Magazinrundschau - Archiv

Polityka

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Magazinrundschau vom 04.12.2012 - Polityka

Nach den schweren Krawallen von Rechtsradikalen am Unabhängigkeitstag Polens schlägt der Soziologe Lukasz Jurczyszyn im Interview (hier auf Deutsch) vor, Konflikte zu institutionalisieren. "Ich habe den Konflikt im erwähnten Brieg, wo es zu einer Eskalation der Gewalt gegen die Gruppe der Roma kam, seinerzeit untersucht. Die Konfliktparteien waren: auf der einen Seite junge Einwohner dieses Ortes, denen niemand je gesagt hatte, dass Fremdenfeindlichkeit eine verurteilenswerte Haltung ist, und auf der anderen Seite die Roma, die ärmsten Bürger der Stadt. Eben wegen dieser Armut erfüllten sie am schnellsten die Kriterien, die die Zuteilung einer Kommunalwohnung garantieren. Uneingeweihten kam es so vor, als wären die Roma privilegierter als die 'echten Polen', nur weil sie eine Minderheit sind. Es stellte sich heraus, dass in einer Stadt, in der es auf dem Papier über hundert gesellschaftliche Organisationen gibt, niemand systematisch mit der marginalisierten Jugend arbeitete. Mit Ausnahme des ONR [Nationalradikales Lager]."
Stichwörter: Fremdenfeindlichkeit, Roma

Magazinrundschau vom 20.11.2012 - Polityka

In einem sehr klugen Interview mit Joanna Ciesla spricht der Psychologe Olaf Żylicz über Władysław Pasikowskis Film "Pokłosie" (Nachlese), die Verbrechen von Jedwabne und die Unmöglichkeit, Schuld zu verdrängen: "Wer kein extremer Psychopath ist, wird immer mit einer inneren Stimme zu kämpfen haben: du hast mich und meine Familie umgebracht. In diesem Falle heilt Zeit keine Wunden, eher im Gegenteil - je älter man wird, desto schwerer wird das. Einer der Beteiligten an diesem Massenmord hatte laut Zeugen in den letzten Stunden seines Lebens erschütternde Visionen. Voller Entsetzen versuchte er, die Schlange der auf ihn zukommenden Opfer zu vertreiben. Jahrzehnte nach dem Verbrechen sieht er all die Menschen, die er umgebracht hat, nennt ihre Vor- und Nachnamen. Die Hirnrinde beginnt abzusterben und die Schutzmechanismen, die zuweilen sehr komplizierte intellektuelle Konstruktionen sind, sind nicht mehr in der Lage, ihn vor der unterdrückten Wahrheit zu bewahren."
Stichwörter: Jedwabne

Magazinrundschau vom 18.09.2012 - Polityka

Edwin Bendyk unterhält sich mit der Soziologin Krystyna Szafraniec über die polnische Jugend, die ihren Untersuchungen zufolge zwar total auf Konsum, Spaß und individuelles Glück ausgerichtet sei, aber offenbar totzdem ganz in Ordnung. Besonders beeindruckt ist Szafraniec von den Protesten gegen ACTA: "Am meisten haben mich die Reife, die Rationalität und die Wirksamkeit der Protestierenden fasziniert. Eine Analyse von Diskussionen im Internet zeigt, dass der Widerstand des Netzes, wie Sie ihn in Ihrem Buch genannt haben, die Sorge um die Zukunft und das öffentliche Interesse ausgedrückt hat, die die Politiker, die in den Strukturen einer anderen Epoche stecken, nicht richtig definieren konnten. Die jungen Menschen haben gezeigt, dass sie verstehen, worin die moderne Welt besteht, worum der Kampf im Rahmen des globalen Kapitalismus geführt wird, und sie haben in diesem Kampf ihren souveränen Standpunkt ausgedrückt."

Magazinrundschau vom 17.07.2012 - Polityka

Als erstaunlich schnell gealtert erweist sich Dorota Maslowska, der einstige (2004) Jungstar der polnischen Literaturszene im Gespräch mit Polityka: "Ich sehne mich nach der Zeit als ich zu schreiben begonnen habe: da waren Bücher wichtiger, da hat man über sie diskutiert, da war es demütigend, wenn alle von einem Buch gesprochen haben, und du nicht wusstest, was Sache ist. Bücher haben Gemeinschaft erzeugt. Heute spricht man wahrscheinlich darüber, was auf Facebook los ist."

