Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Januar 2008

Robert posiert nicht

31.01.2008. Telepolis interviewt den Internetaktivisten Alex Au-Waipang, der erklärt, wie Internetzensur in Singapur funktioniert: einfach Angst machen. Die Präsenz des US-Wahlkampfs im Netz könnte die Priesterschaft der Journalisten beenden, meint David Bohrman, Bürochef von CNN, in der FAZ. Die Zeit ruft den Museen zu: "Schafft die Entrittsgelder ab!" Überall wird Falk Richters "Kirschgarten"-Inszenierung an der Berliner Schaubühne besprochen.

Jeweilige Eigenlogik

30.01.2008. Spiegel Online geißelt Zensur im Netz und gesellschaftliche Apathie, die sie möglich macht. Die taz übt sich nach neuesten Äußerungen des SPD-Vorsitzenden schon mal in der Begrifflichkeit des Marxismus-Beckismus. Für die NZZ hat die Entmachtung der Intermediäre nach reiflicher Überlegung einen Namen: Carla Bruni. In der Presse erzählt Daniel Kehlmann von der Welt der "Vermessung der Welt". Die Welt erwartet sich von den wiedergefundenen Capa-Negativen Positives über das berühmteste Bild des Fotografen. Der FAZ fehlt Gegenwart in der Literatur.

Immer Feinsinn und Verzweiflung

29.01.2008. Die Berliner Zeitung mag nicht mehr ans Genre des Kunstlieds glauben. Die NZZ schildert, wie ein Maniac das New Yorker Nachtleben mit intellektuellen Inhalten bereichert. In der Welt gibt der Althistoriker Robert Rollinger zu: Seine Disziplin ist über Homer doch recht zerstritten. Die SZ warnt vor dem Zweiklassennetz. Und sie bewundert den mutwillig-revolutionären Pianisten Nikolai Tokarev. Ausgerechnet bei Mozart.

Zu klein für achtzig Kilo

28.01.2008. In der Berliner Zeitung meint Götz Aly: Die 68er sind der Nazizeit ausgewichen, statt sich mit ihr auseinanderzusetzen. In der taz porträtiert Gabriele Goettle eine Bodybuilderin, die gern 15 Kilo zunehmen möchte. In der Welt kritisiert Tom-Cruise-Biograf Andrew Morton den FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Die FAZ lobt Mortons Cruise-Biografie. Die FR ist ergriffen von Dea Lohers Stück "Das letzte Feuer".

Wertsteigernder Durchlauferhitzer

26.01.2008. Am Beispiel von Barack Obama erklärt Diedrich Diederichsen in der taz die subtilen Unterschiede von Schwarzen und nicht Weißen. Das Blog turi2 berichtet, dass Zeitungskonzerne und Öffentlich-Rechtliche schon in trauter Runde über eine innige Kooperation im Netz verhandeln. Die Berliner Zeitung begibt sich in Thomas Braschs Jahr 1968. Die FAZ fragt: Wie geht's weiter im Frankfurter Museum für Moderne Kunst und mit geschiedenen Frauen? In der SZ sieht der afroamerikanische Autor Uzodinma Iweala das postrassistische Zeitalter noch keineswegs als gekommen an.

Ganz schlechte Selbstmordattentäter

25.01.2008. In der SZ erklärt Jan Philipp Reemtsma die unheimliche Fröhlichkeit autotelischer Gewalt. In der FR erklärt Randall Collins, warum der konventionelle Bürger sich so gut zum Selbstmordattentäter eignet. Die NZZ grübelt erstens über die Identität der Türkei und zweitens über die Schrullen der Journalisten. Die taz bewundert die Reflexe Pete Dohertys.

Würdigung angebissener Äpfel

24.01.2008. Die NZZ meint: Spießer sind immer die anderen. Die FR kennt keine Fehlspekulation, nur verantwortungslose Banker. In der taz propagiert Alain Badiou die Wahrheit der Revolution. Gefälliges, aber keinen Akt findet die SZ in Kairos Akademie der Künste. Die FAZ fragt, warum im Filmgeschäft immer die hochbegabten jungen Männer sterben.

