Jonathan Littell

Die Wohlgesinnten

Roman
Cover: Die Wohlgesinnten
Berlin Verlag, Berlin 2008
ISBN 9783827007384
Gebunden, 1388 Seiten, 36,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Hainer Kober. "Die Wohlgesinnten" sind die fiktiven Lebenserinnerungen des SS-Obersturmführers Maximilian Aue, Jahrgang 1913, Sohn eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter, promovierter Jurist, frühes NSDAP-Mitglied, in die SS eingetreten, um sich der Strafverfolgung nach Paragraf 175 zu entziehen, aber lebenslang seiner Zwillingsschwester inzestuös verbunden ist. Es sind die verstörenden Erinnerungen an die Schauplätze des Zweiten Weltkriegs und an das Grauen der Verfolgung und Vernichtung der Juden von Juni 1941 bis April 1945, an die Einsatzkommandos und Massenhinrichtungen in der Ukraine und im Kaukasus, an Babi Jar, den Kessel von Stalingrad, Auschwitz und Krakau, an Mittelbau Dora, das besetzte Paris oder das kriegszerstörte Berlin. Es sind die beklemmenden Erinnerungen an all die Begegnungen mit den Nazigrößen, an Himmler, in dessen persönlichen Stab Aue 1943 aufgenommen wird, an Abendessen mit Eichmann, an Heydrich, Höß oder Speer.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.02.2008

Die NZZ lässt Jonathan Littells dickleibigen Roman gleich aus zwei Perspektiven besprechen - neben dem Historiker Christoph Jahr befasst sich der Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte ausführlich mit dem Werk. Wie sein Kollege kann Ritte dem Buch freilich wenig Positives abgewinnen. Nicht zu bestreiten sei selbstverständlich der Fleiß, mit dem Littell historisches Wissen über die Nazi-Zeit gesammelt hat und nun "in allen möglichen Einzelheiten" im Roman unterbringt. Literarisch bewältigt aber werde das ganze Material keineswegs. Das zentrale Problem ist für den Rezensenten der Ich-Erzähler und Protagonist Max Aue, der schwule, hoch gebildete Nazi. Dem nämlich, seinem Denken, seinem Sprechen und seinem Tun mangele es an der "Konsistenz", die nötig wäre, um die Figur und ihre Verwicklung in die Geschichte auch nur ansatzweise glaubhaft werden zu lassen. Prätenziöse, der klassischen Musik entlehnte Überschriften täuschten zudem über die literarische Dürftigkeit des Ganzen nur sehr oberflächlich hinweg. In Wahrheit bleibe das Buch eine "Zumutung" und lese sich wie das Ergebnis der "Paarung eines Kolportageromans mit einer Historikerbibliothek".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.02.2008

Die NZZ lässt Jonathan Littells dickleibigen Roman gleich aus zwei Perspektiven besprechen - neben dem Historiker Christoph Jahr befasst sich der Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte ausführlich mit dem Werk. Wie sein Kollege kann Jahr dem Buch freilich wenig Positives abgewinnen. Gewiss, da steckt jede Menge Recherche drin und Littell lasse kaum eine Gelegenheit aus, seinen schwulen Nazi-Protagonisten Max Aue in allen wichtigen Treffen von Parteigrößen unterzubringen; nur in der Wannsee-Konferenz hat er ihn denn doch nicht schmuggeln können. Die Frage ist nur, ob aus der Fleißarbeit irgendwelche neuen Erkenntnisse zu gewinnen sind. Und darauf lautet Christoph Jahrs Antwort sehr deutlich: nein. So sei die gesamte Anlage der Figur völlig unplausibel, ja, der Nazi als "Dämon" ist, so der Rezensent, ein in der Forschung schon eine ganze Weile verabschiedetes Muster. Die sexuellen Obsessionen Aues, an denen das Buch den Leser ausführlich teilhaben lässt, stehen zum historischen Geschehen, so Jahr, in keinem interessanten Verhältnis. "Die Wohlgesinnten" ist deshalb, lautet das Resümee, auf allen Ebenen "ein großer Schritt rückwärts".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.02.2008

