Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
09.02.2006. In der FAZ wundert sich Daniel Kehlmann, dass man mit Satire Freunde gewinnen kann. Außerdem weist die FAZ nach, dass keiner der Migrationsforscher, die Necla Kelek kritisieren, je selbst zum Thema der türkischen Zwangsheiraten geforscht hat. Die Welt bringt eine Hommage Claudio Magris' auf Turin. Die NZZ bewegt sich zu den Klängen des Coupe-Decale im Stil des drogbacite (alles mit accent aigu, der von der Perlentaucher Technik zensiert wird!) Zu Beginn der Berlinale wird der deutsche Film in mehreren Zeitungen als Kulturgut, Wirtschaftsfaktor und Arbeitsplatzbeschaffer gewürdigt. Auch über neue Karikaturen zum Karikaturenstreit wird berichtet.

Zeit, 09.02.2006

Die Retrospektive der Berlinale ist "Traumfrauen" gewidmet. Katja Nicodemus hat eine besucht. Die Tür öffnete ihr Bernard d'Ormale, Weggefährte des rechtsextremen Politikers Jean-Marie Le Pen. Er "streckt die Hand aus und blafft gleich los. 'Arbeiten Sie für eine Zeitung, die diesen Namen überhaupt verdient?' Angespannte Stille. Bardot zieht an ihrer Zigarette." Später wird sie sagen, "kein Mensch stehe ihr so nahe wie ihre Hunde. Nicht einmal ihr Ehemann? Die Antwort ist verblüffend: 'Wissen Sie was? Ich war immer der Mann meines Lebens.'"

Evelyn Finger fragt Sigourney Weaver, Hauptdarstellerin im Berlinale-Eröffnungsfilm "Snow Cake", warum sie nie Mainstream-Charaktere spielen musste. "Man hat mich einfach nicht besetzt. Und die paar neuen großen Filme, die wirklich toll sind, kommen ohne Frauen aus: 'Brokeback Mountain', 'Jarhead', 'Syriana'."

Weitere Artikel: Der englische Kunstkritiker Mark Rappolt mutmaßt anlässlich einer Martin-Kippenberger-Ausstellung in der Tate Modern, dass der "geheimnisvolle" Deutsche für die Londoner Kollegen so attraktiv ist, weil "aus seinen verwesenden Überresten offensichtlich herausgeholt werden kann, was immer sich ein Künstler oder Kritiker wünscht". Um den Niedergang Westberlins aufzuhalten, fordert Antje Vollmer energisch einen Masterplan von der Politik, mehr Engagement von den Bürgern und Mut von den Künstlern: "Die Berliner Theater insgesamt sollten lernen, dass sie nicht durch drei Insiderkritiken in den bundesweiten Medien und durch deren Einfluss auf die Poliitk gesichert werden, sondern durch Verankerung in ihrem Kiez und ihrem Publikum." Die Autorin Necla Kelek begegnet noch einmal der Kritik von 60 Migrationsforschern, die ihr Übertreibung und Verallgemeinerung vorwerfen. In der Reihe "50 Klassiker der modernen" Musik stellt Claus Spahn eine komponierte Stille vor: John Cages "4'33". Und Christian Meier schreibt zum Tod des Historikers Reinhart Koselleck.

