Magazinrundschau
Genozid böse, China trifft Mitschuld
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
01.04.2008. In den Blättern nimmt Jürgen Habermas Stellung zu der vom Perlentaucher und signandsight.com lancierten Debatte über Islam in Europa. Der Merkur belegt, dass Adorno Hoffnungen in die Nazis setzte, die leider auch enttäuscht wurden. In La vie des idees feiert der Philosoph Philippe Lacour den wahren DJ des digitalen Wissens. In Literaturen bespricht Micha Brumlik die neue Carl-Schmitt-Biografie von Christian Linder. Nepszabadsag fühlt dem bewusstlosen Körper Ungarns den Puls. In Edge.org erklärt der Evolutionsbiologe Iain Couzin, warum die Mormonengrille ihre Artgenossen gern ins Hinterteil beißt. New Republic präsentiert im Titelbild den Wunschkandidaten der Demokraten.
Blätter f. dt. u. int. Politik (Deutschland), 01.04.2008

Merkur (Deutschland), 01.04.2008

Weitere Artikel: Burkhard Müller schreibt über Kafkas Fabeln. Ulrike Ackermann betrachtet ungläubig die Debatte zum Islam in Europa und wundert sich, "wie weitreichend die westlichen Selbstzweifel inzwischen gediehen sind". Hans Ulrich Gumbrecht arbeitet in der offenbar letzten Folge seiner Americana-Reihe am Godfather-Mythos.
Wired (USA), 16.04.2008

Dies übrigens Kurzweils Formel für die Beschleunigung des Wachstums von Weltwissen, das diese Fortschritte möglich machen wird:

New York Review of Books (USA), 17.04.2008

Weitere Artikel: Fassunglos konstatiert Raymond Bonner, dass es fast sieben Jahre gedauert hat, um sechs Guantanamo-Gefangene, darunter Khalid Scheich Mohammed und Ramzi Binalshibh, für die Anschläge vom 11. September vor Gericht zu bringen. 240 weitere Gefangene bleiben für ungewisse Zeit und aus ungewissen Gründen in Haft. Elizabeth Drew staunt über Hillary Clintons Fähigkeiten, im Wahlkampf gegen Barack Obama aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Besprochen werden die erste Ausstellung zu Nicolas Poussin als Landschaftsmaler seit dreihundert Jahren im New Yorker Metropolitan Museum, Joseph E. Stiglitz sehr "sozialdemokratisches" Buch "Making Globalization Work", die Edition von John Steinbecks Werken in der Library of America sowie die Herausgabe von Hart Cranes Gedichten ebenda.
La vie des idees (Frankreich), 28.03.2008
In einem kundig recherchierten und fußnotenreichen Artikel untersucht der Philosoph Philippe Lacour die Rolle der wissenschaftlichen Bewertung bei Wikipedia. Die Entwicklung der Internet-Enzyklopädie bejahe eine Logik der Fragmentierung und Wiederzusammensetzung von Wissen und digitalen Inhalten, die zweifellos eine neue Form des intellektuellen Lebens ankündige. "Deshalb ist die Enzyklopädie Wikipedia als solche weniger bedeutsam als die Prinzipien, die sie veranschaulicht: simultane Bearbeitung, einfache Sprache, Modellierbarkeit und Weiterentwickelbarkeit des produzierten Objekts. (...) Trotz der Banalität vieler spontaner virtueller Erzeugnisse im Netz begreift man die Originalität der hier entstehenden Figur des Intellektuellen: zugleich kritisch und engagiert (Sartre), spezifisch (Foucault), kollektiv (Bourdieu) und virtuell - ein wahrer DJ des digitalen Wissens."
Economist (UK), 28.03.2008

Besprochen werden eine Marie-Antoinette-Ausstellung im Pariser Grand Palais und Bücher, darunter sehr unterschiedliche Diagnosen zur Geopolitik von Parag Khanna und Robert Kagan sowie Salman Rushdies neuer Roman "The Enchantress of Florence", der den Rezensenten auf hohem Niveau enttäuscht hat. Außerdem ein ausführlicher Nachruf auf den Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke.
Literaturen (Deutschland), 01.04.2008

Weitere Artikel: Rene Aguiah hat Richard Sennetts neues Buch "Handwerk gelesen und den Autor außerdem zum Gespräch getroffen. In seiner "Kriminal"-Kolumne schreibt Franz Schuh über Virginie Bracs Krimi "Du hast ein dunkles Lied mit meinem Blut geschrieben", an dem ihm zunächst vor allem dieser eine Satz gefiel: "Im Interventionszentrum herrscht Weltuntergangsstimmung." Mitten aus London informiert David Flusfeder über eine enorme Erhöhung des Mitgliedsbeitrags der London Library. Aram Lintzels "Netzkarte" widmet sich diesmal seltsamen Seniorenseiten. Und John von Düffel liest - nicht zum ersten Mal - Hamlet.
Besprochen werden darüber hinaus Clemens Meyers Stories "Die Nacht, die Lichter" und Hörbuchversionen von Joseph Conrads "Herz der Finsternis" und Joseph Roths "Radetzkymarsch".
Spectator (UK), 28.03.2008

Rod Liddle behauptet: "Ich weiß, warum die Regierung Homosexuelle in den Iran zurückschicken will, damit sie dort gehängt werden."
Nepszabadsag (Ungarn), 22.03.2008

