Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
02.09.2002. Der New Yorker feiert clevere Männer. Das LRB denkt über die Liebe der Iris Murdoch nach. Literaturen widmet sich schwerpunktmäßig Hannah Arendt, deren "Denktagebücher" im Oktober erstmals erscheinen. Outlook India stellt die wilden Märchenschlösser neureicher Inder vor. Prospect beklagt den Niedergang des Brit-Pop und das TLS den Niedergang der britischen Geschichtswissenschaften. Folio war auf dem Salzmarkt von Timbuktu. Die New York Times feiert V.S. Naipaul.

Literaturen (Deutschland), 02.09.2002

Das Schwerpunkt-Thema (Editorial) ist (mit vielen schönen Fotos) Hannah Arendt gewidmet, deren "Denktagebuch 1950-73" im Oktober erscheint, womit für Literaturen nun die letzte Publikationslücke im Arendt-Werk geschlossen ist. Für den Philosophen Dieter Thomä (mehr hier), der das Buch bespricht, birgt es einen Schatz, "den man (ausnahmsweise zu recht) spektakulär nennen kann". Arendts Denktagebuch nämlich habe nun "Seiten ihres Denkens aus der Vergangenheit hervorgeholt", die sie selbst vergessen zu haben schien. Thomä, der den editorischen Kraftakt der Herausgeberinnen bewundert, gibt ihnen auch darin recht, dass das Denktagebuch für die Arendt-Interpretation in Zukunft einen hohen Stellenwert haben wird.

Mehr zu Arendt: Hanna Leitgeb hat sich mit Hannah Arendts Ehen und Liebesbeziehungen zu verschiedenen berühmten Denkern ihrer Zeit befasst. Michael Walzer (mehr hier) erläutert die Bedeutung von Hannah Arendts Werk für das 20. und 21. Jahrhundert. Hans Mommsen und Daniel Cohn-Bendit unterhalten sich über Hannah Arendt, ihre Ausstrahlung, ihr Werk und dessen verzögerte Rezeption in Deutschland. Christian Geulen (mehr hier) schreibt über die Praxis von Hannah Arendts politischer Theorie. Axel Honneth (mehr hier) besieht die Jahrhundert-Bedeutung ihres Werks aus der deutschen Perspektive. Und Slavoij Zizek sagt schließlich: "Hanna Arendt? Nein danke!"

Der September-Wahltag hat auch Literaturen nicht unbeeindruckt gelassen, weshalb das Journal Werner A. Perger, politischer Redakteur bei der Zeit, um einen Beitrag zum Thema bat. Angesichts der Aussicht, der nächste Kanzler könne womöglich Edmund Stoiber heißen ("eine rundum inszenierte Kunstfigur") stellt Perger eine Reihe von Fragen: Hatten die Rot-Grünen in ihrer vierjährigen Probe- und Bewährungszeit einfach zuviel Pech ("von Lafontaine bis Scharping, von BSE/MKS bis zum 11. September, vom Kosovo-Krieg bis zur Kapitalismus-Krise")? Haben die Schröders und Fischers schlicht und einfach versagt, "so wie es die Alten ihnen seit jeher prophezeit haben?" Dass diese Fragen die Regierung seit 1998 ständig begleitet hat, betrachtet Perger als "deutsche Spezialität". Nirgendwo sonst sei Politik auf diesem Niveau diskreditiert worden. "Es war, als wollten die Stützen der alten Gesellschaft sich für die Umbrüche der sechziger Jahre doch noch revanchieren. Den Neuen verweigerte man jede Schonzeit. Hinzu kam, dass diese Regierung, auch der Kanzler, sich in einer Unreife präsentierte, die alle Erwartungen übertraf."

