Magazinrundschau

Schokolade, Bier und Waffeln

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
22.03.2011. In OpenDemocracy ermuntert Shirin Ebadi die ägyptischen Frauen: Keine Demokratie ohne Frauenrechte. Prospect staunt über die rasante Nachkriegsentwicklung Georgiens unter dem schillerndenMicheil Saakaschwili.  In Salon.eu.sk grüßt Viktor Jerofejew Diktatoren - besonders in Weißrussland. Hat Hollywood eine Zukunft?, fragt der Economist . In Polityka lobt Jan Tomasz Gross die Polen, die anders als ihre osteuropäischen Nachbarn über ihre Vergangenheit streiten. Die Ungarn streiten weiter über das Ungarn-Bild im Ausland. Das New York Times Magazine schldert das Dilemma eines friedlichen Fundamentalisten

Open Democracy (UK), 21.03.2011

Die iranische Friedensnobelpreisträgerin und Rechtsanwältin Shirin Ebadi ermuntert im Interview die Frauen in Tunesien und noch mehr in Ägypten - wo sie stärker unterdrückt werden - sich für ihre Rechte einzusetzen. Sie dürften es nicht zulassen, dass man sie zwingt, zwischen ihren Rechten und dem Islam zu wählen. Der Iran habe gezeigt, wo das hinführt. Und eines Tages würden auch Männer mit ihnen demonstrieren, wie im Iran. "Ich hatte einige männliche Mandanten, die zu Frauendemonstrationen gingen und deshalb verhaftet und ins Gefängnis gesperrt wurden. Der Kampf für Frauenrechte und für Demokratie verläuft parallel. Es sind zwei Seiten einer Medaille. Und Frauen, die für Gleichheit kämpfen, sind Teil des Gewebes der Demokratie. Iranische Männer haben das verstanden. Sie wissen, dass der Sieg der Frauenrechte der Beginn der Demokratie ist."

Der Fernsehjournalist Andrei Loshak beschreibt an einem ganz banalen Fall das russische Justizsystem - in diesem Fall das Moskauer unter dem Vorsitz von Olga Yegorova - als Alptraum. Es geht um einen Streit in einem Taxi, der mit eingeschlagenen Scheiben und einer blutigen Nase endete. Die Kontrahenten hatten sich nach einer Nacht im Gefängnis beruhigt und nicht viel vorzuwerfen. Die Justiz sah das anders. "Anwälte sagen, in Russland verhaftet zu werden, sei mehr oder weniger dasselbe wie verurteilt zu werden. Das läuft so: Das Gericht akzeptiert 90 Prozent der Anträge auf Haftstrafen. Das heißt, eine Ablehnung gilt als ernsthafter Vorfall, der zu professionellen Kompetenz-Untersuchungen und Ermahnungen führt. Ein Urteil, das nach einer Verhaftung "Nicht schuldig" lautet, ist ein noch ernsterer Vorfall, denn es legt nahe, dass das Gericht einen Fehler gemacht und einen Unschuldigen ungerechterweise der Freiheit beraubt hat. Das ist ein Skandal. Der Unschuldige wird Entschädigung fordern. Wer braucht das? Darum ist das russische Rechtssystem Dantes Inferno."

Außerdem: In der Türkei ist die Zahl der Anschläge auf Frauen in den letzten sieben Jahren um 1400 Prozent gestiegen, berichtet Sertac Sehlikoglu. Der brutale Krieg in Tschetschenien hat dazu geführt, dass im Kaukasus islamische Fundamentalisten erst so richtig Oberwasser bekommen, schreibt Andrei Piontkovsky. Elena Strelnikova beschreibt die Geschichtsvergessenheit der Russen (ihr Artikel ist mit einem erstaunlichen Bild von Lenin im blaukarierten Schlafanzug mit Puschen bebildert!)
Archiv: Open Democracy

