Magazinrundschau

Neue Freiheiten

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
14.06.2016. Der New Yorker reist in die Welt der Mikroben, für die wir nur ein Jucken sind. Die LRB reist zu den großzügig subventionierten Landsitzen der englischen Aristokratie. Film Comment stellt sich den englischen Machos in den Filmen Alan Clarkes. In Elet es Irodalom erklärt Péter Esterházy, warum Zitieren keine Trägheit ist. Village Voice erzählt die Geschichte zweier amerikanischer Anarchisten auf dem Weg ins kurdisch-syrische Rojava.

New York Review of Books (USA), 23.06.2016

Stoff für die Apokalyptiker der digitalen Revolution: Edward Mendelson liest eine Reihe hochbesorgter Bücher zum Thema, kommt dann aber zu einem eher versöhnlichen Schluss: "Jeder technologische Wandel, der die Integrität des Selbst zu bedrohen scheint, bietet immer auch neue Wege, es zu stärken. Plato warnte vor dem Akt des Schreibens - wie auch Johannes Trithemius im 15. Jahrhundert vor dem Buchdruck warnte -, dass er das Gedächnis und das Wissen der Seele in äußere Zeichen verschieben würde. Und doch haben die Wörter, die in Manuskripten und Drucken bewahrt wurden, psychologische Tiefen enthüllt, die einst als unerreichbar galten, sie haben ein neues Verständnis von Moral und intellektuellem Leben geschaffen und neue Freiheiten für Lebensentscheidungen eröffnet. Zwei Jahrhunderte nach Gutenberg malte Rembrandt eine lesende alte Frau, ihr Gesicht erleuchtet von dem Licht, das aus der Bibel in ihrer Hand scheint. Tauscht man das Buch gegen einen Bildschirm, dann ist das symbolische Bild heute buchstäblich korrekt. Aber im 21. Jahrhundert, ebenso wie im 17. Jahrhundert Rembrandts, hängt die Erleuchtung davon ab, welche Wörter wir zu lesen wählen und wie wir sie zu lesen wählen."

Außerdem: Malise Ruthven liest zwei neue Bücher über den "Islamischen staat". Und Janet Malcolm macht ihrem Abscheu über die Verhunzung russischer Klassiker durch das Übersetzerpaar Richard Pevear und Larissa Volokhonsky Luft.

Novinky.cz (Tschechien), 13.06.2016

Der im Berliner Exil lebende syrische Schriftsteller Nihad Siris erinnert im Gespräch mit Štěpán Kučera daran, dass auch Syrien in der Vergangenheit immer wieder Flüchtlinge aufnahm: "Im Jahr 2003, während der amerikanischen Invasion im Irak, waren es Zehntausende Iraker, in den Siebziger- und Achtzigerjahren waren es Zehntausende Kinder aus dem Libanesischen Bürgerkrieg, im Jahr 1948 Zehntausende Palästinenser, die ihre Heimat verloren hatten. Nun, und im Jahr 1915 kamen Hunderttausende Armenier nach Syrien, die vor den Massakern in der Türkei flohen. Viele dieser armenischen Christen wurden von meiner Heimatstadt Aleppo aufgenommen, bis heute leben dort deren Nachkommen. Die Syrer brachten ihnen Lebensmittel, Kleider und andere Dinge. Es waren Christen, sie waren in ein islamisches Land gekommen, aber niemand sagte zu ihnen: 'Geht weg, wir wollen euch hier nicht, wir fürchten, dass ihr unsere Kultur verändert.' Und dabei errichteten die Armenier in Aleppo ihre Kirchen und auch ihre Schulen, in denen ihre Kinder Unterricht auf Armenisch hatten." Leider können die Jesiden heute im Irak ein ganz anderes Lied singen.
Archiv: Novinky.cz

New Yorker (USA), 20.06.2016

In der neuen Ausgabe des Magazins entführt uns Raffi Khatchadourian in die Welt der Mikroben: "Sie finden Verwendung in der industriellen Lebensmittelproduktion, bei der Parfüm- und Treibstoffherstellung. Mehr als die Hälfte der menschlichen Zellen sind mikrobiell, viele davon sind biologisch unerforscht. Ihre Erforschung könnte wertvolle Erkenntnisse über unsere Spezies und ihre Fortdauer bergen. Nahezu jedes Antibiotikum geht auf das eine Prozent bakteriellen Lebens zurück, das die Wissenschaft bisher kennt … Mikrobiologie ist eine Art Zeitreise zu den Ursprüngen der Menschheit. Mit der Entstehung der Erde vor vier Milliarden Jahren begann das Zeitalter der Mikroben. Als der Planet für den Menschen noch unbewohnbar war, wuchsen sie in riesigen Kolonien unter Wasser oder in den tieferen Schichten des Erbodens; sie atmeten die tödlichen Gase und veränderten das Gesicht des Planeten. Dass unsere Atmosphäre zu 21 Prozent aus Sauerstoff besteht, haben wir den Mikroben zu verdanken. Das Zeitalter der Mikroben dauert bis heute an. Sie schlagen uns zahlen- und gewichtmäßig. Unsere Zivilisation ist für sie nur ein Jucken."

