Magazinrundschau - Archiv

The New Republic

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Magazinrundschau vom 18.10.2022 - New Republic

Da wird in hundert Jahren ein Buch draus gemacht. Sprößling im Wald von Nordmarka, Norwegen, der extra für die Future Library angeplanzt wurde. Foto: Future Library


Eleanor Cummins erzählt von einem Projekt der schottischen Konzeptkünstlerin Katie Paterson, die die Bauherrn des Osloer Stadthafens Bjørvika 2014 angeheuert haben, mit Kunst im öffentlichen Raum das Viertel zu beleben. Ihre Idee: eine Bibliothek der Zukunft. 100 Jahre lang sollen jedes Jahr drei Schriftsteller ein Manuskript abgeben, das erstmal niemand lesen darf. Zugleich wurden 900 Bäume angepflanzt, deren Holz dann für die erste Ausgabe der Bücher 2114 benutzt werden soll. Dieses Jahr haben Karl Ove Knausgård und Tsitsi Dangarembga ihre Manuskripte eingereicht (Ocean Vuong konnte nicht, wegen einer Covid-Erkrankung). Die Botschaft des Projekts ist zutiefst moralisch: "Für einige ist es eine Quelle der Frustration, eine Bibliothek für ungeborene Generationen zu schaffen. Wie ein Zuschauer es ausdrückte, fühlt sich das Projekt weniger so an, als würde man der Zukunft etwas geben, als vielmehr den heute lebenden Menschen etwas vorenthalten. Doch für andere ist dies der Teil der Future Library, der den größten Reiz ausmacht. 'Nicht alles ist für uns bestimmt, um jetzt konsumiert zu werden', sagte die simbabwische Schriftstellerin Dangarembga in der öffentlichen Bibliothek in der Innenstadt. Da sie zwischen Südostafrika und England aufgewachsen sei, 'ist Ausgrenzung für mich normal', erklärte sie. Für die Bürger des globalen Nordens, die Reichtum und Macht horten - auf Kosten des Planeten selbst -, könnte die Future Library eine längst überfällige Lektion sein."

Der ukrainische Schriftsteller Stanislav Aseyev wurde 2017 in Donetzk von lokalen pro-russische Sicherheitskräften verschleppt und verbrachte zweieinhalb Jahre in einem als Isolationslager bekannten Gefängnis, wo er und andere Insassen wiederholt geschlagen und gefoltert wurden, berichtet Luke Johnson (Aseyev hat ein Buch über diese Zeit geschrieben). "Seine Erfahrungen sind heute von großer Bedeutung, da in den kürzlich befreiten Gebieten der Ostukraine Folterstätten aufgedeckt werden. Für ihn hat die russische Invasion, die am 24. Februar begann, einen völlig anderen Charakter als die vorherige. 'Das Ausmaß der Kriegsverbrechen ist völlig anders', sagte er in einem auf Russisch geführten Interview in Lviv. Im Lager 'gab es Tote, aber sie waren recht selten. Sie haben ständig gefoltert, aber sie haben versucht, nicht zu töten. Jetzt [im Jahr 2022] gibt es die gleichen Folterungen, Menschen mit Spuren von elektrischen Verbrennungen, aber es gibt auch Massentötungen." Im September gründete Aseyev zusammen mit einem Team eine gemeinnützige Organisation, den Justice Initiative Fund (JIF), der mutmaßliche Kriegsverbrecher sucht.

