Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

August 2009

Kontrollversagen, Kartelle, Korruption

31.08.2009. In der Welt erinnert sich Andrzej Wajda an den Kriegsbeginn in Polen. In der FR vermisst der Politologe Harvey C. Mansfield Esprit und Schärfe in der Politik. In der taz erzählt Gabriele Goettle, warum nicht nur die Armen, sondern auch die Supermärkte von den "Tafeln" profitieren. Die NZZ greift rumänische Debatten um Mihail Sebastian auf. Die SZ zieht eine ziemlich traurige Bilanz des Wiederaufbaus von New Orleans.

Pflegen Sie noch solche Dichotomien?

29.08.2009. In der taz erklärt Thomas Demand, warum er lieber subtil als politisch ist. FR und Welt besuchen die Magdeburger Ausstellung "Aufbruch der Gotik". Die FAZ stellt die fast achtzigjährige spanische Literaturagentin Carmen Balcells vor, die an E-books glaubt. Die SZ lernt von Stanford: das Internet literarisiert in ungeahntem Ausmaß. Und Navid Kermani bekommt nun doch den Hessischen Kulturpreis.

Der späte Sieg der Sozrealisten

28.08.2009. Die NZZ liest russische Literatur und findet planes Erzählen und grob vereinfachte Weltbilder. In der FR vergleicht Slavoj Zizek den Gaza-Streifen zwar nicht, aber dann doch mit einem KZ. Die Welt studiert die Programme der Parteien und zweifelt an der Realisierbarkeit eine "Kulturflatrate". Die SZ vermisst Begeisterung fürs wieder aufzubauende Berliner Schloss.

Wir haben Hirne und sind Iche

27.08.2009. In der Welt verkündet Martin Scorsese, dass er jetzt auch in 3D drehen will. Ist Berlusconi rückständig oder modern? Peter Schneider antwortet in der Zeit auf Slavoj Zizek. Viel Wind macht ein Gutachten des Bayerischen Rechnungshof über die Öffentlich-Rechtlichen. Die NZZ sieht Barcelona zur angesagtesten Architekturstadt der Welt werden.

Einst war das Medium ehrgeiziger

26.08.2009. In der FR fragt Ismael Kadare: Warum hebt die EU die Visumspflicht für Serbien auf, aber nicht für Bosnien und andere Opfer Serbiens? Die Welt ist beruhigt: Das Theater ist gut aufgestellt für die Krise. In der SZ gibt Joachim Kaiser zu bedenken: Es gab einmal Fernsehen mit Anspruch. Die taz empfiehlt den Grünen, bei Schwarzen nicht nur auf den Hintern zu gucken.

Zerfallendes Kulturmolekül

25.08.2009. Im Solinger Tageblatt fürchtet der Verfassungsrichter Udo Di Fabio, dass das Internet nicht nur die freie Presse, sondern auch das bürgerliche Individuum kaputtmacht. In der Berliner Zeitung erklärt Peter Glaser wie Digitalisierung atomisiert. Die Medienblogs berichten über Ärger bei der Berliner Zeitung. Die FAZ greift den Fall Tariq Ramadan auf, der von der Universität Rotterdam rausgeschmissen wurde, weil er für einen iranischen Staatssender arbeitet. In der taz meint Chaim Noll: Die DDR hätte früher untergehen können, wenn Kohl sie nicht unterstützt hätte.

Chance zur erneuten Auseinandersetzung

24.08.2009. Große betriebsinterne Querele. Der Springer-Verlag wollte unter umstrittenen Konditionen ein "Springertribunal" abhalten. Aber die Ankläger wollten nicht anreisen. Jeder versteht sie. Die NZZ beklagt eine "Aldisierung" des Buchhandels. Techcrunch fragt sich, warum sich die Open Content-Bewegung ausgerechnet mit Amazon und Microsoft gegen Google zusammentut. Die New York Times berichtet über Sorgen in Hollywood: Die Stars ziehen nicht mehr. 

