Magazinrundschau - Archiv

Das Magazin

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Magazinrundschau vom 21.09.2010 - Das Magazin

Vanessa Grigoriadis traf Lady Gaga erstmals Anfang 2009, als sie in Amerika noch eine "aufstrebende" Sängerin war. Inzwischen ist sie ein Megastar, der mit den Geschlechternormen spielt und sogar am Thron Madonnas rüttelt, so Grigoriadis: "Seit den Neunzigern hat Madonna kein Quentchen Selbstironie mehr, während Gaga nur Spaß und Spiel ist. In ihrem Herz ist sie eine junge Kunstschulstudentin voller Optimismus und Liebenswürdigkeit, voller kindlichem Staunen über die Seifenblasenwelt. Obwohl sie selber nicht bisexuell ist - von den vielen Freunden, die für diesen Artikel interviewt wurden, weiß kein Einziger von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften oder auch nur sexuellem Interesse -, ist ihre Politik eine der grenzenlosen Toleranz, sie wirbt für alle möglichen sexuellen Konstellationen dieser Welt. Gaga sagt, sie sei ein Mädchen, das Jungen mag, die wie Mädchen aussehen, aber sie ist auch ein Mädchen, das selber gern wie ein Junge aussieht - oder vielmehr wie eine Drag Queen. Kaum etwas macht ihr mehr Freude als das hartnäckige Gerücht, sie sei ein Hermaphrodit, ein Gerücht, das aufgrund eines grobkörnigen Videos entstand. Das ist nicht Madonna. Madonna würde nie so tun, als hätte sie einen Penis."

Magazinrundschau vom 07.09.2010 - Das Magazin

Peter Haffner schickt eine Reportage aus Braddock, einem kleinen Ort aus Pennsylvania, der nach dem Niedergang der Stahlindustrie verfiel. Immer mehr Leute zogen fort, die Häuser kamen herunter, die Drogen nahmen zu. Seit 2005 hat Braddock einen neuen Bürgermeister: John Fetterman, 2,11 Meter groß, 170 Kilo schwer, kahl rasierter Schädel, Ziegenbart, Sohn aus reichem Haus und Harvard Absolvent. "Heute macht Braddock von sich reden, weil Fetterman darin etwas sah, was andere nicht sahen. Statt zu beklagen, an was es allem fehlt, warb er mit dem, was es im Überfluss hat: Wohn- und Lebensraum für Künstler, die kein Geld haben, für Jungunternehmer, die sich das Startkapital vom Mund absparen müssen, für urbane Pioniere, die das Unfertige dem Fertigen vorziehen. Und für Außenseiter, die es bleiben wollen, wie Fetterman selber. 'Sie könnten mir nicht genug zahlen, nach Manhattan zu ziehen', sagt er. 'Ich möchte nicht mein Leben damit verbringen, mein eigenes Nest auszupolstern.'"
Auf der Webseite des Radiosender PBS erklärt Fetterman seine Politik im Videointerview. Eins seiner Projekte war übrigens eine Partnerschaft mit der Jeansfirma Levis, die Braddock als Hintergrund für eine Werbekampagne nutzte und dafür einen Teil des Gemeinschaftszentrum finanzierte. Der Film, in drei Teilen auf Youtube zu sehen, ist gar nicht so schlecht, man lernt einige Leute aus Braddock kennen. Hier der erste Teil:


Stichwörter: Geld, Youtube, Pennsylvania

Magazinrundschau vom 31.08.2010 - Das Magazin

Daniel Binswanger bespricht den neuen Roman von Bret Easton Ellis, "Imperial Bedrooms". Es ist eine Fortsetzung des 1985 veröffentlichten Romans "Unter Null", mit denselben Helden, nur älter geworden, versteht sich: "Sie gehen nicht mehr mit älteren Typen ins Bett, um einfacher an ihre Drogen zu kommen. Sie sind jetzt die älteren Typen." In dem Roman herrsche "eine hoffnungslose Nüchternheit. Ellis arbeitet mit Wiederholungen und der Fixierung auf stereotype Erzählelemente, die schon immer seinen Stil charakterisierte. In 'Less Than Zero' waren es die Koks-Rituale, in 'American Psycho' die Designer-Labels, in 'Glamorama' die Gästelisten mit Celebrities. Im neuen Roman sind es die endlosen Autofahrten, die das Leben in L.A. bestimmen, die Mobiltelefone, mit denen ständig hantiert wird, deren Display sich illuminiert, weil eine Nachricht empfangen wurde, und die flüchtig ein Gesicht beleuchten, bevor es wieder im Dunkeln verschwindet. Ellis hat eine geniale Fähigkeit, die Codes der amerikanischen Populärkultur zu benutzen, um seine Obsessionen abzuarbeiten."

Außerdem berichtet Guido Mingels über die wachsende Mittelschicht Brasiliens, an deren Gedeihen der Konzern Nestle mitwirkt.