Magazinrundschau vom 29.08.2022 - New Republic

Geoffrey Wheatcroft, selbst Brite, liest mit Interesse Oliver Bulloughs neues Buch über Britanniens Niedergang seit dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende des Empires, "Butler to the World". "Das heutige England, so Bullough, 'ist wie ein Butler', eine Figur, 'die sich nicht um den moralischen Charakter ihrer Kunden kümmert'" - eine Bemerkung, die Wheatcroft höchstens Butlern gegenüber leicht unfair findet. Bulloughs Buch hilft ihm zu verstehen, wie es soweit kam: Nach dem Zweiten Weltkrieg war Britannien pleite. Doch "Ende der 1960er Jahre hatte sich bereits alles geändert, dank der brillanten Ideen einer Londoner Bank: Eurobonds und Eurodollar. Vor 1914 beruhte die finanzielle Vorherrschaft der City auf der Stärke des Pfund Sterling, die wiederum auf dem Goldstandard basierte. Vierzig Jahre später gefährdete die andauernde Schwäche des Pfunds alle britischen Finanzinstitute, bis die Midland Bank einen Geistesblitz hatte: Anstatt Dollar zu kaufen, konnte sie Dollar leihen. 'Das war so, als würde man ein Auto mieten, statt es zu kaufen', sagt Bullough: 'Man kann immer noch fahren, wohin man will, aber da das Auto jemand anderem gehört, umgeht man alle Beschränkungen des Autobesitzes.' Noch besser: Während Midland die Beschränkungen für die Kreditvergabe im Inland umging, konnte beispielsweise die Moskauer Narodny Bank die US-Beschränkungen umgehen, während der Eurobond 'Steuerhinterziehern, Kleptokraten und gelegentlichen Flüchtlingen die Möglichkeit bot, illegale Gelder vor den Regierungen zu verstecken'. Das Geniale am Eurodollar war, dass 'wenn man die Vitalität und Stärke der US-Wirtschaft ausnutzen wollte, es sich um Dollar handelte; wenn man die von der US-Regierung auferlegten Beschränkungen vermeiden wollte, nicht'. Die internationalen Reichen hatten nun ihre eigene Währung."

Magazinrundschau vom 22.02.2022 - New Republic

Einer der letzten Urwälder der Welt ist in Rumänien beheimatet. Doch nicht mehr lange, wie es scheint, denn die Gier nach Holz sorgt dafür, dass der Wald nach und nach und entgegen aller gesetzlichen Bestimmungen abgeholzt wird. Einer der Hauptabnehmer ist Ikea, lernt Alexander Sammon, der für seine sehr lesenswerte Reportage einige Umweltschützer und Dokumentarfilmer begleitet hat, die immer wieder von Holzfällern massiv bedroht werden. Unterwegs lernt er auch, wie geschickt Ikea sich jeder Verantwortung für die massive illegale Abholzung entzieht: "Ikea schließt Verträge mit Herstellern ab, die genügend Holz für die Herstellung von Möbelteilen beschaffen müssen, um ihre Verträge zu erfüllen. Die Hersteller wenden sich an die Sägewerke, die genügend Holz für die Belieferung der Fabriken beschaffen müssen. 'Sobald sie diese Verpflichtung eingegangen sind, müssen sie auf Biegen und Brechen das Holz für Ikea beschaffen', erklärt Tara Ganesh von der britischen NGO Earthsight. 'Das kann oft dazu führen, dass sie bei der Umwelt oder der Legalität Abstriche machen.' Wenn ein Glied in der Kette wegen illegaler oder nicht nachhaltiger Beschaffung erwischt wird - wenn beispielsweise eine Fabrik, die Klappstühle für Ikea herstellt, auffliegt, weil sie Holz aus einem gesetzlich geschützten Wald in Polen bezogen hat - kann sich Ikea einfach distanzieren und Unwissenheit beteuern, wie es in jeder Branche bei der Vergabe von Subaufträgen üblich ist. Diese Strategie eignet sich gut für die Öffentlichkeitsarbeit, bricht aber bei der geringsten Überprüfung zusammen. Diese Vertragsfirmen, zumindest in Rumänien, tragen oft die charakteristischen gelben und blauen Farben Ikeas oder arbeiten exklusiv mit dem Unternehmen zusammen; einige zeigen sogar die schwedische Flagge. Im Jahr 2020 wurde die rumänische Fabrik Plimob dabei erwischt, wie sie illegales Holz für ihre Stühle verwendete; sie trägt die Farben Blau und Gold auf ihrem Tor, die sogar auf Google Street View zu sehen sind. Plimob verkauft 98 Prozent seiner Waren an Ikea."

