Magazinrundschau

Das Meckern von Lindsay

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
29.01.2013. National Geographic besucht die kirgisischen Nomaden in Afghanistan. Die Franzosen werden immer missmutiger, berichtet Slate.fr. In Eurozine fragt der Choreograf Lloyd Newson, warum ausgerechnet britische Muslime Homosexualität so vehement ablehnen. La Regle du Jeu stellt das erste Schwulenmagazin Marokkos vor.  n+1 druckt ein Porträt des russischen Minenarbeiters und Streikführers Walentin Urusow. Im New York Magazine spricht Steven Soderbergh über die Tyrannei des Erzählens. In Believer erklärt der Experimentalmusiker Mike Patton sein cinephiles Referenzsystem. In The Nation erzählt David Schiff, wie Pierre Boulez das Cleveland Orchestra auf die Palme brachte: Er konnte jede Stimme in Eliot Carters "Concerto for Orchestra" vorsingen.

National Geographic (USA), 01.02.2013

Michael Finkel besucht die kirgisischen Nomaden in Afghanistan, die in einer der atemberaubendsten aber auch unwirtlichsten Gegenden der Welt wohnen: "Sie nennen ihre Heimat Bam-e Dunya, das bedeutet 'Dach der Welt'. Das mag sich poetisch und schön anhören - es ist unzweifelhaft schön - aber es ist auch eine Umgebung an der absoluten Grenze menschlicher Überlebensfähigkeit. Ihr Land beteht aus zwei langen, ins Eis geschnittenen Tälern, Pamis genannt, tief in den großen Bergen Zentralasiens. Der größte Teil liegt über 14.000 Fuß. Der Wind ist grimmig. Es ist unmöglich, Getreide anzupflanzen. Die Temperatur kann an 340 Tagen im Jahr unter dem Gefrierpunkt liegen. Viele Kirgisen haben niemals einen Baum gesehen." Und viele sterben, weil es dort keinen Arzt gibt. Eine harte Herausforderung für den neuen jungen Khan.

The Nation (USA), 11.02.2013

David Schiff erzählt in einem sehr schönen Artikel, wie er 1971 die Generalproben von Pierre Boulez und dem Cleveland Orchestra zu Elliot Carters "Concerto for Orchestra" verfolgte. Die Musiker hassten das Stück und seine Konfliktrhythmen, was sie dem anwesenden Komponisten auch sagten. Boulez war eine noch härtere Nuss: "Während des ersten Durchspielens der Partitur verhedderten sich die Musiker heillos. Spannungen flackerten auf und wurden noch angefacht von Boulez' müheloser, wenn auch mürrischer Beherrschung der Komplexität der Musik. Er konnte die Stimme jedes Musikinstruments präzise singen, in den korrekten Solfeggio-Silben do re mi. Wann immer Musiker melodisch und rhythmisch nicht genau zusammenspielten, stoppte er sie und sang ihnen die Phrase noch einmal vor. Ein beim Ticken der Probenuhr mit wachsender Verzweiflung wiederholtes Frage-und-Antwort-Spiel. Boulez hörte sofort, wenn eine Note falsch gespielt wurde oder ein Musiker nicht im Takt war. Und er hatte nicht die geringste Hemmung, die genaue Quelle des Irrtums zu lokalisieren. Wenn mehrere Wiederholungen keine fehlerfreie Wiedergabe der Partitur produzierten, erklärte ein verärgerter Boulez, dass die gesamte Cello-Sektion zurück ins 'Conservatoire' müsse, um ihre krasse Unfähigkeit zu zählen zu korrigieren. Jeder Dirigent, der heute so zu einem Orchester sprechen würde, wäre umgehend seinen Job los. Nachdem er einige Jahre später die New Yorker Philharmoniker übernommen hatte, nannten die Musiker Boulez 'the French Correction'."

Hier eine Aufführung des Tanglewood Music Center Orchestras:



"Barack Obama hat sich zwar einst als Freund der Whistleblower angepriesen. Aber sein Justizministerium hat zwei Mal so oft Anklagen nach dem Spionagegesetz erhoben wie alle früheren Regierungen zusammen", schreibt Chase Madar in einem wütenden Kommentar zum Tod von Aaron Swartz. "Zu oft wird der Kampf um freie Information als Macke von Computerfreaks abgetan, als nervtötendes Hobby der IT-Crowd. Das ist ein Riesenirrtum, denn die hohen Barrieren um Informationen töten uns buchstäblich. Larry Korb, ein früherer Sekretär im Verteidigungsministerium, erzählte mir, er glaube nicht, dass der Irakkrieg - Endpunkt einer Debatte, die wegen fehlender echter Informationen erstickte und den Tod von Hunderttausenden verursachte - stattgefunden hätte, wenn unzensierte Geheimdienstberichte öffentlich gemacht worden wären."