Eurozine (Österreich), 18.03.2011

Eine sehr interessante (im Original in Al-Qahira im Februar publizierte) Analyse der arabischen Umstürze legt der in Pittsburgh lehrende ägyptische Soziologe Mohammed Bamyeh vor, der selbst am Tahrir-Platz dabei war. Eine seiner Einsichten: Diese Revolution kam nicht aus den Zentrale, sondern gerade von den Rändern. "Schon in Tunesien begann die Revolution in Randbereichen und wanderte dann erst in die Hauptstadt. Von Tunesien aus, das selbst in der arabischen Welt eine eher randständige Position einnimmt, wanderte sie nach Ägypten. Natürlich ist die Situation, ökonomisch und vom Ausmaß der bürgerlichen Freiheiten her, in jedem arabischen Land anders, aber es hat mich verblüfft zu sehen, wie bewusst sich die ägyptische Jugend des tunesischen Beispiels war, das zwei Wochen Vorsprung hatte."

Außerdem in Eurozine: Der Kunsthistoriker Almantas Samalavicius beklagt die zunehmende Verschandelung des historischen Städtepanoramas von Vilnius durch Neubauten, die den sozialistischen Scheußlichkeiten kaum nachstehen (ursprünglich in Kulturos Barai, Dezember 2010). Und es werden einige Beiträge zu einem Kolloquium über die Wiederkehr der Nationalismen in Europa nachgedruckt (Editorial). Interessant ein Gespräch über den "Nationalismus 2.0" in Belgien, in dem der Autor David Van Reybrouck einen proflämischen Artikel Ian Burumas aus dem New Yorker (Abstract) verteidigt: "Auch wenn ich einige Aspekte der flämischen Bewegung ablehne, spüre ich doch Frustration, wenn ich Belgien immer wieder als surrealistisches kleines Land dargestellt sehe, in dem es gute Schokolade, Bier und Waffeln gibt. Und das Surrealistischste ist dann das Bild der Flamen, die angeblich alle Extremisten und Separatisten sind."
Archiv: Eurozine

Prospect (UK), 23.02.2011

David Goodhart berichtet von seiner jüngsten Reise in ein derzeit recht weit im Abseits der Weltaufmerksamkeit stehendes Land: Georgien. Dort tut sich, wie er versichert, Erstaunliches. Die Kämpfe mit Russland sind beigelegt, der international heftig umstrittene Präsident Micheil Saakaschwili legt ein gewaltiges Reformtempo vor: "Die junge Elite Georgiens hatte die Texte des ökonomischen und politischen Liberalismus studiert und glaubte, anders als wir blasierte Westler, noch an die Macht der Idee zur Veränderung der Gesellschaft. Das georgische Experiment hat auch Sympathisanten aus dem Ausland angezogen, etwa Raphael Glucksmann, den Sohn des Ex-Marxisten Andre Glucksmann. Und man kann die Faszination schon verstehen. Das ist ein Ort, an dem man Dinge umsetzen kann, seien es große Experimente wie die flat tax oder kleinere wie die Rekrutierung von 10.000 Englischlehrern aus dem Ausland (so dass Englisch statt Russisch nun die zweite Sprache Georgiens wird) oder die Verteilung von Gratis-Laptops an alle Schüler. Aber die Elite von Tiflis ist auch eine spannende Mischung aus Idealismus und Zynismus. Sie wissen, dass Politik in der Demokratie manchmal ein schmutziges Spiel ist und dass ihr Präsident es brillant beherrscht. Darin liegt auch ein Problem. Trotz seiner Leistungen wird Georgien von den offiziellen Stellen im Westen - Regierungen, NGOs etc - mit Argwohn betrachtet. Nach London zurückgekehrt, traf ich zufällig einen hochrangigen britischen Geheimdienstmann, der mich, als ich ihm von meiner Reise erzählte, nur mit hochgezogener Braue fragte: 'Na, haben Sie die volle Propaganda-Dosis bekommen?'"
Archiv: Prospect

