Magazinrundschau

Danke Opa für den Sieg!

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
18.05.2010. The Nation liest Jonathan Israels Geschichte der radikalen Aufklärung. Wer nicht protestiert, geht unter, meint György Konrad in Elet es Irodalom. Englisch ist jetzt eine Dalit-Gottheit, verkündet Tehelka. In Atlantic erklärt Googles Eric Schmidt Apples Ipad zu seinem schönen bunten Vorbild. In Newsweek gibt Jacob Weisberg Apple die Antwort, die man von Google erwartet hätte. Slate fragt, warum Paul Berman nicht von arabischen Intellektuellen diskutiert wird. Tygodnik Powszechny denkt über die polnisch-russische Verständigung nach. Der islamistische Attentäter kommt jetzt aus dem Westen und hat Kohle, weiß Outlook India. Prospect erklärt, warum Sie künftig verhaftet werden, wenn Sie im Flugzeug zu oft aufs Klo gehen.

The Nation (USA), 31.05.2010

Auf drei Bände ist Jonathan Israels monumentale Geschichte der Aufklärung angelegt, deren alles überragendes Zentralgestirn der Philosoph Baruch Spinoza ist. Nach den ersten beiden voluminösen Teilen ist nun als essayistischer Überblick "A Revolution of the Mind" erschienen. Samuel Moyn stellt die ebenso emphatische wie radikale Sicht des britischen Historikers auf die Aufklärung so dar: Israel "besteht darauf, dass sich nur ein kleiner Zirkel radikaler Personen wirklich um die zentralen Werte kümmerte. Diejenigen, die typischerweise als Lichtfiguren des Zeitalters gelten - von John Locke bis Voltaire, von Jean-Jacques Rousseau bis Immanuel Kant -, wollten dagegen nur 'marginale Reformen' und opferten ängstlich ihre innersten Werte den abstoßenden Schmeicheleien der klerikalen und politischen Autoritäten. Für Israel haben Spinozas Erben überall Feinde, unter anderem die, deren leichtere Versionen der Aufklärung die Prinzipien verraten, die voranzutreiben sie vorgeben. Man muss in Hinsicht auf Aufklärung und Moderne eine fundamentale Wahl treffen, betont Israel mehrfach. Man kann das halbfertige Haus wählen, das die alte Ordnung bewahrt - namentlich die amerikanische Freiheit (die mit der Versklavung der Schwarzen einher ging) oder die englische Freiheit (die mit sozialem und religiösem Konservatismus zusammentraf). Oder man umarmt die Freiheit der Aufklärung in ihrer unverfälschten Form, auch wenn dies bedeutet, die alte korrupte Ordnung zu zerstören und eine neue aufzubauen. Die Verpflichtung gegenüber dem wahren Evangelium des Spinoza lässt keine andere Wahl, weder intellektuell noch politisch."

Außerdem: Paula Findlen stellt Richard Holmes' "The Age of Wonder" (Leseprobe) vor, ein Buch über Wissenschaftler und Erfinder im England des 18. Jahrhunderts - wie den Naturforscher Joseph Banks, den Astronom William Herschel, den Physiker Mungo Park oder den Chemiker Humphrey Davy - und ihren Einfluss auf die romantischen Dichter.
Archiv: The Nation

Elet es Irodalom (Ungarn), 14.05.2010

Der Schriftsteller György Konrad beobachtet in Ungarn eine zunehmende Tendenz, sich entweder ganz von der Freiheit zu verabschieden oder den drohenden Verlust schon als Tatsache hinzunehmen. Er fürchtet daher, dass die Freiheit dank dieser Resignation tatsächlich verloren gehen könnte: "Das Volk hat nicht begriffen, dass die Freiheit unser kostbarster Schatz ist. Der politische Stimmungsumschwung, der in eine autoritäre Herrschaft münden kann, ist real. Es ist, als hätte sich der demokratische Instinkt meiner Mitbürger verflüchtigt, als würden sie ihrer eigenen Niederlage zustimmen. Mit kindlicher Neugierde scheinen sie das angedrohte 'Aufräumen' und die aus dem Mund dieser dumpfen Menschen hervorgedonnerten Drohungen zu beobachten, durch welche bald auch die resignierten Beobachter ihre Stellen verlieren und beiseite geschoben werden könnten. Denken wir mal an die verschiedenen Wendepunkte in der europäischen Geschichte zurück, die in eine autoritäre Ordnung mündeten - immer ist dem das Verblassen der Freiheitsidee vorausgegangen."