Manipulationswillige Parasiten einer Heuchelindustrie

22.08.2009. Ein Roman als Irrenhaus? Unendlichen Spaß scheint "Unendlicher Spaß" nicht zu machen. Aber es gibt viele Gründe, David Foster Wallaces jetzt übersetzten Roman zu lesen. Alle Zeitungen bringen zeitgleich ganzseitige Kritiken des 1.500-seitigen Opus. In der FR wettert Christopher Hitchens gegen die Zensur der Yale University Press an den Mohammend-Karikaturen: "Wir haben uns ins eigene Fleisch geschnitten." Die NZZ sieht zu, wie ein sächsisches Dorf dem Tagebau geopfert wird.

Ich bin züchtig

21.08.2009. In der FR spricht Herta Müller über die Deportation der Rumäniendeutschen in  Stalins Arbeitslager. Die NZZ verteidigt den freien Markt gegen die Zeitungsverleger. In der Welt findet Quentin Tarantino eigentlich auch, dass sich Brad Pitt in seinem Film wie ein Nazi aufführt. Die taz fragt mal anders: Was macht das Kopftuch aus Frauen, die es nicht tragen? Die New York Times berichtet, dass sich Amazon, Microsoft und Yahoo gemeinsam gegen das Google Book Settlement stellen.

Nicht meine Mitte

20.08.2009. Die Diskussion über Tarantino geht weiter: Als "Fest der Selbstgerechtigkeit" sieht Jens Jessen in der Zeit den Film. Ekkehard Knörer verteidigt Tarantinos Rachefantasie im Perlentaucher. Michael Kohler hat in der FR ein vernichtendes Lob für Tarantino. Die FAZ hat Madonna live nicht live gesehen. Die Blogs diskutieren über ein Video, in dem Ursula von der Leyen heimlich, aber eben doch öffentlich die Zähne fletscht. Im Guardian plädiert Cory Doctorow für kostenlose Ebooks als Marketinginstrument.

Die Versuchungen des Zynismus

19.08.2009. Es wird weiter über Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" debattiert. Er macht Juden zu Nazis, schreibt Daniel Mendelsohn in einer scharfen Attacke in Newsweek. Das Blog Cargo sieht das anders. In der SZ wird Tarantinos Unbekümmertheit um Geschichte und Filmklischees verteidigt. "Nach vier Jahren Resistance nun also Kollaboration" schreibt Pierre Assouline in seinem Blog zur Meldung, dass die Pariser Nationalbibliothek ihre Bestände nun von Google digitalisieren lässt.

Im Müllschlucker des Todessterns

18.08.2009. David Foster Wallaces Kolossal-Roman "Unendlicher Spaß" erscheint auf Deutsch. In der FAZ erklärt Übersetzer Ulrich Blumenbach, was Wallace mit der Sprache macht. In der FR berichtet Ai Weiwei von seiner Verhaftung durch Schergen des Systems. In Slate protestiert Christopher Hitchens gegen die Zensur der Mohammed-Karikaturen durch die Yale University Press. Das Blog Free Iran Now weiß, warum Ägypten eine iranische Briefmarke mit dem Bild der ermordeten Ägypterin Marwa Al-Sherbini zensiert. Und es zeichnen sich Diskussionen über Tarantino ab: Erteilt er eine Lizenz zum Sadismus oder ist sein Film ein Exorzismus?

Der Weg zur aufregenden Erkenntnis

17.08.2009. In vielen amerikanischen Blogs wird über die Entscheidung der Yale University Press diskutiert, ein wissenschaftliches Buch über die dänischen Mohammed-Karikaturen herauszubringen, ohne diese abzudrucken. In dem Blog Theartsfuse.com erklärt die Autorin des Buchs, Jytte Klausen, warum sie den Abdruck für notwendig hält. Die SZ kommt nochmal auf den Mord an Marwa El-Sherbini zurück. In der FAZ erkennt Andrzej Stasiuk sein Polen nach zwanzig Jahren Kapitalismus kaum mehr wieder. In der taz fragt "Freischreiber" Kai Schächtele: Wer ist hier der Enteignete?

