Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
14.04.2003. Der New Yorker beobachtet die Plünderungen in Bagdad. Im Spiegel feiert Tom Tykwer den neuen Film von Paul Thomas Anderson: "Punch-Drunk Love". Die NYT Book Review staunt über einen Reporter, der im Dienst pokerte und dabei reich wurde. Das TLS feiert die Ankunft eines dostojewskihaften Helden in der englischen Literatur. Umberto Eco fragt sich im Espresso, warum Amerika seine teuerbezahlten Eierköpfe missachtet. Im Express nennt Taslima Nasrin den Islam eine Folter für Frauen. In der NY Review of Books erklärt Jason Epstein, warum George W. Bush nicht Käpt'n Ahab ist.
New Yorker (USA), 21.04.2003

Mehr zum Thema: David Remnick fragt sich, ob sich der Krieg womöglich als "endlos" erweisen könnte und kommentiert Amerikas Verantwortung für den Irak. Hampton Sides porträtiert den Al-dschasira-Reporter Al-Issawi, und Ben McGrath besuchte eine Community irakischer Juden in Queens.
Weitere Texte: die Erzählung "What You Pawn I Will Redeem" von Sherman Alexie, und eine Reihe kleiner persönlicher Beiträge zum Thema "Sie sind gefeuert!" von Donald Atrim, Akhil Sharma, Antonya Nelson, Peter Trachtenberg und Julian Barnes. Barnes etwa erzählt, wie er einst von Rupert Murdoch geschasst wurde und diesem später trotzdem jenen Satz widmete, den er heute "am meisten zu bereuen" habe.
Günter Grass' Roman "Im Krebsgang" ist nun auch in den USA erschienen (Harcourt), und für den New Yorker hat John Updike die Rezension übernommen. David Denby widmet sich anlässlich einer Neuauflage Theodore Dreiser und seiner "American Tragedy", außerdem gibt es Kurzbesprechungen, darunter einer Studie über Handel im Mittelalter.
Weitere Besprechungen: John Lahr stellt zwei aktuelle Theaterinszenierungen vor, und Anthony Lane schreibt ausführlich über den Film "Lilya 4-Ever" des schwedischen Regisseurs Lukas Moodysson.
Nur in der Printausgabe: eine Reportage über Fertighochzeiten von Wal-Mart, eine Anleitung, wie man gewinnbringend die Stadt verklagt, ein Text über Sklaverei in Süd-Florida, ein Porträt des letzten Hollywood-Tycoons und Universal-Chefs Lew Wasserman, eine Reportage über Frauen, die auf Kaution entlassen wurden und abhauten, sowie Lyrik von Paul Muldoon, Michael Ryan und Saskia Hamilton.
New York Review of Books (USA), 01.05.2003
Jason Epstein, früher Cheflektor bei Random House, fühlt sich durch den Irakkrieg an Käpt'n Ahabs präventiven Erstschlag gegen das Böse in Gestalt von Moby Dick erinnert, muss aber zugeben, dass der Vergleich zwischen der Pequod und George W. Bushs Weißem Haus ein wenig hinkt. "Ahabs fehlendes Bein und die Zerstörung der Twin Towers sind durchaus vergleichbare symbolische Verluste wie auch Dick Cheneys verpasste Gelegenheit, Saddam Hussein zu töten. Allerdings wird der Irak nicht die Vereinigten Staaten zerschmettern und untergehen lassen wie der Wal es mit der Pequod tat. George Bush ist auch kein ergrauter Monomane, dessen Blick allein Terror bedeutet, sondern ein unerfahrenes Instrument neokonservativer Ideologen, die seit dem Ende des Kalten Krieges von einem missionarischen Eifer besessen sind, die Welt zu amerikanisieren, so wie frühere Reiche auch einmal hofften, die Welt zu romanisieren, christianisieren, arabisieren, anglisieren, napoleonisieren, germanisieren und zu kommunisieren."
