Magazinrundschau - Archiv

Tygodnik Powszechny

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Magazinrundschau vom 27.07.2010 - Tygodnik Powszechny

Das Büchermagazin der polnischen Wochenzeitung Tygodnik Powszechny widmet sich schwerpunktmäßig der Renaissance Fjodor M. Dostojewskis in Polen. In seinem lesenswerten Essay "Dostojewski: Reloaded" untersucht der Literaturwissenschaftler Przemyslaw Czaplinski die Aktualität des russischen Schriftstellers: "Es gibt kaum ein Problem unserer Zeit, das Dostojewski nicht schon thematisiert hätte: Freiheit, die Konsequenzen der Existenz beziehungsweise Nichtexistenz Gottes, die Aufopferung des Einzelnen fürs Wohl der Allgemeinheit, Revolution als Aufhebung der Definition vom Menschen. Heutige Dilemmata kann man versuchen zu verstehen, in dem man versucht, seine Romane zu verstehen." Dostojewski habe darin die moderne Welt, als sie Fahrt aufnahm, mit all ihrer Grausamkeit, ihren Utopien und ihrer Gottlosigkeit mit dem christlichen Konzept der Vergebung konfrontiert. Dass man versucht, diesen Zusammenstoß von Unmenschlichkeit und Geist in einen Roman zu verwandeln, wäre eine angemessene Auseinandersetzung mit Dostojewskis Erbe, so Czaplinski.

Die Schriftstellerin Inga Iwasiow setzt sich etwas ironisch mit der polnischen Rezeption des großen russischen Romanciers auseinander: "Der Neid durchmischt sich mit unseren ambivalenten Gefühlen gegenüber der russischen Kultur: Wir lieben und hassen sie, bewundern sie und machen uns über sie lustig. Wir lieben sie so sehr, weil wir sie gleichzeitig kleinreden können, indem wir auf die Grausamkeit verweisen, auf das Lebensniveau, die Verachtung gegenüber dem Menschen, die Sünden an kleineren Nationen. In jedem polnischen Buch findet sich der Satz, dass Dostojewski Polen hasste, aber Polnisch sprach. Das beruhigt uns etwas, denn nichts schmerzt uns so sehr, wie fehlende Sensibilität gegenüber dem Charme unserer Sprache. Dieser ach-so-große Dostojewski kannte, ja: bewunderte wohl heimlich unsere Kultur, er las Mickiewicz, vielleicht kopierte er gar." Die Frage nach dem "polnischen Dostojewski" führt Iwasiow allerdings zur Schlussfolgerung, dass nur eine Schriftstellerin, etwa Zofia Nalkowska, die Tragik der Existenz nach dem 19. Jahrhundert entsprechend nachvollziehen und darstellen konnte.

Außerdem nachzulesen: Grzegorz Jankowicz erzählt die Geschichte von Vladimir Nabokovs Kritik an Dostojewski und seiner Art der Literatur.

Magazinrundschau vom 13.07.2010 - Tygodnik Powszechny

Die polnische Bildhauerin Magdalena Abakanowicz zählt international zu den renommiertesten Künstlern. "In Polen selbst aber schafft man es nicht, sie neu zu lesen, ihrem Werk neue Fragen zu stellen, eine Interpretation zu riskieren", schreiben Agnieszka Sabor und Piotr Kosiewski. Ein wenig schuld sei Abakanowicz auch, weil sie über ihre Ausstellungen selbst bestimmen will. "Es ist der Künstlerin nicht gut bekommen, dass sie so schnell zur Klassikerin erklärt wurde. Nachdem man ihre Größe deklariert hatte, wurde sie gewissermaßen für weniger aktuell gehalten. Dabei kann die schon 'gezähmte' Kunst oft mit neuen Inhalten oder Neuinterpretationen überraschen." Entsprechend ambivalent fallen für die Rezensenten auch zwei monografische Schauen aus, die momentan in Krakau und Warschau gezeigt werden.

Erinnert wird außerdem an das Plebiszit in Ostpreußen vor genau 90 Jahren, das die Hoffnung des wiedererstandenen Polen auf einen günstigeren Verlauf der Nordgrenze begrub. Jerzy Pomianowski und Pietro Marchesani diskutieren über die Rezeption polnischer Poesie in Italien. Und Inga Iwasiow lobt den neuesten Gedichtband der deutsch-polnischen Autorin Brygida Helbig (hier ihr Blog mit Werkbeispielen).

