Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
03.04.2007. Der Merkur fragt sich, warum die Europäer vor Teheran katzbuckeln. Der Believer besucht das Haus von Thomas Bernhard in Oberösterreich. Prospect überlegt, ob der britische Sklavenhandel Reparationen nach sich ziehen sollte. Folio denkt nur ans Heiraten. In Le Monde fürchtet Claude Lanzmann die Verkehrspolitik eines Pariser Öko-Pausbacks. In der Gazeta Wyborcza erklärt Norman Davies, wie ein europäisches Geschichtsbuch aussehen könnte. Das NRC Handelsblad beschreibt die unmoralischen Folgen zu vieler Verbote. In Literaturen sieht Gerd Koenen die alten Probleme der Sowjetunion in Putins Russland heraufziehen. In der Weltwoche findet Roger Köppel, dass Putin sich eigentlich ganz wacker schlägt. In den Blättern stellt Robert Kagan klar: Die USA waren nie isolationistisch. Der New Yorker hält einen Paradigmenwechsel in der Literatur fest: Essen statt Sex.
Merkur (Deutschland), 01.04.2007

Weitere Artikel: Hubert Markl verteidigt das Wort vom Sterbenlernen gegen Nicolas Chamforts hübsche Sentenz "Warum nur die Wendung 'Sterben lernen'? Ich finde, man trifft es schon sehr gut beim ersten Mal." Volker Gerhardt fragt sich, warum nach den Jahren der Physik, der Biologie und der Technik nun eigentlich die ganzen Geistewissenschaften in eins gepackt werden. Und ob sich Geist und Natur wirklich systematisch trennen lassen. Abgedruckt ist Nick Cohens Essay aus dem Observer über die "Amok laufende" Linke, die tatsächlich gegen den Sturz des "faschistischen Diktators" Saddam Huseein auf die Straße ging. Und Christoph Plate konstatiert, dass mit der Dämonisierung der USA im Nahen und Mittleren Osten ein wachsenden Desinteresse der Amerikaner an der Außenwelt einhergeht.
Weltwoche (Schweiz), 29.03.2007

Im Interview mit Peer Teuwsen widerspricht der amerikanische Klimaforscher Richard S. Lindzen recht offensiv den "hysterischen" Theorien vom Klimawandel: "Wenn man die Unsicherheiten in den Daten berücksichtigt, hatte man Erwärmung von 1920 bis 1940, Abkühlung bis 1970, Erwärmung wieder bis Anfang der neunziger Jahre. Aber man kann das nicht so genau sagen, wie immer behauptet wird. Es gibt keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Temperaturen von heute und jenen in den zwanziger und dreißiger Jahren. Das System ist nie konstant. Und das Ende der Welt auszurufen angesichts von ein paar Zehntelgraden, ist lächerlich."
Prospect (UK), 01.04.2007

In einem Artikel (ebenfalls nur online) zum selben Thema erinnert Arathi Prasad, Mitarbeiter des Abgeordneten Evan Harris, an die Geschichte des "Abolition Act" von 1807. Im Print gibt Richard Dowden, Direktor der Royal African Society, zu, dass die Debatte komplizierter ist, als sie ihm zuerst erschien.
Weitere Artikel: Der Titel ist der "Megalopolis" London und seinem Bürgermeister Ken Livingston gewidmet - mit einem Porträt und einem Interview. Die Schriftstellerin Maureen Freely, selbst in der Türkei aufgewachsen, beschreibt den Kampf zwischen Ultranationalisten und Demokraten in der Türkei. Paul Broks zeigt sich von Nicholas Humphreys evolutionsbiologisch inspirierter Studie über das Bewusstsein mit dem Titel "Seeing Red: A Study in Consciousness" nur halb überzeugt. Und Charles Grant gibt webexklusiv einen Ausblick auf die nächsten zwanzig Jahre der Europäischen Union.
Le Monde (Frankreich), 31.03.2007
Dem Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoe weht derzeit heftig der Wind um die Ohren. Grund ist seine Verkehrspolitik, die bereits im Januar in der Liberation unter der Überschrift "Die Zerstörung von Paris" heftig gegeißelt wurde. Nun beschwert sich in Le Monde auch der Filmemacher Claude Lanzmann in einem herrlich beleidigten (und unfreiwillig komischen) Artikel über die "Ökologisierung" von Paris, namentlich und besonders über die Einführung von Busspuren. "Fahren Sie mal über den Boulevard Saint-Germain Richtung Boulevard Saint-Michel und versuchen Sie, nach rechts in die Rue de Seine oder de l'Odeon abzubiegen, das ist lebensgefährlich: durch die graue Spur neben der normalen Fahrspur begünstigt, rasen die Taxis bei Grün los und hindern einen am Abbiegen. Wenn Sie es trotzdem versuchen, haben Sie alle Chancen, mit Hochgeschwindigkeit gerammt zu werden. Auch die Fußgänger sind nicht in Sicherheit. Ich habe mich auf diesen aufs Pflaster gemalten Schachbrettmustern schon verlaufen, auf diesen Himmel-und-Hölle-Hüpffeldern, der neuesten Marotte dieses Öko-Pausbacks, wusste nicht, ob oder ob ich nicht losgehen sollte, und wer oder was mich eigentlich schützt. Ich bin nicht der Einzige." Wir wussten es schon immer: Das Leben in Saint-Germain des Pres ist gefährlich!
Literaturen (Deutschland), 01.04.2007