Magazinrundschau vom 04.08.2020 - New Republic

Williams (siehe oben der New Yorker) glaubt fest daran, dass die Vorstellung von "Rassen" eines Tages überwunden werden kann. Ryu Spaeth, der viele Gemeinsamkeiten mit Williams sieht (auch er das Kind gemischter Eltern, aufgewachsen in einem Haushalt voller Bücher), stellt bei der Lektüre von Williams Büchern fest, dass er diese Überwindung für sich selbst gar nicht will. Sein Konzept wäre ein anderes: "Wie Williams möchte ich, wie alle Menschen guten Glaubens, einen Ort erreichen, an dem unsere Politik universell ist und auf das Wohl aller hinarbeitet. Die Frage ist, wie man dorthin gelangt. Durch die Vermittlung von Ideen, die auf einem Stück Papier geschrieben stehen, an unsere Kinder? Oder durch Einfühlungsvermögen für andere Menschen, auch für solche, die uns vielleicht fremd erscheinen? Letzteres macht den wesentlichen Reiz der Identitätspolitik aus, die nicht engstirnig oder spaltend ist, sondern das Gegenteil: ein Vehikel für Solidarität, Gemeinschaft und echte Inklusivität. Der Weg zur Lösung des Rassenproblems in diesem Land besteht nicht darin, Rasse zu transzendieren, sondern sie zu umarmen, sie als eine Einladung an alle zu nutzen, die grenzenlose Vielfalt der Menschheit zu verstehen. Welcher Politik ich auch immer folge, sie beruht auf dieser Wahrheit, die allen bekannt ist, die sich immer noch People of Color nennen: dass der andere, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne, ich bin."

Weitere Artikel: Ben Schwartz liest Charlie Kaufmans Roman "Antkind", der "auf die schlimmste Art von Kritiker zielt". Und Rumaan Alam bespricht die Coronavirus-Essays von Zadie Smith.

Magazinrundschau vom 03.09.2019 - New Republic

Evgeny Morozov möchte in seinem üblichen hochfahrenden Ton von seinem Literaturagenten John Brockman, Begründer von edge.org, wissen, welche Beziehungen er zu Jeffrey Epstein hatte und was er von den minderjährigen Mädchen wusste, die Epstein prostituierte. Dabei zeichnet er ein vernichtendes Bild Brockmans als eitlen, den Reichen und Einflussreichen sich andienenden Netzwerker. Anlass für seine harsche Frage ist eine Mail Brockmans vom 12. September 2013 an Morozov, die dieser jetzt in ganz neuem Licht sieht. Er zitiert aus Brockmans Mail: "Jeffrey Epstein, der Milliardär und wissenschaftliche Philanthrop, tauchte an diesem Wochenende bei der Veranstaltung per Hubschrauber auf (mit seiner schönen jungen Assistentin aus Weißrussland). Er wird in ein paar Wochen in Cambridge sein und hat mich gefragt, wen er dort treffen soll. Du bist einer der Leute, die ich vorgeschlagen habe, und ich habe ihm gesagt, dass ich ihm einige Links schicken würde. Er ist der Typ, der Harvard 30 Millionen Euro gegeben hat, um Martin Nowaks Programm für evolutionäre Dynamiken einzurichten. Er war sehr großzügig bei der Finanzierung von Projekten vieler unserer Freunde und Kunden. Er geriet auch in Schwierigkeiten und verbrachte ein Jahr im Gefängnis in Florida. Wenn er dich kontaktiert, ist es wahrscheinlich deine Zeit wert, ihn zu treffen, da er extrem intelligent und interessant ist. Das letzte Mal, als ich sein Haus besuchte (die größte Privatresidenz in New York), kam ich herein und fand ihn in einem Jogginganzug und einen Briten in Anzug mit Hosenträgern, der gerade eine Fußmassage von zwei jungen, gut gekleideten russischen Frauen bekam. Nachdem er mich eine Weile über Cybersicherheit informiert hatte, kommentierte der Brite namens Andy die schwedischen Behörden und die Anklage gegen Julian Assange. 'Wir glauben, die Schweden seien liberal, aber es ist dort eher wie in Nordengland im Gegensatz zu Südeuropa', sagte er. 'In Monaco arbeitet Albert 12 Stunden am Tag, aber um 21 Uhr, wenn er ausgeht, tut er, was er will, und niemand interessiert sich dafür. Wenn ich das tue, bin ich in großen Schwierigkeiten.' An diesem Punkt wurde mir klar, dass der Empfänger von Irinas Fußmassage seine Königliche Hoheit, Prinz Andrew, der Herzog von York, war." Diese Mail wieder lesend, kann Morozov nicht glauben, das Brockman "nichts von Epsteins wilden Sexeskapaden wusste - tatsächlich legt seine Mail nahe, dass er versuchte sie zu nutzen, um andere nützliche Idioten für Epsteins Netzwerk zu rekrutieren".

