Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juli 2010

Egoismus der Alten

31.07.2010. Die taz empfiehlt ignorierten Literaturübersetzern, sich an eine bewährte Putzfrauenhypothese zu halten. In der NZZ stellt Hannelore Schlaffer fest: Frauen lesen Romane, Männer Zeitschriften. Die FAZ studiert in Stuttgart den Widerstand der Sechzigjährigen gegen einen neuen Bahnhof. Die SZ erschrickt vor einem parallelen Rechtssystem in hiesigen Migrantenmilieus. Im Guardian erklärt Gabriel Josipovici britische Autoren wie Rushdie, McEwan oder Barnes für zunehmend irrelevant.

Das Eigene ist das Verschmutzte

30.07.2010. Im Namen des Meeres klagt Michel Serres in der taz gegen BP. In Blogs und Medien wird weiter über Bezahlinhalte gestritten: Ohne öffentlich-rechtliche Inhalte im Netz könnten die Verleger ihre Angebote endlich zahlbar machen, hofft der Zeitschriftenlobbyist Wolfgang Fürstner im Tagesspiegel. Die SZ erklärt ihre Solidarität mit den Gentrifizierungsverlierern. Die FAZ sammelt öffentlich zugängliche Informationen zu  Google und der CIA.

Lüstern, luftig, voller Süße

29.07.2010. Jon Stewart bringt die Enthüllung von Wikileaks auf den Punkt. In der Berliner Zeitung isst Liv Ullmann Fleischklopse mit einem stummen Ingmar Bergman und einem stummen Woody Allen. Die Zeit fordert von den Öffentlich-Rechtlichen: Gebühren oder Quote. Und die Feuilletons sind hin und weg von Wolfgang Rihms "Dionysos"-Oper.

Wir kennen solch opportunistisches Völkchen

28.07.2010. Mit offenem Mund verfolgten die Kritiker Peter Steins Inszenierung des "Ödipus auf Kolonos". Die einen staunten. Die anderen gähnten. Im Guardian trauert Tom McCarthy mit dem Telefon um die Toten. In der NZZ wappnet sich Leopold Federmair für den japanischen Winter. In der SZ zerlegt Andrea Camilleri den Berlusconismus mit Besteck des Kommunismus. Käufern des Ipad wird zu unerotischer Lektüre geraten.

Und Rosa für die Kinderbrut

27.07.2010. Die alten Medien sind nicht tot, schwärmt die taz: Denn sie durften im Internet verbreitete Enthüllungen zuerst aufarbeiten. Auch die Blogs setzen sich intensiv mit den Wikileaks-Enthüllungen und der Aufbereitung in den drei Primärmedien auseinander. Auch die Loveparade-Katastrophe spielt eine Rolle: Wäre die Loveparade als offene Veranstaltung konzipiert worden, so der einstige Veranstalter Dr. Motte in der Berliner Zeitung, dann wäre nichts passiert. Außerdem: Was sollen die Ratten im "Lohengrin"?

Der muss eine Zunge haben

26.07.2010. Die FAZ liest "Das Ende der Geduld" der Jugendrichterin Kirsten Heisig.  In der taz porträtiert Gabriele Goettle den Münzgestalter Heinz Hoyer. Die NZZ diagnostiziert Depression bei den Spaniern, die zum großen Teil wieder zu ihren Eltern gezogen sind. In der FR will der Philosoph Michael Pauen trotz Hirnforschung an der Willensfreiheit festhalten. Die Blogs denken über das Programm Flipboard nach, das für das Ipad Medieninhalte in sehr hübscher Weise aggregiert.

Die Schädel auf Augenhöhe

24.07.2010. In der FR rät Seyla Benhabib Israel zur demokratischen Selbstauflösung. In der NZZ sieht Richard Herzinger Israel als potenziellen Turbo für einen demokraischen und wirtschaftlichen Aufschwung in der Region. Für die SZ besucht Ralf Bönt die Killing Fields von Kambodscha. Die Welt lauscht dem 80-jährigen Grass, der dem 50-jährigen Grass lauscht. Im Blog des Literaturagenten Andy Ross erklärt die New Yorker-Redakteurin Mary Norris, was ein O.K.er ist. In der FAZ porträtiert Jan Wagner den amerikanischen Lyriker Wallace Stevens: "Ohoyaho, / Ohoo".