Magazinrundschau vom 25.05.2010 - Tygodnik Powszechny

Titelthema der Buchbeilage von Tygodnik ist das Lesen selbst. Auf die Frage, warum er so viel Zeit damit verbringt, antwortet Michal Pawel Markowski: "Es geht mir nicht um Wissen, nicht um Erinnerung, nicht um Überleben, nicht um Flucht. Ich lese, um meine Sehnsüchte aufrecht zu erhalten, die sich im Schreiben entladen. Ich fliehe vor der Welt, um wieder dort anzukommen, verändert, aber immer noch voller Sehnsucht. Ich lasse die Kreisstadt meiner Kindheit, in der ich allein mit Robin Hood und Little John war und mit der Welt nichts zu tun haben wollte, hinter mir und öffne weit das Fenster, um den Blick von den Buchseiten heben zu können und zu beobachten, was da draußen passiert."

"Ich schreibe nicht für mich, aber ich stelle mir vor, dass ich mich an jemanden Vertrauten wende", sagt die amerikanische Essayistin Anne Fadiman auf die Frage nach dem Leser. "Ich weiß nicht, wer Essays liest. Es drängt sich die Antwort auf, dass ein durchschnittlicher Essayleser gebildeter ist als ein Leser von Liebesromanen, aber das ist nur ein Bruchteil seiner Identität. Menschen, die Essays mögen, mögen meistens das Spiel mit den Worten. Ich denke, eine große Gruppe teilt die Faszination für Essays, Scrabble und Kreuzworträtsel."

Grzegorz Jankowicz skizziert die Geschichte des Verhältnisses zwischen Text und Bild am Beispiel der Fotografie. Ausführlich widmet er sich den Bildern Andre Kerteszs, die lesende Personen darstellten. "Wenn wir sie anschauen, kommt gleich die Frage: Was lesen sie denn? Somit verwandelt sich das Bild in Text, und der Betrachter in einen Leser. Der Kreis schließt sich."

Magazinrundschau vom 18.05.2010 - Tygodnik Powszechny

Was brachte das Ende des Zweiten Weltkriegs Polen? Wie sollte man an diesen Tag erinnern? Und wie sehen die Perspektiven einer polnisch-russischen Verständigung aus? Diese Fragen sind das Schwerpunktthema der aktuellen Ausgabe des polnischen Magazins. Wojciech Pieciak kann an eine Vorbildfunktion der deutsch-polnischen Versöhnung in den letzten zwanzig Jahren für das Verhältnis zu Russland nicht so recht glauben. "Auch nach 65 Jahren ist das kein abgeschlossener Prozess. (...) Überhaupt ist Versöhnung nichts Gegebenes oder Vollendetes. Es ist ein Prozess von unten, der individuelle Schicksale und Emotionen berührt. Es ist keine Spielwiese für Spin doctors. Vielleicht ist Versöhnung ein Wert, der immer ein Ziel bleibt, aber nie den Idealzustand erreicht. Was nicht heißt, dass man es nicht versuchen sollte."

Winston Churchill soll sich im Sommer 1945 auf einen Krieg mit der Sowjetunion vorbereitet haben, schreibt der britische Journalist und Historiker Max Hastings. Grund sei die erkennbare Unterdrückung der Staaten Ostmitteleuropas und das Schicksal des polnischen Verbündeten gewesen. "Im Grunde wusste Churchill, dass die durch die Rote Armee installierte Tyrannei weder durch Diplomatie, noch durch Gewalt beseitigt werden kann. Er zweifelte aber nie an den Intentionen der Sowjets und war damit seiner Zeit voraus. In den Nachkriegsjahren wurde immer klarer, dass die westlichen Aliierten wohl oder übel ihre Kräfte wieder würden mobilisieren müssen, um sich gegen die sowjetische Aggression in Europa zu wehren." Churchills Plan hatte übrigens den Namen "Operation Unthinkable" und das blieb er dann auch: undenkbar.

Der Literaturhistoriker und -Kritiker Michal Glowinski hat mit "Kregi obcosci" (etwa: Kreise der Fremdheit) eine Autobiografie vorgelegt, die "sehr ehrlich und zugleich im Stil sehr zurückhaltend" ist, schreibt ein im Netz ungenannter Rezensent. Im Gespräch mit Glowinski kommt auch die Frage auf, warum er sich als einer der wenigen Autoren in Polen offen zu seiner Homosexualität bekannt hat. "Glauben Sie mir, es war eine sehr dramatische Entscheidung für mich. Aber würde ich darüber nicht schreiben, hätte ich kein Recht gehabt, eine Autobiografie zu schreiben. In einem solchen Buch müssen all die Bereiche auftauchen, die für einen Menschen wesentlich sind. (...) Meine Homosexualität musste für alle, die mich kannten, offensichtlich sein. Ich gab nicht vor, jemand anderes zu sein, aber ich stellte es auch nicht heraus. Hier gibt es keine Wahl, die Natur entscheidet für den Menschen. Und das macht das Leben selbstverständlich nicht leichter."