Magazinrundschau vom 29.01.2019 - New Republic

Auch Josephine Livingstone bespricht Jill Abramsons Buch "Merchants of Truth: The Business of News and the Fight for Fact" über die Zukunft des Journalismus, das Jill Lepore vergangene Woche im New Yorker vorstellte (unser Resümee). Einerseits eine brillante Studie über den Printjournalismus, hat das Buch für Livingstone allerdings einen klaren Makel - das generationsbedingte Unverständnis der 2014 entlassenen New-York-Times-Chefredakteurin gegenüber den neuen digitalen Medien wie Vice-Media und BuzzFeed. Nicht nur, dass Abramson den neuen Medien Faktenuntreue vorwirft (woraufhin es Nachweise von Sachfehlern in ihrem Buch hagelte): "Abramsons Unhöflichkeit entgeht etwas Entscheidendes: die sehr ernsten politischen Überzeugungen, die die Arbeit jüngerer Journalisten beeinflussen. Empathie für andere Menschen, ein ausgesprochenes Anliegen für die Gleichstellung der Geschlechter, eine Anerkennung der persönlichen und beruflichen Interessen der Repräsentation: Das sind grundlegende Prinzipien des neuen digitalen Journalismus, keine nachträglichen Überlegungen. Abramsons Missgendering (einer Vice-Media-Mitarbeiterin, d. Red.) ist das perfekte Beispiel. Es ist ein generationsbedingter blinder Fleck bei Abramson. Es fällt ihr nicht ein, Pronomen zu überprüfen, denn in ihrem beruflichen Umfeld hatte das keine Priorität. Wenn sich 'Merchants of Truth' allein auf die Times und die Post konzentriert hätte, wäre es ein hervorragender Beitrag zur Geschichte des Journalismus geworden. Warum verließ Abramson ihre Fachgebiet, um digitale Medien zu kritisieren? Es ist verlockend, die Antwort in ihrer eigenen Karriere zu suchen. Wenn der jüngeren Generation die traditionelle Redaktionsschulung in Fairness, Ethik und Berichterstattung abgeht, dann bedeutet der Verlust von Jill Abramson etwas."

