Magazinrundschau
Schuld ist immer das Schwein
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
02.06.2009. Explodierende Tunesier erlebte Al Ahram beim arabischen Theaterfestival in Kairo. Im Observer erklärt der ägyptische Schriftsteller Alaa Al Aswani: Die Demokratie kommt nach Ägypten, bald. Polityka ärgert sich über die Nörgler, die den Polen den 4. Juni vermiesen. Der Statesman, Prospect und The Nation widmen sich China. Im Nouvel Obs erklärt Michel Pastoureau unsere biologische Verwandschaft mit dem Schwein. Zygmunt Bauman widerspricht in Salon.eu.sk Slavoj Zizek. Das Bookforum untersucht den Boom afrikanischer Literatur.
Al Ahram Weekly (Ägypten), 28.05.2009

Rania Khallaf begrüßt das zweifelhafte Projekt eines "Palestinian Holocaust Memorial Museums" (PHMM), das mit Hilfe palästinensischer Exilorganisationen aufgebaut werden soll und zur Zeit vor allem eine virtuelle Präsenz im Netz hat. Vor kurzem fand auch eine Fotoausstellung zum Thema im Al-Sawy Cultural Wheel (mehr hier) statt. Die Initiative ist eine Reaktion auf eine Äußerung des israelischen Politikers Matan Vilnai, der den Palästinensern in Gaza eine "Shoah" angedroht hatte. "Als Reaktion auf dieses provokative Statement wurde die Idee eines Palestinian Holocaust Memorial Museum nach dem Modell des Holocaust-Museums in Washington im März 2008 ins Leben gerufen. Die junge Journalistin Dalia Youssef möchte damit auf die israelischen Verbrechen gegen die Palästinenser aufmerksam machen. 'Da wir nicht die Mittel haben, ein solches Museum in der Realität aufzubauen, habe ich mich entschlossen, es zuerst ins Internet zu stellen, sagt Youssef. 'Wir haben unendlich viele Dokumente und Bilder, und ich fragte mich, wie wir sie am besten verwenden können. (Als nächstes wird sicherlich ein Flügel für die Opfer der Selbstmordattentäter in Israel eingerichtet!)
Observer (UK), 31.05.2009
Rachel Cooke trifft in London den ägyptischen Zahnarzt und Schriftsteller Alaa Al Aswani, der mit seinen Romanen "Der Jakubijan-Bau" und "Chicago" so viel Erfolg hatte, dass sein Verleger jetzt sogar seine frühen, von der Zensur verbotenen Werke veröffentlichen möchte. Al Aswany ist aktiv in der Oppositionsbewegung. "Schützt ihn der Ruhm? 'Ich kann das, was mir passiert ist - ich durfte bei der Filmpremiere von 'Der Jakubijan-Bau' nicht dabei sein - nicht mit dem vergleichen, was einigen meiner Freunden und Kameraden passiert ist, die gefoltert und verprügelt wurden. In jedem Fall aber sind Schreiben und Angst absolut kontradiktorisch. Schreiben ist ein Ausdruck gegen Angst.' Er ist überzeugt davon, dass die Demokratie nach Ägypten kommt und dass der Rest der arabischen Welt es dann als Modell benutzen wird. 'Ich sage Ihnen, es dauert nicht mehr lange. Ich kann kein bestimmtes Datum sagen, aber wir sind bereit."
Polityka (Polen), 29.05.2009

New Statesman (UK), 28.05.2009

Außerdem: Keith Gessen empfiehlt die Lektüre von Orwells Essays aus den vierziger Jahren: "Denn auch wir leben in einer Zeit, in der die Wahrheit aus der Welt verschwindet, genau auf die Art, die Orwell befürchtet hatte: durch Sprache."
Weltwoche (Schweiz), 28.05.2009