Hierarchisch, hermetisch, vorhersehbar

23.07.2010. Nichts ist teurer als die Zeitung von gestern: Telepolis erklärt, was mit dem Springer Verlag, der 27.000 Euro für einen digitalen Zugang zur Vossischen Zeitung will, in Brasilien passieren würde. In der SZ schildert der Internetpionier Ethan Zuckerman das Problem der durch das Netz fragmentierten Öffentlichkeit. Das Ideal der "bürgerlichen Öffentlichkeit" funktioniert aber auch nicht, meint Carta. Fast alle Zeitungen feiern Mieczylaw Weinbergs wiederentdeckte Oper "Die Passagierin" in Bregenz: Musiktheater über Auschwitz.

Fachbereich für Drittmittelantragsdidaktik

22.07.2010. In Slate schimpft Christopher Hitchens auf Mel GibsonJungle World bringt ein Dossier zur Burka-Debatte und fragt nach Nebenwirkungen. Die FAZ fragt mit Martha Nussbaum: Was stört uns der Niqab, solange die so Verhüllte uns noch anblickt? Life Science untersucht einen prähistorischen Dildo.  Die Zeit hat festgestellt, dass noch gelesen wird, und dies sogar im Internet. Und die ARD wehrt sich mit aller Entschiedenheit gegen die FAZ.

Ich mag Macht!

21.07.2010. In der FAZ predigt Roland Reuß zu geisteswissenschaftlichen Autoren: Totale Selbstaufgabe ist ein Akt der Souveränität. Der Tagesspiegel zitiert aus dem Gutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Hans-Jürgen Papier, der das Internet als "Gebiet des Rundfunks" sieht. Die taz ist böse: Alice Schwarzer haut die Burka und meint die Linke. Die NZZ verzeichnet Fortschritte in den Bratislava-Wiener Beziehungen. Die FR liest Uwe Johnsons Interviews mit Fluchthelfern der DDR.

Die Metapher vom langen Weg

20.07.2010. In der FR erklärt Martha Nussbaum, warum es unnötig ist, für Passfotos die Burka abzunehmen. In der FAZ fragt Alice Schwarzer: Warum verteidigt ausgerechnet die Linke die Burka? Laut Welt suchen die Stadt Weimar und der Iran einen interkulturellen Kompromiss in der Holocaust-Frage. Im Kölner Stadt-Anzeiger erklärt der Politologe Samuel Salzborn, warum er glaubt, dass die Linkspartei auf dem Weg zur antisemitischen Partei ist. Im European gibt Götz Aly der Linken sowieso keine Chance. Die SZ stöhnt ganz allgemein über den Arbeitnehmer-Seelenverschleiß im rundum beschleunigten 21. Jahrhundert.

Schon wahnsinnige Dithyramben

19.07.2010. Die NZZ findet: Eine offene Gesellschaft soll vermummten Frauen mit einer Portion Gleichgültigkeit begegnen. Laut Welt ist Sri Lanka den Russen für ihr Engagement gegen Menschenrechte sehr dankbar. Die FAZ schildert bei einem Glas Wein, wie bei Wolfgang Rihm die musikalische Ebene ungehindert herbeifließt. Die taz besingt die Renaissance des Harris Tweeds.

Das Glück ist ja so eine Nanosekunde

17.07.2010. Die Welt sucht die Herrscher der Literaturkritik. In der FR blickt Jens Reich in die Zukunft der menschlichen Natur. Christoph Schlingensief wünscht sich in der NZZ die seminarhaften Neunziger zurück. Die FAZ trifft den britischen Filmregisseur Terence Davies. Die SZ besucht Ray Kurzweils kalifornische Singularity University und bekommt es mit der Angst zu tun: Ist die Computer Cloud in Wahrheit ein Atompilz?