Magazinrundschau vom 15.01.2019 - New Republic

Auch ein menschlicher Flummi kommt irgendwann ins Alter und schreibt seine Autobiografie - so wie jetzt der Hongkong-Superstar Jackie Chan. Ryu Spaeth staunt Bauklötze, mit welch sprühend guter Laune Chan sein Leben in der ehemaligen Kronkolonie schildert, als die Hafenstadt noch Zufluchtsort für chinesische Flüchtlinge war. Selbst die größten Quälereien, die aus Chan Kong-Sang (wörtlich: "der in Hongkong Geborene") den neben Bruce Lee größten und beliebtesten Kung-Fu-Star machten, werden weggelächelt. So etwa seine Ausbildung bei der China Dance Academy, in die er mit sieben Jahren gesteckt wurde: "Zehn Jahre lang trainierte Chan von fünf Uhr morgens bis elf Uhr abends, mit Pausen für Mittag- und Abendessen. Er schlief neben all den anderen Jungs auf einer dünnen Matratze auf einem Teppich, auf einer Kruste von Schweiß, Spucke und Pisse. Wenn er sich daneben benahm, setzte es Prügel mit dem Stock. Wenn er krank wurde, wurde ihm gesagt, er solle sich gefälligst zusammenreißen und weiter Kung-Fu trainieren. Er erhielt so gut wie keine Bildung, nicht einmal in den Grundlagen des Lesens, Schreibens und Rechnens wurde er unterrichtet. Als er zum ersten Mal an Geld kam, konnte er kaum Quittungen mit seinem Namen unterzeichnen (seine Memoiren sind von einem Publizisten 'co-geschrieben'). Er war im wesentlichen ein Fleischklops, den man hervorzerrte, wann immer eine Pekingoper einen Sänger, Tänzer oder Akrobaten benötigte. Und als er in seiner Jugend damit begann, auf Filmsets anzuheuern, behielt sein Lehrmeister 90 Prozent seines Lohnes ein. Chan war Teil der gewaltigen Unterklasse der großen Hongkong-Wirtschaft, die bis heute vollgepackt ist mit unterbezahlten Arbeitern aus aller Welt, die in tristen Apartments in der Größe von Särgen lebendig übereinandergestapelt werden. Und doch ist sein Memoir im Tonfall von der Überzeugung bestimmt, dass die offensichtlichen Ungleichheiten in der China Drama Academy im Besonderen und in Hongkong im Allgemeinen durch die erstaunlichen Möglichkeiten ausgeglichen wurden, die sich einem Niemand wie Chan Kong-Sang boten. Er selbst beschreibt diese Jahre als sein 'Jahrzehnt der Finsternis'. Aber er fügt hinzu: 'Es waren diese zehn Jahre, in denen ich Jackie Chan geworden bin.'"

Und dieser Jackie Chan nahm das Leben auch bei den Dreharbeiten später bekanntlich von der harten Seite:


Magazinrundschau vom 08.01.2019 - New Republic

Und auch Alexander Hurst schreibt in der New Republic über die "Eliten" und die Gelben Westen. Aber er sieht die Eliten auf der Linken und kritisiert sie dafür, aus politischem Opportunismus die ziemlich rechtsextremen und antisemitischen Anwandlungen bei vielen "Gelben Westen" geflissentlich zu übersehen: "Es liegt für die Linke eine Herausforderung im Wesen der Gelben Westen, in der Gewalt, die einen unleugbaren Anteil an ihrem Erfolg hat... Leider ist die Linke dieser Herausforderung nicht gewachsen. So wie Populisten 'das Volk' als etwas Reines den korrupten Eliten entgegenhalten, so wünschen sich andererseits einige Eliten einen Aufstand der entfremdeten Massen im Namen einer solchen essenziellen Reinheit." (...) Man mag erwarten, dass die extreme Rechte in einem Umfeld von Fake News und diffusem Ärger aufblüht, aber auch große Teile der Linken reagieren auf die Idee, Macron sei ein 'Ultraliberaler' und machen sich zu Weggefährten der rechten Destabilisierungsstrategie."

