Magazinrundschau
Die besten Jahre unseres Lebens
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
10.10.2017. In der New York Times fragt Thomas Chatterton Williams Ta-Nehisi Coates, warum Weiße auch im negativen Sinne immer etwas Besonderes sein sollen. Carlo Ginzburg erklärt in der New York Public Library, wie er Jude wurde. Der Merkur kreist um Exoplaneten. Die Paris Review erinnert an die sowjetische Kampffliegerin Lilja Litwjak. Hospodarske noviny würdigt den tschechischen Dichter František Listopad. In Film Comment erklärt Regisseur Todd Haynes, warum man in New York keine Spur der Siebziger mehr findet.
New York Times (USA), 07.10.2017

Im neuen Heft des New York Magazines teilt Wesley Morris ihre durchaus seltene Erfahrung, eine Weile nur noch Musik von Frauen zu hören und plädiert für einen Popmusik-Kanon von Frauen, für Frauen: "Es handelt sich um ein Problem, das nicht nur im Rolling Stone vorkommt. Seit 1971 listet eine jährliche Umfrage der Village Voice Country-Musiker nach Beliebtheit. Das Ergebnis ist fast durchweg männlich. Rankings in anderen Publikationen von Spin über Pitchfork bis New Music Expresss erzählen die gleiche Geschichte. Ebenso wie die 'Rock & Roll Hall of Fame', die unter 824 Einträgen nur 65 Frauen zählt. 75 Prozent der 300 Grammy-Nominierten für das Album des Jahres sind Männer. Was hier falsch ist, ist allerdings größer als jede Rangliste, größer als eine Liste zu lösen vermag. Die kulturelle Abwertung von Frauen ist institutionell, infrastrukturell und industriell bedingt. Männer kontrollieren die Musik von Anbeginn. Frauen spielen beim technischen und produzierenen Teil der Musik sowie bei der Labelarbeit nur eine sehr kleine Rolle. Ihr Anteil bei der Kanonisierung der Musik ist gering … Ranglisten sind etwas, das hinterfragt werden sollete. Nicht um Bob Dylan von seinem Thron zu verjagen, aber um zu verstehen, dass es auch Göttinnen neben ihm gibt."
Ferner: Jordan Kisner trifft die Schauspielerin Frances McDormand, die gern komplexe Frauenfiguren spielt. Geoff Dyer stellt seine Lieblingsband vor: das australische Ambient-Jazz-Trio The Necks. Und Dorie Greenspan empfiehlt einen Reise-Kuchen, der sich wirklich überall mit hinnehmen lässt, wie praktisch.
Wild River Review (USA), 10.10.2017
Joy E. Stocke, Mitbegründerin des Magazins, dokumentiert ein Gespräch (hier als Video), das Paul Holdengräber, Direktor der New York Public Library, mit dem italienischen Historiker und Kulturwissenschaftler Carlo Ginzburg geführt hat. Holdengräber wollte wissen, was es für Ginzburg heißt, jüdisch zu sein: "Ginzburg erinnert sich lebhaft, wie er mit Mutter und Großmutter an der Front in den Bergen über Florenz lag. Die Deutschen waren auf dem Rückzug nach Norden und metzelten Zivilisten nieder. 'Meine Großmutter befahl mir zu sagen, mein Name wäre Carlo Tanzi, der nicht-jüdische Name ihres Vaters. Sie schrieb den Namen in das Buch, das ich las, der Titel lautete 'The Happiest Child in the World'. Zurückblickend stelle ich fest, dass ich in dem Moment zum Juden wurde. Letzten Sommer erzählte ich zwei israelischen Studenten in Berlin davon. Sie waren schockiert. Ich muss die Hintergründe erklären. Es gibt eine Abwehr gegen die weit verbreitete Annahme von Identität. Ich persönlich mag diese Annahme nicht. Ich denke Identität wird als politische Waffe benutzt, um Grenzen zu ziehen und Gruppen oder Individuen zu marginalisieren. Identität kann nicht analytisch betrachtet werden. Aber ich möchte auch einen anderen Ansatz zur Erklärung dessen vorschlagen, was ein Individuum ist. Nehmen wir an, ein Individuum verfügt über Punkte, an denen sich unterschiedliche Mengen überschneiden. Ich gehöre der Menge der menschlichen Spezies an. Ich gehöre noch weiteren Mengen an: Geschlecht, Sprachgemeinschaft, Beruf usw. Als Historiker stelle ich mir das Individuum weniger allgemein vor und mehr als Interaktion genau bezeichneter Elemente … Die Vorstellung des Judeseins leuchtet mir nicht ein. Aber eine sich verändernde Beziehung zwischen all diesen Elementen und noch anderen Elementen, die eine sich verändernde Beziehung zum Judesein beinhaltet, leuchtet mir sehr wohl ein. Denkt man über das Judewerden nach, muss man sich fragen, wie diese Beziehung sich ändert.'"
Slate.fr (Frankreich), 09.10.2017

Guardian (UK), 06.10.2017

Merkur (Deutschland), 09.10.2017

Roberto Simanowski hat keine Angst vor dem Todesalgorithmus selbstfahrender Autos und es würde wohl auch nichts nützen: "Die Möglichkeit, den Stecker zu ziehen, wenn die ermächtigte künstliche Intelligenz sich gegen unsere (unmittelbaren) Interessen stellt, wird es nicht geben. Sie wird klüger sein, als wir denken."
Paris Review (USA), 06.10.2017

Hospodarske noviny (Tschechien), 03.10.2017

Film Comment (USA), 25.09.2017

Eurozine (Österreich), 05.10.2017

New Yorker (USA), 16.10.2017

Weitere Artikel: Alexandra Schwartz porträtiert die Schriftstellerin Jennifer Egan. Andrew Marantz zeichnet den Werdegang des rechtsnationalen Bloggers Mike Peinovich alias Mike Enoch nach. Claudia Roth Pierpont liest Walter Isaacsons Leonardo-da-Vinci-Biografie. Jill Lapore vertieft sich in die Begräbnis-Riten, die die ihr die Bestatterin Caitlin Doughty in ihrem Buch "From Here to Eternity. Traveling the World to Find the Good Death" vorstellt. Anthony Lane sah im Kino Denis Villeneuves "Blade Runner 2049". Lesen dürfen wir außerdem Tessa Hadleys Erzählung "Funny Little Snake".
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