Magazinrundschau - Archiv

Przekroj

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Magazinrundschau vom 27.07.2010 - Przekroj

In Wroclaw (Breslau) hat das Filmfestival "Era New Horizons" begonnen. Thematischer Schwerpunkt ist das türkische Kino, das man, schreibt Lukasz Wojcik, in zwei Arten einteilen könne: Das der "besseren", kosmopolitischen, nach Europa strebenden Türkei, und das der "asiatischen" Türkei, die authentisch, aber unberechenbar sei. "Diese zweite Türkei, obwohl zahlenmäßig überlegen, kommt im neuen türkischen Kino nur als Synonym für Religiösität (Rückständigkeit), Konservatismus (Gewalt in der Familie) und Schmutz vor. Die 'bessere' Türkei beherrscht die 'schlechtere' insofern, als das die zweite keine Kinematographie hervor gebracht hat, die im Stande wäre, der Welt ihre Version der Ereignisse zu zeigen." Das, was nach Westen dringe, seien stattdessen Filme von Ümit Ünal oder Pelin Esmer, die ein Land wie aus den Büchern von Orhan Pamuk zeigten - was in Europa leicht verstanden werde. Damit kreieren viele international anerkannte türkische Filmemacher ihr eigenes Bild des Landes und die Macht der Beschreibung liegt weiter in den Händen westlich orientierter Eliten, so Wojcik.

Nur im Print: ein Gespräch mit Krzysztof Wodiczko, der in Wroclaw anlässlich des Festivals seine Projekte mit Irakkriegsveteranen weiter entwickelt. Ihm gehe es nicht um Kunst, gesteht er zum Ende des Interviews, sondern darum, das Leben zu beeinflussen. Und: Nachdem er als Werbetexter zu Geld gekommen ist, startete Rafal Betlejewski seine Karriere als Aktionskünstler. Anfang des Jahres erregte er mit seiner Aktion "Du fehlst mir, Jude" große Aufmerksamkeit (mehr dazu hier). Sein neuestes Projekt: die Verbrennung einer Scheune zum 69. Jahrestag des Mordes von Jedwabne, stieß auf breite Kritik: "Eine solche, im Fernsehen live übertragene, Aktion führt nicht zu einer Reflexion darüber, was die Opfer erlebt haben. In einer Picknickatmosphäre kann man die Wahrheit über lebendig verbrannte Menschen nicht berühren", sagte ein Vertreter der jüdischen Minderheit. Ein wichtiges Tabu sprach Betlejewski jedoch an: Viele polnische Künstler meiden bis heute das Thema Holocaust.

Magazinrundschau vom 15.06.2010 - Przekroj

Online freigeschaltet ist jetzt ein Interview mit Andrzej Stasiuk, in dem der Schriftsteller über den nationalen Trauerexzess nach dem Unglück von Smolensk und die baldigen Präsidentschaftswahlen meint: "Man sollte sich nicht allzu stark daran orientieren, wie sich unsere Politiker heute präsentieren. Ihre Existenz zeigt, wie die Macht der Könige sich in die Macht der Narren verwandelt. Vor unseren Augen wird die Demokratie zur Narrenherrschaft, bei der es nicht aufs Regieren, sondern auf die Unterhaltung ankommt." 

Magazinrundschau vom 18.05.2010 - Przekroj

Anlässlich des 65. Jahrestages des Kriegsendes analysiert Anna Labuszewska die Veränderungen in Russland, wo Stalins Rolle immer kritischer hinterfragt werde. "Anscheinend hat man im Kreml erkannt, dass seine Glorifizierung und die Relativierung seines Anteils am Kriegsausbruch mehr Schaden als Nutzen bringt. Aus rein pragmatischen Gründen wird der Vater der Nationen vom Sockel gestoßen." Die zahlreichen versöhnlichen russischen Gesten in Richtung Polen sieht Labuszewska in eben diesem Kontext: "Wir kommen euch in symbolischen Fragen wie Geschichte entgegen, dafür erwarten wir handfesten Nutzen in Wirtschafts- oder Sicherheitsfragen." Die Umwertung der Geschichte habe aber auch eine soziale Dimension - so würden die militärischen Anführer des Krieges weniger und die einfachen Soldaten verstärkt gepriesen. Die offizielle Jugendorganisation des Kreml verteilte etwa Aufkleber mit der Aufschrift "Spasibo diedu za pobiedu" (Danke Opa für den Sieg).

