Magazinrundschau - Archiv

Novinky.cz

80 Presseschau-Absätze - Seite 1 von 8

Magazinrundschau vom 19.09.2023 - Novinky.cz

Fünf Jahre sind seit dem Mord an dem slowakischen Journalisten Ján Kuciak vergangen, der den mutmaßlich damit in Verbindung stehenden Premier Robert Fico damals zum Rücktritt zwang. Bei den anstehenden slowakischen Parlamentswahlen droht nun das Comeback Ficos und damit ein prorussischer Kurs mitten in Europa. Apolena Rychlíková unterhält sich mit dem slowakischen Publizisten Michal Havran über seine Einschätzung der Lage. "Die Slowaken erkennen eigentlich keine Autoritäten an", meint Havran. "Das hat wohl mit einer gewissen Isoliertheit der Menschen zu tun. Wir haben zwei große Städte, aber der wesentliche Teil der Bevölkerung lebt quasi in den Bergen. Daher rührt die Gewohnheit, sich mehr auf sich selbst zu verlassen, sich auf einer lokalen, nachbarschaftlichen Ebene zu helfen. Von der Politik erwarten sich die Menschen in bestimmten Gegenden der Slowakei nichts (…), keine Lösungen, höchstens eine Show." Dennoch glaubt Havran, dass sich die slowakische Gesellschaft zum Positiven verändert. "Wir haben hier eine stille, unauffällige Kraft, die unter bestimmten Bedingungen sogar die Wahlen gewinnen könnte - die Partei Progresivne Slovensko, die in den Umfragen gerade an zweiter Stelle steht." Diese proeuropäische Partei repräsentiere die jüngeren Slowaken und habe einen völlig anderen Politikstil. "Die meisten Kommentatoren nehmen gar nicht wahr, dass sich Progresivne Slovensko zur treibenden Kraft der demokratischen Opposition im Land entwickelt hat. Vermutlich verwirrt es sie, dass die Vertreter eines emanzipatorischen Modernisierungsethos bei uns erstmals nicht die liberalen Rechten sind. Progresivne Slovensko ist eine ökologisch orientierte Mitte-Links-Kraft. Und viele, die die Politik bisher nach dem Rechts-Links-Maßstab kommentiert haben, können diese Partei nicht richtig greifen."

Magazinrundschau vom 08.08.2023 - Novinky.cz

Der tschechische Historiker Miloš Řezník ist Direktor des Deutschen Historischen Instituts Warschau. Als dort im Mai der kanadisch-polnische Historiker Jan Grabowski einen Vortrag über polnische Kollaborateure im Zweiten Weltkrieg halten wollte, zertrümmerte der rechtsextreme polnische Abgeordnete Grzegorz Braun die Mikrofonanlage, so dass der Vortrag abgebrochen werden musste (mehr dazu auch beim Dlf Kultur). Veronika Pehe hat sich mit Řezník über diesen Vorfall und die generelle Situation der Geschichtswissenschafte in Polen n unterhalten. Der Abgeordnete Braun vertritt zwar innerhalb des politischen Spektrums Polens nur eine marginale Strömung, so Řezník, doch wenn man die von ihm vertretene, sehr aggressive Geschichtspolitik betrachte, die die akademische Forschung dort, wo sie ihr nicht gefalle, in die Defensive zu drängen oder gar ihre Akteure einzuschüchtern versuche, dann sei das kein marginales Phänomen. "Die polnische Rechtsregierung hat die Vorstellung, mittels Geschichtspolitik lasse sich die nationale Identität erheblich stärken. Ihrer Meinung nach gilt es ein historisches Narrativ zu entwickeln, auf das die Angehörigen des polnischen Volks stolz sind. Statt einer sogenannten 'Politik der Schande' - die kritische Reflexion traumatischer, unangenehmer Themen wie die Kollaboration oder der Beitrag einzelner Polen zur Judenverfolgung - möchte sie lieber Themen wie die polnische Hilfeleistung für Juden im Zweiten Weltkrieg hervorgehoben sehen. Das ist per se nichts Illegitimes. Der Staat kann sagen, gut, wir suchen uns aus der Geschichte die und die positiven Helden heraus und werden ihrer verstärkt gedenken. Das Problem ist jedoch, dass in der polnischen Geschichtspolitik der Beistand für die Juden als Verhalten des polnischen Volks begriffen wird, hingegen der fehlende Beistand oder gar die Mithilfe bei der Judenverfolgung als das Verhalten Einzelner. Und alles, was dieser Auslegung widerspricht, ist Gegenstand von Angriffen." Nach einem Vergleich zu seinem Heimatland Tschechien befragt, meint Řezník, dort entbrenne zwar hin und wieder ein Streit darüber, wie etwa die Phase der 'Normalisierung' zu interpretieren sei, "aber wenn man das von Warschau aus betrachtet, hat man das Gefühl, dass es den Tschechen eigentlich eher egal ist. Entweder interessiert es sie nicht, oder sie können sich damit abfinden, dass die Rolle der tschechischen Bevölkerung, zum Beispiel während des Protektorats oder im Kommunismus, nicht immer eindeutig war. Sie können sich sogar damit identifizieren, weil sie darin eine Art Bestätigung ihres eigenen Klischees finden. Das ist ein riesiger Unterschied. In Polen ist die politische Kultur in diesem Punkt näher bei der Ukraine oder auch Russland, wo die nationale Identität immer über ein historisches Narrativ gebildet wird."

