Magazinrundschau - Archiv

Europa

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Magazinrundschau vom 03.03.2009 - Europa

"Ein guter Philosoph ist ein toter Philosoph" stellt Maciej Nowicki in der Europa-Beilage der Tageszeitung Dziennik fest. Anlass ist das neue Buch des englischen Philosophen Simon Critchley "The Book of Dead Philosophers", das die Frage aufwirft, welches Verhältnis Philosophen zum Sterben haben, wobei Critchley daraufhin 20 Sterbefälle berühmter Philosophen untersucht. Besonders angetan hat es Nowicki folgende Episode: "Diderot segnete das Zeitliche nach der Rückkehr aus St. Petersburg, nach einem Aufenthalt am Hof von Katharina der Großen. Er war entkräftet, wurde krank und verbrachte einige Zeit im Bett. Als er sich endlich besser fühlte, setzte er sich mit seiner Ehefrau an den Abendbrottisch. Er aß Suppe, Lammragout und ein bisschen Endivie. Dann griff er nach einer Erdbeere. Aber seine Frau wollte ihn davor bewahren. 'Zum Teufel, was soll mir schon mit einer Erdbeere passieren?!', fragte Diderot genervt. Und in dieser Sekunde verstummte er. Er war bereits tot."

Magazinrundschau vom 10.02.2009 - Europa

Das Thema der Woche war in Polen der Runde Tisch, an dem die Solidarnosc vor zwanzig Jahren, im Februar 1989, die Verhandlungen mit den sozialistischen Machthabern aufnahm. In einer recht emotionalen Diskussion zum Thema fragt der Publizist Tomasz Merta nach dem Beginn dieses Prozesses: "Die einen sagen, es sei der Runde Tisch gewesen oder die Wahlen am 4. Juni; andere wiederum nennen die Entstehung der Mazowiecki-Regierung im September. Oder war es die Umbennung in 'Republik Polen' oder die Präsidentschaftswahlen 1990? Sollte ich eine Ausstellung zur Geschichte der Dritten Republik machen, würde ich die Streiks im August 1980 als Anfangsdatum festlegen. Es ist der Moment, in dem die soziale Energie zum Ausdruck kommt, eine Erinnerung, die verbindet, ein wirklicher Gründungsmoment. Deswegen kann der August 1980 zu einem solchen symbolischen Datum werden, und die Ereignisse von 1989, wenn auch wichtig und erinnerungswürdig, eher weniger." Der Runde Tisch sei aber der Moment gewesen - das wird in diesem Gespräch auch betont - , als die ehemaligen Dissidenten begannen, Politik zu betreiben. Der Ethos der frühen Solidarnosc, Politik mit moralischen Maßstäben zu fordern und zu betreiben, habe die Konfrontation mit den Realitäten der Machtausübung nicht überstanden.

Magazinrundschau vom 06.01.2009 - Europa

Der Schriftsteller Eustachy Rylski (mehr hier) skizziert im Interview den Unterschied zwischen einem Autor und einem Schriftsteller: "Ein gutes Buch ist nur ein gutes Buch. Literatur dagegen braucht ein Buch und einen Schriftsteller. Ein Schriftsteller muss ein Paradiesvogel sein - immer einen Schritt vor seinen Büchern, und mit den Jahren soll er an Würde gewinnen, sich in eine Institution verwandeln und nach dem Tod zum Denkmal werden. Darum steht es schlecht bei mir: ich bekomme keine Leserbriefe, die Leseabende sind schlecht besucht, ich bekomme keine Preise, werde nicht zitiert und inspiriere niemanden. Deshalb halte ich mich für einen ausgezeichneten Autor, aber nicht für einen Schriftsteller. Das ist ein Unterschied."

