Magazinrundschau
Wir schreiben Jeremiaden
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
30.03.2010. In 3 quarks daily lernen wir, wie man zugleich "unberührbar" sein und als arrogant gelten kann. Wired stellt einen Meisterdieb. Tygodnik ist seit 65 Jahren katholisch und trotzdem nicht antisemitisch. Newsweek fragt: Wird das Internet durch das Ipad zu einem total geschlossenen System? Slate bespricht Paul Bermans neues Buch zur Islamdebatte zwischen Pascal Bruckner und Timothy Garton Ash. In Salon analysiert Adam Michnik den Nationalismus in den postkommunistischen Ländern. Im Zürcher Magazin wehrt sich Elisabeth Badinter gegen die Heiligsprechung von Mutterliebe.
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3 quarks daily (USA), 29.03.2010

Wired (USA), 18.04.2010
Wired pflegt eine unheilbare romantische Liebe für Meisterverbrecher. Diesmal erzählt Joshua Bearman die Geschichte des Meisterdiebs Gerald Blanchard, der unter anderem den Sissi-Stern im Wiener Schloss Schönbrunn klaute. Gesehen hat er das gut bewachte Stück bei einem offiziellen Besuch mit seiner Frau und seinem Schwiegervater. Keine lange Planung! Noch im Schloss "fing er sofort an zu arbeiten, fing er jedes Detail des Zimmers mit seiner Videokamera ein". Am nächsten Tag hatte er das Schmuckstück. "Später gelangte der Sissi-Stern im Beatmungsgerät einer Tauchausrüstung in seine Heimatstation in Kanada, wo Blanchard versammeln würde, was die Ankläger später in Ermangelung einer besseren Bezeichnung die Kriminelle Blanchard Organisation nennen würde. Blanchard, der aus seinem enzyklopädischen Wissen über Überwachung und Elektronik schöpfte, wurde ein kriminelles Meisterhirn. Der Sissi-Stern war der Raub, der ihn von einem erfolgreichen und erfahrenen Dieb in einem kriminellen Virtuosen verwandeln sollte. 'Durchtrieben, clever, hinterhältig und kreativ', wie ihn ein Ankläger nennen sollte, entzog sich Blanchard jahrelang der Polizei. Aber schließlich machte er einen Fehler. Und dieser Fehler sollte zwei Beamte der bescheidenen Polizei von Winnipeg, Kanada, auf einen wilden Trip durch die High-Tech-Gaunerei in Afrika, Kanada und Europa führen. Mitch McCormick, einer der Untersuchungsbeamten aus Winnipeg, sagt: 'Wir hatten so etwas niemals vorher gesehen.'"
Wie wird das Ipad und wie werden in seinem Gefolge andere Tablet-Computer die Welt verändern?, fragt Wired in einem faszinierenden Dossier. Steven Levy sieht die Entstehung dieser neuen Geräte zunächst auch als Episode im Kampf der Giganten Apple mit seiner Zugangskontrolle und Google mit seinem Traum von der Wolke: "Apple will lieber die makellose Ordnung der Autokratie als die chaotische Freiheit eines offenen Systems." Außerdem entwickeln einige Netzvordenker Visionen für den Tabletcomputer. Kevin Kelly zum Beispiel sieht ihn eher als Kamera: "Wenn jemand durch den Bildschirm zu dir spricht, bewege den Bildschirm und er wird dir den Raum des Anrufers zeigen... Viele sehen den Bildschirm als einen vielfarbigen, hochauflösenden E-Reader, aber dieses Sehgerät handelt ebenso sehr von bewegten Bildern wie von Text. Man kann damit nicht nur betrachten, sondern auch machen, und es wird als tragbare Kinoleinwand dienen, möglicherweise 3D-tauglich. Du wirst mit der Leinwand 'filmen'! Es wird sowohl die Buch- als auch die Filmindustrie neu definieren, denn es schafft ein transmediales Gerät, das Buch und Video verschmelzen wird. Du kannst Fernsehen lesen, Bücher betrachten, Filme berühren."
Wie wird das Ipad und wie werden in seinem Gefolge andere Tablet-Computer die Welt verändern?, fragt Wired in einem faszinierenden Dossier. Steven Levy sieht die Entstehung dieser neuen Geräte zunächst auch als Episode im Kampf der Giganten Apple mit seiner Zugangskontrolle und Google mit seinem Traum von der Wolke: "Apple will lieber die makellose Ordnung der Autokratie als die chaotische Freiheit eines offenen Systems." Außerdem entwickeln einige Netzvordenker Visionen für den Tabletcomputer. Kevin Kelly zum Beispiel sieht ihn eher als Kamera: "Wenn jemand durch den Bildschirm zu dir spricht, bewege den Bildschirm und er wird dir den Raum des Anrufers zeigen... Viele sehen den Bildschirm als einen vielfarbigen, hochauflösenden E-Reader, aber dieses Sehgerät handelt ebenso sehr von bewegten Bildern wie von Text. Man kann damit nicht nur betrachten, sondern auch machen, und es wird als tragbare Kinoleinwand dienen, möglicherweise 3D-tauglich. Du wirst mit der Leinwand 'filmen'! Es wird sowohl die Buch- als auch die Filmindustrie neu definieren, denn es schafft ein transmediales Gerät, das Buch und Video verschmelzen wird. Du kannst Fernsehen lesen, Bücher betrachten, Filme berühren."
Tygodnik Powszechny (Polen), 28.03.2010