Magazinrundschau vom 18.07.2023 - Novinky.cz

In den letzten Tagen häufen sich auch in Tschechien die feuilletonistischen Abschiede von Milan Kundera. Štefan Švec beschreibt den Autor in einem ausführlichen Essay als einen König der Widersprüche, und dies ebenso in seinem Werk wie in seiner Biografie. Darüberhinaus stellt Švec ein interessantes Gegensatzpaar auf, das sich durch die ganze tschechische Literaturgeschichte ziehe: der Gegensatz zwischen Heimatdichter und Kosmopolit, der in diesem Fall von Bohumil Hrabal und Milan Kundera verkörpert werde. "Wo Hrabal sprudelt, verknappt Kundera. Wo Hrabal die Schrecken der Menschheit einhüllt, enthüllt Kundera in der Menschheit den Schrecken." Unablässig reflektiere Kundera die Tradition des Weltromans, in die er sich einzuschreiben versuche - eine Ambition, die Hrabal prinzipiell wurscht sei. Beide hätten in der tschechischen Literaturszene ihre Nachahmer und Nachfolger, dennoch habe sich Kunderas Einfluss stärker durchgesetzt als der Hrabalsche. "Auch der Kundera'sche Individualismus, die Exklusivität und der gewisse Snobismus finden in der Gesellschaft der städtischen Liberalen einen größeren Widerhall als Hrabals Kultur des Kneipenegalitarismus." Und noch eine interessante Erwähnung (die man sonst eher bei weiblichen Autoren findet): "Milan Kundera blieb genauso wie Bohumil Hrabal, Václav Havel oder Josef Škvorecký kinderlos. Und da unser verrücktes menschliches Hirn die Neigung hat, ständig irgendwelche Parallelen zu ziehen (…), wagen wir hier eine Schlussfolgerung: Der erste große Moment der genannten Schriftsteller waren die Jahre 1965 bis 1969. Heute wissen wir, dass jene Zeit für die, die sie erlebt haben, magisch war. Sie war voller Verheißungen, zukunftsschwanger, aber am Ende wurde nichts daraus geboren. Und doch ist es nur ein scheinbares Nichts, nichts Körperliches, nichts Politisches, keine Schriftstellerkinder und kein Sozialismus mit menschlichem Antlitz, der lebensfähig gewesen wäre." Das Werk der genannten vier habe diese Unfruchtbarkeit womöglich in etwas anderes verwandelt. Ihre Bücher trügen weiterhin den Geist der Sechzigerjahre, den "Geist einer frischen, lebendigen, Kraft schöpfenden Postmoderne, die ihre allgemeine Gültigkeit vertritt und die Situation des Menschen neu zu beschreiben versucht. Ein Geist, der - bei aller Ironie, Kritik und Skepsis - die Menschheit zu umfassen versucht und vermag und sie nicht in Stämme, Gemeinschaften, Ziel- und Interessengruppen unterteilt, obwohl er sich von außen selbst in solche einordnen lässt. Einen Geist, den wir in den kommenden Jahren wieder brauchen werden, um die Kriege der Teilwahrheitenverbreiter zu überleben."

