Magazinrundschau
Männer, die Dinge geregelt bekommen
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
02.08.2011. Anders Breivik ist den Dschihadisten ähnlicher als ihm lieb ist, meint Kenan Malik in Eurozine. Magyar Narancs sieht ihn eher in der Nähe der rechtsextremen ungarischen Garde. Outlook India findet es einleuchtend, dass er sich auch an der Hindu-Bewegung orientierte. Al Ahram erklärt: Israel ist schuld. An Norwegen. An Griechenland. Und am ganzen Rest. Im Merkur geißelt Karl Heinz Bohrer deutschen Provinzialismus. Die Blätter beobachten während des Mauerbaus HME bei harmlosem Tun. Der Guardian bekommt eine Pariser Lektion in aufgeklärtem Geschmack.
Eurozine (Österreich), 31.07.2011

Rita Chin von der University of Michigan kommt in ihrem Artikel über "Türkische Frauen, westdeutsche Feministinnen" (hier auf Deutsch, hier auf Englisch) mühelos zu dem Schluss, dass deutsche Feministinnen schon Ende der 70er Jahre zum Rassismus tendierten. So zum Beispiel Susanne von Paczensky, die 1978 in einem Vorwort zu dem Rowohlt-Reportageband "Die verkauften Bräute" ihr Unbehagen beschrieb beim Anblick von Frauen, die "demütig zwei Schritte hinter ihren Männern her" gehen. Chin rümpft die Nase: "Während diese kulturellen Praktiken Türkinnen als 'fremd' und sogar 'nicht anpassungsfähig' abstempelten, deutete Paczenskys Betonung der Veränderung an, dass sie womöglich anpassungsfähig gemacht würden. ... Diese Haltung kam nicht unerwartet, waren doch die meisten Personen, die mit Migrantinnen arbeiteten, selbst ernannte Feministinnen, welche die Situation der türkischen Frau durch die Linse ihres eigenen Kampfes betrachteten."
Magyar Narancs (Ungarn), 28.07.2011

Outlook India (Indien), 08.08.2011

Neha Batt singt ein Loblied auf die Lokaljournalistin Geeta Mohanpuria, die sich von einem scheuen Mädchen, das "nicht aus dem Haus gehen mochte", in eine echte Powerfrau verwandelt hat, die ein kleines feines lokales Blatt für Dörflerinnen rausbringt, Khabra Ri Potli. Und was macht die Chose möglich? Moderne Kommunikationsmittel. "Auf der Höhe der Zeit hat ein neuer wacher Newsservice im Dorf Rampur-Mathura im Bezirk Uttar Pradesh ein junges Mädchen als Reporterin engagiert, während in Andhra Pradesh über 50 Frauen für Kurzfilme und Nachrichten ausgebildet wurden, die regelmäßig von den regionalen Fernsehsendern zitiert werden. Einige dieser Geschichten, die zum Beispiel die Korruption in Negra behandeln, werden von überregionalen Zeitungen aufgegriffen."
Al Ahram Weekly (Ägypten), 03.08.2011

Israel ist so böse, dass es sogar schuld am Massaker in Norwegen ist, behauptet der kanadische Journalist Eric Walberg. "Israels kriminelle Aktivitäten haben den Killer inspiriert. ... Breivik brüstet sich, er sei Teil eines Schattennetzwerks von Kreuzrittern, das 2002 in London entstanden sei und über ganz Europa verbreitet sei. Es gibt keinen Zweifel, dass israelische Agenten mit diesen Kreuzrittern zusammenarbeiten, sie vielleicht sogar zu terroristischen Aktivitäten drängen."
Weitere Artikel: Der britische Journalist Stuart Littlewood beschreibt Britannien als Pudel Amerikas, das wiederum der Pudel Israels sei: "Das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) hat den amerikanischen Kongress derart im Würgegriff, dass die Interessen des zionistischen Regimes zuerst kommen." William A. Cook, Literaturprofessor in Kalifornien, geißelt "Israels Übernahme der griechischen Regierung", weil Griechenland keine Schiffe Richtung Gaza auslaufen lässt: "Wahrscheinlich ist nichts so bedrohlich wie diese unverhohlen feindliche Tat einer ausländischen Nation gegen eine andere." Der amerikanische Rechtsanwalt Curtis Doebbler ruft den Ägyptern, die die Unverschämtheit hatten, gegen das eigene Regime zu rebellieren, in Erinnerung: "Die israelische Aggression gegen das palästinensische Volk ist die älteste ungelöste massive Menschenrechtsverletzung auf der internationalen Agenda." Schließlich beschreibt der amerikanische Soziologe James Petras hingebungsvoll die USA und Israel als neu-kolonialistische Strippenzieher.
Guardian (UK), 30.07.2011
Von wegen Dekadenz! Auch als Lektion in aufgeklärtem Geschmack empfiehlt Amanda Vickery - kurz vor Schluss - die Ausstellung im Getty Museum über den Pariser Luxus im 18. Jahrhundert, der sich nicht nur auf Rokokouhren und opulente Kurtisanenbetten beschränkte. Denn Paris war nicht nur die Hauptstadt des Luxus und der Moden, sondern auch der Wissenschaft und freien Meinung - der Versailler Hof war mitunter weit weg: "Für die Franzosen wie für die Briten war Luxus potentiell korrumpierend, also musste er veredelt werden. Wie konnte Tugend verbunden werden mit der Aufhäufung unnötiger Dinge? Eine Antwort bestand darin, Einkäufe durch Geschmack zu desinfizieren. Eine Kunstsammlung bezeugt Bildung, konnte aber auch als Selbstporträt verstanden werden, das den kulturellen Rang und erlesene Vorbilder der Tugend bewies. Der aufgeklärte Geschmack dehnte sich auf die experimentelle Wissenschaft aus: Kein vornehmes Haus war komplett ohne Teleskop, Barometer und Globus."
New Yorker (USA), 15.08.2011

