Magazinrundschau

Universelles Anti-Wunder

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
12.04.2016. In Elet es Irodalom nimmt Peter Esterhazy unter Tränen Abschied von Imre Kertesz. Im New Statesman huldigt Salman Rushdie den großen Magiern des Realismus. Die New York Times beobachtet in Oberbayern, wie aus Deutschland eine Republik wird. Der New Yorker lernt, geheime Dokumente aus Syrien zu schmuggeln. In Novinky erinnert Abnousse Shalmani an Kalifen, die für Salafisten nur Spott übrig hatten. Télérama entwirft das Porträt eines Dschihadisten. In El Espectador entdeckt Hector Abad die Namen seiner Freunde in den Panama Papers. Das TLS fürchtet langweiligen Sex in Pornutopia.

Elet es Irodalom (Ungarn), 12.04.2016

Ungarns Literaten sind noch voller Trauer über den Tod Imre Kertesz'. Sehr ergreifend schreibt Peter Esterhazy, wie er Kertesz am Sterbebett besucht hat. Der Text ist ein Auszug aus seinem Tagebuch eines Krebskranken, den Elet es Irodalom veröffentlicht: "Ich saß an seinem Bett und hielt seine Hand. Plötzlich ergriff mich das Schluchzen, mich schüttelnd strömten meine Tränen ... Imre röchelte, stöhnte, würgte ... Auch sprach er. Wahrscheinlich erkannte er mich, denn das Wort 'peter' fiel. Vergebens hörte ich hin, ich verstand nicht, was er sagte. Als hätte er in einer fremden, entlegenen Sprache gesprochen, die in ihrer Musik der ungarischen ähnlich ist, auch ungarische Wörter kamen in ihr vor. So hörte ich zu, ich erinnere mich: 'ich weiß nicht', 'ich lebe', 'sagen Sie ihm', 'sterben', 'er liebt mich', 'ich weiß, dass er mich liebt' (ich war gemeint, so habe ich es verstanden), 'der König der Ungarn', 'alles ist ein Fragment', 'ein großes Stück Papier', 'seine Stimme ist schön' (auch das war auf mich bezogen) ... Was soll ich dir nun mit meiner schönen Stimme sagen, flüsterte ich mit einem durch das Weinen verwässerten Lachen. Dein neues Buch ist schön, ich habe es nur angelesen, und es stört mich auch nicht, wenn ich mit dir nicht übereinstimme. Nichts deutet darauf hin, dass er meine schöne Stimme hörte. Ich saß knapp eine Stunde so. Manchmal leuchtete die Schönheit seines Gesichts auf. Irgendwie auch seine Stärke. Wieder einmal verstehe ich nicht, wofür das Leiden da ist. Wie früher, als falscher Mathematiker, als ich eine Formel oder ihre Herleitung endlich verstand, also dass ich es zuerst nicht verstand. Die Stellung des Leidens in der Schöpfung verstand ich bereits öfter, also kein einziges Mal."

Der Schriftsteller László Darvasi betont in einem weiteren Artikel, wie sich Imre Kertesz vehement dem Adorno-Diktum widersetzte und so korrigierte, dass nach Auschwitz Gedichte nur noch über Auschwitz geschrieben werden können": "Es wurde zu seinem Vorrecht nur darüber zu sprechen. Und es ist mehr als ein Vorrecht, Auschwitz ist sein Gott, seine Metaphysik, sein universelles Anti-Wunder, sie haben sich gegenseitig angeschaut und konnten einander nicht mehr loslassen."

Der Kunsthistoriker Péter György bemerkt allerdings bitter: "Letztlich steht fest: Kertész wurde nicht 'unser Schriftsteller', und dabei ist nicht von den neurotischen Antisemiten die Rede, sondern vom Milieu des literarischen Kanons. Es lässt sich nicht mehr ändern: so wird es in den Annalen festgehalten werden."

