Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
14.02.2006. Spectator, Weltwoche, Il Foglio, Le point, Al Ahram, Nouvel Observateur, Outlook India, L'Espresso, Economist und Gazeta Wyborcza streiten über die Mohammed-Karikaturen. In The Nation fordert der Schriftsteller Walter Mosley die Afroamerikaner auf, eine eigene politische Partei zu gründen. Folio beobachtet Super-Nannys, Karriere-Coachs, Lifestyle-Experten - kurz: Berater. Elet es Irodalom berichtet vom inszenierten Sterben des Theatermachers Peter Halasz. Und die New York Times stellt einen Band mit den Reden Osama bin Ladens vor.
Spectator | Gazeta Wyborcza | The Nation | Folio | Polityka | Revista de Libros | Elet es Irodalom | New York Times | Weltwoche | Foglio | Point | Al Ahram Weekly | Nouvel Observateur | Outlook India | Espresso | Economist
Spectator (UK), 11.02.2006

Theodor Dalrymple ist da ganz anderer Meinung. "Die Reaktion Großbritanniens und der Vereinigten Staaten lehrt die muslimischen Extremisten, dass sie mit genug Brustgetrommel mächtige Staaten einschüchtern können, und dass die Bekenntnisse zum Glauben an die Meinungsfreiheit leer sind. Mit anderen Worten, die terroristische Taktik der Schwachen kann den Starken die Zensur aufzwingen. Muslimische Extremisten sind zu der nicht ganz falschen Schlussfolgerung gelangt, dass die Männer, die die westlichen Regierungen kontrollieren, nicht fest genug an etwas glauben, um ihre eigenen Haut zu riskieren, kurz: Sie sind dekadent."
Weltwoche (Schweiz), 09.02.2006

Foglio (Italien), 11.02.2006
Unter Rückgriff auf den byzantinischen Bilderstreit (Wikipedia) betont Sandro Fusina, wie glücklich sich das Christentum doch schätzen kann, dass die seiner Meinung nach vom Islam inspirierten Ikonoklasten verloren haben. "Das Verdienst des Christentums besteht sicher nicht darin, die okzidentale figurative Kunst aus dem Nichts erschaffen zu haben, aber es hat die klassische figurative Tradition vor dem radikalen islamischen ikonoklastischen Furor gerettet, vor dem desaströsen byzantinischen Versuch des Bildersturms. Vor allem aber besteht sein Verdienst darin, dass es eine lebendige Tradition geschaffen hat, die in der Lage war, sich andere Richtungen und Auffassungen anzueignen. Daraus hat sich die darstellende Kunst entwickelt, einer der einflussreichsten und charakteristischsten Züge der abendländischen Identität." Teil 1 und 2 des Artikels sind als pdf abzurufen.
Point (Frankreich), 09.02.2006

Al Ahram Weekly (Ägypten), 09.02.2006

Von Ehre keine Spur, findet Anjali Kamat und erklärt in einem Beitrag des Dossiers, die Debatte offenbare "eine klaustrophobische Vision von Menschlichkeit", imstande, den Kampf der Kulturen anzuheizen: "Verblendet durch Polarisierungen ist sie unfähig, die Karikaturen als das zu sehen, was sie sind: hässlich und rassistisch ... So lehrt sie uns weniger über fanatische Muslime als über Europas Umgang mit der 'Muslim-Frage'."
Für Salama A Salama sind die "Spannungen leicht zu erklären: Europa hat es versäumt, seine ethnischen Minderheiten auf sinnvolle Weise zu integrieren. In Dänemark gab es überhaupt keinen Grund, die beleidigenden Zeichnungen zu veröffentlichen. Aber die jüngsten Wahlen haben zum Aufstieg der rechtsextremen Volkspartei geführt, die bekannt ist für ihren Rassismus und ihre Xenophobie. Die Volkspartei hat es geschafft, die öffentliche Meinung gegen Muslim und Ausländer in Dänemark aufzuwiegeln - eine leichte Sache, bedenkt man die jüngsten Geiselnahmen im Irak."
Ein anderes Dossier befasst sich mit den Rangeleien um die Publikation eines Romans von Nagib Machfus. Nachdem Machfus selbst die Veröffentlichung von "Children of the Alley" an die Zustimmung durch die Muslimbrüderschaft geknüpft und so die ägyptische Intelligenz gegen sich aufgebracht hat, erinnert Sayed El-Bahrawi an die moralische Funktion von Literatur: "Indem sie die Widersprüche eines menschlichen Dilemmas oder sozialen Phänomens erkundet ... erweitert sie unser Bewusstsein und hilft uns, solche Widersprüche zu überwinden ... Wenn Machfus der Muslimbrüderschaft moralische Autorität zuspricht, muss man dagegen angehen."
Nouvel Observateur (Frankreich), 09.02.2006

