wie diese Partei durch zahllose Manipulationen bei den Wahlen immer wieder eine "Supermehrheit" erreichte. Flankiert wurden diese Manipulationen durch Verfassungsänderungen und eine immer rigidere Gesetzgebung, die die Zivilbevölkerung einschränkte. Viele jüngere und qualifizierte Russen verließen das Land schon vor dem Krieg. Die Zwangsmaßnahmen wurde lange Zeit jedoch "durch die Aufrechterhaltung gewisser Freiheiten - insbesondere bis vor kurzem im Internet - als auch durch ein wirtschaftliches Wachstum, das die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbesserte, ausgeglichen. Seit Putins Rückkehr ins Präsidentenamt im Jahr 2012 ist die repressive Dimension immer stärker in den Vordergrund gerückt. Die dramatische Verschärfung, die durch den Ausbruch des Krieges in der Ukraine verursacht wurde, wirft die Frage auf, ob der russische Staat in der Lage ist, die Gesellschaft wirklich so stark zu kontrollieren, da es insbesondere an wirklichen Führungsstrukturen und einer mobilisierenden Ideologie fehlt."

Magazinrundschau vom 10.05.2022 - La vie des idees

Mit sehr viel Kritik im Detail und dennoch positiver Tendenz bespricht der Anthropologe Charles Stépanoff das auch in Deutschland gefeierte Grundlagenwerk "Anfänge - Eine neue Geschichte der Menschheit" von David Graeber und David Wengrow. Als größten Erkenntnisgewinn nimmt er mit, dass Geschichte nicht so einsträngig Richtung Domination und Herrschaft lief, wie es sich westliche Geschichtsschreibung ausmale: "Diese Oszillationen implizieren, dass sich die Mitglieder dieser Gesellschaften der Möglichkeit bewusst waren, zwischen verschiedenen politischen Systemen wählen zu können, ohne sich auf eines festzulegen. Graeber und Wengrow leiten daraus überzeugend ab, dass die grundlegende Frage nicht so sehr die nach der Entstehung von Herrschaft ist, deren zeitweilige Existenz wahrscheinlich schon sehr lange zurückliegt, sondern die nach der Unterbrechung der Oszillationen und der Verfestigung von Hierarchien."
Stichwörter: Graeber, David, Anthropologie

Magazinrundschau vom 05.04.2022 - La vie des idees

Kriege wie Putins Angriffskrieg auf die Ukraine sind getrieben von einer kulturellen Vision, und darum braucht es eine Kulturgeschichte des Kriegs, sagt der in Ohio lehrende Militärhistoriker Bruno Cabanes in einem luziden Gespräch mit Florent Guénard: "Man kämpft immer mit dem, was man ist: Das ist es, was uns ein halbes Jahrhundert Arbeit an der Kulturgeschichte des Krieges gelehrt hat. Was sich in Konflikten abspielt, ist tief in der kollektiven Vorstellungswelt vergraben. Wie sonst ließe sich erklären, dass beispielsweise die von Serbien eingeleitete Kampagne der ethnischen Säuberung in einer wortreichen Rede angekündigt wurde, die der nationalistische Führer Slobodan Milosevic am 28. Juni 1989 zum 600. Jahrestag eines Ereignisses hielt, das im übrigen Europa so gut wie unbekannt war: die Schlacht auf dem Amselfeld? Die Aufgabe der Historiker besteht nun darin, die Fäden zu entwirren, die diese Episode der Militärgeschichte des 14. Jahrhunderts mit den Gräueltaten, die Ende des 20. Jahrhunderts begangen wurden, verknüpfen." Auch durch die Form der Gewalt gegen Städte und Zivilisten, sinsd Putins Kriege mit denen im ehemaligen Jugoslawien verbunden, sagt Cabanes.

In Frankreich kursiert mehr noch als in Deutschland der Topos, dass rechte Literaten die besseren Stilisten seien. Vincent Berthelier geht diesem Topos in einem sehr kenntnisreichen Essay auf den Grund. Zu den Autoren, die dieses Märchen verbreiteten, gehörten in Frankreich nach dem Krieg die "Husaren", eine Gruppe reaktionärer Dandys, auf die sich auch die Nouvelle Vague bezog. Die politische Funktion dieses Diskurss war es für Berthelier, "das Engagement der literarischen Rechten für Vichy und Hitler während der Besatzungszeit zu minimieren und die älteren Kollegen (Louis-Ferdinand Céline, Paul Morand, Jacques Chardonne, Pierre Drieu La Rochelle und so weiter) zu rehabilitieren, indem sie diese als Stilisten darstellen." Die meisten dieser Autoren sind heute nur mehr für Literaturwissenschaftler interessant, aber bei Céline wirkt der Topos des Stilisten bis heute fort. Über ihn schreibt Berthelier: "Mit der Entwicklung eines Stils, der von der gesprochenen Sprache inspiriert ist, strebt Céline nicht nur nach Authentizität: Er will das Volk als ethnisch gesundes und homogenes Element ansprechen, die 'weiße Bauernrasse' wachrütteln. In der Zeit der Pamphlete (und vielleicht sogar schon vorher) wurde Célines Stil also von seinem Autor als rassistisch, nationalistisch und mobilisierend konzipiert. Erst in der Nachkriegszeit entpolitisierte Céline aus taktischen Erwägungen seinen Diskurs über den Stil und betonte die formale Dimension seines Werks."