The Nation (USA), 29.06.2009

Odra (Polen), 01.05.2009

Einen weiteren Schwerpunkt, zeitlich passend, bilden die sechziger und siebziger Jahre in Musik, Kunst und Lebensstil. Anlass ist wohl Kamil Sipowiczs Dokumentation über die Hippies im sozialistischen Polen. Der Künstler und Musiker beschreibt auf breiter Quellenbasis - u.a. Interviews mit den Zeitgenossen - die Entwicklung und den Niedergang der Bewegung in einer etwas surrealen Umgebung. "Diese zwei Welten trennte ein riesiger Graben: hier die rebellierende Jugend, dort eine Gesellschaft von Sklaven, gesteuert von einem degenerierten Establishment", schreibt Jacek Dobrowolski. In diesem angespannten, von Neurosen beherrschten Land war schon das Lächeln der Hippies eine Provokation, auf die viele agressiv reagierten. Ein sehr verdienstvolles Buch, findet der Rezensent (ebenfalls Hippie-Veteran), nur leider schlampig recherchiert und redigiert.
Prospect (UK), 01.06.2009

Ein ähnliches Bild zeichnet Diane Wei Lang, die unter den protestierenden Studenten des Jahrs 1989 war, jetzt aber als Romanautorin in den USA lebt. Sie beschreibt in ihrem Artikel den Wandel der letzten zwanzig Jahre: "Im Ausland ist die politische Bedeutung des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens eher gewachsen. Fast einhellig ist man der Meinung, dass China erst wirklich ein modernes Land sein kann, wenn es sich der Wahrheit der Geschehnisse von damals stellt. Ich selbst habe das auch lange geglaubt... Aber ich habe China seit damals in jedem Jahr besucht. Mit steigendem Lebensstandard seiner Bürger ist die Erinnerung an Tiananmen immer stärker verblasst. Die Generation, die seit den Protesten geboren wurde, weiß nicht nur nicht, was 1989 wirklich passiert ist - es interessiert sie auch nicht. Sie leben in einem neuen China. Sie haben die Freiheit, zu sagen, was sie denken, wenn nicht im Druck, dann doch sicher privat... Wir im Westen sollten Tiananmen nicht als Stock nutzen, mit dem wir auf China einschlagen. Wir sollten dem Land lieber helfen, voranzukommen, die Menschenrechtssituation zu verbessern, seine Umwelt zu schützen, Armut zu mindern, und Reichtümer zu schaffen für seine Bürger und, später, für die Welt."
Außerdem: Damian Tambini warnt vor den Versuchen der britischen Regierung, die Netzneutralität zu untergraben.
Nepszabadsag (Ungarn), 30.05.2009