Zwischen zwei Dokumentarfilmfestivals (Planete Doc Review in Warschau und dem Krakauer Filmfestival) macht sich Malgorzata Sadowska Gedanken über den Zustand des Genres. "Am interessantesten erscheinen heute die Filme, die die Grenzen des Genres erkunden, überschreiten, experimentieren, kreieren - was aber nicht heißt, dass sie lügen. (...) Authentizität kommt nicht nur von Realismus. Der neue Dokumentarfilm zeigt, dass man nicht nur durch Beobachtung zur Wahrheit gelangt, sondern auch durch Verarbeitung der Realität. Auf viele Arten."

Magazinrundschau vom 16.03.2010 - Przekroj

Der Schriftsteller und Journalist Krzysztof Varga hat gerade seinen neuesten Roman veröffentlicht, doch schaut er pessimistisch in die Zukunft seines Faches: "Die Stimme der Literaturkritiker hat an Wert verloren. Eine großartige Rezension in der größten Tageszeitung hilft auch nicht, die Menschen in die Büchereien zu locken. Die Meinungsmacher sind jetzt woanders, und das literarische Werk selbst reicht nicht aus, um das Volk dafür zu interessieren. Es kommt die Zeit des Biografismus - ein Autor sollte danach vor allem einen interessanten Lebenslauf und außergewöhnliche Erlebnisse gehabt haben und nicht nur ein talentierter und fleißiger Schreibtischarbeiter sein."

Es bedurfte eines englischen Musikjournalisten, um das Phänomen der Punk-Rock-Rebellion im kommunistischen Polen zu dokumentieren. Das Ergebnis - der Film "Beats of Freedom" kam soeben in die Kinos. "Es ist ein solider Bildungsfilm, der keine sensationellen Neuentdeckungen bringt, da er vor allem für Zuschauer gemacht wurde, die die Volksrepublik nicht mit eigenen Augen gesehen haben. Vor allem für Ausländer, die über die Musik und das Leben jener Zeit wenig wissen. (...) Aber es ist auch ein Film für junge Polen, die in den Achtzigern oder später geboren wurden." (Mehr zu dem Film und der polnischen Musikszene in der Polityka, auf Deutsch.)
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Magazinrundschau vom 17.11.2009 - Przekroj

Nur in der gedruckten Fassung kann man das Interview mit der Schauspiellegende Andrzej Lapicki lesen, der seinen 85. Geburtstag feierte und sich an seine besten Zeiten erinnert: "Wir lebten in einer Unwirklichkeit. Das Theater war unwirklich, und wir verließen das Theater fast nie. Uns interessierte damals nur, gut zu spielen, selbst wenn man Lenin oder Dscherschinski spielen musste - wo war das Problem? Das war zweitrangig, das waren nur Rollen. Das Theater hatte damals eine hohe Stellung, besonders nach dem Umbruch 1956, bis zur 'Solidarnosc'. Ein goldenes Vierteljahrhundert des polnischen Theaters; ein unübetreffliches Niveau und soziales Bedürfnis. Das Publikum rannte uns das Haus ein."

Außerdem: Einen untypischen Blick auf die Zeit des Kommunismus in Polen wirft der Film "Rewers" des Regisseurs Borys Lankosz, der von einigen Kritikern mit Pedro Almodovar oder David Lynch verglichen wird. So auch Bartosz Zurawiecki, der Lankosz' Spielfilmdebüt "brillant, intelligent, witzig, und mit Gefühl gemacht" findet. Malgorzata Sadowska begeistert sich für neu erschienene DVD-Ausgaben von Werken des Animations- und erotischen Autorenfilmers Walerian Borowczyk. Sie unterschieden sich erheblich von dem, was in den 60ern und 70ern sonst so in Polen gezeigt wurde: "Politik, moralische Dilemmata und eskapistische Märchen - die Beschäftigung mit Sex galt in diesen schweren Zeiten als unangebracht. Ganz abgesehen davon, dass das kommunistische System an sich sehr prüde war. Nur ein Regisseur war bereit, das Tabu zu brechen: Walerian Borowczyk." (Er tat es allerdings in Paris!)