Außerdem: Nicholas Schmidle beschreibt in einer Reportage, was in Abbottabad geschah. Rebecca Mead geht der Frage nach, warum Mücken manche Menschen bevorzugen. Anthony Lane sah im Kino Miranda Julys "The Future", Mike Cahills "Another Earth" und Jon Favreaus "Cowboys & Aliens".
Times Literary Supplement (UK), 29.07.2011
Stanley Weintraub erzählt in einem ellenlangen Vortrag vom bitteren Abstieg des George Bernard Shaw, der sich vom enttäuschten Demokraten und Sozialisten zum verblendeten Bewunderer aller möglichen Despoten wandelte: Stalin, Mussolini, Hitler - Shaw verehrte sie als "Männer, die die Dinge geregelt bekommen": 1935 war Hitler in seinem dritten Jahr an der Macht. Seit den frühen Zwanzigern hatte Shaw den Deutschen gepredigt, dass ihre 'besiegte, geplünderte und gedemütigte Nation' (in Shaws den Führer wiedergebenden Worten) einen Reformer vom Schlage des Duce brauchte. Auch wenn ihn Hitlers Judenhass etwas erschreckte, erklärte Shaw: 'Die Nazibewegung genießt in vielerlei Hinsicht meine tiefste Sympathie.'"
Merkur (Deutschland), 02.08.2011

Nur im Print: Der gerade allgegenwärtige Egon Flaig verabschiedet den "Nonsense-Begriff" historisches Trauma.
Il Sole 24 Ore (Italien), 31.07.2011

New York Review of Books (USA), 18.08.2011

Außerdem: H. Allen Orr schickt einen freundlichen Verriss von David Brooks Buch "The Social Animal" (Leseprobe). James Gleick hat einige neue Bücher über Google gelesen, erzählt aber wenig Neues. Stephen Kinzer skizziert die Lage in der Türkei nach dem dritten Wahlsieg Erdogans. Diane Johnson findet die "Tiger Mom" Amy Chua klüger als ihre Kritiker. Und die Autorin Lorrie Moore outet sich als Fan von "Friday Night Lights", einer NBC-Fernsehserie über ein High-School-Football-Team in Texas (mehr auf Deutsch hier).
Blätter f. dt. u. int. Politik (Deutschland), 01.08.2011

Elet es Irodalom (Ungarn), 29.07.2011

Ungarn schwimmt in der dumpfen, alles verschlingenden und exklusiven Gegenwart, hat keine Ahnung von seiner Vergangenheit und schlägt seinen Weg blind ein, ohne irgendeine Vorstellung in Richtung Zukunft ein, erklärt der Medienwissenschaftler Peter György in seiner bitteren Abrechnung mit der "Heimat". "Wenn es keine Vergangenheit, keine kollektive Erinnerung gibt, dann kann die Freiheit der Politiker den Alltag zu einem Albtraum werden lassen. Zeugen dieser Entwicklung sind alle, die im heutigen Ungarn noch wissen wollen, was mit uns geschehen wird, und die das Land nicht verlassen wollen wie so viele heutzutage. Das Land ohne Vergangenheit - Ungarn - ist lächerlich und führt eine unwürdige Existenz; der liberale Rechtsstaat schwindet wie auch die Solidarität - und all dies geschieht aus einer Laune heraus, ohne jegliche Notwendigkeit, nur, um den Triumph des Willens zu beweisen."
New York Times (USA), 31.07.2011

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