Nouvel Observateur (Frankreich), 28.05.2009

Salon.eu.sk (Slowakei), 26.05.2009

Merkur (Deutschland), 01.06.2009
Unsere Auffassung von Literatur, wie sie "diskutiert, rezensiert, analysiert, urheberrechtlich geschützt, raubgedruckt und parodiert" wird, ist gänzlich von der Technik des Buchdrucks bestimmt, erklärt der Komparatist Michel Caouli. Was aber, wenn Texte elektronisch gelesen werden? Vielleicht lassen sich künftige Lesegeräte so programmieren, dass sie überflüssige Adverbien herausfiltern, oder ellenlange Landschaftsbeschreibungen? "Den Text für meine eigenen Zwecke benutzen heißt, dass ich nicht mehr tue, was Gelehrte, Kritiker und viele Normalleser tun: Ich interpretiere den Text nicht mehr, lese ihn nicht mehr mit dem Ziel, die Intentionen des Autors zu verstehen. Wenn ich mir Martin Scorseses 'GoodFellas' ohne Ton anschaue und mir eine Händel-Arie anhöre (vom Singen ganz zu schweigen), ohne Rücksicht auf den ursprünglichen Kontext dieser Werke, wenn ich Adverbien aus Rohinton Mistrys Prosa verschwinden lasse - dann ist all das nur möglich, wenn ich mich von der Pflicht befreie, dem Werk treu zu bleiben. Unter bestimmten Bedingungen (im Klassenzimmer zum Beispiel oder bei einem wissenschaftlichen Aufsatz) kann es interessant sein, die komplexen Intentionen eines Autors zu ergründen, aber es gibt keinen Grund, warum mein Gebrauch des Textes sich darauf beschränken sollte."
Weiteres: Hennric Jokeit und Ewa Hess fragen, welche Rolle die Neurowissenschaften im 21. Jahrhundert spielen werden, da sich der Kapitalismus von einem repressiven in einen liberalen gewandelt und auch unsere seelische Störungen verändert hat: "Die Neurose, ein aus Schuld, Ohnmacht und versagender Disziplin geborenes Leiden, verlor an Bedeutung. Das an der Selbstverwirklichung scheiternde Selbst schob sich in den Vordergrund: Es begann der Siegeszug der Depression."
Weiteres: Paul Cantor entdeckt intelligentes Leben im Fernsehen. Karl Heinz Bohrer liest noch einmal Jürgen Habermas' große Schrift "Der philosophische Diskurs der Moderne". Und John Derbyshire stellt Dennis Duttons "Art Instinct" vor.
Weiteres: Hennric Jokeit und Ewa Hess fragen, welche Rolle die Neurowissenschaften im 21. Jahrhundert spielen werden, da sich der Kapitalismus von einem repressiven in einen liberalen gewandelt und auch unsere seelische Störungen verändert hat: "Die Neurose, ein aus Schuld, Ohnmacht und versagender Disziplin geborenes Leiden, verlor an Bedeutung. Das an der Selbstverwirklichung scheiternde Selbst schob sich in den Vordergrund: Es begann der Siegeszug der Depression."
Weiteres: Paul Cantor entdeckt intelligentes Leben im Fernsehen. Karl Heinz Bohrer liest noch einmal Jürgen Habermas' große Schrift "Der philosophische Diskurs der Moderne". Und John Derbyshire stellt Dennis Duttons "Art Instinct" vor.
Magyar Narancs (Ungarn), 28.05.2009

New Republic (USA), 17.06.2009

Außerdem: Michael Kinsley ist nicht zufrieden mit dem neuen Konzept für Newsweek. Anne Applebaum bespricht das Buch "Spies - The Rise and Fall of the KGB in America" (Auszug) von einem Kollektiv von drei Autoren. Und Peter Green liest eine Neuübersetzung (Auszug) von Gedichten C.P. Cavafys durch Daniel Mendelsohn.
Blätter f. dt. u. int. Politik (Deutschland), 01.06.2009
Die Blätter bringen zum achtzigsten Geburtstag Jürgen Habermas' am 18. Juni eine inhaltsreiche Nummer. Es schreiben zum Beispiel Seyla Benhabib (hier), Oskar Negt (hier) und Albrecht Wellmer. Axel Honneth empört sich bis heute über einen Brief, in dem Max Horkheimer Theordor W. Adorno vor Habermas' angeblich blinder Liebe zum jungen Marx warnt - Folge war, dass Habermas nicht am Frankfurter Institut für Sozialforschung weiterarbeiten konnte. Der Marxismus bleibt aber tatsächlich wichtig für Habermas, meint Honneth: "Von der marxistischen These einer Verselbstständigung ökonomischer Handlungsorientierungen wird er nicht mehr lassen; sie bestimmt, wenn auch unauffällig, so doch in steter Wiederkehr, seine Gesellschaftstheorie bis heute. Deren Produktionsweise ist zwar über die Jahre hinweg die einer ständigen Einarbeitung neuer Theorieansätze, einer ruhelosen Ausdifferenzierung von ursprünglichen Intuitionen und dementsprechend einer stetig wachsenden Komplexität des Gesamtprogramms gewesen. Aber was wäre dieses geradezu systemhafte Theorieganze heute ohne die moralische Antriebskraft, die aus den ersten Jahren einer Aneignung des Marxschen Werkes stammt?"
Bookforum (USA), 01.06.2009

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