Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juli 2008

Genetisch erworbene leuchtende Hautlappen

31.07.2008. Die FR und die SZ berichten über chinesische Zensur und die Kooperation westlicher Organisationen- blamiert hat sich hier unter anderem das IOC. Im Freitag schreibt der Journalist Ulf G. Stuberger eine Erwiderung auf Carolin Emckes RAF-Buch: Nicht nur die Terroristen schweigen, sondern auch die Staatsorgane, besonders über ihre Unfähigkeit, die Verbrechen aufzuklären. Der Perlentaucher berichtet über eine Initiative, die einen Appell Pascal Bruckners aufgreift: Bokyottiert Durban 2. Die SZ setzt sich mit der infernalischen Karriere des Radovan Karadzic auseinander.

Repressives Korsett

30.07.2008. In der Welt erklärt Anselm Kiefer, wie Stein brennt - bei Adalbert Stifter. In der NZZ zieht Abdelwahab Meddeb aus der Geschichte der christlichen Gewalt Hoffnung für die islamische Kultur. Die SZ schreibt der PDS ins Geschichtsbuch, dass Sozialstaat und Unterdrückung in der DDR ein und dasselbe waren. In der FAZ protestiert Rene Kollo gegen die Bayreuther Kundry: Die trinkt ja den ganzen Gral aus! Die taz schreibt über die mörderische Ökonomie, die die Flick-Sammlung in Berlin erst möglich machte.

Kollektive Nachrichtenausbauorganisationen

29.07.2008. In ein paar Tagen beginnt Olympia. Wolf Lepenies erinnert in der Welt daran, dass das chinesische Regime immer noch die Intellektuellen schikaniert. In der FAZ greift Necla Kelek sehr scharf eine Initiative von Tariq Ramadan gegen Zwangsheirat an. Im Titel-Magazin fragt Wolfram Schütte, was Martin Walser an Geld so geil findet.  In der taz erzählt der russische Medienmogul Dmitri Lesnewski, wie er die Deutschen mit dem Vierten glücklich machen will.

Lesefrüchte in Aspik

28.07.2008. Die Kritik ist soweit beeindruckt von Stefan Herheims Bayreuther "Parsifal"-Inszenierung. Aber unter dem Erfolg lauert auch Gefahr: Landet Bayreuth in der Reflexionsfalle? Andrea Breths Salzburger Dostojewski-Inszenierung löst widersprüchliche Reaktionen aus. In der taz setzt sich Gabriele Goettle weiter mit 1968 und den Folgen auseinander. In der NZZ staunt der Philosoph Carlos Fraenkel über die hermeneutische Flexibilität der indonesischen Muslime.

Fein gezupftes Fleisch mit Speckschaum

26.07.2008. In der SZ erinnert sich der bosnische Dolmetscher Hasan Nuhanovic daran, wie die Holländer seine Eltern in Srebrenica in den Tod schickten. In der FR erinnert sich Andreas Maier an das Redestressklima in den Achtzigern. In der NZZ lauscht Felix Philipp Ingold dem metaphysischen Wabern Maurice Blanchots. In der Achse des Guten attackiert Richard Wagner den rumänischen Autor Mircea Cartaresecu, der ihm allzu versöhnlich über die Securitate-Spitzel schrieb. Aufbau und Abbau: Die taz befasst sich mit der Krise der mittelgroßen Verlagshäuser. Die Berliner Zeitung weiß: Chinese Democracy war nur eine schlechte Idee von Guns N'Roses.

Sehr singuläre Klangerforschung

25.07.2008. In Capital empfiehlt der Werber Sebastian Turner allen Sponsoren der Olympischen Spiele ein diskretes Auftreten. Die FAZ liest die Comics von Dave Sim. Laut SZ bringt Salzburg nach Schumann und Scelsi Sciarrino. Im Deutschlandradio sieht Ulrich Johannes Schneider die Zukunft des Buchs als kursorisch, rollenförmig. In der NZZ denkt Bora Cosic nochmal über den schrecklichen Doktor Karadzic nach. In der FR sagt Handke gar nix. Die Blogs freuen sich: Sie haben einen weiteren Alternativmediziner zu Fall gebracht.