Nehmt das, Schwachköpfe!

23.01.2008. Die taz kritisiert eine haltlose Indizienkette bei der FAZ. Der FAZ ist unbehaglich: Internetnutzer im Diskursraum! Und Ernst-Wilhelm Händler will den Codex ändern, zunächst einmal bei Siemens. In Spiegel Online nimmt Seyran Ates die Jugendlichen gegen den Populismus in Schutz. In der FR fordert Jack Nicholson: "Sehen Sie mich an: Ich bin interessant, und ich bin noch zu haben." Die NZZ warnt vor dem Einzeller Toxoplasma gondii in Ihrem Darm: Er könnte Ihren Charakter ändern.

Diskussion bis aufs Blut

22.01.2008. In der FR meint Ulrich Beck: Das Klima erwärmt auch den Nationalstaat. In der Welt erklärt Martin Scorsese, warum er sich für die Rettung alter Filme einsetzt. In der SZ kritisiert Slavenka Drakulic, dass Kroatien seine Kriegsverbrecher unbehelligt lässt. Der SZ wird auch unheimlich, wenn sie die Reaktionen auf Jens Jessens Spießer-Video liest: Der Spießer schlägt zurück. Die FAZ verabschiedet den Buchhändler alter Schule. Die taz feiert den Jazzer Tyshawn Sorey.

Ich bin größer und schöner als du

21.01.2008. Ist Tom Cruise der Goebbels Scientologys? Dieser Vergleich des ZDF-Historikers Guido Knopp schlägt Wellen in den Feuilletons. Frank Schirrmacher findet in Spiegel Online keinen Beleg dafür, dass Cruises Stauffenberg-Film eine Scientology-Veranstaltung ist. Wir verlinken nach Cruises Promo-Video nun auch auf das Propaganda-Video. In der taz macht Necla Kelek auf Missstände in der alevitischen Gemeinschaft aufmerksam. Die NZZ beklagt eine Rückkehr zur Scharia in Tunesien. In der FAZ plädiert die flämische Autorin Saskia de Coster für eine Kolonisierung Walloniens nach dem Vorbild Belgisch-Kongos. Die Welt ist erleichtert: Endlich wieder Julia Roberts.

Agressiv, reißt andere in Stücke

19.01.2008. Die taz muss an Hate-Mails denken, wenn sie die FAZ aufschlägt. Wer dieselbe heute liest, erfährt aus den Tagebüchern von Susan Sontag: "Mein Denken=King Kong." In der Welt ärgert sich Richard Ford über die Kurzgeschichte als Pausenfüller. Die FR untersucht Angstkulturen, während die SZ das Jahr der Kartoffel begeht. Die Berliner Zeitung beklagt die Lücken, die im Filmgedächtnis der BRD klaffen.

In die größtmögliche Dimension katapultiert

18.01.2008. Die Welt bringt eine scharfe Kritik an der Arbeit Daniel Barenboims in Berlin. Die SZ prangert den Krawallfeuilletonismus Frank Schirrmachers an. Der Freitag bringt eine Analyse zu Scientology, und wir verlinken auf ein Video, in dem Tom Cruise das segensreiche Wirken seiner Organisation preist. FR und Berliner Zeitung setzen sich mit Jan Tomasz Gross' Thesen zum Antisemitismus in Polen nach dem Krieg auseinander. Die NZZ meint: Twitter ist das nächste große Ding im Netz.

Giftpilze gesellschaftlichen Zusammenlebens

17.01.2008. Der Schirrmacher-Jessen-Clinch versetzt die Feuilletons in Aufruhr. Die taz teilt Jens Jessens Vorurteil gegen den zusammengeschlagenen Rentner ganz einfach. Die Welt entlarvt in Frank Schirrmachers Artikel die deutsche Sehnsucht, endlich als Opfer auf der richtigen Seite zu stehen. Die SZ verurteilt den Hohn, die Häme. In der NZZ sieht der Soziologe Günter Seufert das türkische Problem nicht im Islamismus, sondern in der Gleichschaltung. Die FAZ findet die amerikanischen Jugenderziehungslager nicht nachahmenswert.