Magazinrundschau vom 13.05.2008 - Europa

Natürlich hat man in Polen aufmerksam den "Machtwechsel" im Kreml verfolgt. Und alle fragen sich, welche Zukunft das neue Regime haben wird. Der Putinkritiker Boris Nemzow winkt ab: "Die gegenwärtige Stabilität ist illusorisch. Fahren Sie mal in die Garnisonen - 150.000 Offiziere haben keine Wohnungen. Die U-Boote rosten ohne Mannschaften und Waffen vor sich hin; die Beziehungen zu den Nachbarn sind ruiniert - selbst Lukaschenko betrachtet Russland als Feind. Staatliche Institutionen sind fast inexistent, die Selbstverwaltung funktioniert nicht. Das einzig Stabile sind die Gas- und Ölpreise und niemand weiß, wie lange das anhält. Stabilität ist ausschließlich ein schönes Bild des staatlichen Fernsehens. Und nichts mehr..." Wann die Russen ihr korruptes Regime satt haben werden, weiß Nemzow auch: 2020, behauptet er.

Das Milieu der Neuen Linken, assoziiert mit der Krytyka Polityczna, hat den Philosophen Stanislaw Brzozowski wiederentdeckt. Dass sein Werk von verschiedenen Seiten wiederholt vereinnahmt und kritisiert wurde, beweist die Diskussion zwischen dem Chefredakteur der Krytyka Polityczna Slawomir Sierakowski (mehr hier) und dem Literaturhistoriker Maciej Urbanowski. Während erster mit Brzozowski gegen die Liberal-Konservativen ankämpfen will, konstatiert Urbanowski: "Brzozowski wird immer dann aktuell, wenn ein Bedarf für Aktivismus und Radikalismus besteht, weil man das Bestehende satt hat. (...) Für mich lehrt er uns vor allem, dass die Geschichte nicht von selbst entsteht, dass wir für sie verantwortlich sind; dass wir gegen diese verdammte polnische Schwäche ankämpfen müssen, die unsere Existenz in Frage stellt." (Mehr zu Brzozowski hier und hier)

Magazinrundschau vom 08.04.2008 - Europa

Der Streit um die Ratifizierung des Lissaboner Vertrags hat bei einigen Kommentatoren in Polen die Hoffnung auf eine Rückkehr ideologischer Auseinandersetzungen aufkommen lassen. Der Philosoph Jerzy Szacki winkt ab: "Es gibt in Polen keine soziale Kraft, die die liberale Modernisierung aufhalten oder gar etwas Wesentliches an ihrem Charakter ändern könnte. Etwas mehr oder weniger Autoritarismus, etwas mehr oder weniger Religiosität (real oder zum Schein); aber letztendlich läuft es fast auf das Gleiche hinaus, früher oder später. Der Spielraum ist begrenzt, weil wir nun mal sind, wo wir sind."

Magazinrundschau vom 25.03.2008 - Europa

Statt das übliche Ostergespräch über den Sinn des Lebens zu führen, diskutiert Bogumil Lozinski mit dem Philosophen Leszek Kolakowski über den Niedergang der Linken, das Fiasko des Marxismus und - ja, auch - über das Christentum als Fundament Europas. Etwas metaphysisch wird es dabei doch: "In dieser Welt gibt es keinen Erfolg. Natürlich gibt es bekannte Personen, die etwas erreicht haben. Aber der Glaube, dass man Erfolg haben kann, ist eitel und illusorisch. Im Grunde sind wir alle Versager."

Nur im Print zu lesen ist Viktor Jerofejews Dank an Andrzej Wajda nach der Moskauer Premiere von "Katyn". Auch wenn er nicht alles an dem Film gelungen findet, konstatiert der russische Schriftsteller: "Wajda säuberte schon früher den Augiasstall der Zeitgeschichte. Den dreckigsten Teil mit dem Namen Katyn hat er sich erst als letztes vorgenommen. Es ist eine Heldentat; ich verneige mich vor dem polnischen Herkules."

Magazinrundschau vom 15.01.2008 - Europa

Große Wissensdefizite konstatiert im Gespräch der Historiker Karl Schlögel in Bezug auf Deutschlands Bild von Osteuropa. Der einst einheitliche "Ostblock" ist zwar dem Bewusstsein von der Existenz einzelner Länder mit ihren Eigenheiten gewichen, aber was diese ausmachen, scheine erst bei den jüngeren Generationen anzukommen: "Die heutigen Warschauer und Berliner verfügen über Räume der gemeinsamen Erfahrung, das Lebenstempo ist das gleiche, sie nutzen die gleichen Geräte. Diese Art von Kosmopolitismus ist vielleicht weniger spektakulär als die Vernetzung vor hundert Jahren, die mich seit Jahren fasziniert, aber sie ist großen Menschenmassen zueigen. Dadurch werden wir immun gegen nationalistische Verführungen."

