Magazinrundschau

Spione der Diözese

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
24.06.2008. The New Republic porträtiert den jüngsten Helden von Tienanmen, den Notfall-Chirurgen Jiang Yanyong. In Tygodnik Powszechny erklärt der Historiker Jochen Staadt, warum die Aufarbeitung der Stasiakten alles, aber keine Hexenjagd ist. In HVG vermisst der Dichter Zoltan Poos Vergangenheitsbewältigung in Sachen 1956. Lustration war gestern, jetzt sind die Polen in der Stimmung, einen drauf zu machen, meint Polityka. Der Spectator fürchtet einen Bürgerkrieg in der Katholischen Kirche. Der Espresso porträtiert die zwei berühmtesten Flüchtigen vor der italienischen Justiz. Das TLS liest die Tagebücher Sergej Prokofjews. Die besten englischsprachigen Bücher kommen derzeit aus Pakistan, hält Outlook India fest.

New Republic (USA), 09.07.2008

Die neues Ausgabe der New Republic ist dem neuen China gewidmet, das sich kein bisschen vom alten unterscheidet, wie das Heft zeigt.

Philip P. Pan poträtiert in einer sehr ergreifenden Geschichte den "letzten Helden von Tienanmen": Den Notfall-Chirurgen Jiang Yanyong, der die chinesischen Behörden erst dazu gezwungen hat, die Verbreitung von SARS offenzulegen und im darauf folgenden Jahr, 2004, in einem Brief an die chinesische KP festhielt, wie er als Chirurg des Krankenhauses PLA No. 301 den 4. Juni 1989 miterlebt hat: "'Ich habe zuvor verwundete Soldaten behandelt, während meines Einsatzes als Arzt im Eisenbahn-Korps der Volksbefreiungsarmee , das die Chengdu-Kunming-Strecke baute. Deren Verletzungen resultierten aus unvermeidbaren Unfällen während der Konstruktionsarbeiten, doch hier in Peking, der wunderbaren Hauptstadt Chinas, lagen vor meinen Augen unsere eigenen Leute, getötet von unserer Volksarmee, mit Waffen, die wir dem Volk verdanken.' Jian schrieb auch darüber, wie er darum gekämpft hatte, einen jungen Athleten zu retten, der jedoch auf dem Operationstisch starb, weil das Krankenhaus nicht genügend Blutreserven hatte." Wie Pan weiter berichtet, dauerte es nur wenige Monate, bis Jiang Yanyong "zu seinem eigenen Schutz" von Militärs abgeholt wurde und in einem Gästehaus "auszuruhen, zu studieren und sein Verständnis zu verbessern".

Das Editorial diagnostiziert ein China-Syndrom, nach dem Präsidentschaftskandidaten immer recht harte Töne gegenüber Peking anschlagen, jedoch leisetreten, sobald sie im Amt sind.
Archiv: New Republic

Tygodnik Powszechny (Polen), 22.06.2008

Beim Thema Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit wird in Polen oft die Tätigkeit der Birthler-Behörde als Beispiel angeführt. Dabei wurden dort bisher nur etwa 40 Prozent der Stasi-Akten geordnet, bemerkt der Historiker Jochen Staadt. Vehement widerspricht er der Feststellung, die Aufarbeitung gleiche einer Hexenjagd: "Mit diesem Vergleich tun wir den Hexen Unrecht - unschuldigen Frauen, die von religiösen Fanatikern verfolgt wurden. Würde man diese Analogie auf heute übertragen, wären die Stasimitarbeiter die Hexenjäger. Leider wurde diesen, genau wie den IMs nach 1989 kaum ein Haar gekrümmt. Nur die wenigsten wurden nach der Wende verurteilt."

Ähnliche Erfahrungen beschreibt der deutsch-rumänische Schriftsteller Richard Wagner. Aus den Akten des rumänischen Geheimdienstes Securitate erfuhr er, dass ihm seine Zugehörigkeit zur deutschen Minderheit die Etiketten Faschist und Staatsfeind einbrachten. Einer der Spitzel, die Wagner ausspionierten, sei heute bei der Landsmannschaft der Banatschwaben in München aktiv!