Magazinrundschau vom 27.06.2023 - Novinky.cz

Štěpán Kučera unterhält sich mit dem tschechischen Politologen Jaroslav Bílek über die diversen Formen von hybriden Regimen, unter denen er Regierungen versteht, die sich auf halbem Weg zwischen einer vollständigen Demokratie und einer traditionellen Diktatur befinden - in beide Richtungen: "Die häufigste Form von hybriden Regimen", so Bílek, "sind gegenwärtig die sogenannten Wahlautokratien, für die typisch ist, dass sie auf dem Papier und aus sehr weiter Entfernung demokratisch aussehen, deren führende Politiker aber mehr oder weniger autoritär regieren. Hier kommt es zur Beschränkung der Pressefreiheit, der politischen Rechte Einzelner oder der Opposition. Eine irgendwie vorhandene Opposition kann in diesen Ländern zwar jedes Mal an den Wahlen teilnehmen, ihre Siegchancen sind jedoch dadurch vermindert, dass die Regierung die Spielregeln zu ihrem eigenen Vorteil ummünzt." Bíleks Befürchtung ist, dass Wahlautokratien so schnell nicht verschwinden werden, zu abstrakt seien für viele Menschen die Demokratie und ihre Werte: "Außerdem tritt immer offener zutage, dass die geopolitisch einflussreichen Staaten und mächtigen internationalen Institutionen zwar rhetorisch Demokratien unterstützen, in der Praxis aber eher im eigenen Interesse agieren. Ein typisches Beispiel dafür sind die jüngsten Wahlen in der Türkei. Es besteht kein Zweifel, dass die gegenwärtige Türkei eine Wahlautokratie ist, was den amerikanischen Präsidenten Joe Biden jedoch nicht daran gehindert hat, als einer der Ersten dem Wahlsieger zu gratulieren, weil die Türkei ein wichtiger Partner für die USA ist. Und die Europäische Union hat trotz aller Bekenntnisse zur Demokratie die Entwicklung einer Autokratie in einer ihrer Mitgliedstaaten - Ungarn - zugelassen."

Magazinrundschau vom 13.06.2023 - Novinky.cz

Zbyněk Vlasák hat sich auf der Prager Buchmesse Svět Knihy mit dem Sozialanthropologen Martin Tremčinský über den Einfluss der neuen Technologien - Künstliche Intelligenz, Cloud-Communities oder Kryptowährungen - auf das Verständnis vom Nationalstaat unterhalten. Zunächst einmal, so Tremčinský, sei auch der Nationalstaat eine Art Technologie, eine Technologie der Macht, der Verteilung von Entscheidungsprozessen. Und so wie der Staat und seine Beamten weder unparteiisch noch objektiv, sondern immer politisch geprägt seien, seien auch die Technologien nicht unpolitisch: "Obwohl Cloud-Communities oder Kryptowährungen sich unabhängig und unpolitisch geben, fordern auch sie den Menschen, den User zu einem bestimmten Blick auf die Welt auf. Für Kryptowährungen ist es typisch, alles als austauschbare Ware zu begreifen - etwas, was der Staat nicht ermöglicht. Ich kann meinen Namen, meine Individualität nicht verkaufen. Die Kryptowährungen erweitern jedoch den Wirkungskreis des Warenkonzepts auch auf die Sphäre des Soziallebens, wo diese Logik früher nicht gegriffen hat. Und das ist schon für sich ein Politikum. Die Subjektivität, die der Staat zu erschaffen versucht hat und die uns Rechte und Pflichten garantiert, ist die Subjektivität des Bürgers. Die ist in den letzten vierzig Jahre aber beträchtlich korrodiert. Wir geraten weit mehr in eine neoliberale Subjektivität des Verbrauchers oder Kunden. Doch auch dieses System beginnt sich zu erschöpfen, und es gibt Versuche, es zu ersetzen. Die populistischen Bewegungen zum Beispiel sprechen von einer ethnischen Subjektivität, von einer Rückkehr zum nationalen Staat. Und auf der anderen Seite gibt es die Bemühung, die Subjektivität des Kunden durch das Delegieren an technologische Lösungen zu bewahren." Als zukünftige Entwicklungen kann sich Tremčinský verschiedene Szenarien vorstellen. "Noch vor zehn, fünfzehn Jahren war überall das Mantra zu hören, es sei leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen als ein Ende des Kapitalismus. Das stimmt nun nicht mehr. Heute können sich die meisten Sozialwissenschaftler ein Ende des Kapitalismus vorstellen. Was jedoch etliche von ihnen in der Nachfolge sehen, ist kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt in den sogenannten Technofeudalismus", mithin die Vorstellung, "dass sich ein bedeutender Teil der Entscheidungsmacht von den schwächer werdenden Nationalstaaten auf die großen technologischen Firmen und Plattformen verschiebt."