Den kürzlich veröffentlichten Angaben der Art Newspaper zufolge findet man unter den zehn meistbesuchten Ausstellungen der Jahres 2009 zur zeitgenössischen Kunst höchstens zwei, in denen dauerhafte Kunstwerke und nicht Installationen, umgedeutete Medienräume und Performances, also ort- und kontextspezifische Ereignisse im Mittelpunkt stehen. Außerdem stand laut Art Review 2009 nur ein einziger Künstler auf der Liste der zehn einflussreichsten Akteure der zeitgenössischen Kunst - dafür aber Kuratoren, Museumsdirektoren, Sammler. Dieser Entwicklung hinkt die ungarische Museumslandschaft noch hinterher, kritisiert der Medienwissenschaftler Peter György. Dabei sei die Kompatibilität der nationalen zeitgenössischen Kunst auch eine durch und durch politische Frage: "Das Problem, die globale zeitgenössische Struktur kultureller Institutionen zu verstehen, ist der Frage des Technologie-Transfers sehr ähnlich. Was in diesen Strukturen geschieht, wie sich der Begriff der Kunst und des Künstlers verändert, ist auch im Register der nationalen Kultur eine eminente Frage. Wenn wir nicht wollen, dass ein Großteil der kulturellen Register den kommenden Generationen der rechtsextremen Avantgarde zum Opfer fällt, müssen wir unsere nationale Kultur innerhalb der globalen institutionellen Praxis der zeitgenössischen Kunst interpretierbar machen."

Tehelka (Indien), 03.04.2010

Rish Majumder berichtet von einer wahren Volksbewegung in Richtung englische Sprache - es gibt in Indien inzwischen mehr Anglophone als in den USA und Großbritannien zusammen. Viele Intellektuelle sehen das mit Misstrauen, so Majumder - aber es ist wohl nichts zu machen. "Der Dalit-Aktivist Chandrabhan Prasad trug mit einer scheinbar merkwürdigen Geste zur Debatte bei. Im Jahr 2006 feierte er den Geburtstag des Lords Macaulay mit einer Statue, die die englische Sprache als 'Dalit-Gottheit' darstellte - als eine Art Freiheitsstatue, auf einem Computer stehend, mit einem Federhalter in der Hand und Strohhut auf dem Kopf. Prasad hofft, dass die englische Sprache hilft, den einst als 'unberührbar' geltenden Dalit einen Weg aus der Unterdrückung zu weisen. Wichtiger noch - er glaubt, dass die Sprachbeherrschung hilft, einen Job zu finden. Bald, so glaubt er, werden für alle Jobs Basiskentnisse im Englischen verlangt."
Archiv: Tehelka
Stichwörter: Englische Sprache, Lorde

The Atlantic (USA), 01.05.2010

James Fallows verspricht in seinem jüngsten Artikel für the Atlantic nicht wenig: "How To Save the News". Fallows hat Google besucht und lässt sich versichern, wie sehr der Firma an den alten Medien liegt. Interessant ist dann, worauf es - ausgedruckt - nach 16 eher trockenen Seiten hinausläuft: auf ein Ipad, nur dass es höchstwahrscheinlich nicht von Apple sein soll. Fallows zitiert die absurde Vision von Google-Chef Eric Schmidt: "In fünf oder zehn Jahren werden Informationen natürlich vorwiegend über elektronische Geräte konsumiert. Sie werden mobil und persönlich sein, mit einem hübschen Farbbildschirm. Stellen Sie sich ein Ipod oder Kindle vor, das intelligent genug ist, Ihnen eine Story zu zeigen, die auf einer Story von gestern aufbaut, ohne redundant zu sein. Und es kennt Ihre Freunde und weiß, was sie lesen und wichtig finden. Und es hat grafische Anzeigen mit vielen schönen Farben, aber viel persönlicher und zielgenauer, ohne aufdringlich zu werden. Und es hat GPS und weiß, was um Sie herum passiert. Wenn Sie sich all das vorstellen, finden Sie ganz schnell eine Antwort auf Ihre Fragen, und zwar inklusive Abos und Anzeigen."
Archiv: The Atlantic
Stichwörter: Ipod, Schmidt, Eric, Kindle