Der im Vorfeld bereits so viel diskutierte Roman von Jonathan Littell war für Dirk Knipphals eine Enttäuschung. Den Erwartungen, die die heftigen Auseinandersetzungen in Frankreich und der im Vorfeld vor allem von der FAZ gestartete Hype weckten, hält das Buch bei der Lektüre in keiner Weise stand. Die interessanten Fragen, die man sich nach Kenntnis der Grundkoordinaten - aus der Perspektive eines schwulen, gebildeten Nazis erzählte Geschichte, sexuelle Obessionen des Protagonisten et cetera - im vorhinein stellen durfte, unterbiete der Roman im Grunde. Er ist, so Knipphals, ein "Schwamm", der vieles aufsaugt und auf nicht gerade engstem Raum versammelt - aber kaum etwas werde überzeugend ausgearbeitet. Am allerwenigsten der Charakter des Helden selbst: Diese Figur werde auf den fast anderthalbtausend Seiten nicht glaubwürdig. Gewiss, ein paar gelungene Stellen, Zuspitzungen zur "Bürokratiegroteske" etwa, gibt es auf der "langen, langen" Strecke schon. Für ein derart ambitioniertes Buch ist das aber, wird man die Kritik resümieren dürfen, entschieden zu wenig.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 22.02.2008

Micha Brumlik holt weit aus, um diesen Roman elegant in der Luft zu zerreißen. Nennt er Jonathan Littells Werk seiner 400 Seiten wegen anfangs immerhin noch eine "beeindruckende Fleißarbeit", so lässt sein Urteil im letzten Satz an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Der Text sei ein "Müllhaufen aus Pornografie", aus "angelesener Zeitgeschichte", unausgegorenen "moralphilosophischen Bruchstücken" und eines der Thematik unangemessenen erzählerischen Stils. Wer Aufklärung über die Motive faschistischer Gewalttäter sucht, meint Brumlik, wird woanders fündig. Littells "naive Einfühlungshermeneutik", die das Thema zum proseminaristischen "Spielmaterial" schrumpfen lässt, wirkt auf den Rezensenten ermüdend bis verlogen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 22.02.2008

Ina Hartwig interessiert sich in ihrer Besprechung des Romans vor allem für die Frage, ob Jonathan Littell es hier wenigstens schafft, einen "Stil des Bösen" zu entwickeln. Denn als Charakter kann er kaum überzeugen, wie Hartwig irritiert feststellt: Einerseits ist er die personifizierte perverse Kriminalität, andererseits soll er als Beweis dafür herhalten, dass wir alle zum Täter werden könnte. Schafft Littell also eine Ästhetik des Bösen? Hartwig findet entschieden: Nein. Im von de Sade und Genet geschaffenen "französisch-libertinär-erotomanen Geistesuniversum" wird die "Lust" zum obersten Gebot, Moral wird in Amoral verkehrt. Doch nichts davon bei Littell: Hier nehme Max Aue, SS-Obersturmbannführer, Jurist und Muttermörder und Schwesternbeischläfern, eine stets selbstironische und irgendwie "läppische" Haltung ein. Die Perversität bleibt hier, so Hartwig, immer nur "Dekor", eine "plastikhafte Obszönität".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.02.2008

Für Thomas Steinfeld läuft Jonathan Littell in allem, in der Machart, im Umfang, der Distanzlosigkeit auf eines hinaus: "'Die Wohlgesinnten' sind ein pornografisches Werk." Es will nur zeigen, nicht begreiflich machen, es will zum Hinsehen zwingen und muss dafür immer mehr aufbieten. Denn wie die Pornografie nie auf Befriedigung zielt, will sich auch dieses Buch immer weiter selbst überbieten. Geradezu mit Schrecken verfolgt der Rezensent, wie Littell dem Schrecken immer noch eine Monstrosität draufsetzt. Wie im Gewerbe müssen auch hier die Bilder immer "bunter, wilder und gröber" werden, um den Betrachter zu halten. Und auch nur so erklärt sich Steinfeld, dass Littell seine Hauptfigur, den schwulen SS-Mann Max Aue als einen modernen Orest malt. Sinn ergibt das nicht wirklich, nur dem Autor den Vorwand, Aue auch noch die Mutter töten und die Schwester beschlafen zu lassen. Ebenfalls suspekt ist dem Rezensenten, wie Littell eigentlich nur das "vorhandene Material" des Holocausts" benutzt, ohne tatsächlich einen Massenmörder literarisch zu erfinden. Er jagt ihn nur von einem faktischen Verbrechen zum nächsten. Und dass er ihn dabei als perversen, monströsen und eben nicht gewöhnlichen Täter zeigt, macht das Werk für Steinfeld zu einem "monströsem Buch".
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.02.2008

