Magazinrundschau
Man nannte es das Ding
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
13.11.2018. In der New York Review of Books taucht der Historiker Christopher Clark in die Kriege der Zukunft. Der Guardian erzählt, wie das suchterzeugende OxyContin bei Ärzten und Patienten durchgedrückt wurde. Les inrockuptibles widmet sich den blühenden antisemitischen Szenen in Frankreich. Der Film-Dienst sichtet Paul Schraders "Dark". Der New Yorker geht dem geheimnisvollen Havanna-Syndrom nach.
New York Review of Books (USA), 22.11.2018

Alexander Stille kommentiert den Brief von Erzbischof Carlo Maria Viganò an Papst Franziskus. Viganò beschuldigt darin den Papst, Anzeichen sexuellen Missbrauchs in der Katholische Kirche zu ignorieren und zu verheimlichen: "Die größte Verantwortung für das Problem liegt bei Papst Johannes Paul II., der über 20 Jahre auf diesem Auge blind war. Zwischen Mitte der 80er und 2004 gab die Kirche 2,6 Milliarden Dollar für die Beilegung von Prozessen allein in den USA aus, für Schweigegelder für Opfer vor allem. Fälle in Irland, Australien, England, Kanada und Mexiko folgten dem gleiche n deprimierenden Muster: Opfer wurden ignoriert, schikaniert, Täter in neue Gemeinden versetzt, wo sie weiter missbrauchten … Franziskus steht unter großem Druck. Opfer fordern die Untersuchung der Verantwortlichkeiten von Bischöfen und Kardinälen, die Bescheid wussten und nichts unternahmen. In der Folge könnten viele Kirchenführer in den Ruhestand gezwungen werden, die Kirche würde das für Jahre paralysieren. Wenn Franziskus nichts tut, droht ebenfalls Paralyse. Die beste Option scheint noch zu sein, die Beteiligung der Laien in Kirchendingen zu fördern und Frauen als Diakonissinnen zuzulassen. Doch es könnte zu spät sein und zu wenig."
Außerdem: Bill McKibben gruselt es bei der Lektüre eines Reports über den Klimawandel. Jed Perl besucht zwei Delacroix-Ausstellungen. Yasmine El Rashidi liest zwei Romane von Ali Smith. Und Robert Kuttner beugt sich über Adam Toozes "Crashed: How a Decade of Financial Crises Changed the World".
168 ora (Ungarn), 10.11.2018

Guardian (UK), 12.11.2018

Respekt (Tschechien), 12.11.2018

Les inrockuptibles (Frankreich), 11.11.2018

Ergänzend sei die Lektüre von Paul Bermans Artikel über linken Antisemitismus in Großbritannien, Frankreich und den USA aus Tablet empfohlen.
Film-Dienst (Deutschland), 13.11.2018

In einem großen Essay über das postkinematografische Spätwerk Paul Schraders und über dessen Überlegungen zu einer Kartografie des transzendenten Filmstils im Gegenwartskino hat sich Lukas Foerster auch ausführlich mit Schraders Experiment "Dark" beschäftigt, dessen Entstehungsgeschichte so spektakulär wie tragisch ist: Es handelt sich dabei um eine Neu-Aneignung von Schraders eigenem, mit Nicolas Cage besetzten Low-Budget-Thriller "Dying of the Light", mit dessen Produzenten sich Schrader so unversöhnlich zerstritten hatte, dass er sich von dem Endresultat distanzierte und der Produzent ihm auch keinen Zugang mehr zum Originalmaterial gewährte. "Dark" nun ist ein mit neuer Musik versehener, experimenteller Neu-Schnitt auf Grundlage von Workprint-DVDs und Zuhilfenahme rustikaler Hilfsmittel, ein Neu-Schnitt, der rechtlich so heikel ist, dass er sich nur in Filmarchiven, aber nicht in der Öffentlichkeit sichten lässt: Der Filmemacher "und sein Editor Benjamin Rodriguez sichteten das gesamte ihnen zur Verfügung stehende Material auf einem Fernseher - und filmten währenddessen einfach mit einem Smartphone den Bildschirm ab. Auf diese Weise isolieren sie Details, häufig Gesichter, aber auch Hände, Füße oder Dekorelemente, die anschließend auf Vollbildgröße 'aufgeblasen' und oft zusätzlich durch Zeitlupeneffekte, hektische Schwenks (die kameratechnisch betrachtet keine Schwenks sind, weil die Bewegung erst in der Postproduktion entsteht) oder Ähnliches verfremdet werden. ... Die Bruchstellen sind offensichtlich und auch zusätzlich markiert durch die Materialdifferenz: Schrader und Rodriguez geben sich keine Mühe, die gröbere Textur der nicht allzu hochauflösenden und außerdem zusätzlich durch Spiegeleffekte verfremdeten Handyaufnahmen an das übrige Material anzugleichen. Ganz im Gegenteil bearbeiten sie viele dieser Inserts zusätzlich durch teils exzessive Farbmanipulationen, die das Bild gelegentlich fast pulsieren lassen. ... Die bloß kontingente Falschheit der Direct-to-DVD-Bilder aus 'Dying of the Light' wird in eine andere, intensivere, aber bewusste und deshalb produktivere Falschheit übertragen. Gerade indem sie den Defekt, die Krankheit umarmen, ermöglichen diese neuen Einstellungen eine neue Art des Sehens - die außerdem, auf der erzählerischen Ebene, nicht zu trennen ist von Lakes Gehirnkrankheit. Eine sinnliche Pathologie der Bilder."
Elet es Irodalom (Ungarn), 09.11.2018

Slate.fr (Frankreich), 05.11.2018

New Yorker (USA), 19.11.2018

In einem weiteren spannenden Text untersucht Rebecca Mead die innovativen und manchmal auch manipulativen Seiten von Podcasts: "Es handelt sich um ein sehr intimes Medium, das üblicherweise über Kopfhörer und mit einem einzelnen Hörer funktioniert und so eindringlich sein kann wie kein Küchenradio. Podcasts sind dazu gemacht, mit Zeit genossen zu werden; sie sind für die Momente, wenn das Smartphone Pause hat. Als digitales Medium sind sie eher ungewöhnlich durch ihr Abzielen auf eine langsam aufbauende sinnliche Atmosphäre." Das macht es manchmal aber auch noch schwerer, den Unterschied zwischen Fakten und Fiktion zu erkennen.
Weiteres: Anlässlich von Julian Schnabels Film "At Eternity's Gate" fragt Anthony Lane: Warum lieben Filmemacher van Gogh? Adam Kirsch liest Hermann Hesse. Peter Schjeldahl besucht die Retrospektive des "wundervollen" Andy Warhol im Whitneys. Hua Hsu hört Harfenmusik von Jeff Majors und Mary Lattimore. Anthony Lane sah im Kino Steve McQueens Film "Widows".
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