Lesen darf man außerdem Verena Auffermanns Besprechung von Ingo Schulzes Erzählband "Handy". Frauke Meyer-Gosau hat "feenhafte Erscheinungen im Vorstellungsgelände der Gegenwart", konkret: Silke Scheuermann und Antje Ravic Strubel getroffen. Feridun Zaimoglu lauscht Kurzzeitbeziehungsabschlussgesprächen. Und Franz Schuh erklärt, warum er mit Benjamin Blacks (d.i. John Banvilles) erstem Kriminalroman "Nicht frei von Sünde" nicht glücklich wird - und ihn im übrigen auch gar nicht für einen Kriminalroman hält.
Dissent (USA), 01.04.2007

Groene Amsterdammer (Niederlande), 29.03.2007

New Yorker (USA), 09.04.2007
Adam Gopnik hat sich durch die Literatur gewühlt und schreibt in einem wunderbaren Essay über Essen und Rezepte in der Literatur - die er teilweise nachkochte. "Heutzutage haben wir lange Kochsequenzen bei Ian McEwan, endlose Rezepte bei James Hamilton-Paterson, ausführliche Menüanalysen bei John Lanchester und detaillierte kulinarische Beschreibungen von Robert B. Parkers kraftmeierischem Detektiv Spenser. Kochen ist für unsere Literatur das, was Sex für das Schreiben in den Sechzigern und Siebzigern war, die Sache, die es wert ist, die Story anzuhalten, um sie sozusagen mit dem Leser zu teilen."
Weiteres: John Cassidy porträtiert den ehemaligen politischen Berater von George W. Bush, stellvertretenden Außenminister und Neocon, der den Einmarsch in den Irak unterstützt hat: Paul Wolfowitz. Seit 2005 ist er Chef der Weltbank und auch dort sehr umstritten - besonders wegen seiner Auffassung, korrupte Regime seien von Zahlungen der Weltbank auszuschließen. Zu lesen sind außerdem die Erzählung "Still-Life" von Don DeLillo und Lyrik von Dan Chiasson und Mary Kinzie.
Joan Acocella bespricht ein Buch über ein klassisches Schreibwerkzeug von Schriftstellern: "The Iron Whim: A Fragmented History of Typewriting". Clive James sucht nach der Literatur in - vorzugsweise europäischen - Kriminalromanen. Sasha Frere-Jones schwärmt von Prince, der freitags und samstags neuerdings in einem kleinen Club in Las Vegas auftritt - Eintritt: 175 Dollar. Peter Schjeldahl führt durch die Ausstellung "Global Feminism", mit der das Elizabeth A. Sackler Center for Feminist Art im Brooklyn Museum eingeweiht wird. John Lahr stellt eine Dramatisierung von Joan Didions Buch "Das Jahr des magischen Denkens" vor. Und Anthony Lane sah im Kino den im Zweiten Weltkrieg in Holland spielenden Thriller "Black Book" von Paul Verhoeven und das Drama "The Hoax" von Lasse Hallström.
Weiteres: John Cassidy porträtiert den ehemaligen politischen Berater von George W. Bush, stellvertretenden Außenminister und Neocon, der den Einmarsch in den Irak unterstützt hat: Paul Wolfowitz. Seit 2005 ist er Chef der Weltbank und auch dort sehr umstritten - besonders wegen seiner Auffassung, korrupte Regime seien von Zahlungen der Weltbank auszuschließen. Zu lesen sind außerdem die Erzählung "Still-Life" von Don DeLillo und Lyrik von Dan Chiasson und Mary Kinzie.
Joan Acocella bespricht ein Buch über ein klassisches Schreibwerkzeug von Schriftstellern: "The Iron Whim: A Fragmented History of Typewriting". Clive James sucht nach der Literatur in - vorzugsweise europäischen - Kriminalromanen. Sasha Frere-Jones schwärmt von Prince, der freitags und samstags neuerdings in einem kleinen Club in Las Vegas auftritt - Eintritt: 175 Dollar. Peter Schjeldahl führt durch die Ausstellung "Global Feminism", mit der das Elizabeth A. Sackler Center for Feminist Art im Brooklyn Museum eingeweiht wird. John Lahr stellt eine Dramatisierung von Joan Didions Buch "Das Jahr des magischen Denkens" vor. Und Anthony Lane sah im Kino den im Zweiten Weltkrieg in Holland spielenden Thriller "Black Book" von Paul Verhoeven und das Drama "The Hoax" von Lasse Hallström.
Foglio (Italien), 31.03.2007
Gabriella Mecucci erinnert an die Biennale von Venedig aus dem Jahr 1977, die dem Dissidententum gewidmet war. Mit Diskussionsrunden zur Reform des Kommuinismus und eine Ausstellung zur Samizdat-Literatur wurd die Biennale zum wichtigsten kulturellen Ereignis der Siebziger und zum Grund für Spannungen mit der UdSSR. "Riccardo Manzini ließ Biennale-Chef Ripa di Meana (mehr) zu sich kommen und hielt ihm einen kleinen Vortrag: 'Sehr verehrter Präsident, Ihre Entscheidung hat eine ernste Verstimmung in der UdSSR hervorgerufen. Nikita Rijov (der russische Botschafter) hat mich besucht und mir mitgeteilt, dass seine Regierung das Programm des Jahres 1977 als Akt schwerer Feindseligkeit, als Angriff auf die Sowjetunion empfindet.' Die Gegenmaßnahmen waren also im Kern der Institutionen angekommen und Ripa di Meana reichte seinen Rücktritt mit dem Hinweis auf die 'unerträgliche und inakzeptable Einmischung äußerer Mächte' ein. Es schien, dass Botschafter Rijov ins Schwarze getroffen hatte: es folgten gut einhundert parlamentarische Anfragen zwischen Parlament und Senat."
Believer (USA), 01.04.2007