HVG (Ungarn), 19.06.2008

Der Dichter Zoltan Poos vermisst die Vergangenheitsbewältigung auch in Sachen 1956: "Die neueste Geschichte Ungarns beginnt mit 1956 - noch heute definieren sich die Ungarn in ihrem Verhältnis zu diesem Datum. 1956 ist eine Frage der Identität. Kann man mit Leuten zusammen feiern, die vor 1989 in parteieigenen Ferienheimen Eiskaffee schlürfend in Gelächter ausbrachen, wenn jemand leise den Namen Imre Nagys erwähnte? Unsere Losungsworte damals waren: Geschmack, Eleganz, Gerechtigkeitssinn. 1989 hatte das Land, das die zähen Merkmale des Verfalls aufwies, einen Kompromiss mit der die Revolution von 1956 im eigenen Blut erstickenden Macht geschlossen, und die Traumata von 1948 bis 1989 bis heute nicht aufgearbeitet. Die Entschuldigungen blieben aus, nicht einmal ein leises Pardon war zu hören."
Archiv: HVG

Elet es Irodalom (Ungarn), 20.06.2008

In Ungarn sind jüngst die Tonbänder des Schauprozesses gegen Imre Nagy im Jahr 1958 veröffentlicht worden. Der Historiker Janos M. Rainer hört sie sich genau an und erkennt in den Stimmen der "schrecklichen Juristen" die neue gesellschaftliche Basis, die sich der Stalinismus in Ungarn nach dem Krieg geschaffen hatte: "Die Stimme des Staatsanwalts zischt so inquisitorisch, als käme sie aus einer spätmittelalterlichen Folterkammer. Die unkontrollierten Wutausbrüche des Richters, der die Angeklagten in einer erbärmlichen Mischung aus Juristen- und Aktivistensprache niederbrüllte, lassen eher einen knüppelschwingenden Offizier der Staatssicherheit als einen Richter vermuten. Diese Leute verlangten nach Rache und nach Blut - weil sie während des Prozesses der Machtübernahme der ausgehenden vierziger Jahre im Zeichen dieser Kultur in die Elite aufgestiegen waren."

Polityka (Polen), 21.06.2008

Der Fünfjährige Krieg ist vorbei, stellt Jacek Zakowski (auch auf Deutsch) fest, und meint damit die innenpolitischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Jetzt wollen die Polen Spaß haben! "Der starke Zloty, der schwächer werdende Dollar und die niedrigen Zölle geben Millionen Polen endlich Konsumchancen, an welche sich keine lebende Generation erinnert. Doch wenn man unsere Verhaltensweisen etwas näher betrachtet, kann man bemerken, dass es hier nicht allein um den traditionellen Konsum geht, sondern um viel mehr - um Freude. Um die Befreiung von der Last der Unsicherheit, des Transformationsstresses, der Entsagungen und Ängste. Nach fast zwanzig schweren Jahren, nach dem düsteren Fünfjährigen Krieg und nach den spannungsgeladenen zwei Jahren der Vierten Republik müssen wir um beinahe jeden Preis den Stress abreagieren und das erleben, worauf wir früher verzichten mussten oder was uns unerreichbar schien. Jeder tut das auf seine Weise und je nach seinen Möglichkeiten, aber zum ersten Mal nimmt die Mehrheit der Gesellschaft daran teil." Das ist nicht einfach nur eine Veränderung, meint Zakowski, "das ist eine Revolution".
Archiv: Polityka

Spectator (UK), 23.06.2008

In England steht es Spitz auf Knopf zwischen den konservativen Befürwortern der tridentinischen Messe, die Papst Benedikt im vergangenen Jahr wieder erlaubt hatte, und den eher liberalen englischen Bischöfen, glaubt Damian Thompson. Ein vorläufiger Höhepunkt war die Einladung an Kardinal Dario Castrillon Hoyos, die Messe in Westminster Kathedral zu halten. "Er akzeptierte, was liberalen Bischöfen nur eine Antwort ließ: sie schützten wichtige Angelegenheiten anderswo vor. Deshalb war keiner der Bischöfe von Westminster bei der pontifikalen Messe anwesend, auch wenn Spione der Diözese ihre Hälse verrenkten, um zu sehen, ob sich Mitglieder der örtlichen Priesterschaft eingeschlichen hatten (und damit ihre Beförderungschancen ruinierten). Als ich den Mittelgang entlangschritt, wurde ich von einem jungen Priester begrüßt, der ganz hinten saß, in Zivil. 'Ich kann es mir eigentlich nicht leisten, hier zu sein, aber ich konnte einfach nicht widerstehen.' Vielen Kirchenbesucher mag es nicht bewusst sein, aber die katholische Kirche in England und Wales schlittert auf einen Bürgerkrieg zu."