Der arme alte Joyce

16.01.2008. Die FR erliegt der Erotisierung des Amtskörpers und hat nur noch Sarkozy, Sarkozy und Sarkozy im Sinn. Hauptsache, man hat etwas zu lachen, meint Heinz Bude in der SZ. Die Berliner Zeitung berichtet über Journalisten, die fürchten, dass die Information außer Kontrolle gerät und die Kontrolle der Information in Pakistan. FAZ und SZ schildern die Empörung in Polen nach Jan Tomasz Gross' Recherchen über polnischen Antisemitismus nach 1945.

Mitunter gar Revisionismus

15.01.2008. In der taz macht sich Bahman Nirumand Sorgen um die iranischen Blogger. Die Welt brigt eine Reportage über die schmerzhafte Exhumierung der spanischen Vergangenheit. Der Tagesspiegel liest Uwe Nettelbecks Nachlass. Der Umblätterer präsentiert eine Liste der angeblich zehn besten Feuilletonartikel des Jahres 2007. In der FAZ meint Frank Schirrmacher: Wer sich selbst misstraut, der wird geschlagen. Die SZ findet: Detroit gibt ein trauriges Bild ab.

Verzweiflungsgymnastiker

14.01.2008. Knut in allen Ehren. Aber die Zoos schaden den Eisbären eher, meint Cord Riechelmann in der Welt. Die NZZ kritisiert die spanische Rechte, die das Franco-Regime stets noch als gemütlich in Erinnerung hat. In der SZ belegt der Holocaust-Historiker Rafael Medoff, dass die Amerikaner aus politischen Gründen auf eine Bombardierung von Auschwitz verzichteten. Die taz berichtet über eine Fatwa der rumänisch-orthodoxen Kirche gegen Salman Rushdies "Statanische Verse". Und Don Alphonso stochert grausam in der FAZ-Bildungssalatbeilage. Jürgen Goschs "Onkel Wanja"-Inszenierung stößt weithin auf Begeisterung.

Im besten Fall kurz berochen

12.01.2008. In der Welt untermauert Andre Glucksmann seinen Glauben an die Überlegenheit des laizistischen Modells mit ein paar Zahlen. In der taz erzählt der niederländische Journalist Joris Luyendijk von der unglaublichen Pünktlichkeit palästinensischer Steinewerfer. In der FR staunt der indische Diplomat und Schriftsteller Shashi Tharoor über die positiven Nachrufe auf Benazir Bhutto. In der FAZ stellt Wladimir Sorokin fest: ein Gespenst geht um in Russland. Die SZ ist nicht zufrieden mit dem Perlentaucher. Auch die Debatte über Qualität im Netz geht weiter.

Hier steht der junge Bruno Ganz

11.01.2008. Die Welt feiert den Schauspieler Jens Harzer, der sanfte Grübler und eifersuchtsrasende Dämonen und jetzt den Astrow in Tschechows "Onkel Wanja" spielen kann. Die NZZ schildert Reaktionen kenianischer Schriftsteller auf die Krise des Landes. Die Debatte über die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist nicht nur Wahlkampfpopulismus, meint die FAZ. Die SZ übersetzt einen Blogartikel des chinesischen Künstlers Ai Wei Wei, der sich nicht auf Olympia freut.

Anlage: 1 Giftpaket

10.01.2008. In der Jungle World spricht Ngugi wa Thiong'o über die Unruhen in Kenia und identifiziert den üblichen Verdächtigen. Im Falter erklärt Wikipedia-Gründer Jimmy Wales, warum er Google problematisch findet. Die NZZ ist total erleichtert: Walter Sickert war nicht Jack the Ripper. In der FAZ erklärt der türkische Jurist Ergun Özbudun, was deutsch ist an der türkischen Verfassung. In FR und taz spricht Claude Chabrol: die Bourgeoisie hat Schichten, und das Fernsehen lügt nicht.