Magazinrundschau vom 02.01.2019 - New Republic

2010 erfuhr die breitere Öffentlichkeit erstmals von einer unfassbar coolen und eigensinnigen 14-jährigen Modebloggerin, die seit zwei Jahren aus einem Vorort von Chicago sehr persönlich über Mode und bald zunehmend auch über feministische und popkulturelle Themen schrieb: Tavi Gevinson (hier ist sie 2010 an der Seite von Karl Lagerfeld). Ein Jahr später gründete Gevinson das online-Jugendmagazin Rookie, das vor allem Mädchen gewidmet war: eine Mischung aus high and low und dabei absolut 21. Jahrhundert. Im November 2018 verkündete Gevinson, jetzt 22 Jahre alt, das Ende des Magazins - zuviel hat sich in den sechs Jahren seiner Existenz verändert, erklärt sie Josephine Livingstone. Aus einer genuinen Person war eine genuine Marke geworden, die sie hätte ausbeuten müssen, um finanziell über die Runden zu kommen: "Bei Rookie zeigte sich die Verbindung von Künstler und Marke nicht nur in der ausgeprägten visuellen Attraktivität des Magazins - oft collageartig, wie die Schlafzimmerwand eines Teenagers - sondern auch in der Sprache. Die Kolumnistinnen nahmen die existenziellen Fragen ihrer Leserinnen sehr ernst, konnten aber auch lustig über Hüte schreiben. Diese Mischung aus Aufrichtigkeit und Off-Kilter-Humor war ein Beispiel für das Beste der Internet-Mundart Mitte der zehner Jahre, und die Sensibilität der Website wurde Gevinson selbst zugeschrieben. Aber eine authentische Stimme ist sehr gefragt im heutigen Verlagswesen, wo native advertising und Lifestyle-Branding sehr eng und manchmal unmerklich mit herzlichen Essays von Frauen jeden Alters verbunden sein können. Das kann missionsgesteuerten Journalismus in Marketing verwandeln. 'Es gab die Möglichkeit, [Rookie] ganz neu zu denken, wie eine Mentoring-App oder so', sagt Gevinson. 'Oder es zu erweitern, wie es war, und das hätte Events, Merchandise, viel mehr Inhalt und mehr Bücher mit sich gebracht.' Es gibt Publikationen da draußen mit Geschäftsmodellen, die für Rookie hätten funktionieren können, sagt Gevinson. Aber sie hatte kein Interesse daran, Rookie zu einer 'riesigen, facettenreichen Marke' zu machen. Einer Lifestyle-Marke."

Magazinrundschau vom 12.09.2017 - New Republic

Als Science-Fiction-Autorin hat Ursula K. Le Guin in den Sechzigern die Grenzen des bis dahin stramm männlich dominierten Genres gesprengt und es unter anderem für feministische Themen geöffnet. Mit über achtzig Jahren hat sie sich vor wenigen Jahren als Autorin im Ruhestand ins Abenteuer des Bloggens gestürzt - jetzt liegt eine Auswahl ihrer Postings auch als Buch vor, das Robert Minto sehr gern gelesen hat. Insbesondere die Passagen, in denen die Autorin den Alltag ihrer Katze mit wachsamen Augen dokumentiert, haben ihn hingerissen. "So viel Zeit und Interesse der Beobachtung einer Katze zu widmen, könnte man als kleinsten gemeinsamen Nenner der Internetkultur und des Verhaltens alter Leute auffassen. Doch wie stets betritt Le Guin ihr neues Genre, um es zu vertiefen und zu erweitern. ... Selbst noch in der vertrauten Beziehung zwischen einer alten Frau und einer Katze findet Le Guin ein Feld für herausfordernde moralische Einsichten und eine Angelegenheit, die Neugier entfacht, die tiefe Zeit der Evolution zu erforschen. Sie stellt eine von Alter und Ruhm unbeeinträchtigte Künstlerin dar. Auch weiterhin sucht sie nach Quellen der Andersartigkeit in ihrem Leben und gestattet uns Einblick in die Andersartigkeit, die sie selbst behaust. Le Guin brauchte eine halbe Karriere als veröffentliche Autorin, um zu lernen, wie man in einem von Männern dominierten und Männer glorifizierenden Genre über weibliche Protagonistinnen schreibt. Und jetzt lernt sie, aus der Perspektive eines alten Menschen in einem Medium wie dem Internet zu schreiben, das die Jugend glorifiziert."

Außerdem: Jean H. Lee stellt Carl De Keyzers Fotografien aus Nordkorea vor. Rachel Syme schreibt über "The Deuce", die neue Serie von "The Wire"-Schöpfer David Simon, der sich darin der Pornoindustrie im New York der frühen 70er widmet. Christian Lorentzen bespricht den neuen Film der Dardenne-Brüder.