Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
09.05.2006. In der New York Review of Books verteidigt Orhan Pamuk die Meinungsfreiheit als universelles Menschenrecht. Im NZZ-Folio erfahren wir, wer Fußballweltmeister wird. Im Spiegel spottet Elke Schmitter über die Angst großer deutscher Männer vor den Pauperisierten. Clarin beklagt den armseligen intellektuellen Zustand der Linken. Im New Yorker erzählt ein Priester, wie er sich nach klassischer 419-Manier hat ausnehmen lassen. Die Gazeta Wyborcza will den polnischen Liberalismus retten. Der Spectator kann mit einem zölibatären Numerarier über Züchtigung diskutieren. In Le Point geißelt Malek Chebel die Zurückweisung des Fleisches als unislamisch.
New York Review of Books (USA), 25.05.2006

Der Physiker Jeremy Bernstein, der schon beim amerikanischen Atomprogramm von Los Alamos mitgearbeitet hat, kann sich gut daran erinnern, dass niemand eine Ahnung davon hatte, dass der Spion Klaus Fuchs Blaupausen an die Sowjetunion lieferte. Deshalb kann er Jeffrey T. Richelson nur zustimmen, der in seinem neuem Buch "Spying on the Bomb" das Versagen der Militärspionage beschreibt: "Die chinesischen, indischen, pakistanischen und irakischen Atomprogramme haben eines gemeinsam: dass die ausländischen Nachrichtendienste allesamt dabei versagten, sie aufzudecken." Das nordkoreanische Programm hält Bernstein heute für nicht allzu gefährlich, das bitterarme Land, so seine Einschätzung, dürfte sich schnell mit wirtschaftlichen Entschädigungen zufrieden geben. "Was aber die iranische Situation so schwierig macht, ist, dass sie Öl zu verkaufen haben, was sie weniger verwundbar gegenüber wirtschaftlichen Sanktionen macht. Wenn diese drohen, wird der Ölpreis hochgehen und die Iraner reicher werden. Die Chinesen bekommen im Moment vierzehn Prozent ihres Öls vom Iran, deswegen sind sie so unwillig, Druck auszuüben."
Weiteres: Andrew Hacker empfiehlt drei neue Bücher: "Class Matters" (das aus einer Serie der New York Times hervorgegangen ist), James Lardners und David A. Smith' "Inequality Matters" und "The Chosen", die alle eine wachsende Ungleichheit in den USA konstatieren. Dem stimmt Hacker zwar zu, lehnt aber den immer häufiger gebrauchten Begriff der Klasse als viel zu statisch und zu wenig erklärend ab. Berlusconi-Biograf Alexander Stille blickt noch einmal auf die Regierung des Cavaliere und seinen für das Land ruinösen höfischen Kapitalismus zurück. Julian Barnes stellt Frederick Browns Flaubert-Biografie vor, und Hugh Eakin liest Peter Watsons und Cecilia Todeschinis "Medici Conspiracy".
Folio (Schweiz), 02.05.2006

Nigel Barley nähert sich aus ethnologischer Perspektive dem Fußball, dem Ich-Verlust im Stadion, dem Aggressionsstau der Schmerbäuche und der Totalität des Testosterons: "Der alte Spruch des Historikers Manning Clark, dass Fußball 'das Ballett der Arbeiterklasse' sei, klingt ziemlich deplaciert in einer Welt, wo die Fußballer im Rahmen ihres Fitnessprogramms echte Ballettstunden nehmen, aber jeden Reporter zusammenschlagen, der es wagt, sie beim Verlassen einer Schwanensee-Aufführung abzulichten."
Weitere Artikel: Peter Hartmann beschreibt die Kunst von Fifa-Präsident Sepp Blatter: "Kampf ohne Moralkodex und ohne Normen". Roderick Hönig erklärt, wie ein Stadion funktioniert. Dazu gibt es eine Reihe Bestenlisten mit den besten Schlagzeilen der Sun, den wichtigsten Jubeltechniken, den brutalsten Spielen, den gröbsten Fehlentscheide und den lächerlichsten Schwalben (hier, hier und hier).
Und natürlich die Duftnote, in der Luca Turin diesmal das Prinzip der Simplexität in der Parfümerie erklärt: "die Kombination von kühler, blauer Eleganz und überbordender, roter Kompliziertheit".
Spiegel (Deutschland), 08.05.2006