Einen nicht ganz aktuellen, aber dafür umso durchdachteren Bericht schickt Tim Judah aus Bagdad, wo er die Kriegswochen verbracht hat: "Was sich in Bagdad schnell herausstellte, war, dass die 'Schock und Schrecken' die Iraker überhaupt nicht schockte oder schreckte. Praktisch jeder, mit dem ich sprach, erklärte mir, dass die Iraker in den achtziger Jahren Krieg gegen den Iran geführt haben, in dem insgesamt eine Million Menschen starben. 1990 marschierte der Irak in Kuweit ein, 1991 führte er den Golfkrieg gegen die USA und ihre Alliierten, wobei Tausende von jungen Soldaten ums Leben kamen und Bagdad bombardiert wurde. 1998 wurde die Stadt erneut bombardiert. Seit der Invasion in Kuweit lebt das Land unter den Internationalen Sanktionen. Wenn Raketen in Saddams Palästen oder Ministerien im Stadtzentrum einschlugen, nun ja, dann sagten sie einfach: "Wir sind daran gewöhnt".
Weitere Artikel: Ian Buruma diskutiert Paul Bermans neues Buch "Terror and Liberalism", in dem der Mitarbeiter des New Republic den Krieg gegen den Terror (einschließlich gegen den Irak) als Behauptungskampfs des westlichen Liberalismus verteidigt, als ein Projekt Lincolnscher Größe. Elizabeth Drew stellt zwei Bücher vor, die sich einen weiteren Strippenzieher aus George Bush Entourage vorknöpfen: Karl Rove (mehr hier), den einflussreichsten Präsidenten-Berater, den das Weiße Haus je gesehen hat und dessen Karriere sich von Beginn an durch schmutzige Tricks auszeichnete.
Der Dichter Charles Simic (mehr hier) ist tief beeindruckt von Susan Sontags Buch über Kriegsfotografie, "Regarding the Pain of Others". Sie habe damit genau das Buch geschrieben, vor dem alle anderen gekniffen hätten. Und Michael Tomasky schwärmt von William Langewiesches Buch "American Ground: Unbuilding the World Trade Center": Hier klinge die Berichterstattung über ground zero endlich wieder nach Journalismus und nicht nach ausgedehnter Therapiesitzung (Auszüge hier und hier).
Einen nicht ganz aktuellen, aber dafür umso durchdachteren Bericht schickt Tim Judah aus Bagdad, wo er die Kriegswochen verbracht hat: "Was sich in Bagdad schnell herausstellte, war, dass die 'Schock und Schrecken' die Iraker überhaupt nicht schockte oder schreckte. Praktisch jeder, mit dem ich sprach, erklärte mir, dass die Iraker in den achtziger Jahren Krieg gegen den Iran geführt haben, in dem insgesamt eine Million Menschen starben. 1990 marschierte der Irak in Kuweit ein, 1991 führte er den Golfkrieg gegen die USA und ihre Alliierten, wobei Tausende von jungen Soldaten ums Leben kamen und Bagdad bombardiert wurde. 1998 wurde die Stadt erneut bombardiert. Seit der Invasion in Kuweit lebt das Land unter den Internationalen Sanktionen. Wenn Raketen in Saddams Palästen oder Ministerien im Stadtzentrum einschlugen, nun ja, dann sagten sie einfach: "Wir sind daran gewöhnt".
Weitere Artikel: Ian Buruma diskutiert Paul Bermans neues Buch "Terror and Liberalism", in dem der Mitarbeiter des New Republic den Krieg gegen den Terror (einschließlich gegen den Irak) als Behauptungskampfs des westlichen Liberalismus verteidigt, als ein Projekt Lincolnscher Größe. Elizabeth Drew stellt zwei Bücher vor, die sich einen weiteren Strippenzieher aus George Bush Entourage vorknöpfen: Karl Rove (mehr hier), den einflussreichsten Präsidenten-Berater, den das Weiße Haus je gesehen hat und dessen Karriere sich von Beginn an durch schmutzige Tricks auszeichnete.
Der Dichter Charles Simic (mehr hier) ist tief beeindruckt von Susan Sontags Buch über Kriegsfotografie, "Regarding the Pain of Others". Sie habe damit genau das Buch geschrieben, vor dem alle anderen gekniffen hätten. Und Michael Tomasky schwärmt von William Langewiesches Buch "American Ground: Unbuilding the World Trade Center": Hier klinge die Berichterstattung über ground zero endlich wieder nach Journalismus und nicht nach ausgedehnter Therapiesitzung (Auszüge hier und hier).
Spiegel (Deutschland), 14.04.2003