Spiel mit meinem Bongo, Baby

16.07.2010. Die taz erklärt den feinen Unterschied zwischen gewöhnlicher Diffamierung und gewöhnlichem Antisemitismus. Die FR gibt einen letzten Rat von Fritz Teufel weiter. FAZ kolportiert Klatsch über Suhrkamp. Die SZ meint: wissenschaftliche Arbeit fördert Eigensinn und Renitenz.

Wenn keine Opulenz mehr ablenkt

15.07.2010. FRTagesspiegel und Blogs berichten über die für heute anstehende Verhandlung vor dem BGH im Rechtsstreit FAZ und SZ gegen den Perlentaucher. In der Welt klären die Theaterintendanten Nikolaus Bachler (Jahresetat: 86 Millionen Euro) und Sewan Latchinian (4,5 Millionen) die Frage, ob Armut den poetischen Reichtum fördert. Die SZ feiert das Wunder von Duisburg-Marxloh. In der NZZ graut es Mykola Rjabtschuk vor einem ukrainischen Präsidenten, der nicht einmal die Interessen der Oligarchen bedient. Und die Zeit entdeckt den Komponisten Mieczyslaw Weinberg wieder. 

Gestatten, Josef, auch genannt der schöne Josef

14.07.2010. Das Christentum ist die Aufklärung, behauptet Bischof Marx in der FR. Martha Nussbaum erklärt in der New York Times, warum sie gegen das Burkaverbot ist. Die NZZ macht sich auf die Suche nach Widerstand gegen die Globalisierung in Wien und wird in einer Weinhandlung fündig. Die Welt ärgert sich über die Todesanzeige für Gerold Becker. Alle Zeitungen bringen ausführliche Nachrufe auf Günter Behnisch.

Sie zerren an der Schlangenhaut

13.07.2010. ARD, ZDF (und Sie!) haben eine hochrangige Delegation des iranischen Staatsfernsehens eingeladen. Die Blogs und die SZ wundern sich. Die Urteile gegen die russischen Kuratoren Andrej Jerofejew und Jurij Samodurow, die Geldstrafen für eine Ausstellung mit religionskritischer Kunst zahlen müssen, sind nur scheinbar milde, meinen die Zeitungen. 

Tae (Fuß), Kwon (Faust) und Do (Geist)

12.07.2010. Die NZZ besucht Müllsammler von Dharavi und ist optimistisch und ein Konzert von Eminem und ist pessimistisch. Die Welt erzählt, wie die Schauspielerin Jana Schulz zu ihrer körperlichen Präsenz gelangte. Die FAZ rät ab von Hirndoping. Die FR sucht weiterhin nach freiem Willen

Das sind insgesamt Kleinigkeiten

10.07.2010. In der FAZ erklärt Jürgen Brokoff: auch der poetische Peter Handke ist ein Ideologe. In der FR erzählt Klaus Wagenbach, wann die Herzklausel in Kraft tritt. Die Welt würdigt die Fiesiognomien des designierten Büchner-Preisträgers Reinhard Jirgl. In der SZ verbeugt sich Martin Walser vor dem knieenden Bastian Schweinsteiger. Die Emma bringt Necla Keleks Porträt der Jugendrichterin Kirsten Heisig.

Il senso del silenzio

09.07.2010. In der FR trauert der Palästina-Aktivist Amanullah Jiffarey Kariapper um die 42 Toten bei einem islamistischen Anschlag auf einen Sufi-Schrein in Pakistan. Schuld sind nach seinen Erkenntnissen die Amerikaner, Inder und "israelische Denkfabriken". Die FR hat auch herausgefunden, warum Israel Angst vorm Frieden hat. "Selten war Theater so irritierend, phantastisch, subversiv und schön", jubelt die NZZ über Christoph Marthalers Spektakel "Papperlapapp" in Avignon, das aber keineswegs alle Kritiker überzeugte. In den italienischen Medien wird gestreikt. Repubblicca erklärt, warum. Die SZ fragt: Greift die Kirche nach der Kontrolle über das kulturelle Leben in Russland?