Vermutungsverdächtigungsvirtuosen

24.07.2008. In der FAZ sieht Dzevad Karahasan den mutmaßlichen Alternativmediziner Karadzic als Opfer, und Beqe Cufaj sieht ihn als Täter. Die SZ leitet aus Karadzics Tarnungserfolgen Regeln für abgehalfterte Kriegsverbrecher ab: pünktliches Aufstehen, mit Bus oder Bahn zum Arbeitsplatz. De:Bug fürchtet: Das Internet, wie wir es lieben, ist ein Auslaufmodell. Martin Walser beklagt laut Capital die Verfolgung korrupter Manager als "deutsch, deutsch bis ins Mark". Die Zeit ist einem Starsystem auf der Spur, welches dazu führt, dass Journalisten zusammen mit PR-Agenten verreisen. Google erklärt, was ein Knol ist.

Unheilpraktiker

23.07.2008. In der FR fragt Juli Zeh, was es bedeutet, dass die Serben selbst Karadzic festgenommen haben. Der Tagesspiegel wünscht sich nun Eile und Präzision im Verfahren gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher. In der SZ erzählt Slavenka Drakulic, wie Karadzic dem russischen Dichter Eduard Limonow ein MG in die Hand drückte und dieser tatsächlich schoss. Die NZZ beschreibt eine Initiative innerbelgischer Vökerverständigung.

Ein Mephisto, der Anabolika geschluckt hat

22.07.2008. Was will Fethullah Gülen, fragt Necla Kelek in der FAZ. In der taz spricht der iranische Komponist Peyman Yazdanian über die Schwierigkeiten seines Metiers in Teheran. In der FR staunt Noam Chomsky über die US-Iranische Gemeinherrschaft im Irak. Heath Ledger ist als Joker in "Batman" gaga und nihilistisch, findet die Welt. Der Spiegel artikuliert seine Erleichterung über die Irrelevanz der deutschen Blogger jetzt auch online. Und: Die Serben haben Radovan Karadzic festgenommen.

David hat keinen Stein in der Schleuder

21.07.2008. In der NZZ möchte Olivier Roy den Islam zur "reinen Religion" entwickeln. In der FR klagt Carla Bruni über ihr schweres Los als Präsidentengattin. In der New York Times annonciert Benny Morris einen israelischen Angriff auf iranische Atomanlagen im nächsten halben Jahr. Don Alphonso kommentiert die gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Facebook und StudiVZ. Die Blogger haben sich auch sonst sehr gern. Siegfried Lenz in der FAZ und die Welt erinnern an den Tag, der die Literaturkritik in Deutschland veränderte: Marcel Reich-Ranickis Rückkehr nach Deutschland vor fünfzig Jahren.

Jenseits der Wirklichkeit

19.07.2008. In Liberation - und noch nachdrücklicher auf YouTube - fordert Ariane Mnouchkine den Boykott der Olympischen Spiele in Peking. In der taz ruft Ulrich Beck zur Gründung von Weltgewerkschaften auf. In der NZZ erinnert sich die russische Dichterin Olga Martynova an die westlichen Achtundsechziger als eine Bande gelangweilter Dummköpfe. In der Literarischen Welt erklärt Dan Diner das wachsende Interesse in Algerien für Albert Camus. Und die SZ trauert um die Überraschungen, die Heath Ledger dem Kino noch hätte schenken können.

Welche Botschaft die Botschaft vermitteln will

18.07.2008. In der FAZ traut der Kulturwissenschaftler Thomas Macho dem von Christian Wulff geäußerten Unwillen zur Macht nicht über den Weg. Die SZ findet ihn ebenfalls unfassbar. Hier schildert die Historikerin Diana Pinto auch das Phänomen des neuen Antisemitismus in Frankreich. Die Welt erklärt, wie die Hammond-Orgel dank moderner Software aus Berlin um 200 Kilo leichter wurde. Die NZZ stellt ein "Manifest für eine gemeinsame" Sprache in Spanien vor und verrät auch, welche das sein soll.

Streber haben keinen Soundtrack

17.07.2008. In der FR protestiert Herta Müller gegen die Einladung von Securitate-Mitarbeitern ins rumänische Kulturinstitut in Berlin, im Tagesspiegel schließt sich Richard Wagner an. Die taz wendet sich gegen weibliches Weißweinschorlegejammer über Männer, die starke Frauen fürchten. Die SZ findet die deutsche Medienpolitik nicht satisfaktionsfähig. In Spiegel Online schlägt Robert Kagan einen Demokratienbund als Gegengewicht zu den Autokratien China und Russland vor.