Newsweek (USA), 17.05.2010

Jacob Weisberg, Vorsitzender der Slate-Gruppe, gibt auf Apple die Antwort, die eigentlich Eric Schmidt hätte geben sollen: Das Ipad wird den Verlegern nicht weiterhelfen. Erstens schließt es alles aus, was das Internet attraktiv macht: Verlinkung, Kommentarfunktion, die Integration von social media ("Nick Denton, der Gründer von Gawker Media beschrieb das brutal als 'Rückschritt in die Ära der CD-Rom'"). Zweitens wird es zensiert ("Redakteure eines hippen Modemagazins nennen ihr Ipad-App 'die Iran-Ausgabe'"). Und drittens wird es den Verlagen nichts einbringen: "Wenn Sie bei Apple mitspielen wollen, entscheidet die Firma, welche Apps akzeptiert werden und nimmt 30 Prozent. Sie sammelt die Daten über User und entscheidet, welche sie mit den Verlegern teilt (bis jetzt keine). Sie plant, Anzeigen zu verkaufen, die Standards zu kontrollieren und will angeblich 40 Prozent. Eine solche Herrschaft über die Beziehung zum Leser wäre für die Verleger ein ebenso großes Desaster, wie es das für die Musikindustrie war."

Außerdem: Daniel Lyons erklärt, warum er sich wohl bald dem neuesten Trend von Hipster Techies anschließen wird: aus Facebook auszutreten, bevor noch mehr seiner persönlichen Daten an Anzeigenkunden verkauft werden. "Selbst wenn man technisch versiert ist und weiß, was Facebook tut, hat man immer noch keine Ahnung, was man eigentlich für den Dienst bezahlt. Denn die Leute wissen einfach nicht, was ihre persönlichen Daten wert sind."
Archiv: Newsweek

Express (Frankreich), 14.05.2010

In einem ungewöhnlich ausführlichen Interview spricht der spanischstämmige, in Frankreich lebende Schriftsteller Jorge Semprun über seine Aktivitäten in der Resistance und gegen Franco, seine Zweisprachigkeit und sein gerade in Frankreich erschienenes Buch "Une tombe au creux des nuages". Der Titel dieser Sammlung der in den letzten zwanzig Jahren in Deutschland auf deutsch gehaltenen Vorträge zitiert Paul Celans Bild vom "Grab in den Lüften" aus dessen Gedicht "Todesfuge". Über die deutsche Sprache sagt der Buchenwald-Überlebende Semprun: "Deutsch ist sehr schwierig, gelegentlich hermetisch, aber von großer Schönheit. Die deutsche Sprache der großen Dichter des 19. und der großen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts wurde von den Nazis pervertiert ... Dieses Getöse des Hitler-Deutschs ist furchtbar. Es hat die wahre deutsche Sprache zum Verstummen gebracht. Ich finde es bewunderungswürdig, dass Paul Celan, der ein Opfer dieses Systems war ..., sich entschieden hat, der deutschen Sprache ihre Schönheit wieder zurückzugeben, ihre Kraft und ihre Fähigkeit zum Widerstand gegen das Böse."
Archiv: Express

Slate (USA), 13.05.2010

Michael Young, Meinungsredakteur des Daily Star in Beirut, wünschte sich, Paul Bermans Buch über Tarik Ramadan "The Flight of the Intellectuals" würde auch von arabischen Intellektuellen gelesen, denn Ramadans Heuchelei sei auch unter diesen sehr verbreitet: "Indem Berman von Ramadan Klarstellung verlangt, fordert er im Grunde von allen Arabern und Muslimen, besonders aber von denen, die vorgeben liberal zu sein, zu klären, wo sie in den wichtigen Fragen des Nahen Osten und des Islams stehen. Es reicht nicht, sich hinter Israels Brutalität zu verstecken und den amerikanischen Imperialismus zu geißeln. Man kann nicht mit gespaltener Zunge sprechen, wenn es um Gewalt, Antisemitismus oder Brutalität gegen Frauen geht, und trotzdem von sich behaupten, humanistische Werte zu vertreten. Paul Berman wurde bisher kein Platz am Tisch so genannter Nahost-Spezialisten angeboten. Für sie liegt sein Fehler darin, Worten in einer Region glauben zu schenken, in der es heißt, die Wahrheit liege in den Nuancen. Sein Fehler ist der eines Liberalen; allein Klarheit kann zu einem wirklichen Dialog führen."
Archiv: Slate