Besprochen werden Terrence Malicks Film "The New World" (noch einmal die Kritik von Klaus Theweleit aus dem gestrigen Tagesspiegel), Mozart-Konzerte mit dem chinesischen Pianisten Lang Lang (Sein "Mozart flutscht", findet der wenig begeisterte Claus Spahn), die neue CD von Belle & Sebastian und Hörbücher. Den Aufmacher des Literaturteils widmet Ursula März dem "Andenken" von Lars Brandt an seinen Vater (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Die Debatte um die Mohammed-Karikaturen ist in der Zeit mit unvermeidlicher Verzögerung, dafür aber besonders gründlich entbrannt. Im Feuilleton behauptet der evangelische Theologe Walter Schmithals, Demokratie und Islam seien nicht vereinbar: "Einen Euro-Islam kann es nicht geben." Außerdem sind die ersten sechs Seiten des Politikteils dem Thema gewidmet. Unter anderem porträtiert Werner A. Perger Shabana Rehman, eine norwegische Kabarettistin pakistanischer Herkunft. Der palästinensische Journalist Akram Musallam erklärt, warum er die Karikaturen beleidigend findet - und falsch: "Den Terrorismus mit dem Islam und islamischen Gesellschaften gleichzusetzen ist oberflächlich." Von einer neuen "totalitären Bedrohung" spricht der österreichische Karikaturist Manfred Deix im Kurzinterview: "Ich zeichne jetzt nur noch mit der Burka." Alle Artikel finden Sie hier.

Außerdem: Im Dossier schreibt Peter Wesnierski, dessen Buch zum Thema nächste Woche erscheint, über die Misshandlung von Kindern in kirchlichen Heimen der Nachkriegszeit. Versteckt auf den Wirtschaftsseiten setzt Bernd Gäbler auf Ulrich Deppendorf als künftigen ARD-Programmdirektor. Und im Leben sinniert die Schauspielerin Martina Gedeck, die bald in Oskar Roehlers Houellebecq-Verfilmung "Elementarteilchen" zu sehen ist, über die Diva: "Eine Diva scheut den Blick in den Abgrund nicht, sie verkörpert ihn geradezu."

FAZ, 09.02.2006

Daniel Kehlmann bekennt im Interview, recht fassungslos über den Erfolg seines jüngsten Romans "Die Vermessung der Welt" zu sein: "Halb im Scherz könnte ich sagen, 'Ich und Kaminski' war eine recht aggressive Satire über die Medienwelt und den Journalismus, und ich habe festgestellt, dass Journalisten und Medienleute das Buch geliebt haben. 'Die Vermessung der Welt' ist eine recht aggressive Satire über das Deutschsein, und ich stelle fest, dass ganz Deutschland es liebt. Es scheint wirklich sehr schwer zu sein, sich unbeliebt zu machen." Wie wär's mit einer kleinen Satire über den Koran?

Weitere Artikel: Verena Lueken freut sich über den "starken Auftritt" des deutschen Films bei der Berlinale. Über den Eröffnungsfilm "Snow Cake" darf sie nichts sagen: "Niemand, der öffentlich zu sprechen berechtigt ist, hat den Film bisher gesehen." Regina Mönch verteidigt noch einmal die Autorin Necla Kelek gegen ihre Kritiker: Es sei nicht Keleks "Aufgabe, die blinden Flecken wissenschaftlicher Wahrnehmung zu erhellen - sie hat darauf hingewiesen, das ist mutig genug im Klima giftiger Empörungsdebatten". Jürgen Kaube bezichtigt die Migrationsforscher, die den Brief gegen Necla Kelek in der Zeit unterschrieben haben, der "Hochstapelei": "Unterschrieben wurde die Klage über unseriöse Forschung allerdings nicht nur von Professoren, sondern beispielsweise auch von einem Mitarbeiter der Fakultät, dessen Arbeitsfeld auf ihrer Internet-Seite mit 'Unterstützende Tätigkeiten für den Haushalts- und Drittmittelbereich, Buchungen in SAP' angegeben ist." Hubert Spiegel spießt die Suhrkamp-Werbung für ein neues Buch auf, die den Lesern in Aussicht stellt "sie könnten sich 'in einer Stunde vom Dummschwätzer zum Klugscheißer' entwickeln". Alexandra Kemmerer berichtet über das Gedenken Bonhoeffers in Berlin. Tillmann Lahme schreibt zum Tod der Schriftstellerin Karin Struck.

Auf der Filmseite unterhalten sich die gesammelten Filmredakteure der FAZ mit den vier Regisseuren deutscher Berlinale-Wettbewerbsfilme Valeska Grisebach, Matthias Glasner, Oskar Roehler und Hans-Christian Schmid. Und Andreas Kilb erzählt, warum aus der erfolgreichen Firma X-Filme nun Y-Filme wurde.