Newsweek (USA), 29.03.2010

Le Monde (Frankreich), 27.03.2010
Berlusconi hat bei den Regionalwahlen überraschende Erfolge gefeiert, unter anderem in Süditalien (mehr dazu hier). Hatte der Journalist Roberto Saviano recht, als er letzte Woche in Le Monde eine internationale Kontrolle der Wahlen insbesondere in den von der Mafia kontrollierten Gebieten forderte? Allein in Kalabrien liefen gegen 35 der 50 Regionalpolitiker Ermittlungsverfahren oder sie seien schon verurteilt. Saviano, der seit seinem Buch über die Camorra unter Polizeischutz leben muss, rechnet in seinem Text mit der italienischen Politik gnadenlos ab. "Man geht hier in Italien grundsätzlich davon aus, dass die Politik keine Richtung hat, keine Ideen, keine Konzepte. Deshalb erwarten und rufen die Leute nach etwas anderem... Sie hat keinerlei Glaubwürdigkeit mehr. Nichts als ein leeres Gehäuse, das man mit Worten füllen kann und mitunter selbst das nicht mehr. Und so kommt es dazu, dass man vielleicht nicht mehr imstande ist, sie überhaupt zu nutzen. Wenn das aus der Politik wird, hat die Mafia schon gewonnen. Denn niemand schafft es, größere Sicherheiten zu bieten als sie: die eines Jobs, eines Einkommens, einer Wohnung."
Slate (USA), 25.03.2010
Auch in anderen Ländern geht die Debatte um Islamkritik beziehungsweise "Fundamentalismus der Aufklärung" weiter, die im Jahr 2007 durch einen Artikel Pascal Bruckners in Perlentaucher und signandsight.com lanciert wurde. Paul Berman hatte sie bereits 2007 in einem langen Porträt über Tariq Ramadan aufgegriffen und hat diesen Text nun zu einem Buch ausgebaut, das demnächst erscheint: "The Flight of the Intellectuals". Ron Rosenbaum greift Bermans Frage auf, warum die Intellektuellen 1989 Salman Rushdie noch weithin verteidigten, während sie Ayaan Hirsi Ali die gleiche Solidarität versagten: "Berman mag es abstreiten, aber ich glaube, der Subtext seiner Kritik an Alis Kritikern ist, dass der Protest gegen islamistische Todesdrohungen zwanzig Jahre nach der Rushdie-Affäre wesentlich mehr physischen Mut fordert als die Intellektuellen bereit sind aufzubringen. Sie greifen eher zu kleinlicher Kritik, die ihnen als Feigenblatt dient, um der Gefahr auszuweichen."
Buzzmachine (USA), 23.03.2010
"Das Problem mit Kommentaren sind nicht die Kommentare" überschreibt Jeff Jarvis seinen Blogeintrag, in dem er sich mit der Kritik von Bloggern an bösen, gemeinen oder schlicht widerlichen Leserkommentaren auseinandersetzt. Das Problem sei vielmehr, dass viele Blogger das Internet als Medium betrachteten. "Man will es hübsch gebündelt, sauber und kontrolliert haben, wie Zeitungen und Magazine es vormachen, und wenn jemand einen Haufen drauf setzt - also einen fiesen Kommentar - denken wir, jetzt sei die ganze Sache ruiniert... Aber wie ich von Doc Searls (Blog) gelernt habe, ist das Internet kein Medium - begreift man es als ein Medium, führt das tatsächlich zu einer Reihe von Annahmen über Kontrolle und Eigentum und Regulierung. Nein, Doc sagt, das Internet ist ein Ort. Es ist ein Park oder eine Straßenkreuzung, wo Leute vorbeikommen und sich treffen, reden und streiten, Recht haben oder sich irren, wo sie sich vernetzen und Informationen und Aktionen öffnen. Es ist ein öffentlicher Ort. (A propos Öffentlichkeit, sehen Sie es doch mal so: Wenn Sie in New York an einer Person vorbeigehen, die flucht, schreiben Sie dann gleich die ganze Stadt ab? Also ich nicht. Vor allem, weil ich die Person sein könnte, an der Sie vorbeigehen.)"
Salon.eu.sk (Slowakei), 24.03.2010

New Yorker (USA), 05.04.2010

Weitere Artikel: Judith Thurman berichtet über Philip Roth - und John Grisham - als Opfer einer Zeitungsente: Ein italienischer Journalist erfand für die Berlusconi-nahe Boulevardzeitung Libero Interviews, in denen er prominenten Amerikanern Obama-kritische Äußerungen andichtete. John Lahr bespricht eine Inszenierung von Tennessee Williams' "Glasmenagerie". Und David Denby sah im Kino Tim Blake Nelsons Thriller "Leaves of Grass", Raymond De Felittas Komödie "City Island" und Andy Tennants Actionkomödie "The Bounty Hunter". Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Gavin Highly" von Janet Frame und Lyrik von Cornelius Eady und Matthew Dickman.
Das Magazin (Schweiz), 29.03.2010