Magazinrundschau vom 07.03.2023 - Novinky.cz

Zum Tod des slowakischen Filmemachers Juraj Jakubisko, der für seine frühen Filme auch der "tschechoslowakische Fellini" genannt wurde, schreibt Petr Fischer in seinem Nachruf: "Es ist, als hätte Jakubisko einen Sinn für die Persistenz der Zeitlosigkeit gehabt, die andauert, auch wenn die große Historie über unsere Körper und Sinne hinwegwalzt und sich irgendwohin bewegt, wohin wir noch nicht sehen können. Die Beugung der Zeit und des Geschichtsraums erschafft ein einziges großes Kontinuum, ein gemeinsames Theatrum Mundi, das das Feld der Imagination öffnet, bis in zauberische Dimensionen, die Jakubiskos Filmen das vielleicht schon etwas abgedroschene, aber dennoch treffende Etikett des magischen Realismus verleihen … Bei Jakubisko bricht der Film nahezu selbstmörderisch in sich zusammen, stürzt ins Chaos, aus dem jedoch am Ende irgendwie eine starke Erfahrung und das Bewusstsein jener zeitlosen Dauer entstehen, von der die Rede war. Der manisch-depressive Wirbel der Historie, der die Menschen wie durch den Fleischwolf dreht, ihnen aber zugleich ein wirkliches Leben schenkt, weil sie nur so, im Rahmen der Geschichte, etwas über das Leben erfahren, zeugt vom Mut des Regisseurs, in die Unterströme zu greifen, ins persönliche und kollektive Unterbewusstsein, aus dem wir uns als Menschen nähren, um vielleicht irgendwann über uns hinauszuwachsen. Das ist Jakubiskos Hoffnung: der Glaube an ein Leben, das sich immer wieder selbst überlebt."
Stichwörter: Jakubisko, Juraj

Magazinrundschau vom 17.01.2023 - Novinky.cz

Štěpán Kučera unterhält sich mit der tschechischen Schriftstellerin und Trägerin des Jiří-Orten-Preises Zuzana Kultánová über die Ära der neunziger Jahre, in der auch ihr neuer Roman "Zpíváš, jako bys plakala" (Du singst, als würdest du weinen) spielt. "Die Revolution war zwar eine samtene, aber trotz allem eine Revolution", so Kultánová. "Mich überrascht, dass meine Generation nicht mehr darüber schreibt. (…) Mir scheint, der Blick auf die Neunziger bewegt sich immer zwischen zwei Extremen: Discoland und Havel. Aber das dazwischen fehlt. Viele Menschen haben die neuen Verhältnisse nicht verkraftet, und das spüren wir an der heutigen politischen Entwicklung. Wir müssen uns ernsthaft mit denen beschäftigen, die in den Internetforen schimpfen, dass sie vergeblich mit den Schlüsseln geklirrt haben." [Das Schlüsselgeklingel war fester Bestandteil der friedlichen Demonstrationen der Samtenen Revolution.] "In den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen gibt es Menschen, die alles verloren haben, die wütend sind, weil sie das Gefühl haben, dass keiner sie hört und sieht; und wir wissen nichts über sie - was sehr gefährlich ist. (…) Ich erinnere mich auch an gelegentliche Diskussionen meiner Eltern [nach der Wende] darüber, dass die sozialen Unterschiede nie zuvor so gravierend gewesen seien. Sie waren naiv - und folglich enttäuscht. Sie dachten, dass die Revolution irgendwie von selbst bewirkt, dass es ihnen besser geht. Und ich denke, dass es einer Menge Menschen in unserem Land so ergangen ist."
Stichwörter: Kultanova, Zuzana, 1990er, Wende