New Statesman (UK), 11.04.2016

Salman Rushdie schaut in den Literatenhimmel auf zu seinen großen Lehrmeistern Cervantes und Shakespeare, die vor vierhundert Jahren am 26. April 1616 starben (was, wie Rushdie erklärt, dasselbe Datum war, aber nicht derselbe Tag, denn die Engländer hinkten mit ihrem Julianischen Kalender hinterher): "Beide lieben hochfliegende Ideen und das Leben der Gosse, ihre Schurken, Huren, Beutelschneider und Trunkenbolde würden sich in der gleichen Schenke treffen. Dieses Bodenständige verrät sie beide als große Realisten, auch wenn sie sich als Fantasten gerieren, und so lernen wir, die wir ihnen nachfolgen, dass Magie nutzlos ist, wenn sie nicht im Dienste des Realismus steht - gab es jemals einen realistischeren Magier als Prospero? -, und der Realismus verträgt eine gesunde Dosis Fabulierlust. Schließlich greifen beiden auf Tropen aus Volksmärchen, Mythen und Fabel zurück, sie lehnen es ab zu moralisieren und vor allem darin sind sie moderner als alle ihre Nachfolger. Sie sagen uns nicht, was wir fühlen oder denken sollen, sondern wie."

Christian Wolmar glaubt nicht an die Zukunft selbstfahrender Autos: "Immer wenn ich Leute aus dem Bereich frage, was wir bis wann erwarten können, ergibt as nie ein voll automatisches Fahrzeug, sondern eine Reihe von Hilfsfunktionen für Fahrer Das ist ein entscheidender Unterschied. Es ist schlimmer als nutzlos, wenn der Fahrer die Automatik kontrollieren muss und eingreifen, sobald etwas Unerwartetes eintrifft."
Archiv: New Statesman

Newsweek (USA), 07.04.2016

Als Chef-Weltdeuter hat natürlich auch Slavoj Žižek die Panama Papers bereits gesichtet und seine Schlüsse daraus gezogen. Im aktuellen Spiegel bringt er seine Darlegungen auf Deutsch, doch derzeit noch nicht online. Die englische Variante des Textes findet sich aber online bei Newsweek. Für den slowenischen Philosophen bieten die Panama Papers einmal mehr Anlass zu akuter Systemkritik: "Zweierlei ist hervorhebenswert: Erstens, dass sich die Grenze zwischen legaler und illegaler Transaktion zusehends verwischt und oft genug zur Auslegungssache wird. Zweitens, die Wohlhabenden, die ihr Vermögen in Offshore-Accounts und zu Steueroasen geschafft haben, sind keine raffgierigen Monster, sondern Individuen, die sich bloß wie rationale Wesen in Sorge um ihren Besitz verhalten. Im Kapitalismus kann man das dreckige Wasser der Finanzspekulation nicht einfach ausschütten und das gesunde Baby der tatsächlichen Ökonomie behalten. Das Dreckwasser bildet schlussendlich die Lebensgrundlage des Babys."

Im vor wenigen Tagen online gestellten Gespräch mit Zeit Campus äußert sich der Autor unterdessen überraschend missmutig über solche Pieces zur aktuellen geopolitischen Lage: "Ich werde immer müder, diese politische Rolle zu spielen und Kommentare zu aktuellen Krisen zu schreiben."
Archiv: Newsweek

El Espectador (Kolumbien), 12.04.2016

Héctor Abad weist auf einen ihn besonders quälenden Aspekt der Panama Papers hin: "Solange verachtungswürdige Leute wie Putin, der Sohn eines Diamantenhändlers, der anrüchige Schwippschwager eines arroganten Politikers, der Sohn eines Paramilitärs, der Leibwächter von Hugo Chávez, ein Fußballer, der mir völlig wurst ist, oder ein dicklicher isländischer Premierminister auf der Liste auftauchten, war für meine Vorstellung alles in Ordnung. Als jedoch die Namen von Freunden oder Leuten, die ich respektiere, erschienen (Mario Vargas Llosa, Pedro Almodóvar, Humberto de la Calle), kam es gewissermaßen zum psychologischen Kurzschluss und ich fing an, nach Ausreden und Entschuldigungen zu suchen, obwohl alle im Prinzip dasselbe Vergehen begangen haben. Denn machen wir uns nichts vor: Konten in Steueroasen sind zu 90 Prozent ausschließlich dazu da, sein Geld vor dem Fiskus zu verstecken, ob es nun mit Kokain, dem eigenen Schweiß, bei der Spielbank oder durch eigene Gedankenleistung verdient worden ist. Wie traurig, auch wenn es dabei um unsere Freunde geht."
Archiv: El Espectador