Außerdem: Ryan Lizza fragt sich, ob die republikanische Elite angesichts von Trump nun Widerstand leistet oder kapituliert. Jennifer Gonnerman erzählt die Geschichte von Derrick Hamilton, der unschuldig für Mord im Knast saß und dort zum Anwalt in eigener Sache wurde. Und David Remnick erinnert an Muhammad Ali.
Archiv: New Yorker

Rue89 (Frankreich), 12.06.2016

In einem Gespräch mit Delphine Cuny erläutert die amerikanische Mathematikerin Cathy O'Neil, Mitglied der Gruppe Occupy Finance, die These ihres Buchs "Weapons of math destruction", wonach Big Data Ungleichheiten verstärkt und die Demokratie gefährdet. Durchaus nicht alle Algorithmen seien "böse", viele würden jedoch in für den Menschen maßgeblichen und existenzrelevanten Bereichen wie Gefängnis, Arbeit oder Kreditvergabe eingesetzt: "Man muss gewährleisten, dass diese Algorithmen fair und gerecht verfahren. Es gibt keinerlei Anlass zu glauben, das wäre der jetzt Fall, denn im Code sind Urteile eingebaut. Mein Ziel ist es, auf die schlimmsten Beispiele hinzuweisen, etwa in der Bildung und in der Justiz, damit jeder diesem Problem mehr Aufmerksamkeit schenkt."
Archiv: Rue89

London Review of Books (UK), 16.06.2016

James Meek reist aufs Land, zu den Sitzen der englischen Aristokratie, und plaudert mit den Herrschaften über die alten Zeiten in Rhodesien, die Schwierigkeit, einen Butler zu finden, und den Brexit, den sie natürlich alle befürworten, weil von der EU nichts Gutes kommt: "Die Patina alter Macht liegt über Norfolk, jene Macht, die mit einträglichen Ländereien kommt, mit vorteilhaften Ehen und Verbindungen im exklusiven Kreis. Elf Meilen nördlich von Agnews Hous liegt Holkham Hall, wo Thomas Coke, Earl of Leicester, noch immer Farmland im selben Umfang besitzt wie sein namensgebender georgianischer Vorfahre, der Landwirtschaftsreformer Coke of Norfolk. Letztes Jahr bekam die Holkham Farming Company 183.000 Pfund EU-Subventionen im Jahr, ein anderes Holkham Unternehmen, die Holkham Nature Reserve Ltd. erhielt 205.000 Pfund (Naturschutz-Organisationen gehören zu den größten Empfängern von Beihilfen). Zehn Meilen westlich liegt die das königliche Farmland Sandringham Estate, unterstützt mit rund 650.000 Pfund. Dazwischen liegt Houghton Hall, der Familiensitz von Großbritanniens erstem Premierminister Robert Walpole und jetzt Sitz von David Walpole, siebter Marquis von Cholmondeley, Lord Great Chamberlain und Empfänger von 260.000 Pfund." Aber zum Glück ist es auch nicht weit zu Lord Townshend (360.000 Pfund Beihilfe): "'Die Vorstellung, ein Verlust der Subventionen könnte dem Land abträglich sein', sagt er, 'wäre defätistisch'."

Als Elegie auf die große Zeit der Rebellion liest Jeremy Hardings dagegen Luc Santes Geschichte "The Other Paris": Das andere Paris ist ein poetischer Führer in die Unterwelt der Stadt durch sechs Jahrhundert, eine Dreigroschenoper mit einer unzähligen Masse an Bettlern, Ganoven, Huren und Wachtmeistern, im Verbund mit Künstlern, Intellektuellen und Aufständischen. Ihnen allen drohte beständig eine ruinierte Reputation, die Gefängniszelle, die Guillotine oder ein plötzlicher Tod auf der Straße."