Magazinrundschau vom 13.10.2009 - Przekroj

Zum Nobelpreis für Herta Müller veröffentlicht Przekroj zwei ältere Texte. In einem Interview von 2005 sagt die rumäniendeutsche Schriftstellerin zur Frage ihrer Identität: "Ich bin hin und hergerissen zwischen zwei Polen. Ich komme ich aus Rumänien, aber ich entstamme der deutschen Minderheit. Meine Bücher werden in Rumänien mit großem Enthusiasmus aufgenommen. Zuweilen überlegen die Leute, was sie mit meinem besonderen Fall zu tun haben, mit meinem Werk, denn ich bin keine von ihnen. Weder in Rumänen noch in Deutschland. In Rumänien glauben die Leser, dass ich, gerade weil ich Deutsche bin, ihre Geschichte besser erzählen kann, als jene, die immer in Rumänien gelebt haben. In Deutschland fragen die Leute auch, ob und inwieweit ich 'eine von uns' bin... Manche verdienen mit solchen Überlegungen Geld, aber das stört mich nicht".

Und die damals 20-jährige Schriftstellerin Dorota Maslowska schrieb 2003, in ihrer Besprechung von "Herztier" gewohnt eigenwillig: "Vor ihrer Ausreise nach Deutschland hatte Herta Müller im kommunistischen Rumänien keine Möglichkeit zu publizieren - und von der Seite der Obrigkeit aus gesehen scheint mir das richtig zu sein: Dass die Leute in der Hölle geboren werden und leben, heißt ja nicht, dass sie dies auch wissen müssen."

Magazinrundschau vom 15.09.2009 - Przekroj

Der Rocksänger Pawel Kukiz hat schon über die Klerikalisierung Polens, die Machenschaften der Postkommunisten und über Erika Steinbach gesungen. Jetzt hat er ein Lied über die sowjetische Besatzung Polens im September 1939 und das Massaker von Katyn geschrieben. Im Interview erklärt er, warum: "Das Lied ist sehr persönlich, es ist weder historisch noch patriotisch, nur meinem Großvater gewidmet, der von den Sowjets in Lemberg ermordet wurde. (...) Dieser Krieg lebt noch in mir, denn ich glaube, dass seine Opfer nicht nur die Generation meiner Großeltern, Eltern, sondern auch meine Generation ist. Meine Eltern tragen den Krieg in sich nicht als Martyrologie, sondern in der Psyche. Wenn ich überlege, warum mein Vater so selten lächelt, irgendwie so kalt ist... Das wird übertragen".

Außerdem: Quentin Tarantinos Film "Inglourious basterds" kommt jetzt auch in Polen in die Kinos. In einem Porträt des Regisseurs erklärt Maciej Jarkowiec vorweg: "... diesen Film sollte man sehen, nur ist da kein bisschen historische oder andere Wahrheit drin. Es gibt keine Wirklichkeit. Es gibt nur Kino. So wie in Quentin Tarantino."