Außerdem in der neuen Nummer der Zeitschrift: Ein Interview mit dem Metacomicautor Scott McCloud, der zugibt, den Poststrukturalismus nicht verstanden zu haben.
Folio (Schweiz), 01.04.2007

Weitere Aritkel: Ankja Jardine unterhält sich mit Pfarrerin Käthi La Roche über die Unfähigkeit vieler Heiratswilliger, alleine zu sein. Jardine untersucht auch, was die weltweit verteilten Kinder von Samenspender 5010 so machen. Michael Miersch versucht von Dompteuren zu lernen, wie man die Ehefrau bändigt. Till Raether widmet sich jenen, die nach dem Tod des Ehepartners übrig bleiben. Die Autorin Ruth Schweikert liefert eine Kurzgeschichte zur Hochszeitsnacht. Mikael Krogerus sinniert über den Heiratsantrag. Präsentiert werden außerdem einige Skurrilitäten rund um den Bund fürs Leben.
Luca Turin hat nicht geglaubt, dass Guerlain das "wahrscheinlich beste" Parfum der Welt ohne Verluste den neuen EU-Richtlinien anpassen würde, wie er in seiner Duftnote bekennt. "Erst als einige Leute im Haus selbst es ablehnten, an der Formel herumzudoktern, holte Guerlain den großen Edouard Flechier. Er hat einige Jahre über dem Problem gebrütet. Vor zwei Tagen erhielt ich eine Probe - Flechier hat das Unmögliche möglich gemacht. Das neue Mitsouko (hier mehr zur Geschichte des alten) entspricht allen Richtlinien und duftet sensationell: ein bisschen brotiger im Anlaut als früher, einen Hauch weniger süß im Fond, eine etwas kräftigere Irisnote im Herzen. Wenn ich zwischen dem alten und dem neuen Mitsouko wählen müsste, ohne alter Gewohnheit zu folgen, ich nähme vielleicht sogar das neue. Bravo!"
Spectator (UK), 31.03.2007