Magazinrundschau vom 29.06.2010 - Das Magazin

Miklos Gimes schickt eine umfassende Reportage aus Ungarn. Auf seiner Reise sieht er fast nur Lähmung und Identitätskrise. Und die Politiker mit denen er spricht, tragen ihren Teil dazu bei: Vizepräsident und Jobbik-Vorsitzender Elöd Novak ("Um den Holocaust wird zu viel Aufhebens gemacht") will sich erst mal der "Zigeunerfrage" annehmen, Orbanberater Zoltan Balogh spricht über Pläne, Wiederholungsstraftäter beim dritten Mal lebenslänglich ins Gefängnis zu stecken - ("Aber zuerst stecken wir mal ein paar Sozis ins Gefängnis") und der desillusionierte Sozialist Ferenc Gyurcsany ("Kein Land in Europa hat solche Scheiße gebaut wie wir. Wir haben die letzten anderthalb Jahre nur gelogen") liest Sozialpsychologie-Bücher, um sich die Niederlage zu erklären und sich auf "acht bis zehn Jahre Opposition" einzustellen. Die derzeitigen Zustände erinnern Gimes an die vierziger Jahre: "Abgründe werden auf einmal sichtbar, die ich vorher nicht wahrgenommen habe, als hätte das Eis des Kalten Krieges sie zugedeckt. Roma werden in ungarischen Dörfern angegriffen. Erschossen, meist im Schlaf. Und am Fernsehen sieht man Männer, die in schwarzen Uniformen durch die Strassen marschieren, wie einst die ungarischen Nazis, als sie die Roma deportierten. Man sieht, wie ein bekannter jüdischer Journalist an einer Kundgebung vor dem Parlament angepöbelt wird. 'Hängt ihn auf!', rufen die Leute, 'in den Güterwagen mit ihm!', schreit eine ältere Frau in die Fernsehkameras."
Stichwörter: Gimes, Roma, Identitätskrise

Magazinrundschau vom 13.07.2010 - Das Magazin

Tja, da hat man sich mit harter Arbeiter nach oben gekämpft, wurde Mediziner, Jurist, Unternehmer. Hat seinem Kind alle Möglichkeiten geboten. Und was will es werden? Stewardess. Rico Czerwinski erzählt in einer Reportage von Akademikerkindern, die nicht den Weg ihrer Eltern gehen wollen. Zum Beispiel Daniel, Sohn eines Rechtsanwalts, der nicht studiert hat, sondern Bauer wurde. "Auf seinem Bauernhof nimmt Daniel im letzten Abendlicht einen Wasserschlauch in die Hand, reinigt das Pflaster. Ein Fest soll morgen für Freunde und die Familie stattfinden. Doch sein Vater findet: 'Keinen Tag kann ich dort sein. Die nerven mich alle.' Auch seine älteste Tochter Lea meint, schwierig sei es, über die Jahre wirklich engen Kontakt mit dieser so anders funktionierenden Welt zu erhalten. 'Daniels Familie macht einfach vieles anders. Sie erziehen ihre Kinder anders. Sie ernähren sich teilweise anders. Leichten Herzens habe ich meine eigenen Kinder, als sie noch klein waren, nicht am Wochenende zu denen von Daniel gegeben. Wissen Sie, wie oft sie dort TV schauen? Und welche Programme? Und dazu Discounter-Süßkram. Kürzlich brach sich Daniels Ältester ein Bein. Bei einem Kickbox-Training! Der Junge ist 11!'"

Magazinrundschau vom 01.06.2010 - Das Magazin

In Paris herrscht Aufbruchsstimmung, schreiben Daniel Binswanger und Finn Canonica, gespeist aus dem Gefühl, dass das angloamerikanische Modell versagt hat. Jetzt fühlen sich alle unheimlich inspiriert. Das merkt man sogar im Palais Royal. "Wo früher in staubdunklen Läden zwischen Louis-XVI.-Mobiliar verkauft wurde, bieten die Schuh- und Parfümgötter Pierre Hardy und Serge Lutens Luxus in einer 21.-Jahrhundert-Variante. Neben einem Laden mit nostalgischem Holzspielzeug für Mütter über 35 schneidert ein Amerikaner in Paris namens Rick Owens Kleider, welche die Mutterschaftsaussichten für Frauen unter 35 erhöhen dürften. Man hört sich um, schaut, notiert und trifft unter den Arkaden auf Stephane, einen Pariser mit hoher Lispelstimme, der acht Jahre in Japan gelebt hat. Zuvor in New York. Davor in London. 'Paris ist in den letzten zwei Jahren einfach in der Gegenwart angekommen', sagt er. Das tue der Stadt gut."

Und: Eugen Sorg hat den 1976 gebauten südafrikanischen Ponte Tower besucht, ein Mietshaus, das einst als höchstes und modernstes Gebäude der südlichen Hemisphäre galt und fast nur von Weißen bewohnt war. Sein Baumeister Rodney Grosskopff nannte es: "my big erection". Heute leben dort Afrikaner aus allen Nationen und das Miteinander ist prekär, wie Sorg erfährt.