Abgedruckt wird auch Durs Grünbeins Dankesrede zur Verleihung des Berliner Literaturpreises, in der er eine Eloge auf die Hauptstadt hält: "Einmal quallige Kapitale eines aufquellenden Reiches, später ein Trümmerhaufen für verlorene Seelen, heute ihr föderales Rückzugsgebiet, ein Mottensofa am Straßenrand und ein ausgeweideter Kulturpalast, etwas tief Unterirdisches immer, Labyrinth aus Bunkern und U-Bahn-Tunneln, zuletzt Hort bummernder Techno-Parties, doch kaum tritt man ans Licht hinaus auf eine der gewaltigen Brachflächen, fallen die Mauern, man sieht die sternklare Nacht und andertags das seltsamste Blau unter Deutschlands Himmeln."
Weiteres: Das Titeldossier ist der Koalition der Reform-Unwilligen gewidmet. Georg Mascolo und Jan Puhl porträtieren den polnischen Verteidigungsminister Radoslaw Sikorski, der in Oxford studiert hat, für den Spectator über die sowjetische Invasion in Afghanistan berichtete und mit der amerikanischen Kolumnistin und Historikerin Anne Applebaum verheiratet ist. Und Lars-Olav Beier und Martin Wolf beklagen, dass deutsche Schauspieler der Rolle des Stars nicht gewachsen sind.
Clarin (Argentinien), 06.05.2006

Als Antwort hierauf reklamiert Zizek für sich in einem Interview eine "Bartleby-Politik": "Vielleicht besteht die nächstliegende wahrhaftige Handlung darin, der Versuchung zu handeln, zu widerstehen."
Outlook India (Indien), 15.05.2006

Außerdem: Mani Shankar Aiyar bespricht das um die Zerstörung der Babri-Moschee kreisende Buch "Ayodhya" des Ex-Premiers P.V. Narasimha Rao. Pramila Phatarphekar kommentiert den Hype indischer Kinder-Tierbücher. Und Shuddhabrata Sengupta antwortet auf das neulich in Outlook betriebene Delhi-Bashing: "Wenn's so arg ist, warum wollen 14 Millionen Menschen da leben?"
New Yorker (USA), 15.05.2006
Mitchell Zuckoff erzählt die Geschichte des John W. Worley, eines ordinierten Priester und Psychotherapeuten aus Massachusetts, der sich nach klassischer 419-Manier und in "williger Blindheit" (so der Vorwurf) von nigerianischen Finanzbetrügern um achtzigtausend Dollar erleichtern ließ und zahlreiche gefälschte Scheck für sie einlöste. Ein Captain Joshua Mbote hatte ihn per Email gebeten, beim Transfer von 55 Millionen Dollar zu helfen, die aus einem geplatzten Waffendeal für Kongos damaligen Präsidenten Kabila übrig geblieben sind. Über Jahre wurden Mails und Schecks ausgetauscht, dann wurde Worley skeptisch: "'Bis heute habe ich nahezu fünfzigtausend Dollar dabei verloren, den Schatz am Ende des Regenbogens zu finden. Ich kann nicht weitermachen. Ich werde zwei Jahre brauchen, um mich davon zu erholen. Bis dahin werde ich tot sein.' Mrs. Abachas besänftigte ihn und wrang weitere dreizehntausend Dollar aus ihm heraus."
Hendrik Herzberg begrüßt die Besonnenheit, mit der eine Jury den "Hätte-gern-konnte-aber-Nicht"-Attentäter vom 11. September Zacarias Moussaoui zu Lebenslänglich verurteilt hat. In der Rubrik "A Critic at large" nimmt Larry Doyle die Biomarkt-Kette Whole Food unter die Lupe.
Besprochen werden Alan Bennetts Stück "The History Boys", die Betty-Woodman-Retrospektive im Metropolitan Museum New York und die dritte Folge von "Mission Impossible".
Hendrik Herzberg begrüßt die Besonnenheit, mit der eine Jury den "Hätte-gern-konnte-aber-Nicht"-Attentäter vom 11. September Zacarias Moussaoui zu Lebenslänglich verurteilt hat. In der Rubrik "A Critic at large" nimmt Larry Doyle die Biomarkt-Kette Whole Food unter die Lupe.
Besprochen werden Alan Bennetts Stück "The History Boys", die Betty-Woodman-Retrospektive im Metropolitan Museum New York und die dritte Folge von "Mission Impossible".
Elet es Irodalom (Ungarn), 05.05.2006

