Magazinrundschau
Schokolade, Bier und Waffeln
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
22.03.2011. In OpenDemocracy ermuntert Shirin Ebadi die ägyptischen Frauen: Keine Demokratie ohne Frauenrechte. Prospect staunt über die rasante Nachkriegsentwicklung Georgiens unter dem schillerndenMicheil Saakaschwili. In Salon.eu.sk grüßt Viktor Jerofejew Diktatoren - besonders in Weißrussland. Hat Hollywood eine Zukunft?, fragt der Economist . In Polityka lobt Jan Tomasz Gross die Polen, die anders als ihre osteuropäischen Nachbarn über ihre Vergangenheit streiten. Die Ungarn streiten weiter über das Ungarn-Bild im Ausland. Das New York Times Magazine schldert das Dilemma eines friedlichen Fundamentalisten.
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Open Democracy (UK), 21.03.2011

Der Fernsehjournalist Andrei Loshak beschreibt an einem ganz banalen Fall das russische Justizsystem - in diesem Fall das Moskauer unter dem Vorsitz von Olga Yegorova - als Alptraum. Es geht um einen Streit in einem Taxi, der mit eingeschlagenen Scheiben und einer blutigen Nase endete. Die Kontrahenten hatten sich nach einer Nacht im Gefängnis beruhigt und nicht viel vorzuwerfen. Die Justiz sah das anders. "Anwälte sagen, in Russland verhaftet zu werden, sei mehr oder weniger dasselbe wie verurteilt zu werden. Das läuft so: Das Gericht akzeptiert 90 Prozent der Anträge auf Haftstrafen. Das heißt, eine Ablehnung gilt als ernsthafter Vorfall, der zu professionellen Kompetenz-Untersuchungen und Ermahnungen führt. Ein Urteil, das nach einer Verhaftung "Nicht schuldig" lautet, ist ein noch ernsterer Vorfall, denn es legt nahe, dass das Gericht einen Fehler gemacht und einen Unschuldigen ungerechterweise der Freiheit beraubt hat. Das ist ein Skandal. Der Unschuldige wird Entschädigung fordern. Wer braucht das? Darum ist das russische Rechtssystem Dantes Inferno."
Außerdem: In der Türkei ist die Zahl der Anschläge auf Frauen in den letzten sieben Jahren um 1400 Prozent gestiegen, berichtet Sertac Sehlikoglu. Der brutale Krieg in Tschetschenien hat dazu geführt, dass im Kaukasus islamische Fundamentalisten erst so richtig Oberwasser bekommen, schreibt Andrei Piontkovsky. Elena Strelnikova beschreibt die Geschichtsvergessenheit der Russen (ihr Artikel ist mit einem erstaunlichen Bild von Lenin im blaukarierten Schlafanzug mit Puschen bebildert!)
Eurozine (Österreich), 18.03.2011

Außerdem in Eurozine: Der Kunsthistoriker Almantas Samalavicius beklagt die zunehmende Verschandelung des historischen Städtepanoramas von Vilnius durch Neubauten, die den sozialistischen Scheußlichkeiten kaum nachstehen (ursprünglich in Kulturos Barai, Dezember 2010). Und es werden einige Beiträge zu einem Kolloquium über die Wiederkehr der Nationalismen in Europa nachgedruckt (Editorial). Interessant ein Gespräch über den "Nationalismus 2.0" in Belgien, in dem der Autor David Van Reybrouck einen proflämischen Artikel Ian Burumas aus dem New Yorker (Abstract) verteidigt: "Auch wenn ich einige Aspekte der flämischen Bewegung ablehne, spüre ich doch Frustration, wenn ich Belgien immer wieder als surrealistisches kleines Land dargestellt sehe, in dem es gute Schokolade, Bier und Waffeln gibt. Und das Surrealistischste ist dann das Bild der Flamen, die angeblich alle Extremisten und Separatisten sind."
Prospect (UK), 23.02.2011
David Goodhart berichtet von seiner jüngsten Reise in ein derzeit recht weit im Abseits der Weltaufmerksamkeit stehendes Land: Georgien. Dort tut sich, wie er versichert, Erstaunliches. Die Kämpfe mit Russland sind beigelegt, der international heftig umstrittene Präsident Micheil Saakaschwili legt ein gewaltiges Reformtempo vor: "Die junge Elite Georgiens hatte die Texte des ökonomischen und politischen Liberalismus studiert und glaubte, anders als wir blasierte Westler, noch an die Macht der Idee zur Veränderung der Gesellschaft. Das georgische Experiment hat auch Sympathisanten aus dem Ausland angezogen, etwa Raphael Glucksmann, den Sohn des Ex-Marxisten Andre Glucksmann. Und man kann die Faszination schon verstehen. Das ist ein Ort, an dem man Dinge umsetzen kann, seien es große Experimente wie die flat tax oder kleinere wie die Rekrutierung von 10.000 Englischlehrern aus dem Ausland (so dass Englisch statt Russisch nun die zweite Sprache Georgiens wird) oder die Verteilung von Gratis-Laptops an alle Schüler. Aber die Elite von Tiflis ist auch eine spannende Mischung aus Idealismus und Zynismus. Sie wissen, dass Politik in der Demokratie manchmal ein schmutziges Spiel ist und dass ihr Präsident es brillant beherrscht. Darin liegt auch ein Problem. Trotz seiner Leistungen wird Georgien von den offiziellen Stellen im Westen - Regierungen, NGOs etc - mit Argwohn betrachtet. Nach London zurückgekehrt, traf ich zufällig einen hochrangigen britischen Geheimdienstmann, der mich, als ich ihm von meiner Reise erzählte, nur mit hochgezogener Braue fragte: 'Na, haben Sie die volle Propaganda-Dosis bekommen?'"
Salon.eu.sk (Slowakei), 17.03.2011