Wir erleben die Dämmerung eines neuen Hippie-Zeitalters, beobachtet Reihan Salam und bringt Beispiele von Familien wie dieser, die all ihr Hab und Gut verkaufen und aufs Land ziehen.
Archiv: Spectator
Stichwörter: England, Hippies, Priesterschaft, Spio

Espresso (Italien), 20.06.2008

Ein Schwurgericht in Neapel hat am Donnerstag die Haftstrafen gegen mehrere Mitglieder der neapolitanischen Camorra bestätigt. Mit 16 lebenslänglichen Gefängnisstrafen war der Spartacus-Prozess einer der größten Mafia-Prozesse in der Geschichte Italiens. Fünf Zeugen oder deren Verwandte wurden im Laufe des Verfahrens ermordet. Grund genug für den Espresso, seine Berichterstattung über die Mafia noch einmal in einem Schwerpunkt zusammenzufassen. Der Casalesi-Clan ist in Aufruhr, berichten Gianluca Di Feo und Claudio Pappaianni. Jetzt hängt alles von den beiden weiterhin flüchtigen Bossen Antonio Iovine und Michele Zagaria ab. "Zagaria ist ein ungewöhnlicher Casalesi, der nach Angaben von Informanten auch eine Spur Kokain nicht verschmäht, was im Clan eigentlich verboten ist. Er besteht darauf, wie ein Priester behandelt zu werden: 'Du sollst tun, was ich sage, und nicht machen, was ich tue.' Er weiß, wie man das Image bedient: Seine Angestellten empfängt er in prunkvollen Villen und begrüßt sie mit einem Tiger an der Leine. So ist er zusammen mit seinem Bruder Pasquale der König der Ausschreibungen geworden: der Hochgeschwindigkeitszug Tav, das neue Gefängnis, die lokale Eisenbahnlinie, und schließlich die Radarbasis der Nato."
Archiv: Espresso
Stichwörter: Mafia, Nato, Neapel, Clan, Camorra, Kokain

ADN cultura (Argentinien), 21.06.2008

EM, was für eine EM? Juan Villoro (s. a. hier) erzählt, wie er das erste Mal dabei sein durfte, "wenn in der Welt des Fußballs Weihnachten ist: beim 'Superclasico' Boca - River in der 'Bombonera', dem Sonderfall, den Canetti in 'Masse und Macht' ausgelassen hat: einzig in seiner Art, wie der Mount Everest oder die Mona Lisa, einer dieser Orte, an denen sich die Japaner ablichten. Und das einzige Stadion, wo man sich nicht vom Spielfeld entfernt, während man die - schwindelerregend steilen - Ränge hinaufsteigt: Es empfiehlt sich, vorher einen Trainingskurs gegen Höhenangst zu absolvieren. Die Bezeichnung '12. Mann' für das Publikum wurde in Argentinien erfunden, und einer der Boca-Fan-Clubs heißt dementsprechend 'Die 12'. Aber seine Mitglieder kommen nicht, um das Spiel zu sehen, sondern um es schreiend selbst auszutragen. Die Argentinier sind heute allerdings die großen Nomaden des Fußballs: 'Wenn sie gut wären, würden sie nicht hier spielen. Veron ist wieder da, weil er alt ist, und Riquelme, weil er seltsam ist', meint ein Taxifahrer. Nur die Fans harren aus in der Bombonera."
Archiv: ADN cultura

New Yorker (USA), 30.06.2008

Als "zweifelhaften Segen" empfindet Paul Goldberger die neuen architektonischen Visionen in der Pekinger Skyline. "Die Einheimischen nennen Peking Tan Da Bing, was sich ausbreitender Pfannkuchen bedeutet. (?) Das alte Peking, ausgelegt für Fußgänger und Militäraufmärsche, hat sich als schlechter Rahmen für den Ausbau in eine moderne Stadt erwiesen. In den Tagen, als Peking berühmt für sein Gewimmel aus Fahrrädern, seine Unangemessenheit für Autos war, machte das nichts; heute gibt es Autos, und binnen einer Generation hat sich Peking von einer Stadt, die den alten Geist ausstrahlte, zu etwas entwickelt, das sich wie Houston anfühlt. (?) Gedränge, Luftverschmutzung und Zersiedelung prägen die Stadt noch immer, doch die neue Architektur, weit entfernt davon, einen amerikanischen Fehler zu wiederholen, übersteigt, was die meisten amerikanischen Städte je willens oder imstande zu tun wären. Das hat Auswirkungen auf die Stimmung der Stadt: Die Menschen sprechen über die neuen Gebäude und erkennen, ob sie diese nun gut finden oder nicht, dass derartig gewagte Konstruktionen nirgendwo anders gebaut werden würden."