Salon.eu.sk (Slowakei), 17.03.2011

Viktor Jerofejew gehört zu den Autoren, deren Namen man in Weißrussland nicht nennen darf. In einem sarkastischen kleinen Text grüßt er die Diktatoren und fragt, warum die Russen gegenüber dem Schicksal der Weißrussen so gleichgültig sind. Die Antwort gibt er gleich selbst: "In diesem Land haben wir kein Mitleid mit anderen. Europa, Amerika, die arabische Welt, alle regen sich auf über den Diktator Gaddafi, aber in diesem Land hörst du kaum einen Piep. Alle bleiben stumm. Offiziell spielt Moskau den Protest nur herunter und beschwört das Gespenst der Islamisierung oder gar der orangen Revolution. Hier liegt die Wasserscheide. Gaddafi verdient keinen Tadel."
Archiv: Salon.eu.sk

New Republic (USA), 14.03.2011

In seiner Besprechung von Stefan Collinis Buch "That's Offensive! Criticism, Identity, Respect" hält Isaac Chotiner fest, wie schwierig es ist, mit Deutschen zu diskutieren: Ein Frankfurter Bäcker hielt ihm einen Vortrag über die miese Bush-Regierung, wies aber jede Kritik an Gerhard Schröders Engagement für Gasprom zurück. "Deutschland ist kein sich abstrampelndes Land, aber es hat nicht Amerikas Macht und Bedeutung, und Kritik wird zu oft akzeptiert, wenn es gegen die 'Mächtigen' geht und als beleidigend empfunden, wenn es gegen die 'Schwächeren' geht. Das ist natürlich ein positives Zeichen dafür, dass die Menschen sensibel sind gegenüber den weniger Glücklichen, aber es ist auch eine Gefahr für hemmungslose intellektuelle Untersuchungen." Und vor allem ist es eine gute Methode, gefahrlos den Moralapostel zu spielen!
Archiv: New Republic
Stichwörter: Schröder, Gerhard

Economist (UK), 19.03.2011

Hollywood ist (nicht nur) in den USA in schwerer Bedrängnis, da der Homevideo-Markt der Blu-Ray zum Trotz immer weiter einbricht. Das zentrale Problem ist nicht einmal die Piraterie, gefährlicher sind die Billigverleiher von den Walmart-Kiosken und der Postverleih- und Streaming-Riese Netflix. Die Studios werden, wie der Economist berichtet, nun versuchen, den Verkauf auf allen möglichen Kanälen selbst in die Hand zu nehmen - mit diesem Modell: "Kauf einen Film, sei es als Download oder als Blu-Ray mit Digitalrechten, und ein Gutschein wird auf dem Konto deponiert. Theoretisch könnte man den Film dann entweder über die Set-Top-Box auf dem Fernseher sehen, ihn auf den Laptop oder das Smartphone laden und vielleicht eine weitere Kopie auf DVD brennen. Der Kauf eines Films soll damit einladender werden als das Leihen oder der illegale Download. Diese Methode hätte potenziell einen weiteren Vorteil: Die Studios könnten ihre Filme zielgruppengenauer vermarkten. (...) Im Moment wissen sie über die individuellen Geschmäcker nicht nur weniger als Firmen wie Netflix oder Amazon. Wahrscheinlich wissen sie sogar weniger als ein Shampoo-Hersteller. Wenn die Menschen aber Filme runterladen, hinterlassen sie Hinweise auf ihren Geschmack - Hinweise, die dann in Datenbanken eingegeben werden können und es sehr viel einfacher machen, das mögliche Zielpublikum für den nächsten Film präziser anzuvisieren."
Archiv: Economist