Eine ganze Seite widmet der Schriftsteller Georg Klein diesem Roman aus der Perspektive eines SS-Manns. Und man spürt förmlich, wie er darum ringt, die Contenance zu behalten, so groß ist sein Abscheu vor diesem Buch. Dabei will Klein gar nicht beklagen, dass bei Littell das Böse die Schwindsucht bekommt, wenn hier das Morden zu einem "stupiden Voranwursteln" wird. Auch die langen Reflexionen aus populär-philosophischem Räsonnement und die baedekerhaften Reisebeschreibungen hätte Klein noch ertragen, wenn Littell nicht so trivial von den Massakern berichtet hätte, die sein Erzähler, der angeblich so intellektuelle Max Aue, begangen hat: "gut gemeint und so bescheiden geschrieben". Etwa wenn er ein "schönes, fast nacktes Mädchen" erschießt und ihr Kopf platzt wie eine Frucht. Da weiß Klein gar nicht, ob er sich mehr über das "Ungeschick", die "pornografische Kitschigkeit" oder den "stilistischen Gemeinplatz" entsetzen soll. Schließlich fragt sich Klein sarkastisch, der auch Spuren von Littells eigener "zwielichtiger Gestimmtheit" in dem Roman entdeckt haben will, welchen Toten Littell dieses Buch eigentlich gewidmet hat. Dem schönen, in der Grube erschossenen halbnackten Mädchen? Oder Aues SS-Kameraden?
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.02.2008

"Öde, hochtrabend und floskelhaft" findet Rezensentin Iris Radisch diesen umstrittenen Roman, der ihren Informationen zufolge den fadenscheinigen Versuch unternimmt, die Anatomie einer Nazi-Täterseele zu liefern. Zwar widmet die Zeit dem Buch noch zwei weitere vertiefende Texte. Doch die Rezensentin mag den begeisterten Ruf, der dem Buch aus seinem Entstehungsland Frankreich vorausgeeilt ist, auch nicht teilen. Au contraire! Denn erstens kann Radisch in Jonathan Littells Roman kaum mehr als prätenziöse "Rollenprosa" erkennen und liest manches Detail mit einigem Abscheu vor dem darin zum Ausdruck kommenden Rassismus, Littells Lust am vulgären sexuellen Schwulst, oder nackter Gewalt. Auch sprachlich findet sie das Buch misslungen, zuckt sie die Schultern über diesen, durch Horrorstandardvokabular angereicherten "dokumentarischen Rapport im anspruchslosen Hauptsatzformat". Da habe auch der wackere Übersetzer nichts ausrichten können. Ein Hauptvorwurf der Rezensentin an das Buch ist dessen "verstörende Arbeit am nationalistischen Mythos" und die Entkräftung der Schuldfrage der Täter. Am Ende kann sich die Rezensentin auch die Frage nicht verkneifen, warum man dieses Buch "eines schlecht schreibenden, von sexuellen Perversionen gebeutelten, einer elitären Rasseideologie ergebenen und einem antiken Schicksalglauben ergebenen gebildeten Idioten" überhaupt lesen soll.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.02.2008

Harald Welzer attestiert Jonathan Littell, nahezu alles über die Vernichtung der europäischen Juden zu wissen, wie etwa, dass sich Angehörige einer Einsatzgruppe darüber beschwert haben, Blutwurst zu essen zu bekommen - wo sie doch schon den ganzen Tag nichts anderes zu sehen bekommen haben. Bewunderung nötigt ihm das trotzdem nicht ab. Ein Roman werde ja nicht dadurch besser, dass mehr drin steht. Was den Rezensenten aber besonders an diesem Roman und dem um ihn veranstalteten Wirbel erschreckt, ist, dass er von einer neuen "Eskalationsstufe der Nazi-Faszination" zeugt. Was Littell hier zusammenrühre aus gewaltpornografischen Fantasien und Völkermord, das laufe, so Rezensent Welzer erschüttert, auf die "pure Affirmation des Grauens" hinaus. Auch den Holocaust als "Panoptikum von Verrücktheiten" darzustellen, werfe das Geschichtsbild weit zurück, stöhnt der Rezensent, den es zudem deprimiert, dass Littells jüdische Herkunft für besonderen "Thrill" sorgen soll.