Außerdem: Finn Canonica und David Iselin beschreiben die Vor- und Nachteile der perfektionierten japanischen Dienstleistungsgesellschaft.
Outlook India (Indien), 05.04.2010

Merkur (Deutschland), 01.04.2010

Weitere Artikel: Der inzwischen in Israel lebende Schriftsteller Chaim Noll versucht den Ungeist zu fassen zu bekommen, der die Neue Klasse in den sozialistischen Länder antrieb und, sofern sie ihr eigenes Ende überlebt haben, noch immer antreibt. Der Soziologe Alan Johnson versucht zu begreifen, was Europas Linke an Slavoj Zizek findet, der noch immer dem egalitären Terror und dem autoritären Kommunismus das Wort rede. Theodore Dalrymple wettert gegen Le Corbusier: "Le Corbusier bedeutete für die Architektur, was Pol Pot für die Gesellschaftsreform war." (Hier der Originaltext) Und Walter Laqueur warnt Europa davor, seine eigene Schwäche zu rationalisieren.
Walrus Magazine (Kanada), 01.04.2010

Außerdem: Silver Donald Cameron erzählt, wie der Premierminister von Bhutan, Jigmi Y. Thinley, mit Hilfe der GPI Atlantic den "gross national happiness"-Faktor, kurz GNH, in seinem Land heben will. Thinley erklärt das auch selbst sehr schön in einem Video auf Youtube. Tim Mckeough stellt den minimalistischen und dennoch sehr spielerischen japanischen Designer Oki Sato vor. Lesen dürfen wir auch einen Auszug aus Steven Heightons neuem Roman "Every Lost Country".
Sinn und Form (Deutschland), 29.03.2010

Eurozine (Österreich), 26.03.2010

Außerdem: Der niederländische Medientheoretiker Geert Lovink denkt über die neue Netz-Architektur und die Versuche nach, ein nationales Web zu schaffen.
New York Times (USA), 28.03.2010
Mit Blick auf etliche Manifeste der letzten Zeit - David Shields "Reality Hunger" oder Jaron Lanier "You Are Not a Gadget" - erinnert Wen Stephenson daran, dass Manifeste eine europäische und ganz unamerikanische Form des Protestes sind: "Wir schreiben Jeremiaden". Den Unterschied erklärt er mit Rückgriff auf Sacvan Bercovitchs "The American Jeremiad" so: "Wenn das Manifest furchtlos in die Zukunft blickt und die etablierte Ordnung durch etwas gänzlich Neues ersetzen will, dann ist die Jeremiade überspannt und nostalgisch zugleich und blickt ängstlich über ihre Schulter in eine paradiesische Zukunft zurück. Die amerikanische Jeremiade, beobachtet Bercovitch, macht die Angst zu ihrem Mittel und ihrem Zweck."
Wie willkürlich rassische Unterscheidungen sind, hat Linda Gordon in Nell Irvin Painters schön provokanter "History of White People" gelernt: "Einige antike Schilderungen betonten die Hautfarbe, etwa wenn die Griechen bemerkten, dass ihre 'barbarischen' nördlichen Nachbarn, die Skythen und Kelten, hellere Haut hatten, als die Griechen für normal erachteten. Die meisten Völker des Altertums definierten Bevölkerungsunterschiede kulturell, nicht physisch, und betrachteten hellere Menschen als weniger zivilisiert. Jahrhundert später hielten europäische Reiseschriftsteller ausgerechnet die hellhäutigen Kaukasier als am besten für die Sklaverei geeignet, kürten kaukasische Frauen aber zugleich zum Inbegriff der Schönheit. Frauen von angeblich niederer 'Rasse' zu exotisieren und sexualisieren, hat eine lange und andauernde Tradition im rassischen Denken, nur dass es heute meistens schwarze Frauen trifft."
Wie willkürlich rassische Unterscheidungen sind, hat Linda Gordon in Nell Irvin Painters schön provokanter "History of White People" gelernt: "Einige antike Schilderungen betonten die Hautfarbe, etwa wenn die Griechen bemerkten, dass ihre 'barbarischen' nördlichen Nachbarn, die Skythen und Kelten, hellere Haut hatten, als die Griechen für normal erachteten. Die meisten Völker des Altertums definierten Bevölkerungsunterschiede kulturell, nicht physisch, und betrachteten hellere Menschen als weniger zivilisiert. Jahrhundert später hielten europäische Reiseschriftsteller ausgerechnet die hellhäutigen Kaukasier als am besten für die Sklaverei geeignet, kürten kaukasische Frauen aber zugleich zum Inbegriff der Schönheit. Frauen von angeblich niederer 'Rasse' zu exotisieren und sexualisieren, hat eine lange und andauernde Tradition im rassischen Denken, nur dass es heute meistens schwarze Frauen trifft."
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