Polityka (Polen), 21.03.2011

Im Interview mit Agnieszka Hreczuk erklärt der - seit seiner Vertreibung aus Polen 1969 - in den USA lebende Historiker Jan T. Gross unter anderem, warum er nicht aufhört, über die polnische Kollaboration mit den Nazis zu forschen ("meine Kinder sprechen polnisch, ich fühle mich als Pole"). Und dass es ihm nicht darum gehe, polnische und deutsche Verbrechen auf eine Stufe zu stellen: "Jeder, der einen Funken Verstand besitzt und einige historische Kenntnisse, weiß, dass die Vernichtung der Juden ein Projekt war, das die Deutschen in Europa betrieben und die Nazis realisiert haben. Dass viele Menschen der örtlichen Bevölkerung einbezogen wurden, das ist eine historische Tatsache. Dies waren dramatische Vorgänge und deshalb wurden sie so lange verschwiegen. Aber diese Geschichte hat sich nicht nur in Polen ereignet, sondern auch in anderen Ländern. Polen ist eher etwas Besonderes, weil es eine solch intensive und offene Diskussion führt. Sehen wir nur nach Rumänien, Ukraine und Ungarn, wo sich die Dinge ähnlich zugetragen haben, oft sogar noch schlimmer als in Polen. Dort ist das Thema bis heute tabu. Dort fehlt jegliche Diskussion."

In der Polityka auf Deutsch ist eine Polemik von Jacek Zakowski gegen die polnische Bürokratie zu lesen.
Archiv: Polityka

Magyar Narancs (Ungarn), 10.03.2011

"Die gute Absicht ist irgendwie danebengegangen, da stimme ich zu, aber es gibt keinen Grund, die Aufrichtigkeit der Absicht in Frage zu stellen", sagt Zoltan Kocsis, Leiter der ungarischen Philharmoniker, im Hinblick auf sein Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 15. Februar. Darin hatte er die Kritik an der ungarischen Regierung als zum Teil überzogen kritisiert und sein Unverständnis gegenüber manchem Regierungskritiker geäußert - und damit eine heftige Debatte in Ungarn ausgelöst (mehr dazu hier). Im Interview mit György Vari von der liberalen Wochenzeitung Magyar Narancs bezieht Kocsis nun Stellung zu seinen Äußerungen und erklärt die Missverständnisse mit möglicherweise unglücklichen Formulierungen (das Interview wurde in englischer Sprache geführt): "Ich hielt es für wichtig, auf überzogene Äußerungen und Interviews zu reagieren, ich wollte nicht noch einen oben drauf legen. Diese Interviews stellen Ungarn als ein Land dar, in dem das einzige große Problem im Ausmaß von Rassismus, Homophobie und Irredentismus besteht. Im Interview versuchte ich im Namen der nüchternen ungarischen Bürger zu sprechen und sagte, dass es Antisemitismus und Rassismus im Land durchaus gebe, aber in einem ähnlichen Ausmaß, wie auch in anderen Ländern. Dass jedoch im Ausland ein einseitiges, vereinfachendes Bild von Ungarn gezeichnet wird, dass man über die hiesige Situation falsche Informationen ausgibt, kann ich auf keinen Fall akzeptieren. Daher habe ich, wie ich finde, das Land zu verteidigen versucht. Es gibt durchaus Probleme, aber nicht allein jener Art, wie sie - um nur bei meinen Kollegen zu bleiben - zumeist von Adam Fischer und Andras Schiff angeprangert werden. Ungarn hatte in den vergangenen zwanzig Jahren die Chance, einen Gebrauch von der Demokratie zu machen, aber es hat sie missbraucht, besser gesagt, sie wurde von der Politik missbraucht. Die Parteien zerrten an beiden Enden des Karrens und zeigten jeweils mit dem Finger auf die anderen, diese würden den Karren rückwärts, sie selbst aber vorwärts ziehen. Das ist es, was bereits seit zwanzig Jahren stattfindet und meiner Meinung nach ist es das, was die Wähler satt hatten. Die große Mehrheit votierte dafür, dass der Karren sich endlich in irgendeine Richtung in Bewegung setzt. Möglicherweise erlebt die Linke dies als ein Scheitern, aber das Volk hat sich auf diese Weise gegen Uneinigkeit und Stagnation zu Wort gemeldet."
Archiv: Magyar Narancs