Weitere Artikel: Heinrich Detering portätiert Per Olov Enquist, weil ihm die Neuausgabe seines 1964 zuerst erschienen Romans "Der fünfte Winter des Magnetiseurs" gezeigt hat, dass dieser Schriftsteller zu den besten Europas gehört. Sigrid Löffler hat Ian McEwan daheim in Oxford besucht, und Ludwig Amman hat aktuelle Reiseberichte aus der islamischen Welt gelesen, die "ohne Blauäugigkeit und ohne Ressentiment" ihr Thema bearbeiten, darunter Peter Levis "Im Garten des Lichts. Mit Bruce Chatwin durch Afghanistan".
Archiv: Literaturen

London Review of Books (UK), 05.09.2002

Susan Eilenberg widmet sich hingebungsvoll dem Wörtchen "Liebe" in Peter Conradis neuer Biografie Iris Murdochs. "Love" und "delight" waren die letzten verständlichen Worte, die die an Alzheimer erkrankte Murdoch sprechen konnte. Auch in ihren Büchern gab es Liebe nur als Absolutes: "... a Murdoch character means what he says when he announces that to be looked at by his beloved is like being seen by God, that his 'black certain metaphysical love' is 'its own absolute justification' ?". Liebe lässt teilweise auch das Buch von Conradi scheitern, der sich heillos im Gewirr von Murdochs Beziehungen verstrickt zu haben scheint. "Not even Murdoch's own novels, which Conradi shows to be far more nearly realistic in this respect than her critics could have guessed, can compete in erotic complexity with her life", schreibt Eilenberg. Doch immerhin: "Conradi is fine at summing up the social and intellectual worlds in which Murdoch moved."

Drei Bond-Romane von Ian Fleming sind bei den Penguin-Classics neu erschienen. John Lanchester nimmt dies zum Anlass, einen Blick auf die sadomasochistische Seite Bonds zu werfen. "I had forgotten until rereading them just how often Bond gets beaten up, how long he spends recovering from it, and how a woman is usually involved in the recuperative process ? The first of these beatings is the most famous - that's the one in Casino Royale where Bond sits in a chair with a hole cut out of it and has his testicles thrashed with a carpet beater - but not one of the novels is without its scene of Bond in torment. The tenderest, most yearning word in Fleming's lexicon is 'cruel'."

Weitere Artikel: Hugh Pennington, Chef des Department of Medical Microbiology in Aberdeen, erzählt eine schauerliche Geschichte der Pocken. Sie galten bereits als ausgerottet, doch in den letzten zwanzig Jahren hat es immer wieder einzelne Pockentote gegeben - nicht in Asien, Afrika oder Lateinamerika, sondern in England! Der Grund: Exemplare des Virus werden dort in geheimen Labors aufbewahrt, aber hier und da entwischt einer ...

Nur im Print: Thomas Laqueur schreibt über zwei neue Biografien Primo Levis und Christopher Harvie denkt über die schottische Krise (die auch?) nach.

New Yorker (USA), 02.09.2002

In dieser Woche verehrt der New Yorker vor allem Männer! Ein ausführliches Porträt widmet Jeffrey Toobin dem Anwalt Bill Lerach, den sämtliche CEOs der USA einfach nur hassen. Lerach hat die vergangenen zehn Jahre damit verbracht, die Vorstände großer Unternehmen dafür zu verklagen, dass sie ihre Anteilseigner belogen, betrogen und um ihr Geld gebracht haben. Er hat Enron ebenso lange verfolgt wie MobilCom und Martha Stewart - wenn auch nicht immer aus uneigennützigen Motiven. "Lerach has been reviled by his targets, many of which are highly reputable firms like Intel and Apple, which view him as little better than a skilled extortionist, using the legal system to harass them. But Lerach has lately become a hero of the political left; a recent story in The Nation suggested that he was "America's top corporate crime fighter."