Europa (Polen), 31.03.2007

Gazeta Wyborcza (Polen), 31.03.2007

Economist (UK), 30.03.2007

Weiteres: Besprochen wird Ian McEwans neuer Roman "On Chesil Beach" - und zwar nach dem den Rezensenten enttäuschenden Vorgänger "Saturday" mit Erleichterung: "Ian McEwan hat seine Formkrise überwunden." Vorgestellt wird eine Studie, die die hervorragende Akustik griechischer Amphiteater mit den als Geräuschfilter agierenden Steinsitzen erklärt. Die afrikanischen Großstädte wachsen unaufhaltsam - der Economist berichtet von den Problemen in Johannesburg und Luanda. In einem Artikel zum umstrittenen Islam-Urteil einer Frankfurter Richterin werden die Integrationsprobleme Deutschlands auf den Punkt gebracht.
NRC Handelsblad (Niederlande), 28.03.2007

London Review of Books (UK), 05.04.2007

Weitere Artikel: Der Autor Colm Toibin schreibt über Samuel Becketts irische Schauspieler. Außerdem erläutert Donald MacKenzie die Regeln des modernen Ablasshandels mit Schadstoffemissionen. Peter Campbell bespricht eine Ausstellung im British Museum mit Aquarellen, die John White im 16. Jahrhundert von Amerika malte.
Blätter f. dt. u. int. Politik (Deutschland), 01.04.2007

Außerdem zeichnen Behrooz Abdolvand und Nima Feyzi Shandi ein unheilvolles Szenario von einem Krieg gegen den Iran. Albrecht von Lucke fürchtet, dass die SPD die Profillosigkeit zu ihrem Programm gemacht hat.
Revista de Libros (Chile), 01.04.2007
Rafael Gumucio (mehr hier) beschäftigt die Frage, warum die Literatur die Götter braucht, und umgekehrt: "Die Literatur entstand, weil man eine Form benötigte, um das Göttliche auszudrücken, zu erklären, mit Sinn zu erfüllen. Goldene Tafeln, Wiederauferstehungen, Besuche im Paradies an der Hand des Erzengels Gabriel: Jede Religion beruht auf unglaublichen Geschichten, die mit Hilfe komplexer erzählerischer Verfahren glaubhaft werden müssen. In Literatur und Religion entscheidet einzig die Form, in der etwas erzählt wird, über Wahrheit oder Lüge des Erzählten. Zudem hat jede Religion ihre Lieblingsgattung: der griechisch-römische Pantheismus Epos und Tragödie, das Christentum Drama und Komödie, der Zen den Haiku, der Rationalismus die Geschichte, der Positivismus Soziologie und Roman, und unser heutiger Glaube an Fakten und Gefühle den Journalismus. Wie alle Religionen unterzieht unser Glaube an Statistik und Psychologie die alten heiligen Erzählungen einer Neulektüre - aber ohne Götter, Religion, Kontext. Nur nach ästhetischen oder sentimentalen Kriterien betrachtet, wird die Literatur allerdings bald zum bloßen musealen Objekt, das man im Glasschrank ausstellt. Solche niedlichen Dinge gehen dann schnell mal kaputt und werden ebenso schnell vergessen."
New York Times (USA), 01.04.2007

Außerdem: Ann Hulbert überlegt, wie eine westlich orientierte Bildungsreform die Volksrepublik China umkrempeln könnte. Und im Interview mit Deborah Solomon erklärt der Neurowissenschaftler und Pulitzerpreisträger Douglas Hofstadter ("Gödel, Escher, Bach") künstliche Intelligenz für überbewertet.
Mit der historischen Genauigkeit und der Koranauslegung in Tariq Ramadans Mohammed-Biografie "In the Footsteps of the Prophet" will sich Stephanie Giry in der Book Review lieber nicht aufhalten. Wichtiger erscheint ihr, dass das Buch die umstrittenen politischen Ansichten seines Autors in ein versöhnliches Licht taucht: "Ramadan wörtlich zu nehmen, könnte zu jener Übereinkunft führen, die die Multikulturalisten in den Niederlanden und Frankreichs säkulares Establishment mit ihrer wachsenden muslimischen Bevölkerung zu erreichen versuchen. Seine universalistische, apolitische Sicht des Islams könnte die Lösung sozialer Reibungen befördern."
Weitere Artikel: In einem Essay spürt Jeremy McCarter der, wie er findet, verkannten dramatischen Kunst Thornton Wilders nach. Mitchell Cohen ist der Ansicht, John R. Bowens Abhandlung über Frankreichs Probleme mit dem kulturellen Pluralismus (Auszug "Why the French Don't Like Headscarves") biete keine Lösungen an. Und Nicholas Fox Weber preist Carolyn Browns Buch über Merce Cunningham und John Cage (Auszug "Chance and Circumstance") als echtes Insider-Porträt.