Tygodnik Powszechny (Polen), 16.05.2010

Was brachte das Ende des Zweiten Weltkriegs Polen? Wie sollte man an diesen Tag erinnern? Und wie sehen die Perspektiven einer polnisch-russischen Verständigung aus? Diese Fragen sind das Schwerpunktthema der aktuellen Ausgabe des polnischen Magazins. Wojciech Pieciak kann an eine Vorbildfunktion der deutsch-polnischen Versöhnung in den letzten zwanzig Jahren für das Verhältnis zu Russland nicht so recht glauben. "Auch nach 65 Jahren ist das kein abgeschlossener Prozess. (...) Überhaupt ist Versöhnung nichts Gegebenes oder Vollendetes. Es ist ein Prozess von unten, der individuelle Schicksale und Emotionen berührt. Es ist keine Spielwiese für Spin doctors. Vielleicht ist Versöhnung ein Wert, der immer ein Ziel bleibt, aber nie den Idealzustand erreicht. Was nicht heißt, dass man es nicht versuchen sollte."

Winston Churchill soll sich im Sommer 1945 auf einen Krieg mit der Sowjetunion vorbereitet haben, schreibt der britische Journalist und Historiker Max Hastings. Grund sei die erkennbare Unterdrückung der Staaten Ostmitteleuropas und das Schicksal des polnischen Verbündeten gewesen. "Im Grunde wusste Churchill, dass die durch die Rote Armee installierte Tyrannei weder durch Diplomatie, noch durch Gewalt beseitigt werden kann. Er zweifelte aber nie an den Intentionen der Sowjets und war damit seiner Zeit voraus. In den Nachkriegsjahren wurde immer klarer, dass die westlichen Aliierten wohl oder übel ihre Kräfte wieder würden mobilisieren müssen, um sich gegen die sowjetische Aggression in Europa zu wehren." Churchills Plan hatte übrigens den Namen "Operation Unthinkable" und das blieb er dann auch: undenkbar.

Der Literaturhistoriker und -Kritiker Michal Glowinski hat mit "Kregi obcosci" (etwa: Kreise der Fremdheit) eine Autobiografie vorgelegt, die "sehr ehrlich und zugleich im Stil sehr zurückhaltend" ist, schreibt ein im Netz ungenannter Rezensent. Im Gespräch mit Glowinski kommt auch die Frage auf, warum er sich als einer der wenigen Autoren in Polen offen zu seiner Homosexualität bekannt hat. "Glauben Sie mir, es war eine sehr dramatische Entscheidung für mich. Aber würde ich darüber nicht schreiben, hätte ich kein Recht gehabt, eine Autobiografie zu schreiben. In einem solchen Buch müssen all die Bereiche auftauchen, die für einen Menschen wesentlich sind. (...) Meine Homosexualität musste für alle, die mich kannten, offensichtlich sein. Ich gab nicht vor, jemand anderes zu sein, aber ich stellte es auch nicht heraus. Hier gibt es keine Wahl, die Natur entscheidet für den Menschen. Und das macht das Leben selbstverständlich nicht leichter."

Outlook India (Indien), 24.05.2010

Es gibt einen neuen Typus islamistischer Attentäter, schreibt Pranay Sharma in der Titelgeschichte von Outlook India. Sie leben im Westen, sind an westlichen Universitäten ausgebildet, sind integriert und wohlhabend. Sharma nennt als Beispiele den pakistanisch-amerikanischen Finanzanalysten Faisal Shahzad, der eine Bombe am Times Square platziert hatte, oder den amerikanischen Psychiater Nidal Malik Hasan, der letzten November 13 Menschen in Fort Hood niederschoss. Welche Rolle spielt für diese Männer Osama bin Laden? Er bietet ihnen ein breites Spektrum an Rechtfertigungen, meint Sharma, in dem die Religion nur noch eine Nebenrolle spielt. Zu diesen Rechtfertigungen gehören die amerikanischen Truppen in Afghanistan und im Irak, der Nahostkonflikt und "in letzter Zeit hat sich Al Kaidas Agenda noch erweitert und schließt jetzt auch entscheidende politische Themen wie Umweltschutz und Globalisierung ein. In seinen letzten öffentlichen Verkündigungen hat Osama den Westen angeklagt, die Welt zu verpesten und die Globalisierung zu fördern, um die unterentwickelte Welt ausbeuten zu können. Experten glauben, er habe das getan, um auch die Menschen zu erreichen, die zum Islam konvertiert oder die säkulare Muslime sind und sich nicht in einer exklusiv islamischen Agenda wiederfinden würden."