Outlook India (Indien), 20.02.2006

Sheela Reddy erzählt, wie der Lesehunger in den indischen Provinzen findigen Verlegern einen Goldregen beschert: "Die Leute wollen wissen, wer dieser 'Harry Potter' ist, auch wenn sie kein Englisch verstehen." Kleinere Regionalverlage wie Prabhat Prakashan kaufen die Übersetzungsrechte für Hindi oder Marathi. Dass die so publizieren West-Bestseller den regionalsprachigen Autoren schaden könnten, ist indes nicht befürchten: "Damit verhält es sich wie mit Holly- versus Bollywood: Solche Bücher ersetzen nicht das Lokalkolorit."
Weitere Artikel: Namrata Joshi stellt die heiß diskutierte Bollywood-Produktion "Rang De Basanti" vor: "Ein Film über den Verlust nationaler Identität." Mit ungewöhnlicher PR: "Der Regisseur wendet sich an sein Publikum in Internet-Foren und Chatrooms." Besprochen werden Joseph Stiglitz' "Fair Trade For All" - ein ambitionierter Versuch, das fragwürdige Prinzip der Reziprozität im Welthandel aufzuheben, findet Pratap Bhanu Mehta. Sowie ein laut Manohar Singh Gill nicht weniger als die Geschichte des unabhängigen Indien karikierender Band des Cartoonisten R. K. Laxman.
Espresso (Italien), 16.02.2006

Economist (UK), 10.02.2006

Gerade im Hinblick auf den Karikaturen-Streit begrüßt der Economist Daniel C. Dennetts ("Breaking the Spell: Religion as a Natural Phenomenon") Initiative, Religion als Naturphänomen aufzufassen und zum Gegenstand rationaler und wissenschaftlicher Betrachtung zu machen. Außerdem zu lesen: Dass die USA erneut in Versuchung geraten, sich außenpolitisch zu isolieren, welche marktwirtschaftliche Macht in der Hand der blogger liegt, und wie es um die Geburtenraten in Europa steht (vor allem für Deutschland richtig übel).
Das Dossier ist Deutschland gewidmet. Online lesen dürfen wir nur den Einführungsartikel von Ludwig Siegele, der ankündigt, nicht die positiven (Exportweltmeister), sondern die negativen Seiten aufs Korn zu nehmen. Wenn sie ihre strukturellen Probleme nicht anpacken, glaubt Siegele, haben die Deutschen bald amerikanische Verhältnisse.
Gazeta Wyborcza (Polen), 11.02.2006

In Polen kommt der Liberalismus in Verruf, bedauert der polnisch-amerikanische Historiker und Philosoph Andrzej Walicki. "Der eingeschränkte Liberalismusbegriff - als ökonomische Doktrin - wurde von polnischen Thatcher-Bewunderern gepflegt, deshalb bietet er jetzt eine gute Angriffsfläche für jene, die ihn mit Verachtung für Schwächere und Sozialdarwinismus gleichsetzen wollen. Das Pflänzchen des Liberalismus, der sich für Toleranz und weltanschauliche Neutralität des Staates einsetzt, wurde in Polen jäh ausgerissen, im Namen einer kollektivistischen, republikanischen Tradition. Genau in diese Richtung geht die Rhetorik des heute herrschenden Lagers".
The Nation (USA), 27.02.2006

Der französische Intellektuelle Bernard-Henri Levy richtet einen Weckruf an die amerikanische Linke, die er bei seiner Reise auf Toquevilles Spuren in einem "semi-komatösen" Zustand vorgefunden hat: "Für einen außenstehenden Beobachter ist es recht seltsam, dass so viele Progressive nach eigenem Bekenntnis erst den Hurrikan Katrina brauchten, um sich über das unerhörte Maß an Armut in amerikanischen Städten empören zu können oder es wenigstens zu begreifen. Für einen an die Schlachtfelder der Ideen gewöhnten europäischen Intellektuellen, ist es schlichtweg unbegreiflich, dass sich nicht mehr Stimmen im Namen der Aufklärung erhoben haben, um den lächerlichen Betrug der Anti-Darwinistischen Unterstützer des "intelligent design" zu entlarven. Und was ist mit der Todesstrafe? Wie kann es sein, dass es in den politischen Parteien, besonders bei den Demokraten noch immer keinen Stimmungstrend gibt, der die Abschaffung dieser zivilisierten Barbarei fordert? Und Guantanamo? Und Abu Ghraib?"
Folio (Schweiz), 13.02.2006

