Magazinrundschau
Das Kühne und das Delikate
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
20.06.2017. Hlidaci pes lässt sich erklären, warum in China so viele Menschen hingerichtet werden, die vorher gesundheitlich bestens betreut wurden. The New Republic würdigt das souverän entworfene Selbstbild Georgia O'Keefes. Der Spectator stellt drei weitere Genies weiblicher Selbstdarstellung vor. Der Guardian plaudert mit dem Propheten des Anthropozän, dem britischen Philosophen Timothy Morton. Das New York Magazine erkundet die neuen Datenbanken der Gelüste. Die LRB sucht nach Gründen für den erstmals wieder steigenden Hunger in der Welt. Feminismus als derber Slapstick - ein Fortschritt, findet der New Yorker.
London Review of Books (UK), 15.06.2017

Die britischen Wahlen wurden von einigen Linken als erste Wahl nach dem Brexit gedeutet und eigentlich auch gefeiert, als hätte der Brexit die nationale Politik von Brüssel befreit. David Runciman hält dem entgegen, dass es keine Post-Brexit-Wahl war: "Es war eine Wahl Post-Referendum, Prä-Brexit. Der Brexit war in keiner Weise geregelt, als die Wahlen ausgerufen wurden, und die Ergebnisse werden nicht zu seiner Regelung beitragen. Corbyns Erfolg rührte zum Teil aus seiner Fähigkeit, genau dies zu suggerieren. Die Labour-Partei schaffte es, das Problem Brexit zu parken, indem sie ihn als Tatsache anerkannte und gleichzeitig andeutete, dass noch alles möglich sei. So konnte sich die Partei auf andere Fragen konzentrieren, vor allem den wachsenden Unmut der Bevölkerung über die Austerität, und die Aufmerksamkeit auf die Unterschiede der beiden Parteiführer lenken... Indem Corbyn nicht über den Brexit sprach, klang er, als wüsste er, was er tut. Bei May war es genau umgekehrt. Das sind die Unwägbarkeiten eines Wahlkampfs."
Hlidaci pes (Tschechien), 17.06.2017

New Republic (USA), 15.06.2017

Alfred Stieglitz: Georgia O'Keefe, 1918, Victoria & Albert Museum
Rachel Syme wandert durch die große "Georgia O'Keeffe: Living Modern"-Ausstellung im Brooklyn Museum, die ebenso um Selbstdarstellung der Künstlerin kreist wie um ihre Kunst. Ihre Kleider sind ein wichtiger Bestandteil der Ausstellung - das pinkfarbene Kopftuch und ihr Stetson, die große Calder-Brosche mit dem O und K, die cremefarbenen Seidentuniken, die Designeranzüge von Knize und Balenciaga, die Button-down-Hemden und Blue Jeans, die Ferragamo-Ballerinas und ihre Kimonos. Man kann sich einen solchen Schwerpunkt kaum bei zum Beispiel Marcel Duchamp vorstellen, seufzt Syme, aber sei's drum, in O'Keefes Fall ist ihr spielerisches Selbstimage tatsächlich interessant: "Wenn 'Living Modern' eine Hauptthese hat dann die, dass Georgia es liebte, fotografiert zu werden. Die Bilder sind so genau komponiert, so architektonisch, so voll von dem Blick, den sie zurückwirft, dass man kaum ihre Willenskraft ignorieren kann, durch jedes Einzelbild zu führen. Obwohl [ihr zeitweiser Ehemann und Fotograf] Alfred Stieglitz mehrere Nacktaufnahmen der jungen Künstlerin machte, legt der aggressive Blick in die Kamera auf diesen Bildern nahe, dass sie weniger Objekt seiner Arbeit und mehr ein Mitverschwörer. Sie wusste, wie sie gesehen werden wollte und formte ihren eigenen Ruhm. Ein Jahrzehnt, nachdem sie von Texas nach New York City gezogen war, war sie die bestbezahlte Künstlerin der Stadt. Aber ihre Selbstpräsentation - die Hohepriesterin der Wüste in Crepekleidern und schmutzigen Arbeitsstiefeln - machte sie zur Ikone. Sie war ein kleines Bündel von einer Frau, die Bilder malte, die oft größer waren als sie selbst, die hypersaturierte Türkise und Fuchsien aus der dunklen Erde zog. Sie brachte das Kühne und das Delikate und das Aufblühende auf eine Art zusammen wie niemand vor ihr, und plötzlich war die Welt eine andere." (Viele Bilder aus der Ausstellung findet man bei Design Life Network)
Spectator (UK), 17.06.2017

Luisa Casati im "Brunnen-Kostüm" von Paul Poiret in den 1910ern
Und noch drei Ladies, die durch ihr extravagantes Äußeres Furore machten: Luisa Casati, Doris Castlerosse und Peggy Guggenheim, denen Judith Mackrell gerade ein Buch gewidmet hat. Die drei kannten sich nicht, schreibt Sofka Zinovieff, aber sie wohnten alle drei zu verschiedenen Zeiten im selben venezianischen Palazzo: "Sie bilden ein großartiges Trio. Alle drei Frauen kamen hier nach Krisen und gescheiterten Ehen und machten den Palazzo zu ihrer persönlichen Bühne, mit Venedig als perfektem Hintergrund. Traditionell tolerant gegenüber dem Karnevalesken und erotisch Kühnem erlaubte es ihnen diese 'der See entsprungenen' Stadt, große exotische Fische in einer kleinen Lagune zu sein. Während Luisa Casati in der gotischen Belle Epoche ein lebendes Kunstwerk wurde, nutzte Doris Castlerosse ihren sexuellen Glamour, während der glänzenden 1930er Jahre so viele Juwelen einzusammeln wie möglich. Peggy Guggenheim war auch eine Sammlerin von Liebhabern, aber eine, die Kunst und Leben vermischte, bis ihr Zuhause zu einer erstaunlichen Galerie geworden war."
Guardian (UK), 19.06.2017

Revista Anfibia (Argentinien), 17.06.2017

New Yorker (USA), 26.06.2017

Außerdem: Jennifer Gonnerman besucht die Immigranten in New Yorks Little Pakistan. Nick Paumgarten porträtiert den Indie-Rocker Father John Misty. Jiayang Fan berichtet über Genderungleichheit in China. Und Bill McKibben schreibt über amerikanische Startups, die sich um die Solar-Elektrifizierung Afrikas zanken (anstatt Solarenergie zu Hause in Kalifornien populärer zu machen).
Elet es Irodalom (Ungarn), 16.06.2017

La vie des idees (Frankreich), 15.06.2017

New York Magazine (USA), 11.06.2017

HVG (Ungarn), 07.06.2017

Eurozine (Österreich), 16.06.2017

New York Times (USA), 18.06.2017

Außerdem: Jesse Lichtenstein trifft den Twitter-Komiker Jonny Sun und sein empfindsames Alter Ego. Und im Interview erklärt Naomi Klein die Marke Trump. Auf Matthew Shaers Porträt Chelsea Mannings hatten wir letzte Woche schon hingewiesen.
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