Frank Hornig denkt noch einmal über die Rolle der Kriegsberichterstatter im Irakkrieg nach. Zwei Fragen prägen für ihn die Debatte um das "Verhältnis von Medien und Militär auf dem Schlachtfeld": Warum mussten erstens so viele Journalisten (bisher zwölf) in diesem Krieg sterben? "Gehört das zum Berufsrisiko? Oder handelt es sich um gezielte Attacken auf die unabhängige Presse - am Ende gar um Kriegsverbrechen? Und was hat, zweitens, der Aufmarsch der Medien am Golf gebracht? ... Wie unabhängig und authentisch konnten die Korrespondenten aus Bagdad wirklich berichten?" Das, so Hornig, wird sich jetzt erst herausstellen, wenn Journalisten den Irak wieder frei bereisen dürfen.
Im Print gibt es Artikel zu Charles Saatchis Kunstsammlung, zu den Krimis von Friedrich Ani, über Helge Schneiders Inszenierung eines von ihm verfassten Musicals sowie den neuen Roman von Walter Moers. Und im Rahmen des "Nachkriegs"-Irak-Titels erzählen zwei Ex-GIs vom "Reiz des Tötens im Krieg und dem Horror danach". Weiterhin unter anderem: wie die Militärs die Wirkung ihrer neuen Waffensysteme bewerten, wie Schröder nun wieder "Anschluss an Washington" sucht und was die Kriegsergebnisse für die Kurden bedeuten werden.
Times Literary Supplement (UK), 11.04.2003

Paul Bindung erinnert an den vor 25 Jahren gestorbenen englischen Literaturkritiker F. R. Leavis (mehr hier), dessen Hang zum individuellen Standpunkt ihn ebenso legendär wie einsam machte. "Die USA lehnte er gänzlich ab. Die britische Aristokratie mochte er nicht, er verabscheute Bloomsbury und verachtete die gesamte Kultur der Arbeiterklasse seit der Industriellen Revolution. Er verschwendete keine Zeit an Männer, die Tottenham Hotspur unterstützten, und keine an Frauen, die Bingo spielten."
Sehr gelungen findet Paul Duguid Georgina Ferrys Buch "A Computer Called LEO", den die Eiskrem-Firma Lyons in den fünfziger Jahren entwickelte. Dreitausend Kabel waren für das revolutionäre Ungetüm zusammengeknotet worden, sein Prozessor war allerdings nicht einmal so leistungsstark wie der Chip auf einer klingenden Grußkarte. Erich Segal empfiehlt Thomas F. Scanlons Studie "Eros and Greek Athletics" zur erotischen und sexuellen Dimensionen des Sports in der griechischen Antike.
Espresso (Italien), 17.04.2003

Ansonsten kündigt Roberto Gatti die Wiedergeburt des Jazz an - auf der ganzen Welt im Allgemeinen und in Italien im Besonderen. Wilde Festivals, Chartbreaker, neue Clubs, berühmte Künstler. Der Spaghetti Jazz war noch nie so "spritzig, harmonisch, kurz, so exzellent" wie im Augenblick, jubelt er. Giuliana Bruno (homepage), vom Espresso als akademischer Superstar gefeiert, spricht über ihren "Atlante delle emozioni" (dauert wohl noch, hier die englische Ausgabe), in dem sie ein theoretisches Beziehungsgeflecht zwischen Kino, Architektur und den visuellen Künsten erstellt. "Die Hauptfigur ist auf der Suche nach einer carte du pays de tendre, einer Karte der Zärtlichkeit, vielleicht der ersten Visualisierung einer emotionalen Karte. Und die Emotionen materialisieren sich in einer Topografie in Bewegung, genau so wie es heute im Kino und der Architektur geschieht."
Nouvel Observateur (Frankreich), 10.04.2003

In einem weiteren Beitrag beschreibt der in Frankreich sehr verehrte amerikanische Schriftsteller und Dichter Jim Harrison ("Das leuchtende Feld", hier ein Interview mit ihm, leider nur auf Englisch) sein Amerika - mit einiger Bitternis. Die USA hätten diesen Krieg mit einer geradezu "satanischen Idiotie" eröffnet, viele Amerikaner glaubten, "außerhalb der Geschichte" zu leben. "Die derzeitige Sprache meiner Regierung hat keinerlei kausale Verbindung mehr zur historischen Realität, wie ich sie sehe. Wir werden erneut Erfahrungen wie in Vietnam machen müssen."
In der Bücherabteilung ist ein Interview mit dem russischen Violinisten Solomon Volkovic zu lesen, dem bereits Dimitri Schostakowitsch seine Erinnerungen diktierte, und der nun "Conversations avec Joseph Brodsky" (Editions du Rocher) vorlegt. Vorgestellt werden außerdem drei neue Publikationen zum und übers Kino, darunter eine Biografie von Louis Malle.
Express (Frankreich), 10.04.2003