Magazinrundschau vom 01.09.2009 - Przekroj

Die Polen waren in den 30ern zwar auch keine Unschuldsengel, aber 1939 haben sie im entscheidenden Moment das Richtige getan, meint der vieldiskutierte Essayist (mehr hier) Tomasz Lubienski, der gerade ein Buch über den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht hat, im Interview: "Ein wenig pathetisch gesprochen, kann man den 1. September und die Tatsache, dass Polen Hitler widerstanden hat, als Sühne für die Zweite Republik betrachten. Polen hatte sich als Land wie eine Großmacht aufgeführt: ziemlich brutal gegenüber seinen schwächeren Nachbarn und Minderheiten, die für die Polen ein großes Problem darstellten. Ein Land, in dem sich ein bedeutender Teil der Gesellschaft auf schockierende Art an nationalistischer Propaganda und Illusionen über die eigene Stärke berauschte. Man darf auch nicht vergessen, dass wir Hitler eine zeitlang in die Hände spielten. Fast niemand hatte sich darüber Gedanken gemacht, wer er war, was in Deutschland vor sich ging, was dort mit den Juden geschah. Diese Nachsichtigkeit gegenüber dem Hitlerismus betraf auch das ganze übrige Europa. Und doch verhielt sich der Außenminister Jozef Beck, verantwortlich für die Fehlleistungen der bisherigen Politik, im entscheidenden Augenblick richtig und groß, als er die deutschen Forderungen ablehnte, gemeinsam gegen die Sowjets vorzugehen. Damit änderte er die Geschichte der Welt, mehr als alle anderen polnischen Helden, die bis dahin im globalen Maßstab keine solche Rolle gespielt hatten." (Hier eine Reportage über das Ende der Zweiten Polnischen Republik im Time Magazine vom 2. Oktober 1939)

Magazinrundschau vom 20.01.2009 - Przekroj

Andrzej Wajdas "Katyn" kommt im ausländischen Verleih jetzt erst richtig in Fahrt, doch der Altmeister hat schon eine neue Filmidee: "Oh, über Lech Walesa würde ich gerne einen Film machen! Aber Lech ist eine schwierige Figur. Außerdem gehört schon Mut dazu, einen Lebenden über einen Film zu machen...", sagt er im Gespräch mit Piotr Najsztub. Außerdem gibt sich Wajda sehr skeptisch, was die Chancen historischer Stoffe im Kino angeht: "Das heutige Publikum ... will unterhalten werden. Es ist nicht so, dass es auf aufwühlende Filme wartet, und wir nicht im Stande wären, sie zu liefern. Es gibt einfach kein Publikum mehr für diese Filme."

Leider nur im Print: Igor Ryciak graust es schon vor den Feierlichkeiten verschiedener Jahrestage 2009: Siebzig Jahre Zweiter Weltkrieg, zehn Jahre Nato- und fünf Jahre EU-Mitgliedschaft, und natürlich zwanzig Jahre - nein, nicht Mauerfall, denn in Polen legt man Wert darauf zu betonen, dass der Fall des Kommunismus mit dem Runden Tisch begann. Deshalb startet das Außenministerium die Kampagne "Freedom '89. Made in Poland", um "aus der Mauer einen Tisch zu machen", wie Ryciak schreibt. Parallel plane das staatliche Institut für Nationales Gedächtnis die Aktion "Polska 1989", mit multimedialen Webseiten für eine internationale Öffentlichkeit. Spottet Ryciak: "Erst soll Europa davon überzeugt werden, dass die Befreiung vom Kommunismus in Polen, nicht in Deutschland erkämpft wurde, dann sollen wir daran erinnert werden, dass Deutschland Polen 1939 überfallen hat, und am Ende soll eine Kampagne starten, die beteuert, dass wir heute nichts mehr gegen die Deutschen haben? Schauen wir mal."

Magazinrundschau vom 09.12.2008 - Przekroj

Lech Walesa steht wieder im Mittelpunkt des Interesses in Polen. Zum einen wurde in einer neuerlichen Publikation des staatlichen IPN seine vermutliche IM-Tätigkeit für den kommunistischen Geheimdiesnt thematisiert, zum anderen wurde er zum EU-Weisen gekürt. Und am Wochenende gab es in Danzig (Gdansk) eine große Feier zum 25. Jahrestag seiner Friedensnobelpreisehrung. Piotr Najsztub erklärte er im Interview, dass ihm Polen zu klein geworden sei: "Hier habe ich das Meinige getan. Wir haben gewonnen, ich habe die Richtung vorgegeben: Westen, Kapitalismus, Demokratie. Ich hatte das Ganze, jetzt könnte ich mich nur noch mit einem Teil davon befassen. Ich müsste eine von hundert Parteien wählen. Mehr noch - Leute mögen das nicht, aber ich kann nur Erster sein. Ich habe halt so einen Charakter."
Stichwörter: Danzig, Walesa, Lech