Judith Thurman erinnert an den im Juni verstorbenen Modemacher Bill Blass, der offenbar eine eigenartige Schar von Bewunderern anzuziehen verstand: Thurman selbst, ihre Mutter, ihre linken New Yorker Freunde und die Gewinner der Reaganomics: "'There was nothing ersatz about the Blass style', said a friend of mine, a downtown architect who voted for Ralph Nader in the last Presidential election. 'In that respect, it reminds me of Cesar Pelli's World Financial Center. Neither Pelli nor Blass is a visionary, and in both cases the work celebrates money and power, but somehow you don't hate it. I think it's because they represent a republican rather than an imperial image of capitalism. It's not the Wall Street of junk bonds and boiler rooms. And it's not the fashion Disneyland of Ralph Lauren. Blass looked like the president of an old family bank - someone you would trust with your life savings.'"

Weiteres: Leo Carey befasst sich - at large - mit Arthur Schnitzler und bedauert, dass ein schlechter Ruf nie von Dauer ist. Meghan O'Rourke unterhält sich mit Frederick Reiken, der erstmals im New Yorker veröffentlichen darf. Seine Kurzgeschichte "The Ocean" ist hier zu lesen. Ian Parker hat Mick Jagger on tour begleitet. Lillian Ross immerhin stattet den russischen Tennispielerinnen bei den US Open in Flushing Meadows einen Besuch ab.
Archiv: New Yorker

Prospect (UK), 01.09.2002

Nick Crowe, der ehemalige Drummer der Britpop-Band Gay Dad, schreibt einen tieftodtraurigen Artikel über den Niedergang, nein, den Tod des Rock'n'Roll. Am meisten schockiert ihn allerdings das Ende des britischen Pop in den USA: "In diesem April verabschiedeten sich die American Billboard Hot 100 Charts von der britischen Musik." Es war das erste Mal seit 38 Jahren, dass nicht eine einzige britische CD zu den hundert best verkauften Aufstieg. "Die Association of Independent Music berichtet, dass der Marktanteil britischer Alben in den USA von 32 Prozent im Jahr 1986 auf 0,2 Prozent in diesem Jahr gefallen ist." Über das ehrwürdige britische Label EMI kolportiert Crowe Gerüchte, dass Microsoft kaufinteressiert sei - um sich mit Inhalten für seine Internetadressen zu versorgen. Und auch in Großbritannien selbst verdrängen ausländische Stars die einheimischen Künstler. "Liegt das an einer Erosion britischen Talents oder an der Globalisierung? Wahrscheinlich an beidem."

Weitere Artikel: Die bekannte Autorin Elena Lappin (übrigens die Schwester von Maxim Biller) ist nach Hamburg gefahren, um ein Porträt des Terroristen Mohammed Atta zu schreiben. Adam Garfinkle antwortet auf einen Artikel von Michael Lind (mehr hier), der einen zu stareken Einfluss Israels auf die amerikansche Politik beklagt hatte. Und AC Grayling sucht nach Gründen für die Flut von Philosophenbiografien.
Archiv: Prospect

Times Literary Supplement (UK), 31.08.2002

Maßlos enttäuscht ist Bernard O'Donoghue von William Trevors neuem Roman "The Story of Lucy Gault", der die Geschichte einer protestantischen Familie im Irland der unruhigen zwanziger Jahre erzählt. Denn im Grunde hält O'Donoghue den anglo-irischen Trevor für einen der bedeutendsten Autoren und besten Erzähler des 20. Jahrhunderts. "It may be felt in the end that this is not one of Trevor?s more incontestable successes", wagt O'Donogue zu sagen, "although it displays mastery over its material and admirable ethical strength, it lacks the edge of some of the earlier work. Sometimes, especially in the early sections, the language is uncharacteristically slack. The characters are too nice, drifting almost allegorically towards the stereotypical decency of the kindly Chekhovian landowner, the lawyer who does his best and the faithful retainer. There are no villains; all are alike victims of fate and of a series of unlikely linked misfortunes... The bleak morality is uppermost.