New York Times (USA), 11.04.2016

Im aktuellen Magazin der NY Times beschreibt James Angelos Orte wie das oberbayrische Siegsdorf als Zünglein an der Waage zwischen Willkommenskultur und einem erstarkenden Nationalismus in Deutschland: "Deutschland kämpft mit seiner Selbstverwandlung weg von einer Republik des geteilten Blutes zu einer der geteilten Ideale. Im politischen Spektrum herrscht Einigkeit, dass deutsche Werte angesichts rascher sozialer Veränderungen propagiert werden sollen. Worum es sich dabei genau handelt, ist allerdings nicht eindeutig. Es geht um Leitkultur, also Werte jenseits der bloßen Rechtsordnung. Konservative nennen es die jüdisch-christliche Kultur und fordern, dass Immigranten sie annehmen. Linke Politiker dagegen finden, dass ein ehemaliges Nazi-Land derartige Forderungen lieber nicht stellen sollte … Ob Deutschland die Flüchtlingsfrage erfolgreich beantwortet oder in Angst und Nationalismus erstarrt, hängt davon ab, wie Gemeinden wie Siegsdorf die Herausforderung meistern. Wie ganz Bayern, so ist auch Siegsdorf sehr traditionsbewusst. Die entscheidende Frage ist nun, ob Einheimische und Asylsuchende gemeinsam ein neues Traditionsbewusstsein definieren können."

Außerdem: Michael Sokolove stellt den erfolgreichen Broadway-Produzenten Jeffrey Seller vor. Und Benoit Denizet-Lewis lernt eine Aktivistengruppe kennen, die in Los Angeles versucht, Vorurteile gegen Transgender auszumerzen - als Klinkenputzer.
Archiv: New York Times

New Yorker (USA), 11.04.2016

In der neuen Ausgabe des Magazins erzählt Ben Taub, welch ungeheuren Aufwand es erfordert, geheime Dokumente aus Syrien zu schmuggeln, die das Assad-Regime der Folter und des Massenmordes überführen sollen und die grausamste Details zutage fördern: "Die Dokumente über die Grenzen zu schaffen, ist das Gefährlichste an der Operation. Die großen Mengen an Papier sind schwer und natürlich belastend für den Informanten. Fotos, obgleich besser zu transportieren, sind vor Gericht schwer zu authentifizieren. Bündel zu etwa 500 Gramm kommen in Koffern an. Größere Ladungen benötigen mehr Vorsorge, Fahrzeuge, die Checkpoints passieren müssen. Der Überbringer der Dokumente muss wissen, was ihn dort erwartet. Die Kommission bezahlt Rebellen und Kuriere für logistische Unterstützung. Diplomatische Kontakte zu Transitländern sind nötig, sodass die Dokumente ungehindert und unerkannt wandern können. In einem Fall wurden einige Tausend Seiten Beweismaterial auf dem abgelegenen Bauernhof einer alten Dame im Süden Syriens zwischengelagert."

Außerdem: Hilton Als porträtiert die Schriftstellerin Maggie Nelson und ihre Erkundungen der menschlichen Seele, des "Normalen" und des Radikalen. Ariel Levy besucht Niki de Saint Phalles Tarot-Garten in der Toskana. Und Elizabeth Kolbert berichtet, wie Wissenschaftler die Evolution der Pflanzen und Tiere fit machen wollen für das Zukunftsszenario einer massiv bedrohten Umwelt.
Archiv: New Yorker

Novinky.cz (Tschechien), 05.04.2016

Die im französischen Exil lebende iranische Schriftstellerin Abnousse Shalmani spricht im Interview mit Štěpán Kučera über ihre Autobiografie "Khomeiny, Sade et moi" und fehlenden Reformwillen in der islamischen Welt: "Die islamische Gesellschaft erstickt. Sowohl die Religion an sich als auch der politische Islam benötigen eine Reform. Schon im 9. Jahrhundert, als es vier Schulen der Interpretation heiliger Texte gab, waren die konservativen Salafisten Zielscheibe des Gespötts - ihre wortwörtliche Auslegung war für die anderen Schulen lächerlich, da sie eine Rückkehr zur Gesellschaftsordnung der Zeit des Propheten Mohammed forderte. Noch bis ins 16. Jahrhundert, also etwa bis zur Zeit der europäischen Renaissance, unterstützten die Kalifen das aktive Nachdenken über die heiligen Texte. Seit dieser Zeit geht es jedoch bergab, jegliche Reflexionen und Analysen des Korans sind unerwünscht. Seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist ein stärkerer Wille spürbar, den Islam der modernen Zeit anzupassen - damit der Koran nicht zu einem toten Text wird. Dieser Gedanke ist im Innern der islamischen Länder lebendig, er ist nicht nur ein Thema der westlichen Intellektuellen, doch leider dringt das immer noch zu wenig zu Gehör, unter anderem deshalb, weil die Reformströmungen nicht über ausreichend Finanzen verfügen."
Archiv: Novinky.cz