Weitere Artikel: Atul Gawande stellt eine neue Theorie vor, die Jucken beziehungsweise Kratzen nicht mehr als Leiden, sondern als Gefühlsempfindung erklärt. Connie Bruck porträtiert den Immobilien-Milliardär Sheldon Adelson, der nach weltweitem Einfluss strebt. Lauren Collonis informiert über die Aktivitäten der Anti-Ginkgo Tolerance Group, die etwas gegen die nach "altem Käse" und "Kotze" stinkenden New Yorker Ginkgo-Bäume unternehmen will. Zu lesen sind außerdem die Erzählung "Deep-Holes" von Alice Munro und Lyrik von Charles Wright (das zweite Gedicht hier) und Karl Kirchwey.

Pankaj Mishra rezensiert den Roman "Beijing Coma" (Farrar, Straus & Giroux) von Ma Jian. Die Kurzbesprechungen widmen sich unter anderem dem ebenso komischen wie unheimlichen Debütroman "Personal Days" von Ed Park (Random House). Und Anthony Lane sah im Kino den Thriller "Wanted" von Timur Bekmambetov und den Scinece-Fiction-Film "The Happening" von M. Night Shyamalan.
Archiv: New Yorker

Times Literary Supplement (UK), 20.06.2008

G.S. Smith preist die Tagebücher Sergej Prokofjews, von denen gerade der zweite Band auf Englisch erschienen ist und deren Prosa den gleichen Sinn für Nuancen und Timing aufweise wie seine Musik. "Dass die Tagebücher die politischen Umstände überlebten, verdanken wir der selbstloser Entschlossenheit einiger mutiger Individuen und einer gehörigen Portion reinen Glücks. Prokofjew hatte die Tagebücher in den USA deponiert, nachdem er sie überraschenderweise bei seiner ersten Rückkehr nach Russland 1927 zurückbekommen hatte. Nach seinem Tod wurden sie von der sowjetischen Regierung beschlagnahmt und in ein Archiv gegeben, das undurchdringbar sein sollte. Die Entwicklungen nach 1991 erleichterten den Zugang zu den Tagebüchern durch die Familie des Komponisten aus erster Ehe. Dann kam die gewaltige Aufgabe, aus dem Manuskript einen lesbaren Text zu gestalten, den der Komponist nach 1914 kodiert hatte, indem er die Vokale strich. Diese Arbeit wurde von Prokofjews ältestem Sohn Swjatoslaw geleistet, mit Hilfe von dessen Sohn Sergej und Sergejs Frau Irina."

George Fitzherbert bespricht eine Reihe neuerer Bücher zu Tibet und seiner Geschichte. Für eine "chinesische Version" hält er Darstellungen, nach denen Tibet von 1950 eine grausame, feudale Tyrannei gewesen sei und stellt klar: "Die tibetische Kultur produziert ihre eigene Führung. Die Chinesen täten gut daran, anzuerkennen, dass sie in Tibet keine Macht verleihen können. Sie können sie nur anerkennen."
Stichwörter: Tibet, Prokofjew, Sergej

Point (Frankreich), 19.06.2008

Bernard-Henri Levy kommentiert das irische "Nein" zur europäischen Verfassung als Quittung an die Politiker, die Europa nicht mehr um Europas willen wollen: "Keiner unserer Staatsmänner, und seien sie im Herzen und aus Überzeugung Europäer, wagt es seit Jahren, anders darüber zu sprechen als unter dem Aspekt konkreter, unmittelbarer, materieller Vorteile, welche die unter Europas Farbe vereinten Nationen daraus ziehen können. Alle, fast alle, stimmen langsam aber sicher in jene Grundhaltung ein, die darin besteht, ihren jeweiligen Völkern ins Ohr zu flüstern: ,Lasst uns Europa machen, nicht weil es Europa ist, nicht weil es ein neues, begeisterndes, großartiges, politisches Projekt mit eigenen Werten ist, sondern weil es gut für die Nationen ist und vor allem für die unsrige.' Wie sollte angesichts dessen dieses oder jenes Volk, wie in diesem Fall die Iren, nicht jeden Nutzen, den es daraus zu ziehen erhoffte, einstreichen und im Spiel bleiben?"
Archiv: Point