Elet es Irodalom (Ungarn), 18.03.2011

Um jedwede Missverständnisse im Vorfeld abzuwehren, gibt der Schriftsteller Peter Esterhazy, dem ebenfalls ein Interview mit einer ausländischen Zeitung bevorsteht, schon mal eine vorsorgliche Erklärung ab: "Würde es mir doch gelingen, verständlich zu erklären, was das Fürchterliche, das Gefährliche und das Notwendige an diesem Mediengesetz ist und an allem was damit zusammenhängt, so wäre das wunderbar und meine Loyalität sowie mein konstruktiver Ansatz deutlich erkennbar; wenn mir das aber, wie ich befürchte, doch nicht gelingt (ich könnte zum Beispiel auch erschrecken, das wäre sehr menschlich), dann tritt die Erklärung in Kraft, diese hier, die die Loyalität und die gute Absicht in Person ist."
Stichwörter: Esterhazy, Peter

New Yorker (USA), 28.03.2011

Evan Osnos schickt einen Brief aus Japan, der eher atmosphärisch als informativ ist, aber doch bestätigt, was der Philosoph Kenichi Mishima gestern in der Frankfurter Rundschau erklärte: Regierung und Atomindustrie sind eng miteinander verflochten. Im Gespräch mit Osnos vergleicht Tetsuo Jimbo, ein Internet-Fernsehreporter, die japanische Atomindustrie mit der amerikanischen Militärindustrie. "'Es ist eine riesige Industrie, die aus einigen großen Firmen besteht. Das heißt, es gibt einen Kreis von Industrieführern und Behörden, die versuchen, das japanische Nuklearprogramm zu beschützen und zu propagieren.' Die beiden wichtigsten Player seien das Wirtschaftsministerium und die Tokyo Electric Power Company (TEPCO), mit Bürokraten in dem einen, die auf Posten nach ihrer Pensionierung in der anderen vertrauen. Alles in der Tradition, die amakudari genannt wird. 'Die Leute nennen sie die Atommafia', sagt Jimbo. 'Sie neigen dazu, Informationen zu verstecken und zu verdrehen. Man kann das verstehen."

Was macht einen echten Entrepreneur aus? Nicht Moral, stellt Malcolm Gladwell bei der Lektüre von Ruth Brandons Buch "Ugly Beauty" über Helena Rubinstein und Eugene Schueller fest. Letzterer war ein Chemieprofessor, als er sich entschied, ins Schönheitsgeschäft einzusteigen und eine Firma zu gründen, die er L'Oreal nannte. Während des Krieges unterstützte er die faschistische Terrortruppe La Cagoule von Eugene Deloncle, um dann genau zum richtigen Zeitpunkt, Ende 1942, zur Resistance überzuschwenken. Nach dem Krieg wurde er wegen Kollaboration angeklagt, aber freigesprochen, weil der ehemalige Faschist und spätere Resistant Pierre de Benouville für ihn gutsagte: "Wie sich später herausstellte, kannte Benouville ihn kaum. Offenbar tat er drei Freunden einen Gefallen: "Francois Dalle, der L'Oreal nach Schuellers Tod führte, Andre Bettencourt, der Schuellers Tochter heiratete und einer der reichsten Männer der Welt wurde, und Francois Mitterand, der in den letzten Tagen des Krieges für L'Oreal arbeitete und Präsident von Frankreich wurde." Alle drei waren Mitglieder oder hatten zumindest enge Verbindungen zu Deloncles La Cagoule wie später zur Resistance. Tatsächlich wird es noch spannender...