Veronika Agnes Toth findet, dass in Ungarn Tanztheater nur für Männer gemacht wird: "Eine schöne, sich auf der Bühne bewegende Puppe, der tausendmal wiederholte Antagonismus von Hure und Jungfrau, das immer wieder als Selbstverständlichkeit vorgetragene 'ewig Weibliche' interessieren eine Zuschauerin überhaupt nicht; sogar der Jolly Joker - die Darstellung der Liebe als Kampf - lässt sie kalt."
Gazeta Wyborcza (Polen), 07.05.2006

Der Krakauer Industrievorort Nowa Huta ist Trend! Eines der größten stalinistischen Bauvorhaben in Polen, einst Schmuddelkind in der Nähe der alten Hauptstadt, inspiriert immer mehr Künstler (Beispiel) und Touristen, schreibt Renata Radlowska. "Im touristischen Image Krakaus tauchte Nowa Huta bis dato nicht auf. Das Interesse kam wie von selbst auf - es kamen Künstler und es wurden Sozialprojekte initiiert. Sogar die EU will Geld für die 'Revitalisierung postindustrieller Räume' geben. Nowa Huta ist die Gegenbewegung zum alten, langweiligen Krakau, sagt ein Insider. Es steht für Frische, Raum und Realitätsnähe, statt für Künstlergehabe." Das scheint auch die Stadt begriffen zu haben, die den Komplex zum UNESCO-Weltkulturerbe erklären will.
Spectator (UK), 06.05.2006

Point (Frankreich), 05.05.2006

Espresso (Italien), 11.05.2006

Weiteres: Gianluca Di Feo rechnet sich im Titel aus, was der Irakeinsatz Italien so gekostet hat: eineinhalb Milliarden Euro, davon ein Prozent für humanitäre Hilfe, der Rest fürs Militär. Monica Maggi präsentiert in der Gesellschaftsecke neueste Knuddel-High-Tech aus Italien: ein T-Shirt, dass sich per SMS zusammenzieht, um eine Umarmung zu simulieren.
Times Literary Supplement (UK), 05.05.2006

Weitere Artikel: Einige aufschlussreiche Episoden verdankt Joyce Carol Oates der Journalistin Norah Vincent, die sich ein Jahr lang als Mann verkleidet hat und ihre Erfahrungen in "Self-made Man" niedergeschrieben hat. Angesichts von Javier Marias' Schriftsteller-Kurzporträts "Written Lives" blickt Peter Parker wehmütig auf die englische Tradition der Biografie zurück. Philip French stellt zwei Bücher über den Film Noir vor, Sheri Chinen Biesens "Blackout" und Edward Dimendbergs "Film Noir and the Spaces of Modernity", die sich bei aller unterschiedlichen Akzentuierung in einem Punkt einig sind: dass Boris Ingsters "Stranger on the Third Floor" der erste authentische Film Noir war.
Nepszabadsag (Ungarn), 05.05.2006

Weltwoche (Schweiz), 04.05.2006

Weiteres: Im Interview mit Thomas Bodmer spricht Abba-Mitglied Björn Ulvaeus über den Mythos und erteilt einer Wiedervereinigung eine definitive Absage. "In unserem jetzigen Alter wäre der Schock zu groß für uns - und unsere Fans." Außerdem fragt sich Claude Baumann, ob das berühmte Bankgeheimnis noch Not tut.
Magyar Narancs (Ungarn), 04.05.2006

Economist (UK), 05.05.2006

Außerdem zu lesen: Der Economist bestreitet, dass es zu früh sei, einen Film wie Paul Greengrass' "United 93" - der den Flug jener Maschine des 11. Septembers erzählt, in der sich die Passagiere zur Wehr setzten - auf die Leinwand zu bringen. Und im Nachruf würdigt er den Ökonomen John Kenneth Galbraith als erfrischend unbescheidenen und stilistisch brillanten Denker, von dessen Werk "Gesellschaft im Überfluss" Amartya Sen gesagt haben soll, es lese sich wie "Hamlet" - "Auf einmal wird einem klar, wo die ganzen Zitate herkommen."
Al Ahram Weekly (Ägypten), 04.05.2006