Ein Leser- bzw. Autorenbrief hat uns auf einen Streit aufmerksam gemacht, über den im April in Outlook zu lesen war. Amitav Ghosh und Margaret Atwood sollten von der Tel Aviv Universität in Israel mit dem "Dan David"-Preis ausgezeichnet werden. Als das bekannt wurde, erhielten die beiden massenhaft Mails und Öffentliche Briefe, in denen sie aufgefordert wurden, den Preis nicht anzunehmen, solange Palästinenser misshandelt würden. Ghosh erklärte in Outlook daraufhin, warum ein Boykott für ihn und Atwood nicht in Frage kommt: "Ich glaube sehr stark daran, dass man die Auffassung verteidigen muss, Kultur- und Bildungsinstitutionen seien - im Prinzip jedenfalls - vom Staat unabhängig. Sonst würde jeder Autor in Amerika und Großbritannien und jeder, der an einer britischen oder amerikanischen Universität lehrt, mit dem Irakkrieg in Zusammenhang gebracht oder mit Israels Aktionen in Gaza und Palästina. Jeder indische Autor oder Akademiker wäre in die Aktionen der indischen Regierung in Krisengebieten verwickelt. Wenn wir dieses Prinzip [der Unabhängigkeit] nicht verteidigen, wie wollen wir dann das Recht auf Dissidenz jener Universitätsangehörigen verteidigen - vor allem in Zeiten des Krieges, wenn die Argumente des Staats benutzt werden können, um eine Komplizenschaft zu begründen?" Abgedruckt wurde auch die gemeinsame Rede, die Ghosh und Atwood bei der Preisverleihung hielten.
Archiv: Outlook India

MicroMega (Italien), 12.05.2010

Der Direktor von MicroMega, Paolo Flores d'Arcais, führt seinen Kampf gegen den Vatikan weiter. Diesmal antwortet er auf einen Brief des ehemaligen Sprechers von Johannes Paul II., Joaquin Navarro-Valls, der in der Tageszeitung Repubblica der Religion eine unverzichtbare Rolle im heutigen Italien zugeschrieben hatte. "Italien ist für Navarro-Valls offenbar das gelobte Land, um hier mit dem hierarchischen Katholizismus zu experimentieren, den er sich als Leitstern gewählt hat: 'Eine Demokratie muss den Wert der Wahrhaftigkeit der menschlichen Religiosität anerkennen. Sie soll als allgemeines Recht gelten, auf das man also für das Gemeinwohl nicht verzichten kann.' Wirklich sehr päpstlich. Mit dieser Logik allerdings werden der Atheist, der Skeptiker, der Nichtgläubige, also jene Bürger, die sich nicht in einer Religion wiedererkennen, ausgeschlossen und als Bürger zweiter Klasse geführt. Der Atheismus hätte nicht nur keinen Platz in diesem gemeinsamen Recht, sondern würde implizit auch als ein Verhinderer des Gemeinwohls betrachtet werden. Um seine Botschaft auch zweifelsfrei rüberzubringen, ergänzt Navarro Valls noch, 'dass es also praktisch nicht möglich ist, den politischen und sozialen Wert der Religion außen vor zu lassen, ohne gleichzeitig die Rechtmäßigkeit der staatlichen Gesetze in Frage zu stellen.' Ach ja?"
Archiv: MicroMega

