
In einem sehr interessanten
Hintergrundartikel stellt Léa Polverini die inzwischen häufig beschriebene
chinesische Politik der sozialen Hygiene, die mit ihren Überwachungstechnologien am liebsten in die Hirne der Bürger kriechen würde, in einen säkularisiert
spirituellen Kontext. An die Stelle religiöser Kulte, die als Konkurrenz zur Staatsideologie betrachtet werden, soll ein neuer und kompatibler Kult der
Partei und ein steriler
Führerkult um Xi Jinping treten. Der Sinologe Vincent Goossaert erklärt im Gespräch mit der Autorin, wie traditionelle religiöse Praktiken Chinas unter dem Siegel der "Kultur" wieder zugelassen werden. Xi Jinping lässt sich dabei zugleich als "
nahbarer Führer" verehren, der anders als die Kaiser für das Volk sichtbar ist und Harmonie mit seiner Bevölkerung aufbaut: "Hinter dem monumentalen Projekt der elektronischen Erfassung der Bevölkerung, das gute Taten und schlechte Taten durch ein Punktesystem und einen 'sozialen Kredit' abwägen will, steht auch die Idee, dass man 'die
menschliche Qualität der Chinesen und Chinesinnen verbessern kann', betont Goossaert: 'In dieser Logik er moralischen
Bewertung aller Taten nimmt der Staat den
Platz der Gottheiten ein, die einst Buch führten. Das ist zugleich utopisch und zutiefst religiös. Es ist eine formalisierte Gewissensprüfung mit der Idee, dass der Staat nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Menschen, ihre Leben und ihre Seelen transformiert.'"
Sehr lesenswert auch Aude Lorriaux'
Reportage über die verzweifelte Lage von
Polinnen, die eine
Abtreibung suchen - die Gesetze sollen mal wieder verschärft werden.