Weiteres: Peter Pomerantsev erinnert sich an seine Zeit an einer Europa-Schule. Und Isabel Hull liest Philippe Sands Studie über Ursachen von Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Nepszabadsag (Ungarn), 11.06.2016

Die Dichterin und Schriftstellerin Krisztina Tóth erklärt im Interview mit Zsolt Kacsor, warum politische Stellungnahmen nicht unbedingt die Aufgabe von Autoren sind: "Das Neueste ist die Rückkehr einer alten Erwartung der Leser: dass die Schriftsteller sich zu öffentlichen Themen äußern und Position beziehen sollen. Dies tut aber der Literatur nicht immer gut. Die Werke werden in die Richtung der Publizistik gedrängt, was wiederum die schöpferische Spannung auslöscht, die langfristig das literarische Schaffen fruchtbar macht. Andererseits wird erneut von den gesellschaftlichen Pflichten eines Schriftstellers gesprochen, es wird etwa versucht festzulegen, was ein Schriftsteller in einer Gesellschaft zu tun hat. Aus meiner Sicht hat er eine einzige Pflicht: nach Möglichkeit gut zu schreiben."
Archiv: Nepszabadsag

Film Comment (USA), 10.06.2016

Der britische Filmemacher Alan Clarke wurde bekannt mit dem Skinhead-Drama "Made in Britain", dem Jugendknastfilm "Scum" und dem Hooliganfilm "The Firm" mit Gary Oldman, allesamt Filme also, die sich durch einen sozialrealistischen Blick auf Phänomene rüden Machismos auszeichnen. Eine umfangreiche BluRay-Box des British Film Institute erschließt nun die restlichen Fernseharbeiten des Maverick-Auteurs. David Fear kann die Box in seiner ausführlichen Besprechung nur wärmstens empfehlen - schon alleine wegen der im britischen Hinterland angesiedelten Obskurität "Penda's Fen" aus dem Jahr 1974. Das mit diversen Entgrenzungen spielende Drama bedient sich beim Thema erwachender Homosexualität genauso wie es mit dem folkloristischen Horrorfilm flirtet: "Gottes Segen mit Dir, oh altes, sonderbares England! Reich an Symbologie und eher LSD-Stoff als Alltagsdrama, handelt es sich hierbei um einen 'Was zum Geier'-Ausreißer in Clarkes Filmografie. Darauf angesprochen, musste er selbst einmal eingestehen, keine Ahnung zu haben, was [Drehbuchautor] Rudkin eigentlich im Sinn hatte. Nichtsdestotrotz ist dieser Fiebertraum so politisch wie Clarkes später umgesetzte, offensichtliche Kritik am Kapitalsmus ('Beloved Enemy', 1981) und am Sozialismus ('Nina', 1978). Seinen surrealen Verzierungen zum Trotz, lässt sich 'Penda's Fen' auch als Abhandlung über nationale Identität lesen: Was bedeutet das englische Erbe in einer sich rasant wandelnden Welt, wem steht es zu und was geschieht, wenn Geschichte zum Totschläger wird?"

Der Film steht auch auf Youtube, allerdings in sehr bescheidener Qualität. Bereits 2010 würdigte der Illustrator John Coulthart den damals noch kaum greifbaren Film in seinem Blog mit einem ausführlichen Essay.
Archiv: Film Comment

Technology Review (Deutschland), 08.06.2016

Die digitale Kultur in China wirkt hochgradig paradox, schreibt Christina Larson: Auf der einen Seite boomen Apps für mobile Geräte derart, dass der Griff zum Smartphone zur Bewältigung des Alltags zumindest in den Metropolen binnen kürzester Zeit selbstverständlich wurde. Auf der anderen Seite lahmt das Internet wegen der Great Firewall of China aufs Frustrierendste, wenn es darum geht, im internationalen WWW zu surfen. "Dieser krasse Kontrast - ein Internet, das gleichermaßen dynamisch wie lethargisch ist, innovativ und lähmend, befreiend und doch straff kontrolliert - ist leichter verständlich, wenn man sich vor Augen hält, dass es sich dabei nicht notwendigerweise um Widersprüche handelt. Da es ihnen untersagt ist, Tools zu entwickeln, die freie Meinungsäußerung und Transparenz begünstigen, sind chinesische Unternehmer geradewegs gezwungen, ihre Mittel auf Dienste zu konzentrieren, die für Handel, Komfort und Unterhaltung nützlich sind. Und je erfolgreicher diese Unternehmen werden, je mehr Geld sie und ihre Investoren im Spiel haben, desto mehr zementieren sie vielleicht auch den Status Quo."