Prospect (UK), 01.05.2010

In Großbritannien gibt es heute schon im Schnitt eine Überwachungskamera pro zwölf Personen. Über neue technologische Entwicklungen auf dem Gebiet informiert Philip Hunter. Zukunftsmusik sind noch die Pläne, Menschen an ihrem aus DNA-Proben extrapolierten Äußeren auf Bildern zu erkennen. Anderes ist schon einsatzbereit: "Man kann heute Vorfälle bereits entdecken, während sie geschehen - und sogar davor. Forscher der Reading University haben eine Software für Überwachungskameras entwickelt, die zum Beispiel ein abgestelltes Paket identifiziert und die Person, die es zurücklässt, weiterverfolgt, so lange sie noch in Kamerareichweite ist. Diese Systeme nutzen Technologien, die vor zwanzig Jahren zunächst für Alarmanlagen erfunden wurden, und so programmiert sind, dass sie zwischen unterschiedlichen Bewegungsformen unterscheiden und so jene, die als ungewöhnlich definiert werden, erkennen können - also zum Beispiel das Deponieren eines Gegenstands, der dann für einen bestimmten Zeitraum unbewegt bleibt; oder häufige Toilettenbesuche während eines Flugs. Mit letzterem hätte man möglicherweise den Detroit-Bomber erwischen können, noch bevor er seinen Attentatsversuch begann."

Außerdem: Einigermaßen schockiert zeigt sich Peter Popham beim Anblick der Ausgrabungsstätten Pompeji und Herculaneum. In einem gut recherchierten Artikel schildert er die Zustände hinter und vor den Kulissen: "Als Pompeji und Herculaneum 1997 auf die Unesco-Welterbeliste kamen, schrieben die zuständigen Inspektoren, dass die Stätte 'ein vollständiges und lebendiges Bild der Gesellschaft und des Alltagsleben zu einem spezifischen Zeitpunkt der Vergangenheit' böten, 'der auf der ganzen Welten ohne Parallele ist.' Heute jedoch sind die Städte so heruntergekommen, dass man sich nur schwerlich noch vorstellen kann, was in diesen Ruinen einst geschah. Hunde streichen übers Gelände und kacken, wohin sie wollen. Die große Mehrzahl der Häuser ist so stark verfallen, dass keiner sie mehr betreten darf. Zerbrochene Zäune und Schilder zeugen von Erstarrung und Indifferenz."
Archiv: Prospect
Stichwörter: Detroit, Pompeji

Nepszabadsag (Ungarn), 15.05.2010

Jahrzehnte lang bestehende Organisationen, ob Parteien oder Unternehmen, ob Clubs oder Kirchen, neigen dazu, in ihren Gewohnheiten und Reaktionen zu erstarren. Sie entwickeln Lösungsmethoden, Riten, eine Art Kultur, Probleme anzugehen, an denen sie bedingungslos festhalten. Um eine erfolglose Kultur durch neue, energische Konstruktionen zu ersetzen, muss darum eine komplette personelle und organisatorische Erneuerung stattfinden. Dieser Prozess steht nun auch Ungarns Sozialisten bevor, meint der Verhaltensforscher Vilmos Csanyi: "Die Linke ist keine Partei, sondern eine Bewegung, sie muss kontinuierlich organisiert und am Leben erhalten werden, sonst verkommt sie zur Rentnerträumerei. Dass die Führer der Partei die linksliberale Intelligenz als eine Art 'Ressourcen' betrachteten, die den Apparat - egal welchen Unsinn er sich ausdenkt - mit uneingeschränkter Loyalität unterstützen müssen, war ein Zeichen der vollkommenen Unfähigkeit. Ab und zu, zu feierlichen Anlässen, wurden sie zwar angehört, aber für die Meinungen und Warnungen dieser Unterstützer interessierte sich der Apparat im Grunde nicht. Er hat überhaupt nie über seinen Tellerrand geblickt und dabei auch die Massen aus den Augen verloren. Es war ein riesiger Fehler."
Archiv: Nepszabadsag

New Statesman (UK), 17.05.2010

Penguin hat gerade zehn englische Übersetzungen zentraleuropäischer Klassiker veröffentlicht, darunter Essays von Czeslaw Milosz, Josef Skvoreckys Roman "Die Feiglinge" und Ciorans "Lehre vom Verfall". Muss man alle lesen, erklärt der Autor Adam Thirwell, dem es besonders Hasek und Cioran angetan haben. "Abschweifungen unter dem Zeichen der Niederlage: das ist die Form, die ich bevorzuge - der Roman als Gerümpel. Es ist eine Erfindung, die sicherlich durch die verrückte Politik in Zentraleuropa provoziert wurde, und doch ist der Stil von Hasek oder Cioran nicht von Politik geformt. Sie nehmen die Niederlage, die jede Politik aus dem Leben macht, und lösen sie auf in Sprezzatura." 
Archiv: New Statesman