Thema verfehlt - setzen, fünf

16.07.2008. In der Staatsopernfrage bleibt's bei Paulicks DDR-Barock. Na also, warum nicht gleich so? Mussten wir doch erstmal meckern, stöhnen die Leitmedien. Die FR sah eine erstmals geschmiedete Allianz zwischen dem alten West-Berlin und der alten Ost-Bourgoisie am Werke. Die taz erkennt Sparpotenzial: Dafür braucht man keinen Barenboim, keine Staatskapelle. Die Welt befasst sich außerdem mit 1300 Jahren Sklaverei in der muslimischen Welt. In Spiegel Online schreibt Necla Kelek über die Kurdenfrage. Und Stefan Niggemeier löst die Rätsel des exorbitanten Klickaufkommens bei welt.de, sueddeutsche.de, zeit.de und faz.net: Sie sind zugleich die Lösung.

In einer kommoden neuen Welt

15.07.2008. Im Tagesspiegel plädiert der Dirigent Christian Thielemann zwar noch für den jetzigen Staatsopernsaal, aber der Streit scheint entschieden, und in der Berliner Zeitung gibt der Chef der Berliner Opernstiftung, Stefan Rosinski, der einen modernen Saal wollte, seine Niederlage schon zu. Die Welt staunt über die Lesezirkel in Großbritannien. In der FAZ verabschiedet Hans Magnus Enzensberger das gute alte Kursbuch der Bahn und artikuliert zugleich sein Unbehagen am Internet.

Angst vorm Zweibettzimmer

14.07.2008. In der Welt verteidigt der Soziologe Gerhard Schulze die Rentnerin Bettina S., die sich aus Angst vor dem Pflegeheim das Leben nahm. Die FR vermisst in Peking die typischen Siheyuan der Hutongs. In der NZZ prangert der algerische Autor Rachid Boudjedra die Mitschuld des Westens am Zustandekommen des Islamismus an. Die FAZ insistiert: Türkische Mädchen haben ein Recht auf Deutschunterricht.

In einer Zahnpastatube versteckt

12.07.2008. In der NZZ beweist Ian Kershaw, dass es immer noch schlimmer kommen kann als es schon kam. In der SZ erklärt Hans-Ulrich Wehler, warum die Geschichte für ihn nie ein Ende hat. In der FAZ findet der designierte Friedenspreisträger Anselm Kiefer Frieden mit sich selbst. In der FR spricht die türkische Autorin Oya Baydar über die inneren Konflikte ihres Landes. In der Welt erklärt Andre Brink, warum er seiner Heimat Südafrika treu bleibt.

Nichts, nirgends, nie

11.07.2008. Plebiszit ist, wenn wenige abstimmen und viele die Folgen tragen müssen, meint Alfred Grosser im Rheinischen Merkur und ist darum gar nicht mit Jürgen Habermas einverstanden. Die taz fürchtet um die unabhängige Kulturszene in Erfurt. Die Blogs befassen sich mal wieder mit der Zeitungskrise. Die SZ besingt die Blüte der dänischen Architektur. Die FAZ wendet sich gegen Sterbehilfe.

Geistige Werte der Völker Russlands

10.07.2008. Die FR hat miterlebt, wie Bundespräsident Horst Köhler gerade mal nicht da war (es ging um Tibet). In der Welt erzählt Said, warum er in Berlin nicht zusammen mit einem israelischen Kollegen lesen darf. Die NZZ berichtet, dass der russische Staat künftig wieder große Spielfilme in Auftrag gibt, um die Idee des Patriotismus zu verbreiten. In der FAZ berichtet der mongolische Autor Galsan Tschinag über die Proteste in Ulan Bator. Die Zeit porträtiert den chinesischen Umweltaktivisten Wu Lihong, der im Gefängnis sitzt. Die SZ demontiert den Intendanten des Bayerischen Staatsschauspiels, Dieter Dorn.

Das Internet-Kulturklatschmagazin meldet:

09.07.2008. In der taz hat Ilija Trojanow herausgefunden, dass sich schon das Mittelalter im interkulturellen Dialog befand. Die SZ berichtet über einen nicht unpikanten Rechtsstreit zwischen Springer und FAZ. NZZ und FR feiern die Wiedergeburt von Fritz Langs "Metropolis".