Diagonalschnitt

15.08.2009. Heute geht's viel um Geschäftsmodelle: Die NZZ lernt von Yu Hua, wie man sich eine ordentliche Portion Nudeln der drei Köstlichkeiten verdient. In der FR erklärt James Frey, wie man das auf amerikanische Art macht. In der taz erklärt der Prostituierte Cem Yildiz, wo für ihn die Grenze liegt. Ruth Klüger feiert in der Welt Herta Müllers neues Buch über die Lager in Rumänien. Im Tagesspiegel liefert Georg Seeßlen eine kleine Meditation über den Bastard. Die FAZ droht uns mit einem Neandertaler.

Journalistische Jungtürken

14.08.2009. Die NZZ berichtet aus dem digitalen Kulturkampf der Blogger gegen die übrigen Medien. Slate bestätigt sich die Attraktivität von Google und Twitter durch ein Rattenexperiment. In der FR schreibt Yoram Kaniuk über die "letzte Liebe" alter Eheleute in einem Krebskrankenhaus. Die Welt konstatiert: Der Niedergang der Leipziger Schule ist auch durch einen belgischen Professor nicht zu stoppen. In der FAZ erklärt Mathias Döpfner, wie er den Qualitätsjournalismus durch ein zahlbares App für bild.mobile auf dem i-Phone retten will.

Indem du, was bewundernswert ist, bewunderst

13.08.2009. Die NZZ fragt: Wie wird Google E-Books "verkaufen"? Und wem "gehören" sie dann eigentlich? Die taz interviewt den britischen Künstler und Filmemacher Steve McQueen zu seinem Film über die IRA. Die Zeit bringt eine  Exklusivgeschichte: Vor 250 Jahren erfanden Goethe und Schiller die Freundschaft.

Solches unkaschiertes Befremden

12.08.2009. In der taz macht die Menschenrechtlerin Tanja Lokschina die Passivität der Weltöffentlichkeit für die Verbrechen an russischen und tschetschenischen Menschenrechtskämpfern mitverantwortlich. Die NZZ rät Hugo Chavez, seinen Soldaten eine Entziehungskur zu verordnen. Als Intendant der Pariser Oper musste Gerard Mortier laut FR feststellen: "Paris ist heute nicht mehr die inspirierende Stadt." Und in der SZ empfiehlt Joachim Kaiser im Widerstreit zwischen Werktreue und Regisseurswillkür den Mittelweg.

Techno und Rap, Pop, Glamour, Fun

11.08.2009. Das Ende des Ammann Verlags schockiert die Feuilletons: Die NZZ hätte sich gewünscht, dass der Verleger über seinen Schatten springt. Die SZ fürchtet, dass es gerade die literarische Passion war, die dem Verlag die Perspektive nahm. Die FAZ hat Ammann interviewt. In der FR schildert  Hector Abad das schwierige Leben der Kolumbianer. Die Welt fragt: Gibt es Rassismus in deutschen Orchestern? Die taz plädiert gegen Dekolletes bei CDU-Politikerinnen im Wahlbezirk Friedrichshain-Kreuzberg.

Immer bleibt ein Bild ein Bild

10.08.2009. "Eto stal, eto stal!", rufen sie. Die FAZ berichtet aus einem Sommerlager der Naschisten. Der Spiegel fürchtet sich vor einem Netz ohne Gesetz. Die NZZ besucht die europäische Kulturstadt Vilnius und würdigt die Rolle der litauischen Fotografie. Der Internetpionier Jason Calacanis erklärt in seinem Blog, warum er Apple gefährlicher findet als Microsoft oder Google. Die SZ hat in China die Zukunft des E-Books gesehen und feiert Volker Zastrows Reportage über die "Vier aus Hessen". 

Was mache ich hier eigentlich?

08.08.2009. Unbehagen bereitet der Welt, wie die Polizei einen mutmaßlichen Kindesvergewaltiger an den Internet-Pranger stellte. Telepolis erkennt in Schützenvereinen und Kircheneinrichtungen die übelsten Missbrauchsstätten. Techcrunch macht sich auf Google Earth ein Bild vom Völkermord in Darfur. Die taz porträtiert den HipHopper Pharrell Williams , der seine Cupcakes am liebsten mit Diamanten mag. Die NZZ freut sich über die Rückkehr Saigons. In der SZ diagnostiziert der Philosoph Rober Pfaller eine neue Prüderie. Und im Perlentaucher kommentiert Thierry Chervel Rupert Murdochs Entscheidung, seine Zeitungen vom Internet abzukoppeln.