Robert von Lucius hat mit einem der dänischen Mohammed-Zeichner gesprochen, der seit einigen Wochen "unter Todesdrohungen und unter Polizeischutz" lebt. "Niemand habe sie richtig verstanden, sagen die Zeichner - ihnen sei es nicht um Muslime und den Islam gegangen, sondern um die Selbstzensur dänischer Zeichner, Autoren und Journalisten. Gegen diese hätten sie angehen wollen." (Seine Zeichnung wird nicht gezeigt.) Andreas Platthaus lobt die FAZ-Zeichner Greser und Lenz, die in einer Fernsehsendung die Karikaturen verteidigten. Und Jürg Altwegg berichtet über zwei Zeitschriften in Frankreich, die sich auf ihre Art mit dem Streit auseinandersetzen: Charlie Hebdo hat die Karikaturen abgedruckt und mit eigenen nachgelegt. Der Canard enchaine taufte sich kurzfristig in "satanische Gazette" um.

Auf der letzten Seite berichtet Dirk Schümer über das Theaterprojekt "Domani", mit dem der Regisseur Luca Ronconi die Turiner Winterspiele künstlerisch begleitet - unter anderem setzt er sich hier mit der Geschichte des italienischen Kommunismus auseinander. Leo Wieland portärtiert den spanischen Krimiautor Felix Bayon und seinen Helden Luis Leon. Und Patrick Bahners äußert sich nach einer Woche Bedenkzeit geistvoll-kritisch über einen Artikel des Historikers Götz Aly, der in der vorletzten Zeit eine Neuordnung der Berliner Gedenkstättenlandschaft vorgeschlagen hatte.

Besprochen werden Aufführungen von Opern Joseph Martin Kraus' - "Zaide" und "Soliman II." - in Luzern und eine Ausstellung von Faust-Illustrationen in Leipzig.

NZZ, 09.02.2006

Frank Wittmann gibt eine kleine Einführug in den neuen afrikanischen Musikstil Couper-Decaler- Travailler (kurz: Coupe-Decale), der in Paris entstanden ist: "Interessant ist, dass er von ivoirischen Jugendlichen der Diaspora entwickelt wurde. Obwohl die west- und zentralafrikanischen Popmusik-Stile seit je Ergebnis einer komplexen Mischung unterschiedlicher klanglicher und rhythmischer Traditionen sind, gab bis anhin der Kontinent den Takt in Sachen musikalischer Innovation an und nicht die Diaspora. Mit dem Coupe-Decale ist diese Hierarchie nun ins Wanken geraten." Einer der bekanntesten Musiker heißt Douk Saga, und Shanaka Yakuza hat dazu den Tanz "drogbacite" entwickelt, der von charakteristischen Bewegungen des Fußballers Didier Drogba inspiriert ist.

Weitere Artikel: Der Schriftsteller Franz Schuh denkt über die Äußerungsform des Raunzens nach ("Man neigt dazu, das Raunzen ein bissel zu verniedlichen."). Bespochen werden die Eröffnung eines Mahler-Zyklus mit dem Zürcher Tonhalle-Orchester unter David Zinman, ein neues Album der schottischen Band Belle & Sebastian und ein Band über Elfriede Jelinek.

Welt, 09.02.2006

Morgen eröffnen die Winterspiele in Turin. Der (in Triest geborene) Schriftsteller Claudio Magris erklärt der Stadt seine Liebe: "Turin ist die zweite, die andere Stadt meines Lebens. Ohne Turin wäre ich wohl kaum oder gar nicht erwachsen geworden. Ohne Turin hätte ich nie zu schreiben begonnen... In Turin habe ich die Freiheit kennen gelernt; hier habe ich zu denken gelernt, und hier habe ich schließlich auch gelernt, ein starkes, freies Verhältnis zu Triest zu entwickeln. Denn wirklich: ohne meine Turiner Erfahrung hätte ich nie zu schreiben begonnen. Turin war in jenen Jahren ein einziger Gegensatz zu Triest. Triest war ein Ort der Dekadenz. Turin aber hat in den fünfziger und sechziger Jahren seine Bevölkerung verdoppelt."