Magazinrundschau vom 27.04.2010 - Das Magazin

"Grundsätzlich scheint mir, dass im Zusammenleben eine natürliche Selbstverständlichkeit verloren gegangen ist", meint der Psychoanalytiker Jürg Acklin in einem Interview über Pädophilie, Zölibat und die Veränderung der Sexualmoral seit 1968: "In Sachen Sexualität kommt mir die heutige Gesellschaft vor wie eine 4-Zimmer-Wohnung. In zwei Zimmern sitzen die Evangelikalen, in den anderen zwei wird ein Pornofilm gedreht. Oder anders gesagt: Heute darf man seinen Hund heiraten, aber keine Kinder streicheln. In dieser Situation kommt es immer wieder zu Überreaktionen, wo ein Säuberungsenthusiasmus entsteht. Im Verbietendürfen ist etwas Triebhaftes, und der Genuss liegt dann im Bestrafen."

Magazinrundschau vom 30.03.2010 - Das Magazin

Die französische Philosophin Elisabeth Badinter hat gerade ein heftig umstrittenes Buch über Frauen und Mütter veröffentlicht. Darin wehrt sie sich gegen die jetzt auch in Frankreich um sich greifende Tendenz, die Mutterliebe zu heiligen. Um die Situation heute zu verstehen, lohnt es sich, erklärt sie Daniel Binswanger, den Wandel des Mutter-Begriffs im 18. Jahrhundert zu betrachten. "'In den Sechzigerjahren des 18. Jahrhunderts ist etwas geschehen, das sich mit der heutigen Entwicklung vergleichen lässt', sagt Badinter. 'Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde das Stillen des eigenen Babys von einem gesellschaftlichen Tabu zu einer moralischen Pflicht. Am Ende dieser Entwicklung stand die bürgerliche Ehe des 19. Jahrhunderts, das heißt eine Institution, die den Frauen das Gegenteil von Befreiung brachte. Da darf man sich schon fragen, ob die aggressive Propagierung der Stillpflicht, die wir heute erleben, nicht von Neuem die Rechtlosigkeit der Frauen fördern wird.'"

Außerdem: Finn Canonica und David Iselin beschreiben die Vor- und Nachteile der perfektionierten japanischen Dienstleistungsgesellschaft.

Magazinrundschau vom 09.03.2010 - Das Magazin

Der Schweizer Philosoph Ludwig Hasler denkt darüber nach, warum die Eliten heute so häufig versagen. Das meint er, hat auch damit zu tun, dass die Schweizer generell mit Eliten nichts am Hut haben und bei ihrem Führungspersonal das Mittelmaß lieben - vorausgesetzt, es gibt keine Krise. "Im Prinzip wollen wir ganz normale Menschen am Ruder - sobald wir in Strudel geraten, erwarten wir Übermenschen. Magistraten, die alles im Auge haben, jedes Übel von Weitem riechen, jeden gordischen Knoten zerhauen, Großmächte resolut zur Räson bringen; gleichzeitig ministrantenhaft den Hohepriester 'Volk' hofieren. Der Mix, als literarische Figur vielleicht interessant, ist real zum Vergessen."

Magazinrundschau vom 26.01.2010 - Das Magazin

In der Schweiz haben sich die Amokdrohungen von Schülern 2009 im Vergleich zu 2008 verdoppelt, berichtet Rico Czerwinski in einer Reportage. Interessant ist, dass sich viele dieser "Droher" nicht als Täter, sondern als Opfer begreifen. Und ihre Eltern sehen das oft genauso. Als der St. Gallener Bedrohungspsychologe Hermann Blöchlinger die Mutter eines 14jährigen Jungen trifft, der in einem Chat gedroht hatte, seine Mitschülerin zu erschießen, "beschuldigt sie ihn, Hermann Blöchlinger. Er bedrohe die Zukunft ihres Sohnes. Einsicht in eigene Schuld oder ins Fehlverhalten ihres Sohnes zeigt Frau H. nicht. Sie rückt stattdessen die Schuld anderer in den Vordergrund. Natürlich habe es Konflikte gegeben, natürlich habe sich Michi wehren müssen, die anderen hätten ihn ja immer geplagt, gemobbt, schließlich hätten ihn sogar die Lehrer von der Schule verwiesen. Und ernst zu nehmen sei diese Drohung ja nicht. 'Die Mutter verstand nicht, dass solche Drohungen Konsequenzen haben müssten. Sie schien auch die Wirkung solcher Drohungen auf andere nicht zu verstehen. Mir fällt einfach auf, dass vielen dieser Drohungen typische Charakterzüge zugrunde liegen, die interessanterweise auch oft bei den Eltern anzutreffen sind', sagt Hermann Blöchlinger."

Und: Georg Diez porträtiert die 17jährige Helene Hegemann, die gerade mit ihrem Roman "Axolotl Roadkill" Furore macht.