Weiteres: Barry Schwabsky schwärmt anlässlich einer Matisse-Ausstellung im Metropolitan Museum vom Licht in Matisses Hotelbildern von der Cote d'Azur (links) und von Ian Wallaces "Abstract Drawing (Hotel de Nice)" (rechts). Stewart Klawans bespricht Moussa Tourés schönen Film "La Pirogue" über Bootsflüchtlinge von Afrika nach Europa und die Gewaltorgie "Gangster Squad", der auch eine eindrucksvolle Schauspielerriege keinen Sinn verleihen kann.

Archiv: The Nation

BBC Magazine (UK), 25.01.2013

Wussten Sie, dass hohe Absätze ursprünglich für Männer erfunden worden waren? Die Perser benutzen sie, um beim Pfeilschießen besseren Halt in ihren Steigbügeln zu haben (Bild), erzählt William Kremer im BBC Magazine. Als persische Diplomaten 1599 Europa bereisten, fanden die europäischen Adligen ihre Absätze ungeheuer machohaft und kopierten sie. "Doch eine Manie in der Frauenmode für Elemente der Herrenkleidung führte dazu, dass die Absätze bald auch von Frauen und Kindern getragen wurden. 'In den 1660er Jahren schnitten sich Frauen die Haare ab und trugen Epauletten' sagt Elizabeth Semmelhack vom Bata Shoe Museum in Toronto. 'Sie rauchten Pfeife und trugen Hüte, die sehr männlich wirkten. Darum adoptierten Frauen die Absätze - um ihre Outfits zu maskulinisieren.' Von dieser Zeit an folgte Europas Oberklasse bei Schuhen einer Unisexmode, bis sich Ende des 17. Jahrhunderts die Dinge zu ändern begannen."
Archiv: BBC Magazine
Stichwörter: 17. Jahrhundert, Toronto, Krems

Eurozine (Österreich), 23.01.2013

Der Telegraph sprach von der "riskantesten Show des Jahres". Lloyd Newson hat mit seinem Tanztheater vor einigen Monaten das Stück "Can We Talk About This?" herausgebracht, in dem er über Multikulturalismus, Islam und Redefreiheit nachdenkt. Im Gespräch mit Maryam Omidi, online auf Eurozine, erzählt er, dass ihn sein voriges Stück "To be Straight with you", auf die Idee gebracht hatte. Dort ging es um Homosexualität. "Im Jahr 2009 hatte das Centre for Muslim Studies hier in Britannien zusammen mit Gallup, einem angesehenen Umfrageinstitut, eine Studie durchgeführt (mehr), in der sie britische Muslime fragten, ob sie Homosexualität moralisch annehmbar fanden. Sie interviewten 500 britische Muslime. Null Prozent fanden Homosexualität moralisch annehmbar, verglichen mit 58 Prozent der nicht muslimischen Bevölkerung. Das ist unglaublich. Wenn britische Muslime Respekt und Gleichheit in Britannien fordern, warum erwidern sie sie nicht? Toleranz ist keine Einbahnstraße."

Hier ein Ausschnitt aus "Can We Talk About This?":



Béla Nóvé greift in Kulturos Barai (auf Englisch bei Eurozine) ein fast vergessenes Kapitel des Kalten Krieges auf, die Geschichte jugendlicher Ungarnflüchtlinge nach der missglückten Revolution von 1956. Etwa 20.000 Jugendliche verließen das Land, viele auf sich gestellt. Manche fanden Gastfamilien in Österreich, Deutschland, der Schweiz oder Italien, manche gingen in die US Army, recht viele in die Fremdenlegion. Pech hatten diejenigen, die an die Amnestieversprechen der ungarischen Regierung glaubten. Sie landeten nicht selten im Gefängnis, manche von ihnen wurden zu Stasi-IMs gemacht, wie der Agent mit dem Decknamen "Pál Csorba": Er hat in "vier dicken Aktenordnern die Worte und Charaktere seiner Gefängniskollegen aufgezeichnet, darunter prominenter Intellektueller und Politiker wie István Bibó, Árpád Göncz, Jenö Széll und Ferenc Mérey. Er selbst war im Alter von zwanzig Jahren zum Spion gemacht worden, nach dem Hungerstreik im Gefängnis von Vac, der gewaltsam niedergeschlagen wurde. Er lebt immer noch unter uns als angesehener Naturwissenschaftler und Umweltaktivist. Seine Autobiografie schweigt sich über sein dunkles Jugendgeheimnis aus."
Archiv: Eurozine