Des weiteren hält Ruth Scarr den Roman "A Whistling Woman" von A.S. Byatt für einen ihrer besten (wenn auch für den definitiv blutigsten): "She is someone intimately acquainted with grief. She knows its violence and its faltering retreat. This, ultimately, is the grandeur of her novels." Und Patrick O'Connor lobt Matthew Bournes Chororeografie "Play Without Words" über das London im Jahr 1965 als erotisch, abenteuerlich, unterhaltsam und machmal brutal.

Leider nur in einem wenig hilfreichen Auszug zu lesen ist Michael Bentley Artikel über den Zustand der britischen Geschichtswissenschaft. Er sieht immerhin Bedeutsames geschehen: Immer mehr Engländern beschäftigen sich lieber mit der Historie als mit ihrem Garten. "One can envisage a white-haired couple putting down the pruning shears and Daily Telegraph to pick up History Today or the BBC History Magazine. But no; what the market research suggests is that young professionals are bulking large in the explosion of history at the bookstalls and in the viewing figures. These latter now seem awesome. History can draw a television audience of three to four million people and they cannot all be OAPs or bored house-husbands."

Folio (Schweiz), 02.09.2002

Das NZZ Folio setzt zur Ehrenrettung des Marktes an, dessen Ruf in letzter Zeit ein wenig gelitten hat: Auf dem Markt entwickelten sich Zivilisation und Kultur, schreibt das Folio, hier wurde wurde zuerst geschrieben und gerechnet. Und schließlich heißt es in dem Heft: Märkte sind überall und haben immer Recht. Zu lesen ist eine großartige Reportage von Kurt Pelda über den sagenumwobenen Salzmarkt von Timbuktu. "Vielleicht sind es die allgegenwärtigen Zeichen des Niedergangs, die manche Besucher am Fortbestand des uralten Salzhandels zweifeln lassen. Auf dem kleinen Markt werden jedenfalls nur einige wenige Salzplatten feilgeboten. Davon sollte man sich jedoch nicht täuschen lassen, denn sie sind nur für den lokalen Verbrauch bestimmt. Wer Salzhändler treffen will, muss die Häuser der maurischen Händler aufsuchen, deren Familien den Fernhandel seit Menschengedenken kontrollieren."

Sehr lesenswert ist auch der Bericht von Peter Haffner ("Grenzfälle") über den Basar im ehemaligen Warschauer Fussballstadion Dziesieciolecia, Europas größtem Freiluftmarkt, auf dem von gefälschten Microsoft-Programmen über israelische Uzis bis zur Hitler-Büste alles zu bekommen ist. "Wann immer ich in Warschau bin, gehe ich da hin, wohlversorgt mit Mahnungen meiner polnischen Freunde, mich nicht beklauen, verprügeln oder umbringen zu lassen. Für sie ist das Stadion so etwas wie eine Geisterbahn, zwar anziehend, aber unheimlich."

Weitere Artikel: John McMillan, Professor für Ökonomie an der Stanford School of Business, erklärt, was Märkte zum Funktionieren bringt. Hilmar Schmundt fragt sich, ob bei ebay der Traum vom perfekten Markt wirklich Wirklichkeit geworden ist. Jens Korte und Heike Buchter beschreiben einen Handelstag an der New Yorker Börse. Thorsten Hens, Professor am Institut für empirische Wirtschaftsforschung der Universität Zürich, erklärt, warum Kleinanleger an der Börse nur verlieren können. Ursula von Arx hat eine Vertreterin von Just-Kosmetikprodukten begleitet. Beat Gygi infomiert über das Geschäft der Zukunft - den Handel mit Wetterderivaten. Beat Kappeler ärgert sich über Preisabsprachen, Verbandskungeleien und behördliche Regelungen.
Archiv: Folio