Der Voyeur kann gar nicht anders

08.07.2010. In der Zeit erklärt der Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins, Roger Willemsen, warum er gern mit den Taliban zusammenarbeitet. In der FAZ plädiert David Grossman für ein Waffenstillstandsgebot Israels an Hamas. Alle Feuilletons dienen der Wahrheitsfindung über Fritz Teufel. Wie explosiv müssen Witze gewesen sein, die Zehntausende in den Gulag brachten? fragt Gerd Koenen in Spiegel Online.

Die es unter dem Flügel treiben

07.07.2010. Kent Nagano will seinen Vertrag als GMD der Bayerischen Staatsoper nicht verlängern. Grund ist eine chemische Reaktion gegen den intrigengestählten österreichischen Intendanten Nikolaus Bachler, meint die Welt. Die SZ kommt nach aufwändigen Recherchen zu einem ähnlichen Ergebnis. Die FAZ nahm in Berlin Züge der Vergeistigung an Prince wahr. Die FR lernt am Beispiel der Sängern MIA, dass es keine Politik gibt, "die frei von Ästhetik sein kann". 

Feuilleton-Themen als Quotenkiller

06.07.2010. In der Welt rettet der Germanist Karl-Heinz Göttert  das Deutsche vor seinen Rettern. Die NZZ stellt eine Studie zur Zukunft des Kulturjournalismus vor. In der SZ erzählt der Turkologe Klaus Kreiser, wie die Türken in Jerusalem vor dem Koch der englischen Offiziersmesse kapitulierten. Martyn Daniels  schimpft in seinem Blog auf die Verwerterindustrien, die das Chaos mit den "verwaisten Werken" selbst geschaffen haben. Und Prince teilt mit: "The internet is over."

Denn das Licht ist die Luft der Zeit

05.07.2010. Die These, dass das Internet das Hirn zermansche, verdreht dem Neurowissenschaflter Steven Pinker in der SZ die Augen. Eweeks meldet, dass die unabhängigen Buchhändler in den USA Google Editions nutzen werden, um elektronische Bücher zu verkaufen. Die Paywall von Rupert Murdochs Londoner Times wird zu einem brain drain in der Zeitung führen, meint Steve Outing in seinem Blog. In der taz singt Gabriele Goettle eine Hymne auf Susanne Neumann in Gelsenkirchen.

Traum unserer Gene

03.07.2010. In der Welt gibt Annabella Weisl, Chefin von Google Books Deutschland, Entwarnung: Es wird immer Bücher im Regal geben. Die SZ erlebt in Pakistan, wie ratlos die dortigen Intellektuellen den religiösen Fanatikern gegenüber stehen. Die taz erinnert an den Deluxe-Dandy Sebastian Horsley. Die NZZ porträtiert mit Milena Michiko Flasar ein prekäres, aber zweifellos auch großes literarisches Talent. Die FAZ entdeckt Lücken im Demokratie-Export für Afghanistan.

Sechs Tage soll er schuften

02.07.2010. Die SZ ist sauer über die offenbar beschlossene Absetzung Kent Naganos als Münchner Staatsopern-Generalmusikdirektor. In der taz macht sich Micha Brumlik Gedanken über das deutsch-israelische Verhältnis. In der Welt konstatiert Richard Herzinger, dass der Westen von Israel abrückt. Die NZZ macht uns Hoffnung: Noch 500 Jahre, dann ist auch der Islam zivilisiert. In der FAZ entdeckt Peter Demetz den Schriftsteller H.G. Adler wieder. In der FR betet der argentinische Autor Ariel Magnus zum Gott Gottes.

Der Unterarm war jetzt fast gar

01.07.2010. Die Zeit hat eine schlimme Meldung: Die rund 250 Jahre währende Epoche, als Deutsch die Sprache der besten Köpfe war, nähert sich dem Ende. Außerdem bringt sie eine Doppelseite zu 150 Jahren Gustav Mahler. Die SZ beklagt den Zustand des Deutschen Museums in München. Die FAZ zeichnet ein trauriges Bild Spaniens in der Schuldenkrise. Die FR porträtiert den neuen Chefredakteur der SZ. In der NZZ erklärt der Voodoo-Priester Max Beauvoir, dass es im Voodoo manchmal auch ziemlich schlechte Vibrations gibt.