Economist (UK), 11.04.2003

Weitere Artikel: Amüsiert zeigt sich der Economist über den heimlichen Helden des Krieges, den irakischen Informationsminister Mohammed Saeed al-Sahaf, dessen Fernsehauftritte von so viel Entertainer-Talent zeugten, dass er zur "Scheherazade von Bagdad" und zum Helden der arabischen Fernsehzuschauer wurde. Der türkische Premier Tayyip Erdogan und seine Regierung planen Reformen. Unter anderem, die Aufhebung des oft verspotteten Verbots des Buchstaben "W", den es im kurdischen, nicht aber im türkischen Alphabet gibt. Wie soll man auch sonst George W. Bush schreiben?
Außerdem: Der Economist schreibt einen Nachruf auf Henri Marcel Racamier, der die Luxusfirma Louis Vuitton zum internationalen Giganten machte, weil er genau wusste, dass Understatement der Geist des Luxus ist und - sehr wichtig - , dass tiefe Preise jeden Luxuslöwen ob der Qualität der Ware misstrauisch machen. Den neuen Shorter Oxford English Dictionary, die gekürzte Ausgabe des britischen Standardwörterbuchs, findet der Economist ausgezeichnet, aber wer die letzte Ausgabe besitze, könne es ruhig dabei belassen.
Leider nur im Print zu lesen: wie die Prozesse gegen die irakischen Führer aussehen sollen.
New York Times (USA), 13.04.2003

Wenn Demokratie übertrieben wird, ist die Freiheit in Gefahr - das ist die zentrale These von Fareed Zakarias "The Future of Freedom", einem "mutigem" Buch "gegen den Zeitgeist", wie Niall Ferguson in seiner Rezension urteilt. Aufgebaut auf seinem "brillanten", 1997 in Foreign Affairs veröffentlichten Artikel (Zusammenfassung), rate Zakaria allen Entwicklungsländern: "erst reich werden (und damit einen Mittelstand, eine Zivilgesellschaft und einen Rechtsstaat aufbauen), dann demokratisch werden. Memo für die arabische Welt: Reich werden aufgrund von Erträgen aus natürlichen Ressourcen zählt nicht." Und auch die Beobachtung, dass Amerika Schritt für Schritt zu einer "illiberalen - oder zumindest dysfunktionalen - Demokratie", wird, verdient - wie das ganze Buch an sich - eine "breite Leserschaft", findet Ferguson.
Margo Jefferson erinnert an die seit dem Film "The Hours" wieder viel gelesene Virginia Woolf und ihre Warnung davor, während des Krieges für die Freiheit (damals gegen den Faschismus) die Freiheit im eigenen Land zu vergessen. "Freiheit von unwirklichen Loylitäten" nennt Woolf das. "Als Erstes muss man den Nationalstolz abschütteln, dann den religiösen Stolz, den Stolz auf Bildung, Familie und das Geschlecht, und all die unwirklichen Loyalitäten, die daraus folgen."
Aus den weiteren Besprechungen: Walter Kim verreißt Don de Lillos Roman "Cosmopolis" (erstes Kapitel) in lesenswerter Manier. Er findet die Geschichte des superreichen, gefühllosen und eiskalten Börsenmanagers Eric Packer ausgelutscht und beschimpft sie als "fossilen akademischen Futurismus" bar jeder Überraschung und Spontaneität. (James Wood seufzt in seinem Verriss in The New Republic: Eric "hat keine Gedanken, er hat nur Meta-Gedanken".) Andrea Barrett glaubt in der Kanadierin Mary Swan eine vielversprechende Autorin entdeckt zu haben, die in der "brillanten" Titelgeschichte ihres Erzählbands "The Deep" (erstes Kapitel) beweise, dass ihr vor allem die schwierigsten Formen zu liegen scheinen. Richard Eder freut sich außerdem, dass nach mehr als zwanzig Jahren nun endlich eine amerikanische Version der "Memoiren eines italienischen Terroristen" erschienen ist, deren Authentizität zwar aufgrund des unbekannten Autors nach wie vor angezweifelt wird, die uns aber "gerade heutzutage" viel Wissenswertes über das Innenleben eines Terroristen verraten, meint Eder.