Przekroj (Polen), 11.05.2010

Anlässlich des 65. Jahrestages des Kriegsendes analysiert Anna Labuszewska die Veränderungen in Russland, wo Stalins Rolle immer kritischer hinterfragt werde. "Anscheinend hat man im Kreml erkannt, dass seine Glorifizierung und die Relativierung seines Anteils am Kriegsausbruch mehr Schaden als Nutzen bringt. Aus rein pragmatischen Gründen wird der Vater der Nationen vom Sockel gestoßen." Die zahlreichen versöhnlichen russischen Gesten in Richtung Polen sieht Labuszewska in eben diesem Kontext: "Wir kommen euch in symbolischen Fragen wie Geschichte entgegen, dafür erwarten wir handfesten Nutzen in Wirtschafts- oder Sicherheitsfragen." Die Umwertung der Geschichte habe aber auch eine soziale Dimension - so würden die militärischen Anführer des Krieges weniger und die einfachen Soldaten verstärkt gepriesen. Die offizielle Jugendorganisation des Kreml verteilte etwa Aufkleber mit der Aufschrift "Spasibo diedu za pobiedu" (Danke Opa für den Sieg).

Zwischen zwei Dokumentarfilmfestivals (Planete Doc Review in Warschau und dem Krakauer Filmfestival) macht sich Malgorzata Sadowska Gedanken über den Zustand des Genres. "Am interessantesten erscheinen heute die Filme, die die Grenzen des Genres erkunden, überschreiten, experimentieren, kreieren - was aber nicht heißt, dass sie lügen. (...) Authentizität kommt nicht nur von Realismus. Der neue Dokumentarfilm zeigt, dass man nicht nur durch Beobachtung zur Wahrheit gelangt, sondern auch durch Verarbeitung der Realität. Auf viele Arten."
Archiv: Przekroj

Magyar Narancs (Ungarn), 06.05.2010

Seit mehreren Jahren schon findet in Budapest der so genannte "Marsch des Lebens" statt, ein Erinnerungsmarsch an die Opfer des Holocaust, und parallel dazu eine Holocaust-Gedenkveranstaltung vor dem Museum "Haus des Terrors", das den Opfern faschistischer und kommunistischer Diktatur gewidmet ist, Faschismus und Kommunismus als zwei Seiten derselben Medaille betrachtend. Um nun den Marsch auch diesem Publikum "schmackhaft zu machen", wurde der Holocaust anhand des Lebens der Nonne Margit Schlachta veranschaulicht, die Juden gerettet hatte und später dem Kommunismus zum Opfer fiel. Der Historiker Attila Novak lehnt diese Art der politischen Rücksichtnahme ab: "Sowohl die linke Stellungnahme gegen rechtsextreme Hetzbewegungen als auch die Bezugnahme der Rechten auf konservative, antikommunistische Judenretter der ungarischen Geschichte ist durchaus berechtigt, doch müssten dabei unmittelbare innenpolitische Anspielungen vermieden werden. Um dies zu erreichen, müsste auch die Innenpolitik für diese Rolle tauglich gemacht werden. Gleichzeitig müsste in diesen heute noch von oben gesteuerten Gedenkveranstaltungen den Bürgerinitiativen eine größere Rolle zukommen. Nur dann können die Lehren des Holocaust zum handfesten Allgemeingut der Gesellschaft, zu wichtigen Bestandteilen des gesellschaftlichen Bewusstseins werden."
Archiv: Magyar Narancs

Guardian (UK), 15.05.2010

Anlässlich des Erscheinens von "Hammerstein" auf Englisch porträtiert Philip Oltermann im Guardian Hans Magnus Enzensberger, der ihm erzählt, wie es war, im Dritten Reich aufzuwachsen. Er erinnert sich, wie sie zuhause 'heimlich BBC hörten, das Bettlaken über den Köpfen, so dass die Nachbarn nichts mitkriegten' und als die britischen Bomber im August 1944 die Stadt in Stücke zerlegten, empfand er das eher als Befreiung denn als Katastrophe: 'Man hat eine sehr kaltblütige Einstellung zu diesen Dingen, wenn man jung ist. Tote Menschen auf der Straße sind einfach eine Tatsache des Lebens. Ich war nicht besonders traumatisiert. Das Chaos der Nachkriegszeit war ziemlich erfreulich für einen 15-Jährigen. Es gab da eine anziehende Anarchie ... Keine Regierung, keine alten Autoritätspersonen, die einen anbrüllen konnten ... wundervoll!"