Outlook India (Indien), 23.06.2008

Die meisten international bekannten auf Englisch schreibenden Autoren Südasiens kommen aus Indien. Nun annonciert William Dalrymple aber geradezu eine Welle englischsprachiger Bücher aus Pakistan - dazu gehören sowohl Romane als auch Reportagen. Als eines der bemerkenswertesten Bücher nennt Dalrymple den Roman "A Case of Exploding Mangoes" (Auszug) von Mohammed Hanif: "Das Buch leistet etwas Neues für die südasiatische Literatur: Es ist ein unterhaltsamer, finster komischer politischer Thriller und eine satirische Farce über die Brutalität, Dummheit und Heuchelei pakistanischer Militärdiktatoren. Tief verwurzelt in Hanifs eigener Geschichte - er war zunächst pakistanischer Luftwaffenkadett, dann politischer Journalist und leitet heute den Urdu-Service der BBC - weist das Buch einige der besten Tugenden der neuen pakistanischen Literatur auf. Wie Mohsin Hamids 'Der Fundamentalist, der keiner sein wollte', dem es in mancher Hinsicht ähnelt, ist es intelligent, witzig und bodenständig und nie elitär."
Archiv: Outlook India

Weltwoche (Schweiz), 19.06.2008

In der Weltwoche lesen wir den Anfang des Interviews, das Andre Müller mit Jonathan Littell geführt hat. An einer Stelle geht es um Michel Houellebecq:
"Müller: Was Sie mit Houellebecq verbindet, ist die Betonung des Sexuellen.
Littell: Darüber können wir gerne reden, solange es nicht persönlich wird.
Müller: In Ihrem Roman beschreiben Sie ausführlich die homosexuellen Praktiken der Hauptfigur, eines SS-Offiziers im Zweiten Weltkrieg. Ich habe mich gefragt, woher Sie Ihre Kenntnisse haben.
Littell: Darauf antworte ich nicht. Chacun sa merde, wie die Franzosen sagen. Das ist privat. Sie sollten mich nicht fragen, mit wem ich ficke. Ich frage Sie ja auch nicht, mit wem Sie ficken.
Müller: Ich ficke nicht.
Littell: Dann tun Sie mir leid. Mögen Sie Käse?
Müller: Käse?
Littell: Es gibt hier eine französische Käseplatte.
Müller: Ich teile alles mit Ihnen."
Das ganze Interview kann man heute online in der FR lesen.

Weitere Artikel: Andreas Kunz skizziert die Gefahren chinesischer Cyberspionage. Franziska K. Müller hörte eine Lesung aus der Autobiografie Pippin Wigglesworths.
Archiv: Weltwoche

New York Times (USA), 22.06.2008

Noah Feldman, Harvard-Jurist und New York Times-Kolumnist beklagt im Sunday Magazine eine Welle der Islamophobie in Europa. Anders als die Vereinigten Staaten hätte Europa seine eigene Geschichte des Rassismus nicht verarbeitet. "Hitlers grausiger Erfolg bei der Ermordung der Juden führte dazu, dass den entstehenden Nachkriegsgesellschaften die Erfahrung der Differenz verlorenging, denn die Differenz war zum großen Teil ausgelöscht. Heute, da die Geburtenrate der europäischen Muslime die ihrer Nachbarn bei weitem übertrifft, scheint es, als würde Europa zum ersten Mal eine Differenzerfahrung machen. Theoretisch erinnert sich Europa an den Holocaust. Aber man mag an der Tiefe dieser Erinnerung zweifeln. Viele Europäer scheinen vergessen zu haben, das ihr Kontinent die Heimat anderer Außenseiter war, bevor die Muslime kamen."

In der Sunday Book Review wird unter anderem David R. Prices Buch über die Erfolge Steve Jobs mit der Trickfilmfirma Pixar besprochen (hier ein Auszug aus dem Buch). Im ausufernden Aufmacher des Sunday Magazines schreibt Alex Witchel über die neue Kult-TV-Serie "Mad Men".
Archiv: New York Times