Magazinrundschau vom 06.04.2010 - Tygodnik Powszechny

Die Debatte um die Kapuscinski-Biografie wurde in Polen zu provinziell geführt, meint Maciej Wisniewski. Zum Beispiel lohne ein Blick auf Lateinamerika, wo der Reporter anders wahrgenommen wurde: "Die Lesart seiner Werke sagt viel über die Lesenden aus und die Zeit, in der sie leben. Man kann schwerlich dagegen argumentieren, dass 'König der Könige' die regierenden Kommunisten beschreibt, aber dass dies ständig wiederholt wird, zeigt unser intellektuelles Klima, das durch späte Abrechnungen mit dem Kommunismus dominiert wird. Das zeigt sich nicht nur durch das Aufspüren aller Verbindungen zum alten System (auch an der Person 'Kapus'), sondern auch durch Ausschluss aller politischen Projekte, die gegen den neoliberalen common sense argumentieren. Vielleicht liegt darin die Antwort auf die Frage, warum Kapuscinski, dessen Einstellung zu diesen Fragen so sehr von der Stimmung im Lande abwich, so gerne ins Ausland fuhr, und die Workshops in Lateinamerika geführt hat. Vielleicht konnte er sich dort 'ohne Fußnoten' verständigen, ohne erklären zu müssen, dass der Kampf um eine bessere Welt nichts mit dem Realsozialismus zu tun hat. Ich habe den Eindruck, dass die Mexikaner da viel weiter sind als wir."

Lange galt der Sarmatismus in Polen als Grund für den Niedergang des Landes im 18. Jahrhundert. Aus Anlass einer Krakauer Ausstellung plädiert die Architekturhistorikerin Marta A. Urbanska dafür, die polnische Adelskultur neu zu bewerten: "Nach den Erfahrungen der Teilung, der Nationalismen, der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts fällt es uns schwer, uns vorzustellen, was die Republik beider Nationen war. Auch, weil man die Nation damals politisch und nicht ethnisch begriff. (...) Der Sarmatismus war eine Sprache, die Ost und West verband, und dies stellt seinen größten Wert dar. Wir hatten zu der Zeit die Fähigkeit, unterschiedliche, auch gegensätzliche Kulturelemente aufzunehmen - von Paris bis Afghanistan - so dass sie zu einem originellen Ganzen verschmolzen. Deswegen ist der Sarmatismus mehr (und anders) als eine polnische, provinzielle Version des gegenreformatorischen Barocks".

Andrzej Brzeziecki will nicht mehr und nicht weniger als die Geschichte Europas neu schreiben lassen: "Ich kann nicht für alle Menschen des Westens sprechen, aber es ist beschämend, dass Polen vergessen hat, was es dem östlichen Erbe verdankt. Wir haben uns die Überzeugung aufstülpen lassen, dass die Zivilisation und die Kultur nur in West-Ost-Richtung gingen". Die Übernahme der westlichen Meistererzählung war eine Strategie, um während und nach dem Kommunismus Anschluss zu finden, doch generierte dies nur Komplexe. "Vielleicht sind diese Ergebnis von Phantomschmerzen nach dem Verlust der östlichen Dimension unserer Identität. Die Heilung könnte in der Aufwertung der slawisch-byzantinischen Anteile in Polen und Europa bestehen", schreibt der Publizist und Chefredakteur von Nowa Europa Wschodnia.

Magazinrundschau vom 30.03.2010 - Tygodnik Powszechny

Die liberal-katholische Wochenzeitung feiert ihr 65-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass gibt sie unter dem provokanten Titel "Zydownik Powszechny" (etwa: Jüdische Wochenzeitung, eine Abwandlung des Namens, die in kommunistischen Zeiten als Beleidigung benutzt wurde) eine Beilage mit ihren bekanntesten Texten zum polnisch-jüdischen Verhältnis heraus. Der Chefredakteur Adam Boniecki schreibt dazu: "Jemanden, der 2010 den Artikel von Jerzy Turowicz liest, mag es verwundern, dass dieser so breit und mit großem Nachdruck erklärt, was offensichtlich erscheint. Etwa, dass man nicht gleichzeitig bewusster Katholik und Antisemit sein kann. Gerade diese Offensichtlichkeit ist eine wunderbare Frucht vergangener Anstrengungen. Nur: Ist es wirklich für alle offensichtlich?"