Haben Sie sich mal gefragt, warum eigentlich in Polen zwei konservative Parteien das politische Feld dominieren? Der Historiker Andrzej Mencwel hat eine Antwort parat: "Weil die Linke die Lage nicht ernsthaft definieren kann, das heißt, sie kann nicht sagen, was das Hauptproblem unserer Zeit ist, wie man es zivilisatorisch benennen kann, was die sozialen Konflikte ausmacht."

Magazinrundschau vom 04.12.2007 - Europa

Die ganze Ausgabe des Wochenendmagazins der Tageszeitung Dziennik ist den Wahlen in Russland gewidmet. Vor den Konsequenzen der nationalistischen Kremlpropaganda warnt Russlandexperte Boris Breitschuster: "Alle werden als Bedrohung dargestellt. Das heutige Russland hat keine Freunde, nur Feinde: die USA und Europa schwärzen Russland an, und warten nur darauf, es zu bedrohen. Mit den Nachbarstaaten ist es noch schlimmer... Das ist ein gefährliches und kurzsichtiges Spiel, ich glaube, nicht einmal die im Kreml wissen, welch gefährliche Bestie sie provozieren."

Der letzte Oppositionelle Garri Kasparow richtet im Interview die Aufmerksamkeit auf die Rolle des Auslands: "Der Westen macht riesige Geschäft mit China, viel größere als mit Russland. Aber keiner täuscht deswegen vor, dass China demokratisch sei. Bei Russland ist es leider anders - Demokratie wurde hier zur Verhandlungsmasse." Besonders irritierend sei dabei die Haltung Gerhard Schröders: "Putins Propaganda kann jetzt sagen: Seht her! Sogar den deutschen Kanzler kann man kaufen! Diese ganze Politik ist nur Business!"

Magazinrundschau vom 06.11.2007 - Europa

Eine sehr interessante Diskussion zwischen dem deutschen Philosophen Peter Sloterdijk und der polnischen Soziologin Jadwiga Staniszkis druckt die Beilage der Tageszeitung Dziennik ab. Es geht um die Europatauglichkeit Polens. Dazu meint Staniszkis: "Paradoxerweise ist Polen an ein Europa, das aus dem Lissaboner Vertrag hervorgeht - ein Europa, in dem sich die Bürokratie radikal autonomisiert - besser angepasst als zum Beispiel Deutschland". Der polnische Traditionalismus, mit seinem Klientel-Denken und seinen Hierarchien, helfe den Prozess der post-Politik der EU oberflächlich zu akzeptieren, ohne die intellektuelle Entwicklung Westeuropas durchlaufen zu haben. "Der Neotraditionalismus hat schon im August 1980 den Polen geholfen, die Ethik als politische Sprache zu aktivieren. Jetzt hilft er dabei, in der EU-Bürokratie einen neuen Patron zu entdecken, und ihm gegenüber loyal zu sein, ohne die Spielregeln wirklich zu begreifen."

Magazinrundschau vom 07.08.2007 - Europa

Im Magazin der Tageszeitung Dziennik führt Agata Bielik-Robson ein lesenswertes Gespräch mit dem Schriftsteller Adam Zagajewski. Darin spricht er unter anderem von der großen Herausforderung, vor der Autoren jüngerer Generationen stehen: das Polnisch-Sein neu zu definieren. "So wie die französische Kultur durch den Spannungsbogen Montaigne-Pascal geprägt wird, führt die Neudefinition der polnischen Kultur auf die Auseinandersetzung zwischen Czeslaw Milosz und Witold Gombrowicz zurück. Es war ein großer Dialog. Die Frage ist nun, wie die Spannung erhalten werden kann. Kann die junge Generation jenes Gespräch weiterführen, das die polnische Kultur auf ein hohes Niveau gehoben hat?"

Abgedruckt wird auch die Berliner Rede Imre Kertesz', die im Rahmen des Konferenz "Perspektive Europa" gehalten wurde. Darin geht es um das totalitäre Erbe Europas (hier die englische Übersetzung).