Weiteres: Hanns-Georg Rodek frohlockt zum heutigen Beginn der Berlinale über die vielen wettbewerbstauglichen Filme aus Deutschland. "Die Schmids, die Dresens, die Bucks und Grafs interessieren sich offenbar (neu) für dieses Land." Peter Dittmar erzählt, wie Kopenhagen herausfand, dass es zwei echte Rembrandt-Gemälde besitzt. Ulrich Weinzierl erinnert an Thomas Bernhard, der heute vor 75 Jahre geboren wurde.

Besprochen werden der Auftakt des Stuttgarter Woyzeck-Projekts mit Thomas Dannemann, Lasse Hallströms romantische Version des "Casanova" , das "starke" Regiedebüt des 19-jährigen Schülers Dustin Loose "Rolltreppe abwärts" und Catharina Deus' Film "Die Boxerin mit Katharina Wackernagel.

Auf den Forumsseiten stellt der Kolumnnist Marc Steyn einige steile Thesen auf: "Das fortschrittliche Programm - verschwenderische soziale Wohlfahrt, Abtreibung, Säkularismus, Multikulturalismus - ist, zusammengenommen, das eigentliche Selbstmordattentat", meint Steyn, der mehr Kinder produziert sehen möchte. "Wir leben in einem außergewöhnlichen Zeitalter: dem der Selbstauslöschung jener Völker, die die moderne Welt formten. Die Spinner von al-Qaida werden nie genug selbstmörderische Piloten finden, um genug Flugzeuge in genug Wolkenkratzer zu fliegen. Aber anders als wir denken die Islamisten langfristig, und angesichts ihres demographischen Vorteils in Europa und des Tons, den die entstehenden moslemischen Lobbys dort anschlagen, kriegen sie viel von dem, wofür sie bisher Flugzeuge in Gebäude steuern, in ein paar Jahren wahrscheinlich einfach so. Die Wolkenkratzer werden ihre sein; warum sie einreißen?"

TAZ, 09.02.2006

Elisabeth Bronfen schreibt den ersten Berlinale-Artikel über die Retrospektive, die den "Traumfrauen" der fünfziger Jahre gewidmet ist und unter deren glamuröser Oberfläche sie schon den kommenden Aufbruch der sechziger Jahre rumoren sieht: "Ein Detail lässt nachträglich erkennen, wie gerade im Kino die Weichen für den Umbruch der nächsten Dekade gelegt wurden. Am Anfang von 'Gentlemen Prefer Blondes' singt Monroe davon, wie sie aus Little Rock wegzog, um ihren Traum von Glück, Glamour und Geld zu verwirklichen. Vier Jahre später taucht die Hauptstadt von Arkansas ein weiteres Mal im Zusammenhang mit einer jungen Frau im Bewusstsein der Öffentlichkeit auf: Würdevoll und zugleich mutig läuft Elizabeth Eckford (mehr hier) im adretten Petticoat mit ihrer Schulmappe unter dem linken Arm geklemmt an einer sie anpöbelnden weißen Menschenschar vorbei. Sie war eine der neun Schwarzen Schüler (mehr hier), die der Gouverneur mit dem Einsatz seiner National Guard daran hindern wollte, das Schulhaus zu betreten."

Weitere Themen: "Das Bekannte, Alltägliche neu entdecken: Das ist es, was der deutsche Film, der auf der heute beginnenden Berlinale besonders stark vertreten ist, leisten kann," schreibt Cristina Nord zur Berlinale-Eröffnung. David Denk befasst sich mit Vorwürfen, Berlinale-Chef Dieter Kosslick fehle es an einem "unverwechselbaren cineastischen Profil". Auf der Tagesthemenseite verabschiedet Waltraud Schwab die Schriftstellerin Karin Struck. Besprochen wird Rainer Werner Fassbinders, jetzt auf DVD erschienener Film "Whity" von 1970.