Außerdem: Ein Interview mit dem Künstler Zbigniew Libera, der für sein "Lego-KZ" berühmt wurde. Und der neue Literaturpreis der Stadt Gdansk (Danzig) wird vorgestellt - der "Europäische Freiheitsdichter": Am Wochenende wurde bekannt gegeben, dass der Weißrusse Uladsimir Arlou ausgezeichnet wurde (hier die Pressemitteilung und einige Fotos).
Stichwörter: Boniecki, Adam, Danzig, Katholiken

Magazinrundschau vom 23.03.2010 - Tygodnik Powszechny

Überschattet noch vom Streit über die Kapuscinski-Biografie, gibt es in Polen eine neue Auseinandersetzung über den Umgang mit Lebensläufen historischer Personen: Der Film "Rozyczka" erzählt die Geschichte eines bekannten Schriftstellers, dessen junge Geliebte für den kommunistischen Geheimdienst arbeitet. Die Familie des bekannten Historikers Pawel Jasienica sah in der fiktiven Gestalt allzu viele Ähnlichkeiten mit Jasienica und ging gegen die Filmemacher vor. Dabei verurteilt der Film niemanden, wie Anita Piotrowska in ihrem Artikel versichert, sondern unterstreicht die Tragik der Helden. "Es ist im Grunde ein unschuldiger Film, ohne Abrechnungstendenzen, der in Richtung einer tragischen Liebesgeschichte tendiert - um so mehr verwundert die Verbissenheit, mit der man dem Zuschauer das Recht auf freie Assoziation und den Regisseuren das Recht auf freie Inspiration absprechen möchte".

Auch der Hauptdarsteller Andrzej Seweryn versucht, auf die universelle Bedeutung der dargestellten Geschichte aufmerksam zu machen: "Der Film zeigt die Situation, in der das Privatleben von der Sache und von der Geschichte vereinnahmt wurde. Die Volksrepublik war eine Welt, in der verlogene Spitzelberichte und ehrliche Liebeserklärungen zusammen gehörten, und in der ein falsch klingender Name viele Türen versperrte. Man konnte darin sich oder den Verstand verlieren..."

Eine Beilage ist dem anstehenden siebzigsten Jahrestag der Morde von Katyn gewidmet. Der Historiker Andrzej Nowak erinnert daran, dass Präsident Boris Jelzin 1993 die Dokumente offenlegte und um Vergebung bat, worauf die polnische Seite nicht entsprechend reagiert habe. Er erinnert auch an die Stimmen des "anderen Russlands" und die wichtige Rolle der orthodoxen Kirche: "Sie ermöglichte es, die moralische Bewertung des sowjetischen Systems wieder in den Fokus zu nehmen, was in den letzten fünfzehn Jahren durch Russlands Regierung bewusst vernachlässigt wurde. Einen unverstellten Blick auf das (sowjetische) System vorausgesetzt, glaube ich, dass es in hoffentlich naher Zukunft eine Chance für eine polnisch-russische Versöhnung geben wird. Ich weiß nicht, ob die Regierung sich daran beteiligen wird, aber das ist nicht das Wichtigste. Das Wichtigste ist, dass die Russen selbst sich mit dieser Wahrheit auseinandersetzen, dass sie eine moralische Abrechnung vornehmen, die doch die Größe der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts ausmacht und die nach 1993 so sehr gefehlt hat."

Magazinrundschau vom 09.03.2010 - Tygodnik Powszechny

Das bestimmende Thema bleibt die Diskussion über die Biografie von Ryszard Kapuscinski. Längst gehe es nicht mehr um die "pikanten" Informationen aus dem Leben des Reporters, um die Frage nach den Grenzen der Genre oder um die Hinterfragung der Autorität, schreibt dazu Piotr Mucharski. "Der Streit darüber, ob Artur Domoslawski ein Denkmal stürzt, ist sinnlos. Er erweckt es vielmehr zum Leben, denn die Mehrheit der im Buch erörterten Probleme ist schmerzhaft aktuell." In der öffentlichen Wahrnehmung sei Kapuscinski ein Meister ohne Ecken und Kanten gewesen, während sein politisches Engagement, das kein Geheimnis war, einfach nicht zur Kenntnis genommen wurde. "Wir behandelten ihn wie einen Fremden. Er brachte uns Neuigkeiten aus der Welt mit (...), aber nicht die polnischen, und nicht einmal die europäischen Diskussionen waren für ihn wichtig. Seine ideologische Verwurzelung hatte einen anderen Erfahrungshintergrund. Deshalb blieb er allen im Grunde fremd. Nur hatte es niemand gemerkt."
Stichwörter: Kapuscinski, Ryszard