Der Schriftsteller György Konrad antwortet dem Historiker Arpad Pünkösti auf die Frage, ob er etwas bereut habe im Leben: "Nicht Worte oder Taten, aber verschiedenartige Versäumnisse. Schreiben bedeutet auch Isolation, man zieht sich auch von den Menschen zurück, die einem nahe stehen. Grundsätzliche Entscheidungen bereue ich nicht. Ich habe aber blöden politischen Themen wie Zensur und Diktatur oder dem neonazistischen Unsinn von heute zu viel Zeit gewährt. Ich habe versucht zu verstehen, worum es da geht. Aus einer zivilen, intellektuellen Selbstverteidigung heraus habe ich mit Binsenwahrheiten gerungen."
New Statesman (UK), 27.03.2008

In einem weiteren Artikel untersucht Sholto Byrnes die Biografie des Mannes, dessen Urgroßvater Ali Kemal der letzte Innenminister des Ottomanischen Reichs und dessen Ur-Urgroßmutter möglicherweise eine tscherkessische Sklavin war.
Die darstellende Kunst in China wird stagnieren, meint der chinesische Schriftsteller Xiaolu Guo nach einem Besuch der Ausstellung "China Design Now" im Londoner Victoria and Albert Museum, solange der Sozialismus verdrängt und der Konsumismus umarmt wird. "'Unschuldige' Menschen behaupten immer, Kunst könne und solle unbeeinflusst sein von den Schatten der Politik und der Geschichte. Aber als ich vor den Video-Clips von Wong Kar-wais Film 'In the Mood for Love' stand, die ebenfalls in der Ausstellung gezeigt wurden, erschien es mir, als sei die wichtigste Aussage des Films Maggie Cheungs exotisches 'qipao'-Kleid. Ich ging weiter, ließ den melancholischen Soundtrack des Films hinter mir und fragte mich: Kann hier und jetzt kommerzielle Werbung die Hauptkunst einer ganzen Nation werden? Wenn ja, dann ist China diese Nation."
Caffe Europa (Italien), 13.03.2008
1886 erschien Edmondo de Amicis Jugendroman "Cuore", das Tagebuch eines Zehnjährigen zur Zeit der italienischen Einigung. De Amici wurde berühmt und gilt seither in Italien als konservativer "Vater des Vaterlandes". Zu Unrecht, meint David Bidussa. Denn in seinen späteren Jahren habe sich der erfolglose Militär und gefeierte Schriftsteller zum Sozialisten gewandelt: "Im kollektiven Gedächtnis ist De Amicis als Vertreter eines Italiens der Traditionen eingegraben. Aber das war er überhaupt nicht, eher im Gegenteil. Er war ein Sozialist und Freund von Filippo Turati, auch in den Monaten nach der Haft nach Bava Beccarsis Gemetzel von Mailand im Mai 1898 (die Reaktion auf den 'Aufruhr des Magens'), als viele sich von der Bewegung distanzierten. Er war Mitarbeiter der 'Critica sociale' und der 'La Lotta di Classe", in den Jahren in denen die sozialistische Partei immer noch als gefährlich betrachtet wurde."
Edge.org (USA), 13.03.2008
Der Evolutionsbiologe Iain Couzin berichtet über seine Forschungen zu kollektivem Verhalten bei Ameisen und anderen Insekten. Oft führen sehr einfache Verhaltens-Algorithmen zu scheinbar komplexen Kollektivbewegungen, wie Couzain am Beispiel der Mormonengrille ausführt: "Bei Protein- oder Salzmangel versucht jedes Individuum zur Kompensation die anderen Individuen aufzufressen... Sobald ihnen also diese lebenswichtigen Nährstoffe fehlen, beginnen sie die anderen Grillen zu beißen... Das eine Körperteil, das sie nicht verteidigen können, ist das Hinterteil und deshalb tendieren sie dazu, vor allem dorthin zu beißen. Wenn sie also andere sich in Beißabsicht nähern sehen, dann bewegen sie sich verständlicherweise weg von ihnen. Umgekehrt führt dieses Bedürfnis dazu, dass man sich von sich entfernenden Grillen angezogen fühlt und ihnen deshalb folgt. Es ist dieser simple Algorithmus, der dazu führt, dass sich der ganze Schwarm als Kollektiv in Bewegung setzt."
Weltwoche (Schweiz), 31.03.2008

New Republic (USA), 09.04.2008

Semana (Kolumbien), 15.03.2008

Hector Abad ruft seinerseits das Militär zu Besonnenheit und Mäßigung auf: "Unsere schlimmsten Feinde sind trotzdem Menschen: Indem wir sie als solche behandeln und nicht wie Tiere, unterscheiden wir uns von ihnen; andernfalls werden wir zu ebenso primitiven und blutigen Mördern wie sie. Wenn wir uns so benehmen wie die Guerrilleros, verlieren wir die moralische und legale Autorität, die wir für uns in Anspruch nehmen."
Und der Musiker Juanes, der innerhalb einer Woche ein riesiges Friedenkonzert an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze auf die Beine stellte, verortet sich im Interview politisch "im extremen Zentrum. Allerdings glaube ich tatsächlich, dass in diesem historischen Moment Uribe der richtige Präsident für Kolumbien ist."
New York Times (USA), 30.03.2008