Salon.com (USA), 29.08.2002

Alle lieben Google, schreibt Farhad Manjoo im führenden amerikanischen Online-Magazin, nur David Brandt nicht: Er betreibt die Homepage google-watch.org und beschwert sich über zwei Dinge: cookies, die Google setzt, und die auf 36 Jahre gespeichert werden - hiermit kann Google Suchabfragen speichern, was unter Datenschutz-Aspekten bedenklich ist. (Allerdings kann jeder an seinem Browser die Cookies-Funktion ausschalten.) Und der "PageRank", der Google berühmt gemacht hat: Der "PageRank" bezeichnet die Wichtigkeit einer Homepage für Google, und eine Seite ist desto wichtiger, je mehr Links von anderen Seiten auf sie gesetzt werden. Brandt findet das undemokratisch, dies allerdings auch, weil die Unterseiten seiner NameBase ihm bei Google zu niedrig rangieren. "Für Leute, die Google lieben und ohne die Suchmaschine nicht leben können - also die große Mehrheit unter uns - mögen Brandts Argumente absurd erscheinen", schreibt Manjoo. "Aber Brandt hat sein Leben damit verbracht, Autoritäten in Frage zu stellen, und Google geht er in der selben Weise an. Google ist heute ein Autorität im Web, sagt er, und Google hat soviel Macht, dass es kontrolliert werden muss."
Archiv: Salon.com

Outlook India (Indien), 09.09.2002

Die Titelstory - "The Big Bees" (eine Anspielung übrigens auf den größten indischen Filmstar, Amitabh "The Big B" Bachchan) - scheint diesmal von begrenztem Interesse für das westliche Ausland: ein Ranking der besten indischen Business-Schools, mit Top Ten und allem, was wir von Focus kennen.

Wohin der Reichtum der Reichen führt, zeigt unterdessen ein weiterer Artikel: In Hyderabad bauen sich neureiche Inder wilde Märchenschlösser nach europäischen Vorbildern: "Reddy doesn't disclose the details of the fortune he spent. But he does tell you that he hired a clutch of European architects and a thousand workers who sweated over 8,000 tonnes of specially quarried quartzite stone and other construction material over three years to build his five-floor, 20-room piece of France in Hyderabad. The businessman simply christened it 'Le Chateau'." Nicht alle dieser Häuser in Hyderabad, das räumt der Autor ein, sind so wahnsinnig, aber wenn schon, denn schon: "The gentleman claims his family loves beer so much he decided to build his roof with empty beer bottles. Hence he's had some 10,000 empty beer bottles plastered on to the roof and appropriately named his home Cheers."

Ein wenig nostalgisch ist ein Bericht über die aussterbende Kunst der gemalten Filmplakate: "The paints and brushes have given way to the computer and camera, the painted image to pictorial representation. Painting hoardings, in fact, is becoming rare and Balkrishna Arts Studio remains one of the last surviving painting studios in Mumbai. 'Digitisation is determinant,' says film scholar Ranjini Mazumdar.On the positive side, the printing is getting better, and the huge, hitherto imported, vinyl printouts are becoming commonplace." Nebenbei erfahren wir, dass, ganz wie in Hollywood, auch in Bollywood die Ausgaben für die Film-Werbung enorm gestiegen sind: "More is being spent in terms of money, time as well as effort on advertising films. If the publicity cost for a big film was two per cent of its budget before, it has now risen to 10 per cent."

Weitere Artikel: In Delhi ist es den Autofahrern ab sofort untersagt, an den Ampeln und Straßenkreuzungen Geld an Bettler zu verteilen, aber auch den meist obdachlosen Kindern Zeitungen abzukaufen; die Polizei will, dass der Verkehr schneller fließt. Nichts als ein Versuch, die Realität der enormen Kluft zwischen Arm und Reich zu verdrängen, meint der Autor des Artikels, Saba Naqvi Baumi. Und für die Cricket-Fans unter uns liefert der englische Ex-Cricket-Spieler Mike Gatting eine detaillierte Analyse des heftig umjubelten letzten Test-Spiels zwischen England und Indien - das Indien sensationellerweise deutlich gewonnen hat.
Archiv: Outlook India