Außerdem: Helen Simpson stellt kurz ihre Heldin Colette vor. Annie Proulx feiert den Bildhauer David Nash.
Archiv: Guardian

Salon.eu.sk (Slowakei), 09.05.2010

Mit gemischten Gefühlen hat der Schriftsteller Viktor Jerofejew die gewaltigen Paraden in Moskau zum Sieg im Großen Vaterländischen Sieg und gegen Nazi-Deutschland erlebt: "Jetzt höre ich die Deutschen rufen: Was ist mit all den deutschen Freuen, die vergewaltigt wurden?! Und unsere Leute rufen zurück: Und was mit all unseren Großmüttern, die in Leningrad verhungerten?! Ich könnte auch hinzufügen: Meine Großmutter Anastasia Nikandrovna überlebte alle drei Jahre der Belagerung von Leningrad. Ich weiß nicht, was an den Feiern wichtiger ist: die Veteranen zu ehren, die mit ihren 90 Jahren wie meine Eltern zu einer Generation gehören, die Massenhinrichtungen erlebte und doppelt überlebten, Hitler und Stalin; oder Russland als eine Supermacht zu verehren, auch wenn in Zweifel steht, ob sie wirklich eine ist. Stalin ist kein Grund die globale Bedeutung von Russlands Sieg zu leugnen. Ich schätze diesen Sieg, aber ich wünschte, alle militärischen Siege wären eine Sache der Vergangenheit."
Archiv: Salon.eu.sk

New York Times (USA), 16.05.2010

Im NYT Magazin stellt Andrew Rice neue journalistische Projekte wie The Faster Times, True/Slant, Demand Media und Business Insider vor. Eine Lektion haben sie alle gelernt: Wenigstens etwas Geld machen sie nur, wenn sie die Leserinteressen berücksichtigen. Und die klicken eher auf Klatsch als auf Informationen. Im März schrieb Henry Blodget von Business Insider, das sowohl echte News als auch Klatsch veröffentlicht: "'Vielleicht ist es an der Zeit, eine neue Theorie zu lancieren: Wir suhlen uns alle gern in der Gosse. Das, worauf wir klicken, zeigt genau, wofür wir uns interessieren, egal, wie sehr wir dagegen protestieren oder vom Gegenteil überzeugt sind.' Wenige Tage später präsentierte Blodget in einer Diskussion mit dem Reuter-Kolumnisten Felix Salmon eine Rechnung, wonach ein Online-Journalist, der sein Jahreseinkommen von 60.000 Dollar wieder einspielen will, kolossale 1,8 Millionen Seitenaufrufe generieren muss." Und vermarkten!"

Weiteres: Wie sich die chinesische Zensur auch in den Köpfen westlicher Journalisten und Akademiker festsetzt, beschreibt Emily Parker in der Book Review: "Während die Zensur Pekings allgemein bekannt ist, wird die Selbstzensur westlicher Autoren mit unbehaglichem Schweigen zugedeckt. Die Vorstellung, dass Wissenschaftler 'kollektiv ihre akademischen Ideale kompromitieren, um Zugang zu China zu bekommen, beleidigt die Leute intellektuell, aber wir alle tun es', sagte mir kürzlich ein Professor einer amerikanischen Universität im Telefoninterview.

Und Anthony Julius preist Paul Berman als den Julien Benda unserer Zeit. Berman mache in "The Flight of Intellectuals" den heutigen Verrat der Intellektuellen an drei Punkten fest: "Der falschen Gleichsetzung liberaler Werte mit einem unterdrückenden Westen und des politischen Islamismus mit einer unterdrückten Dritten Welt; eine unreflektierte, unqualifizierte Gegenerschaft zu jeder amerikanischen Machtausübung; eine gewisse Blindheit oder sogar Gewogenheit gegenüber Äußerungen eines zeitgenössischen Antisemitismus."
Archiv: New York Times