Magazinrundschau vom 02.03.2010 - Tygodnik Powszechny

Das Kulturthema der Woche in Polen war der Streit um Artur Domoslawskis Biografie "Kapuscinski Non Fiction". Die Witwe Kapuscinskis hatte vergeblich versucht, die Veröffentlichung per Gerichtsbeschluss zu verhindern, und auch von anderer Seite, etwa dem früheren Außenminister Wladyslaw Bartoszewski, kam Kritik auf, noch bevor das Buch veröffentlicht war. In Tygodnik meldet sich der Soziologe Zygmunt Bauman zu Wort, der auf die Kontroverse nicht eingeht, aber - sehr diskret - das Engagement Kapuscinskis für seine kommunistische Überzeugung thematisiert: "Wir sind alle Nutznießer dessen, was Ryszard Kapuscinski entdeckt, aufgespürt, beobachtet und uns vermacht hatte. Dank Artur Domoslawski, dem Autor der Biografie, wissen wir auch, welchen Preis dieser unermüdliche Reporter gezwungen war, zu zahlen, und welcher Bezahlung er zustimmte, um das Wissen ansammeln zu können, das er in Weisheit verwandelte. Den Preis, den er wohl am schmerzlichsten zu spüren bekam, war eine nicht enden wollende Reihe von Enttäuschungen und unerfüllter Hoffnungen, und der bittere Nachgeschmack dessen; das Gefühl der eigenen Machtlosigkeit, die Machtlosigkeit des Wortes angesichts der Übermacht des Bösen".

Außerdem ist eine Sonderbeilage dem Chopin-Jahr gewidmet.

Magazinrundschau vom 23.02.2010 - Tygodnik Powszechny

Kaum ein Künstler hat das historische Bewusstsein der Polen so beeinflusst wie der Maler Jan Matejko. Der Kunsthistoriker Jaroslaw Krawczyk gibt Einblick hinter die Kulissen der Gestalt, die neben Adam Mickiewicz und Frideric Chopin als nationale Größe für die fremdbeherrschten Polen im 19. Jahrhundert galt. Wir erfahren u.a., dass Matejko tatsächlich als politischer Gestalter galt, dass er für Geld auch historische "Sex & Crime"-Szenen malte, und dass sein Historienzyklus eine komplexe Vision für die polnische Identität entwarf. "Wir tun Matejko nichts Gutes, wenn wir heute seine Ideen bei der Debatte über die polnische Geschichte außen vor lassen. Wir reichen nicht an seinen heroischen Kritizismus heran, sondern organisieren merkwürdige Rekonstruktionen. (...) Zum anderen schafft es heute niemand mehr, eine große historische Erzähung zu konstruieren, wie er es meisterlich vermochte. Man muss sich nur die polnische Geschichtsschreibung heute anschauen - die Massen lesen Norman Davies, aber unsere soliden und langweiligen Autoren nicht. Bald kommt die Zeit jener Generationen, die nicht mit Matejkos Bildern aufgewachsen sind. Ich gehöre noch zu der Generation, die Polen durch Matejkos Brille anschaut. Würde ich sie abnehmen wollen? Eher nicht".

Außerdem: "Wenn das Kino ein Abbild der uns umgebenden Welt ist, dann leben wir in sehr politischen Zeiten", konstatiert Bartosz Staszczyszyn in seinem Überblick über aktuelle Filme zu politischen Themen. Besprochen wird weiter die Ausstellung "Modernologie" im Warschauer Museum für Moderne Kunst, die über dreißig Künstler und Künstlergruppen aus den letzten zwanzig Jahren präsentiert. Piotr Kosiewski kommt sie ein bisschen wie ein Referat vor: die Zusammenstellung sei beeindruckend, aber ansehnlich seien die Werke kaum, schreibt er. (Hier eine kleine Bildergalerie) Und Krzysztof Biedrzycki knüpft an die Diskussion um den Stellenwert der Literatur im heutigen Polen an. Es gehe nicht darum, dass Autoren in die Rolle von Politikern, Pfarrern, Journalisten oder Lehrern schlüpfen - "ein Schriftsteller muss das Bild der Realität verkomplizieren. Nicht Überzeugungsarbeit sollte seine primäre Aufgabe sein, sondern ein literarisch überzeugendes Abbild der Wirklichkeit, auch wenn es frei erfunden ist."