Economist (UK), 31.08.2002

Einen leicht grünlichen Schimmer will der Economist in seinem Titeldossier über den Johannesburger Nachhaltigkeitsgipfel der amerikanischen Außenpolitik angemerkt haben. Zwar lässt sich Präsident Bush höchstpersönlich nur zu den Abschlusszeremonien am 4. September blicken, aber "kratzen Sie ein wenig an der Oberfläche, dann finden Sie Gründe, optimistisch zu sein: Immerhin versucht die Bush-Regierung diesen Gipfel nicht zu untergraben. Sie hat in letzter Zeit sogar einiges getan, dass manche als geradezu unterstützend ansehen. Und auch wenn Bush nicht selbst an den Verhandlungen teilnimmt, so hat er doch ein hoch angesehenes Team von Diplomaten und Experten entsandt. Verhandlungspartner und UNO-Offizielle bestätigen, dass die amerikanischen Delegierten im Gegensatz zum Gipfel von Kyoto 'konstruktiv am Prozess teilgenommen haben'." Die Gründe dafür kennt der Economist auch: Sie liegen in den "obszönen Summen Bargeld", die Bush jüngst mal wieder als Subventionen an seine Bauern ausgeschüttet hat, und in der Sympathiewerbung nach dem 11. September: "Ein Engagement in Entwicklungs- und Umweltfragen wirkt immer so positiv." Auch der Leitartikel befasst sich mit dem Gipfel.

Negativ wirkte der 11. September allerdings auf die bürgerlichen Freiheiten, wie der Economist in einer längeren Analyse feststellt. "Die Welt ist heute ohne Zweifel weniger frei als am 10. September." Alle Länder haben ihre Gesetzgebungen um teilweise recht willkürliche Eingriffsmöglichkeiten ergänzt: "Der 11. September hat den Diktatoren in der ganzen Welt einen Vorwand gegeben, ihre Kritiker als Terroristen zu brandmarken." Auch die USA bekommen ihr Fett weg: Wer gedacht hat, dass so etwas wie der Maccarthyismus nicht mehr möglich sei, wird eines besseren belehrt, meint das Magazin: "Die Regierung hat ein 'Terrorism Information and Prevention System' gestartet, in dem Millionen von Bürgern aufgefordert werden, einander auszuspionieren und die so gewonnen Happen an eine Datenbank zu senden. Die jüngste Gesetzgebung wird es der Polizei erlauben, in jeder Firma alle Details über eine Person zu erfragen, inklusive medizinischer Berichte aus Hospitälern und Zeugnissen aus den Universitäten."

Weitere Artikel handeln von den Wahlen in Deutschland und von Saul Davids Buch über die antibritischen Revolten in Indien im Jahr 1857.
Archiv: Economist

Spiegel (Deutschland), 02.09.2002

Die Titelgeschichte, wie stets nur gegen Entgelt zu lesen, dreht sich, man ist früh dran, weil eine Serie draus wird, um den Jahrestag des 11. September. Hübsch reißerisch die Überschrift über ein Interview mit Bushs Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice: "Die Terroristen hassen auch Berlin."

Als Flop hat sich, so erfahren wir, das Green-Card-Angebot an indische IT-Experten erwiesen. Erst kamen sie nicht und dann brauchte man sie nicht mehr. Zum Beispiel Radja Sangpur: "'Die haben mich einfach entsorgt', sagt er jetzt. 'Wie ein Stück Dreck.' 300 Bewerbungen und vier Monate später ist Sangpur nun wieder in Indien. Seine Möbel hat er verkauft, seine Ersparnisse aufgebraucht, um noch ein paar Wochen zu überleben, bevor er das Rückflugticket kaufen musste, für sich und seine Frau. Manchmal, wenn die Wut kommt auf sich selbst, weil er seinen gut bezahlten Job in Indien aufgab, dann spricht er von der 'roten Karte' und von 'einer Tragödie, die alles ruiniert hat'. Weil sein Aufbruch nach Deutschland kein Schritt nach vorne war, sondern ein weiter Wurf zurück."