Magazinrundschau vom 26.06.2012 - Polityka

Murdochs National Geographic Channel plant für seine Serie "Air Crash Investigation" einen Film über den Flugzeugabsturz in Smolensk, bei dem Polens Staatspräsident Lech Kaczy?ski und über 90 weitere Passagiere ums Leben kamen. Nach Informationen der Tageszeitung Gazeta Polska Codziennie will sich der Sender dabei an die Version der Russen halten, wonach der Absturz einem Pilotenfehler geschuldet ist. Das hat in Polen gewaltigen Ärger bei der PiS hervorgerufen, die den Russen die Schuld am Absturz anlasten möchten, berichten A. Dabrowska und M. Janicki. Die Serie wird in 137 Ländern ausgestrahlt, in Polen hat sie geradezu Kultcharakter: "Sie rekonstruiert sehr sorgfältig Katastrophen der Luftfahrt, mit suggestiver Computer-Animation, mit der Nachstellung von Ereignissen an Bord der Maschine mit Hilfe von Schauspielern, mit Aussagen der besten Experten, der Ermittler, von überlebenden Passagieren und Angehörigen der Opfer. Die Wirkungskraft dieser Serie ist weitaus größer als die irgendeines offiziellen Berichts nach einer Katastrophe. Die von 'Air Crash Investigation' präsentierte Version wird gleichsam kanonisch, für Millionen Zuschauer war der Hergang genau so wie in der Serie gezeigt. Deshalb musste die geplante Folge über die Katastrophe der polnischen Tupolew in Polen Emotionen wecken." (Hier die Serienfolge über Lockerbie)
Stichwörter: PiS, Smolensk

Magazinrundschau vom 08.05.2012 - Polityka

In einem interessanten Interview erläutert (hier auf Deutsch) die Literaturwissenschaftlerin, Photographin und Autorin El?bieta Janicka die an Warschauer Denkmälern und Erinnerungsstätten beobachtete Tendenz, jüdisches Gedenken mehr und mehr mit polnischem Gedenken zu überdecken: "Das fügt sich zu einem Muster zusammen, das komplizierter ist als die einstige Betonung des polnischen Leidens unter dem Motto 'auch wir haben gelitten' oder 'wir mehr'. Jetzt läuft es darauf hinaus, dass wir vergleichbar gelitten haben, das Leid aber früher einsetzte als die Shoah und nicht zusammen mit dem Krieg endete. Im Gewand des Christus der Nationen musste Polen nämlich ein von den Kommunisten bereitetes Golgotha durchmachen."
Stichwörter: Shoah

Magazinrundschau vom 01.05.2012 - Polityka

Deutschland ist in den letzten Jahren regelmäßig von Polen überrascht worden, notiert nicht unzufrieden Wawrzyniec Smoczy?ski: erst mit der Wahl des pro-europäischen Donald Tusk 2007, dann im besonnenen Umgang mit der Finanzkrise 2008 und schließlich mit dem Eintreten für Merkels Weg in der Griechenlandkrise. Tatsächlich verbindet die beiden Länder jedoch längst schon viel mehr als sie trennt, meint Smoczy?ski: "Wer zu Beginn der Neunzigerjahre nicht auf den Kopf gefallen war, nahm die einmalige Chance wahr: ein hoch entwickeltes Land mit riesigem Kapital gleich neben dem zurückgebliebenen Land mit billigen Arbeitskräften - jede Seite hatte das, was die andere dringend brauchte, und getrennt waren sie nur durch die Oder. Deshalb schloss sich Polen wirtschaftlich Deutschland an, lange bevor es der EU beigetreten ist. Deutschland ist in dieser Verbindung die stärkere Seite, aber man kann kaum von Dominanz sprechen - es hat uns einen gewaltigen Teil an Industrie aufgebaut, wir haben von Deutschland Produktionstechnologien und Verwaltungsmethoden bekommen. Niemand hat uns dazu gezwungen, und wenn dieser Transfer gelungen ist, dann aus einem einfachen Grund: Wir haben eine ähnliche Wirtschaftsmetalität wie die Deutschen."