Weitere Artikel: Khaled Diab spricht mit Brian Whitaker über dessen Buch "Unspeakable Love" über schwul-lesbische Lebenskultur im Nahen Osten. Nevine El-Aref erläutert die Bedeutung der jüngsten Grabungsfunde in Fayoum und Luxor. Und die arabisch-amerikanische Dichterin Suheir Hammad dichtet: "it was your father / started it taught you allah's / word and said sing daughter / sing / a bird you sang / from your belly to soar over / all of egypt".
Foreign Policy (USA), 01.05.2006
Leider nicht online ist Thomas L. Friedmann schlagende Erklärung der Petropolitik: "Irans Präsident leugnet den Holocaust, Hugo Chavez schickt die westlichen Führer zur Hölle und Wladimir Putin lässt die Peitsche knallen. Warum? Weil sie alle wissen, dass der Preis des Öl und der Pfad der Freiheit in unterschiedliche Richtungen verlaufen. Es ist das Oberste Gesetz der Petropolitik und es dürfte das Axiom unseres Zeitalters werden."
In aller Ausführlichkeit und mit zahlreichen Karten und Tabellen ist dafür der "Failed States Index" ins Netz gestellt, den Foreign Policy zusammen mit dem Fund for Peace erstellt hat und der vom Sudan über Irak, Afghanistan, Kongo und Somalia bis Bangladesch zwanzig gescheiterte Staaten auflistet und neunzehn weitere in Gefahr sieht. Die fortdauernden amerikanischen Kämpfe im Irak und in geringerem Maße in Afghanistan haben die Risiken hervorgehoben, die darin liegen, Stabilität mit militärischen Interventionen zu befördern. Die meisten Staaten werden auf sich allein gestellt sein, und sie schnellen die Skala von stark und sicher zu schwach und verwundbar hinunter."
In aller Ausführlichkeit und mit zahlreichen Karten und Tabellen ist dafür der "Failed States Index" ins Netz gestellt, den Foreign Policy zusammen mit dem Fund for Peace erstellt hat und der vom Sudan über Irak, Afghanistan, Kongo und Somalia bis Bangladesch zwanzig gescheiterte Staaten auflistet und neunzehn weitere in Gefahr sieht. Die fortdauernden amerikanischen Kämpfe im Irak und in geringerem Maße in Afghanistan haben die Risiken hervorgehoben, die darin liegen, Stabilität mit militärischen Interventionen zu befördern. Die meisten Staaten werden auf sich allein gestellt sein, und sie schnellen die Skala von stark und sicher zu schwach und verwundbar hinunter."
New York Times (USA), 07.05.2006
Was Philip Roth in seinem neuen Roman "Everyman" aus höchst nüchterner Perspektive - der Held ist soeben verstorben - in guter alter Schwerenöter-Manier zu erzählen hat ("der letzte Überschwang im dahinwelkenden Körper"), macht sogar eine Nobelpreisträgerin glücklich. Nadine Gordimer jedenfalls ist hellauf begeistert: "Wenn breites Beschreiben eine Sache des 19. Jahrhunderts war, Philip Roth hat es wiederbelebt - durch die Kraft des Erzählens selbst." (Leseprobe und Autoren-Feature)
Wie verkauft man ein Buch? Henry Alford dokumentiert seinen Versuch, überholte Reiseführer und Knaller wie "Gay and Gray: The Older Homosexual Man" per Handverkauf loszuwerden: "Eine Erfahrung, die mir einen neuen Zugang zur Literatur verschaffte. Was Jago zum Bösewicht macht? Keine Ahnung. Dafür weiß ich, was es braucht, um Jagos Heißwachs-Anleitung für alte Sportwagen zu verticken: Preparation. Penetranz. Psychologie."
Ferner: James Campbell bespricht das Erinnerungsbuch "Let Me Finish" des New Yorker-Herausgebers Roger Angell ("geht perfekt mit einem Wodka Martini"). Und Marilyn Stasio stellt neue Krimis vor von Helene Tursten, James Swain und Donna Leon.
Wie verkauft man ein Buch? Henry Alford dokumentiert seinen Versuch, überholte Reiseführer und Knaller wie "Gay and Gray: The Older Homosexual Man" per Handverkauf loszuwerden: "Eine Erfahrung, die mir einen neuen Zugang zur Literatur verschaffte. Was Jago zum Bösewicht macht? Keine Ahnung. Dafür weiß ich, was es braucht, um Jagos Heißwachs-Anleitung für alte Sportwagen zu verticken: Preparation. Penetranz. Psychologie."
Ferner: James Campbell bespricht das Erinnerungsbuch "Let Me Finish" des New Yorker-Herausgebers Roger Angell ("geht perfekt mit einem Wodka Martini"). Und Marilyn Stasio stellt neue Krimis vor von Helene Tursten, James Swain und Donna Leon.