Ohne gewichtige neue Erkenntnisse endet der Versuch, Licht ins Intrigenspiel um Springer,WAZ und Leo Kirch zu bringen. Vor allem geht es, von allen Seiten, gegen Springer-Chef Mathias Döpfner. Leo Kirch zum einen: "Eines der letzten und größten Steinchen im Mosaik seiner Fehlentscheidungen, da ist sich der Alte sicher, trägt den Namen von Mathias Döpfner, Vorstandschef des Axel Springer Verlags, an dem Kirch auch nach dem Zusammenbruch seines eigenen Imperiums 40 Prozent der Aktien hält." Die WAZler zum anderen: "Die Spar-Manager der WAZ verfolgen argwöhnisch die neokonservative Byzantinistik bei Springer. In Essen kolportieren sie, dass die vier WAZ-Geschäftsführer zusammen nur ein Drittel dessen verdienten, was ihr Kontrahent Döpfner allein kassiere. Auch deshalb würde man ihm gern mal das Sparen beibringen, das in solchen Kreisen nur anders genannt wird: Suche nach Synergien."

Weitere Artikel: Die juristische Aufarbeitung der G8-Gipfel-Proteste in Genua hat ergeben: "Um brutale Prügel-Orgien zu rechtfertigen, haben Italiens Ordnungshüter gelogen und gefälscht." Michael Jürgs, Ex-Chefredakteur von Stern und Tempo, hat eine Günter-Grass-Biografie geschrieben (die nächste Woche erscheint), der Spiegel druckt einen Auszug, der Grass' Kriegsjahre beschreibt. Es ist, wie nicht anders zu erwarten bei Jürgs, nicht die Sorte Buch, bei der sich der Autor vornehm zurücknimmt: "Ob ich denn wisse, was ein Richtschütze sei, fragte mich Günter Grass, als er davon erzählte, und nuckelte an der Pfeife. Ich schüttelte den Kopf, keine Ahnung, Militärisches hat mich noch nie interessiert." Und interessiert uns das?

Nur im Print: Urs Jennys erster Bericht aus Venedig - eine ganze Reihe von Heiligsprechungen hat er erlebt, von Frida Kahlo bis Tom Hanks im ausgiebig gelobten Gangsterfilm "Road to Perdition". Steven Soderberghs Video-Jux "Full Frontal", in dem Brad Pitt und Julia Roberts sich selbst parodieren, ist für ihn allerdings ein "Schuss in den Ofen".
Archiv: Spiegel

New York Times (USA), 01.09.2002

Daphne Merkin widmet dem Nobelpreisträger V.S. Naipaul (mehr hier) ein großes Porträt, in dem sie vor allem beklagt, dass er zu wenig gelesen wird. Erst im zweiten Teil gelangt sie zur Besprechung des neuen Buches, der Essaysammlung "The Writer and the World". Naipauls Besonderheit als reisender Schriftsteller beschreibt Merkin so: "Unlike those writers who travel in deliberate search of the exotic or mystical, Naipaul travels in order to find glimmers of the recognizable: 'I go to places which, however alien, connect in some way with what I already know.' " Diese Haltung findet Merkin angenehm vor allem im Vergleich zum politisch korrekten Mainstream: "I suppose this attitude can be labeled insular or ethnocentric, but one can also perceive in it a refusal to go along with the guilt-racked, reflexive tendency among Western liberals to idealize the once-despised Other and to countenance the depredations of self-rule in former colonial outposts." Das erste Kapitel gibt es hier zu lesen.