Telerama (Frankreich), 11.04.2016

Wann werden junge Menschen zu Dschihadisten? Der Anthropologe Scott Atran und der Kognitionswissenschaftler Nafees Hamid haben zu der Frage geforscht und unter anderem festgestellt, dass der Dschihad immer jünger wird, immer mehr Frauen anziehen und sich aus der Frustration über den Westen speist: „"Nach siebzig Jahren relativen Friedens in Europa sehen sie den Krieg als ein Fest, glorreich, abenteurlich und cool. Die dschihadistischen Freiwilligen betrachten sich nicht als 'Nihilsten’', ein Attribut, das man ihnen häufig verpasst hat, um damit bewusst den Ernst und damit die reale Gefahr ihres Engagements zu ignorieren. Im Gegenteil, sie denken, sie bekämpften den Nihilismus des Westens, der in gewisser Weise darauf hinausläuft, sämtliche moralischen Konstruktionen, Religionen und metaphysische Überzeugungen zu zerstören, indem er alles relativiert und jeder Sache einen Geldwert zuschreibt.“"
Archiv: Telerama

HVG (Ungarn), 12.04.2016

Im Interview mit András Lindner sprechen die Dirigenten Ádám und Iván Fischer über die Bedeutung des Regietheaters für die zeitgenössische Oper. Für Ádám Fischer ist eine Balance zwischen Musik und Inszenierung entscheidend: "Wirkliches Theater entsteht dann, wenn die Musik nicht überproportional gut ist. Wenn die Sänger und der Dirigent alles übertrumpfen, bleibt das Theatererlebnis der Produktion wohl auf der Strecke. Bei modernen Inszenierungen wäre es entscheidend, dass die Vorstellung zur Musik heranwächst." Und Iván Fischer betrachtet alternative Bühnen zumindest temporär als Chance: "Die wertvollsten Produktionen entstehen gegenwärtig in den Konzertsälen und alternativen Spielstätten. Doch diese Orte sind nicht in der Lage als Rettungsring für die Oper zu dienen. Mit der Zeit müsste der Reformprozess die klassische Oper erreichen ... denn das Stammpublikum wird immer älter."
Archiv: HVG

Eurozine (Österreich), 08.04.2016

Ein Dialog zwischen Russland und der Ukraine ist unbedingt nötig, um die andauernde Krise zwischen den beiden Ländern zu beenden. Voraussetzung ist allerdings, dass Russland die Ukraine als eigenen Staat wirklich anerkennt, meint die in Wien lehrende ukrainische Politikwissenschaftlerin Tatiana Zhurzhenko. "Die Hauptfrage dabei ist, ob sich in Russland eine Gruppe für Versöhnung etablieren kann. Das kann nur geschehen, wenn der gegenwärtige imperialistisch-nationalistische Konsens über die Ukraine zerbricht. Ein Dialog mit russischen Liberalen wäre möglich, selbst wenn Ukrainer und Russen ihre jüngste Geschichte völlig unterschiedlich sehen. Aber zu allererst hängt die Zukunft der ukrainisch-russischen Beziehung davon ab, wie sich Europa verhält. Ein geschwächtes, egoistisches Europa, das seine Werte verrät, wird Putins Regime stärken und die ukrainische Gesellschaft in den ethnischen Nationalismus stoßen, der dann die einzige Option bleibt."

In einem Artikel, der vor dem niederländischen Referendum geschrieben wurde, warnt der Historiker Timothy Snyder: "Was wie eine lokale niederländische Frage aussieht, hat jetzt allgemeine Bedeutung. 'Nein' zu wählen würde bedeuten, die russischen Anstrengungen, die EU von innen zu destabilisieren, zu billigen und die Weiterführung der russischen Kriege in der europäischen Nachbarschaft zu unterstützen. Die niederländischen Bürger haben Glück, weil sie immer noch an den Wahlurnen für europäische Freiheiten stimmen können, statt ihr Leben dafür auf den Straßen riskieren zu müssen. Möge das so bleiben."
Archiv: Eurozine