La regle du jeu (Frankreich), 25.01.2013

Das Zeitschrift Mithly wendet sich an eine "Gemeinschaft im Leid" schreibt Fouzia Liget in La Règle du jeu. Mithly ist das erste Schwulenmagazin Marokkos, wird von der EU unterstützt und wurde 2010 zum ersten Mal herausgebracht, in 200 Exemplaren, die heimlich weitergegeben wurden: "Der Editorialist von Mithly erzählt: 'Es war einfach unmöglich, eine offizielle Lizenz zur Veröffentlichung zu bekommen:' Der Artikel 489 des marokkanischen Strafgesetzbuchs sieht zwischen sechs Monaten und drei Jahren Haft sowie Geldstrafen 'für unsittliche Akte mit einem Individuum des gleichen Geschlechtes' vor. Die in Madrid basierte Schwulenorganisation Kif-Kif schätzt, dass über 5.000 Homosexuelle seit der Unabhängigkeit von 1956 Gefängnisstrafen verbüßt haben. Mithly setzt auf seine Internetadresse, um eine größere Leserschaft zu gewinnen."

Die europäische Idee liegt im Sterben, ächzt ein hoch entflammter Bernard-Henri Lévy, der sich gleich ein paar Trauergäste von Antunes bis Rushdie zum Unterzeichnen seines Aufrufs eingeladen hat. Für David Cameron dürfte sich dieser Text als das reine Grauen lesen: "Ohne Aufgabe von nationalen Kompetenzen und ohne klare Niederlage der 'Souveränisten', die ihre Völker in Niederlage und Debakel führen wird, sich der Euro auflösen, so wie sich der Dollar aufgelöst hätte, wenn vor 150 Jahren die Sezessionisten gesiegt hätten. Einst sagte man: Sozialismus oder Barbarei, heute muss man sagen: politische Union oder Barbarei."
Archiv: La regle du jeu

New York Magazine (USA), 04.02.2013

Mit "Sex, Lügen, Video" hat er im Alter von 26 den Indiefilm-Trend in den USA losgetreten, jetzt mit 50 möchte sich Steven Soderbergh (nach einer ungeheuer produktiven Spätphase mit acht Filmen in nur drei Jahren) als Regisseur zurückziehen (auch wenn er sich die Option auf Theater und Fernsehen gerne offen halten will). Anlass genug für Mary Kaye Schilling die wechselhafte Karriere von Hollywoods vielleicht wandlungsfähigstem und experimentierfreudigstem Filmemacher in einem ausführlichen Gespräch Revue passieren zu lassen. Gründe für seinen Ausstieg weiß er dabei auch zu benennen: "Einerseits möchte ich mich persönlich wandeln, andererseits beschleicht mich das Gefühl, in meiner Entwicklung auf eine Wand gestoßen zu sein, von der ich nicht weiß, wie ich sie durchbrechen soll. Die Tyrannei des Erzählens beginnt, mich zu frustrieren - oder zumindest, wie wir das Erzählen heute definieren. Ich bin der festen Überzeugung, dass es da draußen irgendwo eine neue Grammatik gibt. Aber dabei könnte es sich auch einfach um meine Form des Götterglaubens handeln. ... Wenn ich dieses Problem lösen sollte, dann bedeutet dies, alles zu zerstören, was bis dahin kam, und ganz von vorne anzufangen. ... Ich liebe und respektiere das Filmemachen zu sehr, um damit einfach weiterzumachen und das Gefühl zu haben, auf der Stelle zu treten. Das fühlt sich nicht gut an. Und wenn sich herausstellt, dass ich keinen weiteren Film mehr drehen werde, dann bin ich mit dieser letzten Gruppe von Filmen wirklich glücklich. Ich möchte keiner von diesen Leuten sein, von denen man sagt, 'wow, irgendwie hat er am Ende ganz schön nachgelassen.' Das wäre deprimierend." Schließlich will auch Steven Soderbergh noch in den Spiegel schauen können:

Stichwörter: Soderbergh, Steven

The Verge (USA), 22.01.2013

Tim Carmody zeichnet eines der bisher besten und informativsten Porträts über Aaron Swartz: Er will der Mythenbildung vorbauen, an der Swartz durchaus zum Teil selbst mitgewirkt habe. Am Beispiel des RSS-Codes, den Swartz Anfang des Jahrhunderts als 14-Jähriger mit entwickelte, schreibt Carmody: "Man kann Swartz' Beitrag dazu ebenso leicht übertreiben wie herunterspielen, wenn man nur fragt, ob er RSS 'erfunden' hat. Das hat er nicht. Der Schlüssel zu seiner Geschichte ist aber, dass Aaron schon als Teenager mit führenden Technologen zusammenarbeitete, um offene Standards zu schaffen, die es ermöglichen, im Netz Informationen zu teilen. Schon damals ging es ihm weniger um spezifische Projekte als um Architekturen, die es anderen möglich machten, Projekte zu entwickeln. Meiner Meinung nach ist das viel beeindruckender als das Bild eines Kids, das allein im Keller hockt und im besten Code die Dinge von null auf entwickelt."
Archiv: The Verge
Stichwörter: Swartz, Aaron, Rss

n+1 (USA), 28.01.2013

n+1 übernimmt Andrej Weselows Porträt des Bergarbeiter und Gewerkschafters Walentin Urusow, der 2008 wegen angeblichen Drogenbesitzes zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Er hatte in den Diamantenminen des Alrosa-Konzerns in Jakutien einen Hungerstreik der Arbeiter organisiert, zum Unwillen des Managements und ihrer Handlanger in den offiziellen Gewerkschaften. Urusow erzählt: "Es gab so viele Probleme! Sie müssen verstehen, es geht um sehr schwere Arbeit: Wir arbeiteten Tag und Nacht, an Feiertagen, wir übernahmen die Schicht von jemand anderem, alles, was das Management verlangte. Aber wir wurden nur für acht Stunden am Tag bezahlt. Dann die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit. In der Abteilung, in der ich arbeitete, hätte die Ausrüstung schon vor zwanzig Jahren entsorgt werden müssen. Es passieren deshalb viele Unfälle. Publik wurde nur die Spitze des Eisbergs. Ich verlor ein Stück meiner Hand, das zählte gar nicht. Todesfälle konnten sie natürlich nicht vertuschen, aber Brüche und Verletzungen sind etwas anderes. Es gibt Tausende davon, und niemand kümmert sich darum. Es war eine Schande: Die Firma war so reich, sie baute sich fünf-Sterne-Hotels und alle möglichen Geschäftszentren, aber bei uns knauserte sie so."
Archiv: n+1

Economist (UK), 26.01.2013

Kein kriegerischer Konflikt lässt sich nahtlos mit dem anderen vergleichen, unterstreicht dieser Artikel und mahnt: Es wäre ein Fehler, sich wegen der Erfahrungen mit Afghanistan aus heutigen Krisenherden und instabilen Regionen herauszuhalten. Das hat sowohl Gründe, die im genuinen Interesse des Westens liegen, als auch humanitäre: "Nordafrikanische Jihadisten hätten jetzt im Moment noch damit zu kämpfen, eine Terrorkampagne in Europa oder Amerika zu bewältigen, doch dies könnte sich eines Tages ändern, wenn sie über die Ressourcen eines ganzen Landes verfügen. Besser man hält sie in der Wüste. ... Der Großteil von Afrikas großer und wachsender Anzahl von Muslimen ist gegenüber dem Jihad feindlich eingestellt. Westliche Regierungen würden einen schrecklichen Fehler begehen, wenn sie die Schwierigkeiten einer Intervention als Entschuldigung dafür anführen, diese sich selbst zu überlassen."