In einem Sammelband sind die gesammelten Film- und sonstigen Kritiken von Anthony Lane, Nachfolger Pauline Kaels beim New Yorker, erschienen. Was Laura Miller zu den Filmkritiken zu sagen hat, klingt erst mal nicht schlecht: "Lane writes prose the way Fred Astaire danced; his sentences and paragraphs are a sublime, rhythmic concoction of glide and snap, lightness and sting. Like his beloved Jane Austen, his style is infernally contagious. This review will sound just like him, and there's nothing I can do to prevent that." Die wahre Liebe Lanes aber gilt der Literatur, der englischen insbesondere - und Laura Miller ist so begeistert, dass sie sich am Ende fragt, warum er überhaupt Filme bespricht. Hier der Link zum ersten Kapitel.

Paul Austers
neuer Roman "Book of Illusions", bei uns schon eine Weile raus und von den Feuilletons rundum, zum Teil begeistert besprochen, ist nun auch in den USA veröffentlicht worden; das Urteil von D.T. Max fällt allerdings eher zwiespältig aus: "It contains a fine evocation of Mann's imaginary silent films that seems to owe something to Auster's own efforts as a screenwriter. He is brilliant at making the intellectual life sexy. But 'The Book of Illusions' doesn't quite reach the New York Trilogy's taut grace, in which every sentence feels metaphysically ordained, or his film work's warmth. It feels messy without being quite human." Hier gibt es eine Leseprobe.

Außerdem besprochen werden unter anderem ein Buch über die amerikanische Urzelle der Country-Musik, nämlich die Carter-Family, und - sehr positiv - der Roman "Eva's Cousin" von Sibylle Knauss (hier die Reaktionen im deutschsprachigen Raum). Lauwarm ist die Reaktion auf den "techno-bio-anthropological thriller" "Mind Catcher" von John Darnton, in dem ein paar Wissenschaftler eine Maschine zum Download menschlicher Hirnwellen erfunden haben. Nicht ganz uninteressant auch: Jonathan Franzens "Corrections" sind jetzt als Taschenbuch erschienen.
Archiv: New York Times

Express (Frankreich), 29.08.2002

Laetitia Masson, Paul Otchakovski Laurens, Frederic Beigbeder heißen die Protagonisten aus Christine Angots neuem Buch "Pourquoi le Bresil?", das von einer unglücklichen Liebe erzählt. Wie immer nimmt Angot, Autorin des Romans "Inzest", kein Blatt vor den Mund. Sie selbst ist in die Rolle einer Schriftstellerin geschlüpft, deren Werke von der Kritik verrissen, aber vom Publikum gefeiert werden. Daniel Rondeau feiert ihn auch, ihren neuen Roman: "Pourquoi le Bresil?" ist ein Seelenstriptease mit kleinen sadomasochistischen Spitzen. Das Ganze ist eingebettet in einen romantischen Rahmen. Man kann dieses Buch lesen wie einen banale und zugleich grausame Chronik des heutigen Lebens."

Außerdem in der Bücherschau: Abbas, ein iranischer Fotoreporter, der für die Agentur Magnum arbeitet, hat sein Fototagebuch veröffentlicht. Er nimmt die Geschichte der letzten 30 Jahre seines Heimatlandes in den Blick. Francois Busnel porträtiert Jose Freches, den ehemaligen Direktor des Musee Guimet. Scheiben aus Jade, die den Ursprung der Welt, Himmel und Erde symbolisieren, hätten ihn dazu inspiriert ein Buch zu schreiben. Das Werk sei so überzeugend, dass sich der Leser ins China des 3. Jahrhunderts versetzt fühlt.

Anlässlich des amerikanischen Filmfestivals in Deauville stellt Jacques Attali fest, dass das amerikanische Kino "auch eine strategische Waffe ist, um die Stellung der Amerikaner als Weltmacht zu sichern und zwar durch den Dollar." Das Filmfestival zeigt, dass es die weniger kommerziellen Hollywood-Filme mal wieder schwer haben sich durchzusetzen, berichtet der Korrespondent Denis Rossano.
Archiv: Express