Große Gratis-Masse

07.08.2009. Die taz sammelt Reaktionen zu ihrem Boykott der Leichtathletik-WM wegen Geheimdienstüberprüfung der Journalisten. Die FR ist erschrocken, wehrt sich aber im Dienste ihrer Leser nicht. Die SZ hat sich keine Gedanken gemacht. Großen Wind macht die Ankündigung Rupert Murdochs, die Online-Ableger seiner Printmedien kostenpflichtig zu machen. Die Welt ist sehr dafür. Jeff Jarvis findet diese Strategie im Guardian dagegen selbstmörderisch. Und die SZ muss doch sehr über Philips Wouwerman staunen.

Fein ausdifferenzierte Finsternis

06.08.2009. Sehr politische Feuilletons heute: Der Freitag bringt eine Reportage aus Dresden, wo man nach dem Mord an Marwa al-Sherbini sehr schnell zur Tagesordnung übergegangen ist. Der Tagesspiegel analysiert die schauerliche Dramaturgie der Teheraner Schauprozesse. Im Spiegel sieht Niall Ferguson das Geld als Motor des Fortschritts. Die SZ findet keine Belege für einen Handel mit Kinderpornografie im Netz. In der Zeit warnen Juli Zeh und Ilija Trojanow vorm Überwachungsstaat.

Der kleine, warme Tümpel

05.08.2009. Die NZZ sucht das extremste Habitat von Mikroorganismen auf. Netzwertig sagt eine Fragmentierung der Medienlandschaft voraus. Netzpolitik berichtet über einen Internetaufruf gegen Amazons Kindle. In der FR sieht Martin Amis das Mullah-Regime im Iran im Todeskampf. Die FAZ porträtiert einen amerikanischen Soldaten, der im Irak lernte, die Vögel zu lieben. Die Welt wundert sich, dass sich die EU erst drei Tage nach der Einspruchsfrist um das Google Book Settlement kümmern will.

Die denkbar schönsten leisen Klänge

04.08.2009. Die taz fragt: Warum schweigen in all den Debatten um Urheberrecht und Kulturflatrate ausgerechnet die Urheber? Die NZZ feiert Luigi Nonos Oper "Al gran sole carico d'amore" in Salzburg als Sensation.  Die Blogs fragen sich immer noch, wie sich Ursula von der Leyen das "richtige Maß" an Demokratie vorstellt. Die SZ weiß, warum der Moritz den Frank-Walter wählt. Und Ingo Schulze fragt nach zwanzig Jahren Demokratie in der FAZ: wo bleibt bei all der Freiheit die Gleichheit?

Ja, ist Gott denn ein Clown?

03.08.2009. In der SZ konstatiert Diedrich Diederichsen: Pop ist noch nicht ganz tot, sondern wird im Netz zerstückelt und verknüpft fortleben. Die FAZ findet, dass sich der Dalai Lama ruhig ein bisschen respektabler aufführen könnte. Die FR übersetzt einen iranischen Blogeintrag: "Dass abends um zehn Uhr die Zeit zum Schreien ist!" Die Blogs freuen sich auf neue Maßnahmen Ursula von der Leyens zur Erhaltung der Demokratie "im richtigen Maß".

Deine Hölle bleibt Allegorie

01.08.2009. In der FR sagt Günter Grass seinem Interviewer Andre Müller ein schlimmes Ende voraus. Die Welt liest ein Buch, das sowjetische, litauische und deutsche Antisemiten lieber endgültig zugeklappt hätten. Wer kann sich im Westen mit Peter Hacks, Heiner Müller oder Alfred Matusche messen? Niemand, ruft der Autor und Verleger Andre Thiele in der taz. Die FAZ besucht ehemalige Mitglieder der "SS Galizien" in Lemberg.