Außerdem: Hilton Als schreibt über die Frauen in James M. Cains Romanen und vor allem über "Mildred Pierce", die gerade in einer Miniserie von Kate Winslet gespielt wird.
Archiv: New Yorker

Point (Frankreich), 17.03.2011

Milan Kundera zieht in die illustre Buchreihe Bibliotheque de la Pleiade ein, am Donnerstag erscheint dort sein Werk in zwei Bänden. Jean-Paul Enthoven schreibt dazu: "Alles daran ist in Ordnung, wohlgekämmt, akribisch gebannt auf eine Ewigkeit biblischen Papiers. Es ist ein Mausoleum. Oder besser: eine Pleiade. In diesem Fall 3000 Seiten in Chagrinleder. Und im Fall von Milan Kundera, der so lange im Exil lebte, entspricht das einer endgültigen Aufenthaltsbescheinigung, die dennoch gemischte Gefühle in ihm hervorrufen könnte: Soll er sich über diese offenkundige Weihe freuen? Oder im Gegenteil aufstöhnen angesichts der bevorstehenden Dämmerung, die man ihm bescheinigt? Der Autor von 'Die Unsterblichkeit' zögert: Welches Vergnügen kann es bereiten, im Grunde genommen seiner eigenen Beerdigung beizuwohnen?"
Archiv: Point

New York Review of Books (USA), 07.04.2011

Von den Ereignissen überholt, aber als Hintergrund sehr interessant ist Nicolas Pelhams Artikel über Libyen, der sehr gut die jahrzehntelange Vernachlässigung der östlichen Regionen schildert und den Zusammenbruch aller staatlichen Strukturen. "Aber auch ein schneller Sturz Gaddafis wird keine Stabilität garantieren. Die Aufteilung der Beute wird bald beginnen müssen. Früher beherrschte sie der starke Mann, aber bei einer stärker auf Konsens ausgerichteten Politik wird jede Fraktion ihren Anteil haben wollen: Ölarbeiter werden Gewerkschaften gründen, die Armee wird ihre Belohnung für den Seitenwechsel haben wollen, und die Stämme wollen Abgaben für die Nutzung ihres Landes für die Ölbohrungen. Sie alle wollen einen größeren Anteil am Reichtum, den Gaddafi bis dahin für sich selbst behalten und seine Verbündeten behielt. Wenn eine Klientel unzufrieden ist, wird die zentrale Regierung wahrscheinlich nicht verhindern können, dass sie zur Gewalt greifen, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Auch dank der geplünderten Waffendepots."

Julian Barnes schreibt sehr beeindruckt über Joyce Carol Oates Buch "A Widow?s Story", in dem sie - ganz ähnlich wie vor einigen Jahren Joan Didion - den Tod ihres Mannes aufarbeitet. Frappierende Ähnlichkeiten bemerkt Barnes: "Beide literarische Paare waren sich sehr nahe, nie in Konkurrenz, sie arbeiteten oft im gleichen Raum und selten voneinander entfernt: Im Falle von Joan Didion und Gregory Dunne für 'eine Woche oder zwei oder drei hier und da, wenn einer von uns an einem Buch saß'. Im Falle von Joyce Carol Oates und Raymond Smith nie länger als einen Tag oder zwei. Didion realisierte nach Dunnes Tod, dass 'ich keine Briefe von John hatte, nicht einen einzigen' (sie sagt nicht, ober er welche von ihr hatte). Oates und Smith dagegen hatten 'überhaupt keine Korrespondenz. Nicht ein einziges Mal hatten wir einander geschrieben.'"

Außerdem: "Reader, put it down." Einen Verriss, wie Garry Wills ihn "All Things Shining: Reading the Western Classics to Find Meaning in a Secular Age" von Hubert Dreyfus und Sean Dorrance Kelly beschert, hat man in der NYRB selten gelesen. Steve Coll bespricht Tim Wus "Master Switch" und Evgeny Morozovs "Net Delusion". Und der norwegische Außenminister Jonas Gahr Störe schreibt über Afghanistan.