Rasante Blicke

08.07.2008. Die FR bedauert die Langzeitwirkung der von den 68ern instituierten Hochkultur-Idiosynkrasie. Stefan Niggemeier hat sich in dem Prozess über die Frage, wann unrechtmäßige Internetkommentare zu löschen sind, mit der klagenden Firma Callactive geeinigt. Die NZZ bedauert: Auf dem Jazzfestival von Montreux gibt es immer weniger Jazz. Die Netzeitung beschäftigt sich in ihrem Altpapier mit sich selbst. Die SZ hat beobachtet: Handke ist nicht nur für Serben, sondern auch für Sorben. Die FAZ verteidigt die Jünger-Ausgabe in der Pleiade gegen Georges-Arthur Goldschmidt.

Kein Grund für Grausamkeit

07.07.2008. In der SZ erklärt der geschasste Kurator Andrej Jerofejew, wie Selbstzensur im Putinismus funktioniert. Die FR konstatiert: Wenn in den USA gefoltert wird, dann auf Anweisung von ganz oben. Heute stimmt das EU-Parlament über das "Telekom-Paket" ab. Die Blogs befürchten ein "sowjetisches Internet", in dem nicht mal Firefox ohne Behördenzertifizierung auskäme.

Dieser Reinheitseifer

05.07.2008. Grenzen sind für die Feuilletons heute zum Überschreiten da: In der Welt möchte Thea Dorn mit Doping das demokratische Mittelmaß überwinden, in der SZ erteilt Martin Walser allen Siemens-Bestechern die Absolution. Die NZZ fragt sich, ob der Medienrummel der Geisel Ingrid Betancourt genutzt oder geschadet hat. Spiegel Online erschaudert vor der Datenkrake Google. Und die FAZ genießt abseits des Sternerummels still ihren Seewolf mit Meeresalgen-Gurkensalat.

Riesenburger grillen

04.07.2008. In der Welt erklärt Jonathan Franzen, warum er Berlin liebt: Es ist ein Schatten seiner selbst. Die Berliner Zeitung weiß, warum es in der Berliner Staatsbibliothek künftig keinen Sinn hat, nach neuen Büchern zu suchen. Die FR rät: Keine Angst vor den Chinesen. Die NZZ blickt in die Zukunft des Kinos, die digital sein wird. Die Blogs schreiben über ein Gerichtsurteil, das Google zwingt, Nutzerdaten an die Musikindustrie herauszugeben.

Kreuz und quer und vor allem weit

03.07.2008. Die Presse erklärt, was der UN-Menschenrechtsrat unter "Missbrauch der Meinungsfreiheit" versteht. Heise.de und viele Blogs wehren sich gegen neue EU-Pläne, die eine drastische Überwachung von Internetnutzern vorsehen. Zu Kafkas 125. Geburtstag preisen die Feuilletons den zweiten Band von Reiner Stachs Biografie. In der Zeit erklärt Roberto Saviano, wie die Mafia die Herzkammern der italienischen Wirtschaft eroberte. In der NZZ fragt Zafer Senocak: "Warum erfährt die türkische Aufklärung so wenig Unterstützung im Ausland?"

Danton ist nicht Hitler!

02.07.2008. In der NZZ sucht Ralf Dahrendorf den Weg zum wahren Europa. Die Welt liest ein Schwarzbuch der Französischen Revolution. Die FAZ fragt: Wie stellt sich ideale Schönheit in den Hirnaktivitäten dar? In der Achse des Guten googelt Hannes Stein das Wort "Existenzrecht". Und die Medienlese nennt zehn Gründe gegen das Netz.

Lächelnde Guillotine

01.07.2008. Die FR weiß, warum der Moskauer Kurator Andrej Jerofejew entlassen wurde: die Russen fürchten, dass die Kunst aufs Bewusstsein einwirkt. In der Berliner Zeitung erzählt William Gibson, wie er den Cyberspace erfand.  Die SZ stellt mit Fethullah Gülen den wichtigsten weinenden Intellektuellen der Welt vor und verabschiedet die Aufklärung gleich mit: Dieser Mann wird geachtet als Lehrer, geliebt als Führer, ersehnt als Prediger.