Prospect (UK), 01.04.2016

In Prospect erinnert Colm Toibin an James Baldwins Kurzroman "Giovannis Zimmer", der vor 60 Jahren erschien. Neben Werken von Henry James und Ernest Hemingway gehört dieser Roman in die Reihe amerikanischer Romane, deren Helden ihre Befreiung (oder eine Art von Befreiung) in Paris erleben. Baldwin hatte diesen Roman aus der Perspektive zweier homosexueller Weißer geschrieben. Der Kombination von afroamerikanischer und homosexueller Erfahrung fühlte er sich damals noch nicht gewachsen, schreibt Toibin. "Das Verschweigen und Enthüllen ist zentral für 'Giovannis Zimmer', während der Erzähler mal als heterosexuell erscheint, dann als homosexuell, dann als beides, immer sowohl vorbereitet wie unvorbereitet, sich oder seine Verwirrung durch einen Blick, ein Starren oder einen Moment klaren Erkennens preiszugeben. Diese Idee des Enthüllens und des Erkennens ist von besonderem Interesse, denn die Arbeit jedes Autors ist fast immer Maskerade. Ein Schriftsteller erfindet ein Double, jemanden, der dem Autor gleicht und sich dann wieder von ihm unterscheidet."
Archiv: Prospect

Times Literary Supplement (UK), 09.04.2016

Kein bisschen spröde, sondern schön anschaulich schreibe die Philosophin Nancy Bauers freut sich Kate Manne über das Buch "How To Do Things with Pornography". Sehr einleuchtend findet sie Bauers Hinweis, dass ein Pornutopia, in dem alles immer möglich sei, Sex langweilig machen würde: "Ohne die Ungewissheit, wer wen und wann will, wird das Vergnügen nicht billig, sondern nichtexistent." Bauers Furcht allerdings, Pornografie verstelle den Blick auf die Realitäten, teilt sie nicht: "Wir konsumieren auch Koch-Shows im Fernsehen (Food-Porn), ohne uns selbst gleich für große Küchenexperten zu halten. Manchmal sehen wir sie uns sogar an, wenn - oder vielleicht weil - es zu aufwändig und anstrengend ist, selbst zu kochen. Also schalten wir den Fernseher und sehen, wie Nigella Lawson Sticky Toffee Pudding backt, während wir uns gedankenlos Pizza und was vom Chinesen reinstopfen. Wir lernen nichts, wir genießen nur das Zusehen."

Hollywood Reporter (USA), 07.04.2016

Vor 40 Jahren kam Martin Scorseses düsteres New-Hollywood-Meisterwerk "Taxi Driver" in die Kinos. Der Hollywood Reporter hat die wichtigsten an der Produktion Beteiligten für eine große, opulent bebilderte Oral History zusammengetrommelt - ein tolles Lesevergnügen für Cinephile. Die Dreharbeiten, erfährt man darin, waren ein echter Gewaltakt, genau wie die Postproduktion und die Filmbewertung durch die MPAA, bei der es darum ging, dem Verleiher Columbia das angedrohte, ansonsten für Sex- und Gewalteskapaden vorbehaltene X-Rating zu ersparen, was den kommerziellen Tod der Produktion bedeutet hätte. Scorsese war "rasend vor Wut. Ich beschwerte mich darüber und erzählte es allen Freunden und Kollegen. Damals sprach ich oft mit Eric Pleskow und Mike Medavoy von United Artists. Ich erinnere mich daran, wie ich beim Beauftragten von MGM saß und Dampf abließ, da sagten die beiden: 'Weißt Du was, wir übernehmen den Film. Ungesehen und mit X.' Ich rief also meine Produzenten an und informierte sie, dass U.A. den Film übernehmen würden. Doch die waren unsicher wegen legaler Probleme, wobei ja nun auch schon verrücktere Geschichten durchgezogen wurden. Das alles war eine Sache von wenigen Wochen, aber ich schnippelte an einigen der blutigen Szenen herum. Und ich war völlig gefangen genommen von der Idee der Farbentsättigung, wie sie [Kameramann] Oswald Morris bei John Hustons 'Moby Dick' angewendet hatte. Das wollte ich auch immer mal machen. Ich fragte also nach: 'Was, wenn wir die Farbe einfach runterpegeln ...?' Das Studio willigte ein - und deshalb sieht der ganze Schusswechsel am Ende heute so grobkörnig aus. Und endlich fühlte ich mich wohl mit dem Film.'"

Außerdem erzählt Richard Donner aus aktuellem Anlass, wie er Ende der 70er Jahre den ersten großen Superman-Film drehte.