Magazinrundschau vom 10.01.2023 - Novinky.cz

Auch der Politologe Ondřej Slačálek widmet sich in einem Essay der Frage, wie es vor 30 Jahren zu der Trennung von Tschechen und Slowaken kommen konnte, und damit unweigerlich dem Charakter der 1918 entstandenen Tschechoslowakei. "Am Anfang stand ein Handel: Ihr helft uns, die Deutschen an Zahl zu übertreffen, und wir euch, die Ungarn zu überrunden. Es ging um eine eindeutige Abkehr von Österreich-Ungarn (…) Groteskerweise bildete sich dabei eine Kopie Österreich-Ungarns im Kleinen heraus; auch hier stellte nur eine Nation die Regierung, die andere durfte zwar ihre Minderheiten unterdrücken, aber nicht der Souverän sein. Die Tschechen schlossen mit den Slowaken keinen dualen Kompromiss wie die Österreicher mit den Ungarn, sie gaben ihnen kein eigenes Gebiet. Stattdessen nannten sie sich eine 'tschechoslowakische' Nation, was alles Mögliche bedeuten konnte. Es konnte dabei um eine 'Staatsnation' gehen, einen Zusammenschluss von Bürgern unabhängig von ihrer ethnisch-nationalen Zugehörigkeit, diese müsste dann allerdings auch die Deutschen, Ungarn, Juden, Polen, Ruthenen und Roma umfassen … was nicht mehr ihrer zahlenmäßigen Mehrheit diente. Die Tschechen schlossen lieber nur die Slowaken in die Nation ein, setzten sich aber zugleich in die Rolle derer, die bestimmten, was diese Nation sei." Slačálek schließt seinen Essay mit einem Fazit, das eigentlich ein Wunsch ist: "Heute scheint die Geschichte der Tschechoslowakei lange abgeschlossen und lange her (…), aber vielleicht ist es gerade das Gegenteil: Vielleicht haben wir gerade jetzt die Chance, Tschechoslowaken zu sein. Ohne die Last eines gemeinsamen Staats, mit einer gemeinsamen, aber doch ausreichend entfernten Vergangenheit, mit Sprachen, die einander immer noch verstehen können. Wir können uns gegenseitig lesen und wahrnehmen - und einen gemeinsamen Kulturraum erschaffen. Dies unter der Bedingung, dass wir die eigene Vergangenheit reflektieren können, uns zugleich aber auch bewusst sind, dass es auf sie nicht mehr so sehr ankommt, sondern vor allem darauf, wer wir heute sein wollen."

Magazinrundschau vom 20.12.2022 - Novinky.cz

Ondřej Slačálek unterhält sich mit der ungarischen Politologin Eszter Kovátsová, die in ihrem soeben erschienenen Buch den Umgang mit dem sogenannten "Gender-Wahnsinn" in Deutschland und Ungarn miteinander vergleicht und etliche Parallelen zwischen der deutschen AfD und der ungarischen Fidesz findet, die im Übrigen beide voneinander profitierten: "Orbán und seine Maschinerie nutzen Deutschland (…) indem sie sich immer das extremste Beispiel von Trans-Aktivismus heraussuchen und daraus ein allgemeines Bild des Westens formen, um vor dem angeblichen Verfall zu warnen und davor, dass die ungarische Opposition, wenn sie an die Macht käme, all das Schreckliche aus dem Westen einführen würde, vor dem wir unsere Kinder und unsere Kultur schützen müssen", erklärt sie. "Die AfD und generell die extreme Rechte in Deutschland nutzen wiederum Orbán als Beispiel dafür, dass ein Aufbegehren möglich ist, dass eine Alternative existiert (…). Orbán hat es geschafft hat, dem Brüsseler Druck zu trotzen, die Gender Studies an Universitäten abzuschaffen und in die Verfassung aufzunehmen, dass der Vater ein Mann und die Mutter eine Frau ist, ein Gesetz durchzusetzen, das Kindern vor dem Gendern in Schule und Medien 'schützen' soll. So nutzt einer jeweils den anderen für seine Zwecke." Kovátsová stellt aber auch fest, "dass die AfD in Deutschland auf etwas reagiert, was wirklich geschieht, während die ungarische Fidesz nur Angst vor der Opposition macht."

Magazinrundschau vom 13.09.2022 - Novinky.cz

Anlässlich des Todes von Michail Gorbatschows befasst sich der Historiker Michal Macháček in einem Artikel über den "unglücklichen Reformator" auch mit Gorbatschows Verhältnis zur damaligen Tschechoslowakei. Gorbatschow, dessen Vater bei der Befreiung der Tschechoslowakei von den Deutschen verwundet worden war, habe sich dem Land nach eigenem Bekunden verbunden gefühlt. "'Zwanzig Jahre', lautete seine geflügelte Antwort auf die Frage, welchen Unterschied es zwischen der Politik der sowjetischen Perestrojka und dem Prager Frühling gebe. Gorbatschows Ansicht zum Jahr 1968 hatte freilich eine Entwicklung durchgemacht. Wie er selbst eingestand, hatte er die Invasion der sowjetischen Panzer in Prag anfangs unter dem Einfluss der Propaganda befürwortet. Doch bald seien ihm Zweifel gekommen, als er einige Monate darauf im Rahmen einer offiziellen Delegation die Tschechoslowakei besuchte und niemand sie wirklich willkommen hieß: 'Das war für mich ein Schock, plötzlich ging mir auf, dass wir aus globalen, strategischen und ideologischen Gründen etwas unterdrückt hatten, was in der Gesellschaft selbst herangereift war. Seitdem dachte ich immer mehr über uns selbst nach und gelangte zu dem traurigen Schluss, dass mit uns etwas nicht in Ordnung sei.'"