Der Unternehmensberater und Weltwoche-Kolumnist Kurt W. Zimmermann erzählt von einer einschlägigen Erfahrung, die er bei einem Job in Österreich machte: "Der Aufsichtsratspräsident erzählte, dass er soeben Mitglied im piekfeinen Fontana-Golfclub bei Wien geworden sei. 'Wunderbar', sagte ich, 'dann können wir ja dort demnächst eine Runde zusammen spielen.' Seit dieser Bemerkung weiß ich, was man unter dem Ausdruck 'peinliches Schweigen' versteht. Berater, so lernen wir daraus, sind die Hilfstruppen des Kapitalismus. Sie sind die Vorarbeiter und Poliere ihrer Dienstherren im Management, aber sie sitzen nicht selber auf der Kommandobrücke. Das definiert ihre soziale Rolle, aber auch ihre Funktion. Eine Zeitlang haben Berater diese Grundregel missachtet und sich aufgeführt, als ob sie selber am Drücker wären. Sie taten es zwar mit Billigung ihrer Auftraggeber, aber dennoch sind dabei ein paar schöne Weltfirmen wie Enron, Worldcom und Swissair den Bach hinuntergegangen."
Weiteres: Gudrun Sachse protokolliert eine Sitzung bei einer Beziehungsberaterin ("Frau: Ich müsste einfach mehr schlafen mit ihm. So. Fertig. Punkt. Wir waren in einem Kurs 'making love'. Da hieß es jeden Tag: 'plug in'. Stöpseln.") Klaus Harpprecht erinnert sich an seine Zeit als Schattenmann von Willy Brandt. Und in seiner "Duftnoten"-Kolumne widmet sich Luca Turin dem Trend der Parfumeure, an den alten Formeln ihrer Klassiker herumzubastelm, " um sie zu verbilligen oder um sie den neuen Richtlinien anzupassen".
Polityka (Polen), 11.02.2006

Revista de Libros (Chile), 11.02.2006
In seiner Kolumne denkt der chilenische Schriftsteller und Journalist Rafael Gumucio (mehr hier) über den Unterschied zwischen Lüge und Fiktion nach: "Die subtile Unterscheidung dieser beiden Konzepte, der geheime Gegensatz zwischen diesen scheinbar identischen Begriffen, ist eine der größten Errungenschaften des Westens. Einmal mehr an dem Wettstreit zwischen ihnen teilzuhaben und mit Gewinn daraus hervorgehen zu dürfen, ist unsere große Hoffnung, wenn wir uns daran machen, einen Roman zu lesen: einmal mehr spielerisch in Frage stellen, was man erzählen kann und wie man erzählen soll. Vielleicht sind wir aber durch ein Zuviel an politischen, historischen und patriotischen Fiktionen der Legenden überdrüssig geworden ... vielleicht sind wir durch Fernsehen und Kino einem derartigen Dauerbeschuss mit Fiktion ausgesetzt, dass wir es uns angewöhnt haben, allzu subtile Urteile über die Fiktion zu fällen, Gourmets, die sich nicht mehr ohne Murren alles vorsetzen lassen - erst recht nicht, wenn es von der Hand der selbstherrlichen Schriftsteller stammt, die uns das 20. Jahrhundert über mit ihrem Ego bombardiert haben."
Elet es Irodalom (Ungarn), 10.02.2006