Rein in den Neuro-Staat

09.01.2008. In der NZZ wirft die pakistanische Journalistin Shehar Bano Khan einen kritischen Blick auf Benazir Bhutto. Die Welt prangert die "Auslistungen" kleiner und mittlerer Verlage durch die großen Buchhandelsketten an. Die übrigen Feuilletons konzentrieren sich auf einen Tag vor hundert Jahren, als Wilhelm Busch starb und Simone de Beauvoir geboren wurde. Die Blogs denken über "Social Networks" und die nach wie vor tobende Debatte um das böse Netz und die guten Medien nach.

Sauberes Geld mit Dreck

08.01.2008. Die FR notiert erste Enttäuschung über die neue Suchmaschine Wikia und bringt ein Porträt der Schriftstellerin Angelika Schrobsdorff. In der NZZ lehnt Navid Kermani den Trend zu hübschen Bassistinnen ab. Die SZ ist besorgt über die deutsch-italienischen Verhältnisse. Die FAZ klärt auf über den neapolitanischen Zusammenhang von Müll und Camorra. Das Blogoscop Rivva präsentiert eine Liste der im letzten Jahr in der deutschen Blogosphäre am meisten diskutierten Artikel.

Sonderfall des Irrealen

07.01.2008. In der SZ spricht Tony Judt über die Banalisierung des Bösen. Die FR feiert die Sängerin Elza van den Heever. Die Welt plädiert für eine Pflichtabgabe beim deutschen Film. Die FAZ porträtiert den rumänischen Autor Mircea Cartarescu, für den die Realität selbst nur ein Sonderfall des Irrealen ist.

Kwani?

05.01.2008. In der NZZ ruft Bora Cosic die Serben auf, das Kosovo in Frieden zu lassen. In der SZ beschreibt der Schriftsteller Binyavanga Wainaina, wie Nationalität in Kenia zu einem Akt des Krieges geworden ist. In der taz setzt Claus Leggewie trotz Barack Obamas Etappensieg auf Hillary Clinton: "Sie hat das meiste Geld." Die FR weist darauf hin, dass in Iowa mehr Schweine als Menschen leben. Und die FAZ sieht nun auch das multikulturelle Kanada in der Identitätskrise.

Langgezogenes Boooom der Basstrommel

04.01.2008. Die taz erklärt, wie die Musikindustrie jetzt ihre letzten Kunden vergrätzen will. Die NZZ outet die arrangierte Ehe nach indischer Tradition als topmoderne Dating-Technik, welche jetzt von der BBC zur Reality-Show verarbeitet wird. In der FAZ erklärt die Autorin Barbara Frischmuth, warum sich immer mehr türkische Intellektuelle für die alevitische Kultur interessieren. Und die FR erlebte in der ratzebutz ausverkauften Alten Oper, wie Julia Fischer fast gleichzeitig Geige und Klavier spielte, und zwar erstklassig. Die SZ meldet: Das momentane große Ding heißt Baile Funk.

Mumifizierung des Alten

03.01.2008. In der Zeit beklagt der Historiker Philipp Blom die Unfähigkeit unserer Kultur, irgendetwas Altes alt sein zu lassen. In der Welt glaubt Zafer Senocak, dass der Islamismus nur durch Aufnahme der Türkei in die EU zu bekämpfen ist. In der SZ kritisiert Tariq Ali das Testament der Benazir Bhutto. Die malaysische Soziologin Norani Othman sieht den Islamismus in der taz als Folge des Kolonialismus. In der FAZ und der SZ wehren sich die Althistoriker gegen Raoul Schrotts Thesen zu Homer. In Spiegel Online erklärt Christoph Schlingensief, warum er das Theater satt hat.

In Anstand sterben und rauchen

02.01.2008. In der taz fordert Friedrich Kittler: Lasst Raucher in Würde sterben! In der SZ geißelt der Wirtschaftshistoriker Robert N. Proctor dagegen die Machenschaften der Tabakindustrie. Die FAZ schildert die bestürzte indische Reaktion auf die Ermordung Benazir Bhuttos. Die Berliner Zeitung porträtiert den Merve-Verleger Peter Gente. Und jetzt.de lanciert eine Attacke gegen die Blogosphäre.