Wissenschaft und Forschung erleben in der muslimischen Welt gerade eine neue Blüte, erfahren wir hier: "Und die Wurzeln wissenschaftlicher Rückständigkeit liegen nicht bei den religiösen Führern, sondern bei säkularen Herrschern, die mit Geld genauso geizig umgehen, wie sie verschwenderisch auftreten, wenn es um die Kontrolle über eigenständige Gedanken geht. ... Doch jene Art von Freiheit, die Wissenschaft für sich verlangt, ist in der muslimischen Welt noch immer rar. Mit dem Aufstieg des politischen Islams (inklusive der Salafisten, die für eine radikale Version des Islams stehen) in wichtigen Ländern wie Ägypten fürchten manche, das sie noch weiter eingeschränkt werden könnte."

Außerdem: Apple könnte seinen Zenit bereits überschritten haben, wird hier gemutmaßt. An dieser Stelle steht zur Disposition, ob nicht gerade die neuen digitalen Technologien sich als historische Episoden entpuppen werden, während sich Papier auch weiterhin gut hält - und mit DNA als neuem Datenspeicher werden die Karten sowieso nochmal neu gemischt, wie man hier lesen kann.
Archiv: Economist

Slate.fr (Frankreich), 26.01.2013

Die Werte der letzten Stimmungsumfragen in Frankreich waren so grauenhaft, dass sie auch im Perlentaucher aufgegriffen werden müssen. Frankreich bläst Trübsal, schreibt Eric Dupin, basierend auf Umfragen von Cevipof und Ipsos: "Erstere offenbart eine beunruhigende Hitliste: Wenn sie aufgefordert werden, ihren Geisteszustand anzugeben, wählen unsere Landleute zuallererst die Optionen 'Misstrauen' (32 Prozent), 'Missmut' (31 Prozent) und 'Niedergeschlagenheit' (29 Prozent)! Die von der Krise ausgelösten Ängste führen zu einem tödlichen Argwohn. 'Man kann nie misstrauisch genug sein, wenn man es mit Fremden zu tun hat', meinen 73 Prozent der Franzosen. Auch die Einwanderung wird als immer unerträglicher empfunden: 'Es gibt zuviele Ausländer in Frankreich', kreuzen 70 Prozent der von Ipsos Befragten an."

Zum Trost bietet Slate Joel Robuchons Rezept für sein berühmtes Kartoffelpüree: Man nehme 250 Gramm eiskalte Butter auf 1 Kilo Kartoffeln und rühre sie sehr geduldig ein.
Archiv: Slate.fr
Stichwörter: Einwanderung, Kartoffeln

Believer (USA), 01.01.2013

Einen sehr entspannten Plausch führt Ross Simonini mit Gesangskünstler, Experimental- und Extremmusiker und Labelbetreiber Mike Patton, der sich seit seiner Zeit mit der Alternativrockband Faith No More einen idiosynkratischen Klangkosmos aus E- und U-Musik, Experimentalkrach, schmierigem Italopop, Jazz und Metal geschmiedet hat. Dass er seine in zahlreichen Kollaborationen gefertigen Soundskulpturen eher anhand eines cinephilen Referenzsystems baut statt in üblicher Notation, gibt er unumwunden zu: "In so ziemlich jeder musikalischen Situation, in der ich mich befunden habe, zum Beispiel bei Faith No More, sagten wir immer Sachen wie 'Stell Dir Harry Dean Stanton in Paris, Texas vor". Und dann nutzen wir Momente wie diesen. Oder die Szene, wie in Goodfellas einer mit einer Pistole verdroschen wird. Gerade vor ein paar Wochen habe ich mit John Zorn Musik aufgenommen und wir waren gerade dabei, uns auf eine bestimmte Art von Gesang für ein Stück zu einigen, da sagte ich zu ihm: 'Irgendwie höre ich den Erzähler in Alphaville, dem Godardfilm, in dem einer seine Stimmbänder im Krieg verloren hat und jetzt einen elektronischen Ersatz nutzt. Zorn meinte nur noch: 'Perfekt!' Es handelt sich dabei um Referenzpunkte, die man aufgreifen kann, anstatt zu sagen, 'hey, hier eine Viertelnote, eine Achtel dort und ein verminderter Septakkord...'. Nein, für mich funktioniert es besser, wenn ich sage: 'Nun stell Dir mal das vor.'" Ganz handzahm und geleckt gibt sich der Noise-Künstler unterdessen hier mit seinem Orchester Mondo Cane, mit dem er ein Stück aus Ennio Morricones plüschigem Soundtrack zu Mario Bavas "Danger Diabolik" zum Besten gibt:

Archiv: Believer

Observer (UK), 29.01.2013

Das heißeste Ticket in London ist derzeit eins für das kommende Konzert von Kraftwerk in der Londoner Tate Modern. Jude Rogers würdigt aus diesem Anlass den enormen Einfluss, den die deutsche Gruppe hatte und hat. Auf wenn der Weg zum Erfolg in England Mitte der Siebziger steinig war: "Man kann sich kaum noch vorstellen, wie fremdartig Kraftwerk damals erschienen. Die erste Anzeige für 'Autobahn' im schwarz-weißen MME sah besonders schockierend aus: ein leuchtend blaues Zeichen aus der Zukunft, unter einem Feature über Geschiedene in der Country Musik. In dieser Zeit wurde der Song von der Presse als Gimmick abgetan - aber nicht von den Fans, die ihn zu einem Nr.-11-Hit machten. Dann kam die Ausländerfeindlichkeit. Der Krieg war immer noch brennend frisch im Gedächtnis, darum war es vielleicht keine Überraschung, dass eine Besprechung von Barry Miles die Überschrift trug: 'Dein Vater hat dafür gekämpft, dich davor zu bewahren.' Der NME druckte ein Feature des amerikanischen Kritikers Lester Bangs, in dem [Ralf] Hütter gefragt wurde, ob Kraftwerk 'die Endlösung' für Musik sei. Das Bild zum Artikel war noch geschmackloser: ein Pressefoto, dass in den Nürnberger Parteitag einkopiert war."
Archiv: Observer

New York Times (USA), 28.01.2013

Sehr instruktiv findet Thanassis Cambanis Fred Kaplans Buch "The Insurgents" über den amerikanischen General David Petraeus und dessen berühmte Strategie der Aufstandsbekämpfung. Kaplans Buch kümmert sich nicht um Petraeus' peinliche, aber harmlose Affäre, ihm geht es darum zu zeigen, wie der Einäugige unter den Blinden im Pentagon zum Aushängeschild moderner Kriegsführung werden konnte: "Es nimmt einem den Atem zu sehen, wie engstirnig und doktrinär das Pentagon in den Jahrzehnten vor dem 11. September geworden war. Auch lange nach Ende des Kalten Krieges glaubten die Generale noch, dass das Militär fit gehalten werden müsste, um sowjetische Panzer an der Lücke von Fulda zu stoppen. Selbst als amerikanische 'Berater' in der ganzen Welt in kleineren Scharmützeln kämpften, leugneten die oberen Ränge, dass es sich um Kampfmissionen handelten und nannten sie niedrigschwellige Konflikte oder, noch lächerlicher und irreführender, Kriseninterventionen. Kaplan erklärt, wie die Offiziere, entschlossen ihre Karriere zu betreiben und 'ein zweites Vietnam' zu verhindern, fröhlich den Unsinn nachplapperten, um die Leiter aufzusteigen. Aufstände und Besatzungen hatten keine Priorität im Pentagon, jeder der sich auf sie vorbereitete, beging Karriere-Harakiri."

Max Boots Buch "Invisible Armies", das die Geschichte des Guerilla-Krieges durch die Jahrtausende erzählt, scheint Mark Mazower dagegen mit ziemlich heißer Nadel gestrickt: "Und die Verwendung von Begriffen wie Aufstandsbekämpfung und Guerilla scheint anachronistisch, wenn es um Hunnen, Pikten oder Römer geht."

Wer die Parfumbesprechungen von Luca Turin und Tania Sanchez mag, wird auch die Beschreibungen lieben, mit denen New Yorker Käsehändler ihren Käse anpreisen. Jeff Gordinier hat einige davon für die NYT aufgespießt. Zum Beispiel diese Beschreibung eines Mastorazio von Madaio, den der Bedford Cheese Shop anbietet: "Die Lindsay Lohan der Käsewelt, dieser Pecorino hat Sonnenbräune, eine lederne Außenhaut, die eine delikate gelbe Paste umgibt. Mit Spuren von Kräutern und dem Aroma von Heu. Man hört buchstäblich das Meckern von Lindsay oben in den italienischen Bergen. Passt gut zu Nikotin, Red Bull und einer Alkohol-Überwachungsfußfessel."
Archiv: New York Times
Stichwörter: Alkohol, Mazower, Mark, Vietnam, Käser