Eurozine (Österreich), 07.06.2016

In einem beeindruckenden Essay für Eurozine erklärt der noch recht junge Autor Sergei Lebedew ("Oblivion"), wie der Mangel an Vergangenheitsbewältigung die russische Gesellschaft dauerhaft schwächt. "Die innere Natur totalitärer Macht, die die Rechte und Freiheiten ihrer Bürger unterdrückt, liegt darin, dass sie ihnen im Nachhinein erlaubt zu sagen, dass 'wir nichts damit zu tun' hatten. Die Attraktion des totalitären Systems, das Individuen ihrer Wahlfreiheit und damit Verantwortung beraubt, liegt darin, ihnen am Ende ein metaphysisches Alibi und ein stetiges Weitergeben der Schuld zu erlauben. So kommt ein Teufelskreis der Verantwortung ohne Verantwortliche in Gang. Der einzige Weg aus diesem Teufelskreis ist, dass eine Gesellschaft zunächst ihre Verantwortung dafür auf sich nimmt, dieses totalitäre Regime erlaubt und ertragen zu haben."
Archiv: Eurozine

The Atlantic (USA), 07.06.2016

Organisiertes Internetverbrechen ist auch nicht mehr das, was es einmal war, erfahren wir von Josephine Wolff. Der gute alte massenhafte Diebstahl von Kreditkartendaten hat als Geschäftsmodell mittlerweile arg an Attraktivität eingebüßt. Lukrativer ist es jetzt, einzelne Rechner und Daten zu kapern, unzugänglich zu machen und für Freigabe der Hardware und Daten direkt bei der einzelnen geschädigten Partei abzukassieren: Denn "der Inhalt irgendeiner Festplatte dürfte auf dem Schwarzmarkt zwar kaum nennenswerte Beträge bringen. Doch für den Besitzer sind diese Daten wahrscheinlich ein paar hundert, vielleicht sogar ein paar tausend Dollar wert." Wobei die Frage offen bleibt, ob ein Rückkauf der gestohlenen Daten auch wirklich zur Folge hat, dass die Daten bei den Kriminellen gelöscht werden. Gerade im Fall von Unternehmen, die sich auf solche Deals einlassen, handelt es sich also eher um erkauftes Stillschweigen über das Datenleck. "Aus diesem Grund legen die Verkäufer gestohlener Informationen, genau wie echte Verkäufer auf ebay und Amazon, Wert auf ihre Onlinereputation, die den Opfern Aufschluss darüber gibt, ob es sich um 'vertrauenswürdige' Kriminelle handelt, erklärt ein FBI-Beamter. 'Schlussendlich sind auch Diebe abhängig von ihrem Ruf im Untergrund und wenn man ihnen nachsagt, dass sie die Leute übers Ohr hauen, kriegen sie auch keine Kunden."
Archiv: The Atlantic

Elet es Irodalom (Ungarn), 08.06.2016

Die Buchwoche ist ein Großereignis in Ungarn, bei dem Verlagshäuser und Autoren ihre jüngsten Veröffentlichungen präsentieren. Traditionell finden die zentralen Veranstaltungen in der Budapester Innenstadt am Vörösmarty Platz statt. Die diesjährige Buchwoche eröffnete der schwer kranke Péter Esterházy zusammen mit dem Komponisten und Saxofonisten László Dés. Hier ein Ausschnitt aus Esterházys Eröffnungsrede: "Endlich ein Text, den ich nicht mit dem Wort Bauchspeicheldrüse beginne. (...) Wie viel Arbeit steckt in einem Buch! Mal namenlose, mal benennbare, aber auf alle Fälle aufopferungsvolle Arbeit von Autoren, Korrektoren, Lektoren, Grafikern, Redakteuren, Chefredakteuren, Verlagsleitern. Selten denken wir an sie, sei dieses Fest betont auch ihres. Und dann die Bücher. Ich würde gerne über den Duft eines Buches sprechen, über den Buchduft, seine Berührung, also über seinen Körper, nur dass ich ungern den Körper erwähne, weil mir dann zur Zeit immer das Gleiche in den Sinn kommt, und ich niemanden damit belasten möchte, obwohl ich empfinde, dass ich jeden damit belaste. (...) Ich würde, entsprechend meiner Gestalt, das Publikum in Richtung Freude stoßen. In Richtung der sogenannten Buchfreude. Und mein Gesicht brennt nicht vor Scham, wenn ich zum tausendsten Mal Márai über das Lesen zitiere, denn Zitieren ist nicht Trägheit, sondern der Eintritt in die Tradition, es ist nicht Traditionsrespekt, sondern Traditionsanwendung, was Respekt selbst ist."