Auf der Meinungsseite interviewt Christian Semler Daniel Cohn-Bendit zum Karikaturenstreit. Dass die Welt mit dem Abdruck die Meinungsfreiheit verteidigen wollte, glaubt Cohn-Bendit ihr nicht: "Wenn es Karikaturen gewesen wären, die das Christentum oder das Judentum beleidigen, hätte das Blatt sie nicht gedruckt. Eine Zeitung wie Charlie Hebdo, die im Rahmen der Anti-Aids-Kampagne Christus mit einem Steifen und Pariser darauf am Kreuz sagen lässt, ich ficke nur mit Pariser, die kann auch Mohammed-Karikaturen drucken. Dieses ganze Sich-in-die-Brust-Werfen für Meinungsfreiheit hat bei uns einen strengen heuchlerischen Geruch."

Dietmar Kammerer stellt die Berlinale-Reihe "Perspektive Deutsches Kino" vor, die in diesem Jahr mit schönen Bildern "die prekären Verhältnisse von Freiheit und Abhängigkeit" beleuchtet. Katrin Kruse legt offen, wie Berlinale Chef Dieter Kosslick den Glamour bändigt, nachdem im letzten Jahr durch mediale Dauerpräsenz der schillernden chinesischen Schauspielerin und Jury-Präsidentin Bai Ling das sexuelle Moment in der Jury eine gewisse Übermächtigkeit gewonnen hatte. Detlef Kuhlbrodt bedauert die professionalisierte Berlinale-Berichterstattung seiner Zeitung, weil mit dem "Actionwriting" der Performancecharakters der Berichterstattung verloren ging.

Schließlich Tom.

FR, 09.02.2006

Elke Buhr hat in der Schau "click doubleclick" im Münchner Haus der Kunst gesehen, wie die Fotografie auf die Allgegenwart von Fotohandys und Digitalkameras reagiert. Die Nachbearbeitung wird immer wichtiger, nur manche setzen noch alleine auf die Komposition, um sich von der Masse abzusetzen. "Der ehemalige Magnum-Reporter Luc Delahaye zum Beispiel ist immer noch sehr nah an der Wahrheit dran. Doch anders als die doch etwas gestelzt wirkenden Tsunami-Fotografien Taryn Simons wirken Delahayes Ansichten vom verwüsteten Bagdad oder seine perfekt zentralperspektivisch um die Leerstelle des Todes komponierte Begräbnisszene in Afrika wie Bilder, die bleiben - eine zeitgemäße Variante der Historienmalerei. Auf einem großen Querformat liegt ein toter Taliban-Kämpfer quer in einem Erdloch. Delahaye gelingt es, ihm im Tode das Individuelle zurück zu geben, seine ganz eigene Tragik, und erhebt ihn gerade dadurch zum Symbol."

Weiteres: Man könnte meinen, die Welt steht kurz vor der Apokalypse, wenn man die Fernsehbilder der brennenden Botschaften und randalierenden Mobs sieht, stellt der Soziologe Peter Fuchs fest. Das apokalyptische Weltschema aber ist selbstredend "gefährlich unterkomplex". Renate Wiggershaus schreibt zum Tod der Schrifstellerin Karin Struck. Ursula März nutzt in Times Mager mit Blick auf die aktuelle Heidi-Klum-Krise (mehr hier) die Gunst der Stunde: "ICH BIN NICHT ZU DÜNN." Die nur im Print zu lesende Beilage FR-Plus ist heute fast ausschließlich der Berlinale gewidmet.

Besprochen werden Lasse Hallströms karnevalisierter Film "Casanova", Maria Bloms Film "Zurück nach Dalarna", Vivian Naefes Cornelia-Funke-Verfilmung "Die wilden Hühner" (ein "Juwel des deutschen Kinderkinos" schwärmt Sascha Westphal.) und die Ausstellung "Auto-nom-mobile" in Kassel.