Anfang der achtziger Jahre waren die Polen viel solidarischer mit oppositionellen Intellektuellen als die Ungarn, erinnert sich einer der wichtigsten Vertreter der ungarischen demokratischen Opposition, Roza Hodosan im Gespräch: "Während der Flucht vor der Polizei öffneten sich in Warschau alle Haustüren, überall wurden Demonstranten ins Haus geschoben und gesundgepflegt. ? Es war faszinierend zu erleben, dass ganz Polen sich in der kritischen Haltung gegenüber dem Regime einig war." Die Ungarn zeigten dagegen wenig Mitgefühl. Als Gabor Demszky - heute Bürgermeister von Budapest - von Polizisten auf offener Straße geschlagen wurde, "schrie ich pausenlos, um Augenzeugen zu haben, bis ich die Stimme verlor. ? Als am nächsten Tag eine Zeitung unter der Überschrift 'Soziologe fiel über Polizisten her' darüber 'berichtete', fanden wir keinen einzigen Augenzeugen, absolut niemanden. Obwohl an sämtlichen Fenstern und Balkonen Menschen standen; viele sahen genau, was passierte."
New York Times (USA), 12.02.2006
In der New York Times Book Review stellt Noah Feldman "Messages to the World" vor, einen Band, der die Reden, Interviews und Internetartikel Osama bin Ladens versammelt, stellt uns in der Book Review vor. Eine irgendwie obszöne Lektüre, findet er, erkennt jedoch auch ihren Wert an: "Gleichwohl moralisch verwerflich und unverantwortlich im religiösen Sinn, könnte bin Laden Zuspruch finden bei durchaus logisch Denkenden mit den gleichen Prämissen ... Seine Worte zu drucken bedeutet, ihn zu zeigen als das, was er ist - ein verirrter Moslem, der den Glauben missbraucht, um Mord zu rechtfertigen."
David Brooks bespricht ein Buch ("World as Laboratory: Experiments With Mice, Mazes, and Men"), das die mitunter haarsträubenden Versuche der Wissenschaft dokumentiert, menschliches Verhalten zu steuern: "Diese Forschung wurde großzügig finanziert und gefördert von den renommiertesten Instituten ... Und sie wurde betrieben in der noch immer verbreiteten Ansicht, dass es dies Reiz-Reaktions-Schema im Gehirn gibt und dass man menschliches Verhalten kontrollieren kann, indem man die Reize kontrolliert."
Außerdem: Pankaj Mishra stellt uns "The Inheritance of Loss" von Kiran Desai vor (Kapitelprobe als Audiofile) - für Mishra der "perfekte post-9/11-Roman", erzählt mit "moralischer Intelligenz" und echtem Talent. Und der Autor Curtis Sittenfeld gibt seine Erfahrungen mit Buchclubs zum Besten: "Es gibt nur wenige Orte, wo Cellulitis und Tolstoi im selben Gespräch auftauchen."
Im Magazin der New York Times stellt Joseph Lelyveld Senator Chuck Hagel vor, der möglicherweise der nächste Präsidentschaftskandidat der Republikaner wird: "Hagel war nie eine Taube, aber im republikanischen Aviarium ist er allemal ein seltener Vogel: Ein Internationalist mit einem starken Sinn für Allianzen, für multilaterale Bemühungen, weltumspannende Institutionen und Außenpolitik, der sich um den Rest der Welt schert - und nicht nur wegen des Agrarexports."
Im Gespräch mit Deborah Solomon erklärt die BBC-Legende David Frost, was er täte, wenn seine neuen Arbeitgeber von Al Jazeera International ihn für ein Interview auf Osama bin Laden ansetzen würden: "Ich würde wohl nein sagen. Als pflichtbewusster Bürger müsste man ihn dingfest machen. Das wäre wohl unmöglich. Du würdest vielleicht reinkommen, aber vielleicht auch nie wieder heraus."
David Brooks bespricht ein Buch ("World as Laboratory: Experiments With Mice, Mazes, and Men"), das die mitunter haarsträubenden Versuche der Wissenschaft dokumentiert, menschliches Verhalten zu steuern: "Diese Forschung wurde großzügig finanziert und gefördert von den renommiertesten Instituten ... Und sie wurde betrieben in der noch immer verbreiteten Ansicht, dass es dies Reiz-Reaktions-Schema im Gehirn gibt und dass man menschliches Verhalten kontrollieren kann, indem man die Reize kontrolliert."
Außerdem: Pankaj Mishra stellt uns "The Inheritance of Loss" von Kiran Desai vor (Kapitelprobe als Audiofile) - für Mishra der "perfekte post-9/11-Roman", erzählt mit "moralischer Intelligenz" und echtem Talent. Und der Autor Curtis Sittenfeld gibt seine Erfahrungen mit Buchclubs zum Besten: "Es gibt nur wenige Orte, wo Cellulitis und Tolstoi im selben Gespräch auftauchen."

Im Gespräch mit Deborah Solomon erklärt die BBC-Legende David Frost, was er täte, wenn seine neuen Arbeitgeber von Al Jazeera International ihn für ein Interview auf Osama bin Laden ansetzen würden: "Ich würde wohl nein sagen. Als pflichtbewusster Bürger müsste man ihn dingfest machen. Das wäre wohl unmöglich. Du würdest vielleicht reinkommen, aber vielleicht auch nie wieder heraus."
Spectator | Gazeta Wyborcza | The Nation | Folio | Polityka | Revista de Libros | Elet es Irodalom | New York Times | Weltwoche | Foglio | Point | Al Ahram Weekly | Nouvel Observateur | Outlook India | Espresso | Economist