Village Voice (USA), 07.06.2016

John Knefel erzählt die Geschichte zweier junger amerikanischer Anarchisten, die in den Irak geflogen sind, um sich den kurdischen YPG-Kämpfern im syrischen Rojava anzuschließen - als Reporter. Der eine fliegt allerdings wieder zurück, bevor es vom Irak nach Syrien geht. Der andere landet tatsächlich in Rojava. Was sie dort hingetrieben hat, erklären sie dem Reporter vor ihrer Abreise: "Sie benutzen mehrere Begriffe, um ihr Glaubenssystem zu beschreiben: libertärer Kommunismus, libertärer Sozialismus und manchmal einfach Anarchismus. Die Linke kann über die feineren Nuancen dieser Labels debattieren, aber im wesentlichen glauben Guy und Hristo, dass Regieren am besten auf lokaler Ebene funktioniert - durch Kooperativen und Nachbarschaftskommittees - und dass politische Körper, die größer werden und Macht zentralisieren, am ehesten die Bevölkerung unterdrücken, die sie angeblich repräsentieren. Die Ideen verbinden sich gut mit der dominaten Ideologie in Rojava, die den Kapitalismus als grundsätzlich ausbeuterisch ablehnt, persönliches Eigentum begrenzt, Regierungsmacht auf die lokale Ebene beschränkt und darauf besteht, dass wenigstens ein Stellvertreterposten jedes lokalen Kommittees von einer Frau besetzt ist."
Archiv: Village Voice

MicroMega (Italien), 07.06.2016

Der bekannte Philosoph Roberto Esposito legt eine neue Philosophie Europas vor und stellt im Gespräch mit Diego Ferrante und Marco Pasentier von Micromega die Frage, wie Europa zu vereinen sei - was für ihn offenbar nicht ohne eine europäische Revolution denkbar ist, denn die ökonmische Einigung über den Euro habe sich als ungenügend erwiesen: "Sie hat mehr Probleme geschaffen als gelöst. Der Prozess ist dennoch unumkehrbar, denn eine Rückkehr wirft noch größere Probleme auf, wie die Geschichte gezeigt hat. Die problematischen Konsequenzen einer finanziellen Einheit, die nicht von einer politischen getragen ist, liegt vor aller Augen. Der einzige Weg scheint mir darum trotz allem, an die Konstruktion eines europäischen Volks zu denken. Aber das setzt eine harte Konfrontation von zwei Ideen von Europa voraus, die schon die einzelnen Völker teilen, da sie durch allzu unterschiedliche Lebensumstände zu sehr gespalten sind, als dass sie einfach vereinigt werden könnten. In diesem Sinne mache ich in dem Buch auf die Notwendigkeit eines sozialen Konflikts aufmerksam, der dem Prozess einer europäischen Konstitutionalisierung Kraft geben würde. Schon Hegel lehrte, dass der Konflikt, solange er als politische Konfrotation ausgetragen wird, konstituierende Funktion hat."
Archiv: MicroMega

New York Times (USA), 12.06.2016

Im aktuellen Magazin der New York Times geht Robert F. Worth militär-medizinischen Entdeckungen nach, die nahelegen, dass die mittelbare Einwirkung von Detonationan auf den menschlichen Körper nicht nur psychische, sondern auch physisch sichtbare traumatische Verletzungen im Gehirn hinterlässt: "Der Effekt auf den Körper ist hoch komplex. Menschen, die eine Explosion aus der Nähe miterlebt haben, beschreiben es als eine den ganzen Körper betreffende überwältigende Erfahrung, die mit nichts vergleichbar ist. Viele Soldaten erinnern sich nicht an den Moment; er löst sich auf in einem Lichtblitz, dem ohrenbetäubenden Lärm oder der Bewusstlosigkeit. Die sich erinnern, berichten von einem gleichzeitigen Stoßen und Quetschen, dem Gefühl einer alles umfassenden, intensiven Gewaltsamkeit, als würde jemand mit einem Dutzend Hämmer auf einen einschlagen … In den betroffenen Gehirnen fanden die Mediziner an Stellen zwischen der grauen und der weißen Masse Vernarbungen, dort, wo Funktionen des Schlafes und der Wahrnehmung beheimatet sind."

Außerdem: Nikole Hannah-Jones schreibt über ihre Erfahrungen mit Segregation an New Yorks Schulen. Emily Bazelon berichtet über den Ausgang eines Vergewaltigungsprozesses in Kalifornien und dessen gesellschaftliche Implikationen. Und der Fotograf Luca Locatelli dokumentiert die Anziehungskraft Mekkas und das Treiben am zentralen Wallfahrtsort des Islams.
Archiv: New York Times