SZ, 09.02.2006

Der Kulturanthropologe Werner Schiffauer  schaltet sich in den Streit um die Migrationsforscherin Necla Kelek ("Die fremde Braut") ein. "Ein Grundproblem liegt darin, dass Necla Kelek nicht zwischen arrangierten Ehen und Zwangsheiraten unterscheidet... Tatsächlich fallen in der Migration die ökonomischen Imperative für arrangierte Ehen weg - allerdings treten andere Argumente dazu. In der neuen Heimat differenziert sich das Heiratsverhalten aus: Liebesheiraten - im Dorf die Ausnahme - werden häufiger, aber arrangierten Ehen bleiben wichtig. Denn die familialen Bindungen haben auch in der Diaspora einen hohen Stellenwert - was den psychischen und sozialen Rückhalt betrifft, manchmal einen höheren als in der Türkei. Man stimmt sich in der Familie ab. Auch gelten Liebesheiraten als notorisch instabil."

Die heute beginnende Berlinale zeigt mehr deutsche Filme denn je. Ein deutscher Film geht ins Oscar-Rennen. Und trotzdem ist die deutsche Filmindustrie unzufrieden. In Teil zwei der SZ-Serie über die Kinobranche im Wandel sieht Tobias Kniebe den Grund dafür im System selbst begründet: "Das deutsche Kino steht in keiner seiner vielen Facetten souverän auf eigenen Beinen. Es bewegt sich im engen Rahmen staatlich definierter Beihilfen in Form von Fördergeldern, Rundfunkgebühren und Zwangsabgaben, die alle auf einer naiven Grundannahme basieren: Dass Film stets Kulturgut, Wirtschaftsfaktor und Arbeitsplatzbeschaffer zugleich sein könne und müsse. Diese verordnete Einebnung aller Gegensätze hat falsche äußere Harmonie und echte innere Zerrissenheit zur Folge. Es hilft also nichts: Man muss die Absurditäten dieses Systems immer wieder erklären und anprangern - so lange, bis die Politiker begreifen, dass bessere Lösungen nötig sind."

Weitere Artikel: Zur Eröffnung der Berlinale erläutert Fritz Göttler den erfolgreichen Kosslick-Code, verrät aber nichts über den Eröffnungsfilm. Ijoma Mangold versucht, den Erfolg von Daniel Kehlmanns Roman "Die Vermessung der Welt" zu ergründen. Jens-Christian Rabe erzählt vom Sturz des amerikanischen Literatur-Wunderkinds JT LeRoy: alles war großer Schwindel und eine Erfindung der Autorin Laura Albert. Kristina Maidt-Zinke schreibt den Nachruf für die Schriftstellerin Karin Struck. Bernd Brehmer schickt einen Bericht vom Filmfestival Rotterdam. Susan Vahabzadeh und Fritz Göttler haben Kevin Bacon und Atom Egoyan über ihre Arbeit am Film "Wahre Lügen" befragt. Die Schauspielerin Rosemarie Fendel bewirbt Band 22 der SZ-Kinderbuchklassikerreihe: Tove Janssons "Die Mumins".

Besprochen werden Niki Caros Film "Kaltes Land" (dessen Hauptdarstellerin Charlize Theron Rainer Gansera ebenso bestechend fand wie das Gespür der neuseeländischen Regisseurin für "mythisch durchwirkte amerikanische Atmosphäre"), eine antiamerikanische Orgie des türkischen Filmregisseurs Serdar Akar "Tal der Wölfe - Irak", die David-Smith-Retrospektive im New Yorker Guggenheim-Museum, Richard Jones' von Ingo Metzmacher musikalisch geleitete Inszenierung der Leos-Janacek-Oper "Die schlaue Füchsin" in Amsterdam und Eberhard Kolbs "kleines Meisterwerk" über den Versailler Frieden (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).