Magazinrundschau vom 03.04.2012 - Polityka

Ewa Winnicka berichtet (hier auf Deutsch) bedrückt über die Vorurteile, denen Polen in den Niederlanden ausgesetzt sind. Nicht alle gehen so weit wie Geert Wilders Partei für die Freiheit, die eine Webseite für Beschwerden über Polen eingerichtet hat. "Edyta Pamula von Holland Contracting ist Optimistin. Ihre Firma schult seit langen die Arbeiter, indem sie ihnen die kulturellen Unterschiede erklärt. Am wichtigsten sind die kleinen, wie beispielsweise die Trennung und Abholung von Müll. Die Holländer sind nämlich an das Prinzip gewöhnt, dass wenn das Müllauto dienstags kommt, man an diesem Tag den Müll rausbringt. Nicht am Sonntag oder am Mittwoch. Und weiter: das Parken. Wenn ein Arbeiter ein eigenes Auto hat, zur Arbeit aber mit dem Bus fährt, gibt es keinen Grund dafür, dass sein Auto die ganze Woche lang einen Parkplatz blockiert. Die Schulungen fruchten: 'Ein beunruhigter Nachbar einer unserer Dienstwohnungen hat nach ein paar Wochen verwundert gesagt, dass gar nichts schlimmes passiert ist, seit nebenan Polen eingezogen sind.'"
Stichwörter: Holland, Wilders, Geert

Magazinrundschau vom 27.03.2012 - Polityka

Anlässlich des 70. Jahrestages des Beginns der Aktion Reinhardt erzählt Marcin Kolodziejczyk (hier auf Deutsch) von den Eisenbahnern in Belzec und dem Vernichtungslager, das sich durch eine obszöne Perfektion auszeichnete: "Der erste Sonderzug traf am Morgen des 17. März 1942 aus Lublin in Belzec ein. Der zweite, aus Lemberg, am Abend. Seitdem kamen täglich zwei Transporte an, und im Sommer und Herbst sogar drei - mit jeweils mehreren Dutzend Waggons voller Menschen jeden Alters. Diese Züge waren in den Frachtlisten der Bahn meistens mit dem Kryptonym PJ für Polnische Juden gekennzeichnet, manchmal wurden aber auch westeuropäische und ungarische Juden hierher deportiert. In den neun Monaten seines Bestehens brachte das kleine Lager der Nazis in Belzec fast eine halbe Million Juden um. Die deutsche Generaldirektion der Ostbahn beförderte sie zu ermäßigten Tarifen, wie sie Großtransporten zustanden - darunter Kinder bis zu vier Jahren umsonst und ältere zum halben Preis. Die zu zahlenden Beträge kassierte die SS von den Passagieren - meist nach deren Ermordung: Die geraubten Barmittel, Schmuckstücke und Goldzähne wurden auf dem Bankkonto der Aktion Reinhardt verbucht."
Stichwörter: Lemberg, Eisenbahn

Magazinrundschau vom 13.03.2012 - Polityka

320.000 Mal hat sich Danuta Walesas Autobiografie seit Dezember 2011 in Polen verkauft, nicht mal der Papst war so erfolgreich, berichtet Ryszarda Socha (hier auf Deutsch). Und wer interessiert sich für das Leben der Ehefrau des Solidarnosc-Kämpfers und ehemaligen Präsidenten Polens? Die grauen Frauen, die Fünfzigjährigen, die alles für Ehemann und Kinder getan haben und sich heute ungeliebt fühlen: "Die zweite Lesereise fiel in den klirrenden Februarfrost. Posen, Breslau, Kattowitz, Bydgoszcz. Es kamen Massen, vor allem die mittlere und ältere Generation. Piotr Adamowicz, der Danuta auf der Reise begleitete, schätzt, dass 90 Prozent des Publikums Frauen waren. Die meisten waren über 50 und wesentlich älter. Bestimmt mit ähnlichen Jugenderinnerungen: die ewige Suppe auf dem Herd für Mann und Kinder. Viele von ihnen haben 'Träume und Geheimnisse' von ihren Töchtern zu Weihnachten bekommen. Es wiederholte sich eine einfache Frage: Wie hat Danuta das bewältigt? Die Kinder waschen, füttern, für die Schule fertig machen, jedes mit Zärtlichkeit bedenken. Die Frauen brachten ihre Fotos mit, die denen im Buch ähneln: Danuta wie sie auf das Fensterbrett klettert, um die Fenster zu putzen. Sie ließen Maskottchen und gehäkelte Servietten da. Sie sagten, dass sie die Wahrheit berührt, denn Danuta habe kein Blatt vor den Mund genommen, habe das Thema Kinder nicht beschönigt, sei nicht fanatisch gläubig, traue sich sogar, Priester zu provozieren. Sie baten um mehr. Ob sie darüber schreiben würde, was mit ihnen werden würde, mit ihrer Liebe? Sie warten auf dieses Thema wie auf die nächste Folge einer Fernsehserie. Jetzt geben sie 'Träume und Geheimnisse' ihren Männern zu lesen. Vielleicht kauft er zumindest einmal Blumen?"