HVG (Ungarn), 12.03.2011

Kürzlich wurde im ungarischen Parlament eine Gesetzesvorlage zum Rauchverbot in geschlossenen Räumen - in der Gastronomie, Veranstaltungsorten und am Arbeitsplatz - eingebracht. Der Publizist und Rechtsanwalt Gabor Gado bemängelt, dass das strikte Verbot keinen Raum für Ausnahmen und Abwägungen zulässt: "In der versäumten (aber noch nachholbaren) gesellschaftlichen Debatte müssten wir klären, ob es eine rechtliche Lösung gibt, mit der die Rechte der Personen im unmittelbaren Umfeld des Rauchers auf eine Weise gesichert werden können, die für den Raucher weniger lästig und damit angemessener ist. [...] Ein Verbot, das ein Abwägen nicht kennt, erweckt den Eindruck, dass die Bürger vom Gesetzgeber als Minderjährige angesehen werden, als Kinder, die man mit rationalen Argumenten ohnehin nicht davon überzeugen kann, ihre Lebensweise zu ändern. Der Staat kann, sofern er die Rolle des allwissenden Erwachsenen spielt, einen deutlichen Imageverlust erleiden, denn jene Entzugserscheinungen, die die Beschneidung der Freiheitsrechte begleiten, sind weitaus ernsthafter als die Nikotinabhängigkeit. "
Archiv: HVG

New York Times (USA), 19.03.2011

Pulitzer-Preisträgerin Andrea Elliott hat eines jener unendlich langen und um Gerechtigkeit bemühten Porträts geschrieben, in denen man mit einiger Geduld stets eine Menge lernen kann. Gegenstand ist Yasir Qadhi (Website) ein junger salafistischer Anführer in den USA, möglicherweise so etwas wie ein Tariq Ramadan der USA. Der Gewalt hat er selbst nach radikaleren Phasen abgeschworen, aber die Frage, die Elliott stellt, ist, ob die moralischen Dilemmata, die auch ein friedlicher Fundamentalismus aufwirft, nicht für einige immer einen Weg zu Gewalt bahnen. Auch Qadhi selbst sieht sich in einem Dilemma: "Eine Diskussion über militanten Dschihad - ein komplexes Thema, an dem Jahrhunderte der Gelehrsamkeit hängen - droht immer auch die Wachsamkeit der Behörden und damit, so Qadhis Befürchtung, Verfolgung auf sich zu ziehen. Würde er gar anerkennen, dass das islamische Gesetz bewaffneten Widerstand in muslimischen Ländern erlaubt, würde er jenen Studenten ein grünes Licht geben, die er nach eigener Behauptung vom militanten Weg abbringen will. Aber durch sein Schweigen, so sagt Qadhi, verliert er die Glaubwürdigkeit, die er braucht, um sie von seiner wichtigsten Botschaft zu überzeugen: Dies sind nicht die Kämpfe von Westlern. 'Meine Hände sind gebunden, und mein Mund bleibt geschlossen', sagt er." Qadhis wirtschaftlich erfolgreiche Beratungs-Seite für Sex in der islamischen Ehe musste wegen zu großen Andrangs schließen.

Zwei Buchbesprechungen sind interessant: Geoffrey Nunberg bespricht James Gleicks Band "The Information - A History. A Theory. A Flood" (Auszug, hier auch noch mal der Link zu Freeman Dysons Besprechung in der NYRB). Und David Leavitt hat Brian Christians "The Most Human Human" (Auszug) gelesen, ein Buch über den Turing-Test, der in einem Fragespiel mit Computer und Mensch herausfinden will, ab wann der Computer von einem Menschen nicht mehr zu unterscheiden ist. Turing hat diesen Moment ungefähr für jetzt angekündigt.
Archiv: New York Times