New Republic (USA), 14.03.2011
In seiner Besprechung von Stefan Collinis Buch "That's Offensive! Criticism, Identity, Respect" hält Isaac Chotiner fest, wie schwierig es ist, mit Deutschen zu diskutieren: Ein Frankfurter Bäcker hielt ihm einen Vortrag über die miese Bush-Regierung, wies aber jede Kritik an Gerhard Schröders Engagement für Gasprom zurück. "Deutschland ist kein sich abstrampelndes Land, aber es hat nicht Amerikas Macht und Bedeutung, und Kritik wird zu oft akzeptiert, wenn es gegen die 'Mächtigen' geht und als beleidigend empfunden, wenn es gegen die 'Schwächeren' geht. Das ist natürlich ein positives Zeichen dafür, dass die Menschen sensibel sind gegenüber den weniger Glücklichen, aber es ist auch eine Gefahr für hemmungslose intellektuelle Untersuchungen." Und vor allem ist es eine gute Methode, gefahrlos den Moralapostel zu spielen!
Economist (UK), 19.03.2011

Polityka (Polen), 21.03.2011

In der Polityka auf Deutsch ist eine Polemik von Jacek Zakowski gegen die polnische Bürokratie zu lesen.
Magyar Narancs (Ungarn), 10.03.2011

Elet es Irodalom (Ungarn), 18.03.2011

New Yorker (USA), 28.03.2011

Was macht einen echten Entrepreneur aus? Nicht Moral, stellt Malcolm Gladwell bei der Lektüre von Ruth Brandons Buch "Ugly Beauty" über Helena Rubinstein und Eugene Schueller fest. Letzterer war ein Chemieprofessor, als er sich entschied, ins Schönheitsgeschäft einzusteigen und eine Firma zu gründen, die er L'Oreal nannte. Während des Krieges unterstützte er die faschistische Terrortruppe La Cagoule von Eugene Deloncle, um dann genau zum richtigen Zeitpunkt, Ende 1942, zur Resistance überzuschwenken. Nach dem Krieg wurde er wegen Kollaboration angeklagt, aber freigesprochen, weil der ehemalige Faschist und spätere Resistant Pierre de Benouville für ihn gutsagte: "Wie sich später herausstellte, kannte Benouville ihn kaum. Offenbar tat er drei Freunden einen Gefallen: "Francois Dalle, der L'Oreal nach Schuellers Tod führte, Andre Bettencourt, der Schuellers Tochter heiratete und einer der reichsten Männer der Welt wurde, und Francois Mitterand, der in den letzten Tagen des Krieges für L'Oreal arbeitete und Präsident von Frankreich wurde." Alle drei waren Mitglieder oder hatten zumindest enge Verbindungen zu Deloncles La Cagoule wie später zur Resistance. Tatsächlich wird es noch spannender...
Außerdem: Hilton Als schreibt über die Frauen in James M. Cains Romanen und vor allem über "Mildred Pierce", die gerade in einer Miniserie von Kate Winslet gespielt wird.
Point (Frankreich), 17.03.2011

New York Review of Books (USA), 07.04.2011

Julian Barnes schreibt sehr beeindruckt über Joyce Carol Oates Buch "A Widow?s Story", in dem sie - ganz ähnlich wie vor einigen Jahren Joan Didion - den Tod ihres Mannes aufarbeitet. Frappierende Ähnlichkeiten bemerkt Barnes: "Beide literarische Paare waren sich sehr nahe, nie in Konkurrenz, sie arbeiteten oft im gleichen Raum und selten voneinander entfernt: Im Falle von Joan Didion und Gregory Dunne für 'eine Woche oder zwei oder drei hier und da, wenn einer von uns an einem Buch saß'. Im Falle von Joyce Carol Oates und Raymond Smith nie länger als einen Tag oder zwei. Didion realisierte nach Dunnes Tod, dass 'ich keine Briefe von John hatte, nicht einen einzigen' (sie sagt nicht, ober er welche von ihr hatte). Oates und Smith dagegen hatten 'überhaupt keine Korrespondenz. Nicht ein einziges Mal hatten wir einander geschrieben.'"
Außerdem: "Reader, put it down." Einen Verriss, wie Garry Wills ihn "All Things Shining: Reading the Western Classics to Find Meaning in a Secular Age" von Hubert Dreyfus und Sean Dorrance Kelly beschert, hat man in der NYRB selten gelesen. Steve Coll bespricht Tim Wus "Master Switch" und Evgeny Morozovs "Net Delusion". Und der norwegische Außenminister Jonas Gahr Störe schreibt über Afghanistan.
HVG (Ungarn), 12.03.2011

New York Times (USA), 19.03.2011

Zwei Buchbesprechungen sind interessant: Geoffrey Nunberg bespricht James Gleicks Band "The Information - A History. A Theory. A Flood" (Auszug, hier auch noch mal der Link zu Freeman Dysons Besprechung in der NYRB). Und David Leavitt hat Brian Christians "The Most Human Human" (Auszug) gelesen, ein Buch über den Turing-Test, der in einem Fragespiel mit Computer und Mensch herausfinden will, ab wann der Computer von einem Menschen nicht mehr zu unterscheiden ist. Turing hat diesen Moment ungefähr für jetzt angekündigt.
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