Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juni 2008

Unsichtbar angezapft

30.06.2008. Klagenfurt ist in Wirklichkeit ein Jammertal. Allzu mittelständisch war die dort verlesene Literatur, meint die Welt. Die Texte fielen nicht weiter auf, sekundiert die FR. So ist eben belangloser Realismus, sagt die NZZ. Nur die FAZ ist recht zufrieden mit den Texten. Die SZ lobt zumindest die Jury. Die Berliner Zeitung meldet die Entlassung des letzten russischen Kurators für moderne Kunst.

Kein Plätschern mehr

28.06.2008. Die Feuilletons besichtigen Olafur Eliassons Wasserfälle in New York: Hübsche Touristenattraktion, meint die NZZ. Bescheuert, aber wunderbar, schreibt die Welt. In der FR situiert Michael Rutschky Jean Amery in der deutschen Nachkriegsbundesrepublik. In der SZ kritisiert Julie Christie das Starsystem. Die FAZ fordert vom Publikum mehr Interesse für Hirn und Pferdeköpfe.

Leuchtendes zylindrisches Objekt

27.06.2008. Die Welt porträtiert die israelische Theaterautorin Yael Ronen, die in ihrem neuesten Stück den Nahen Osten und Deutschland gleich mit therapiert. Die Zeit meint: Papier bringt Qualität. Aber keine Honorare, meint der Blogger Matthias Spielkamp. In der NZZ wirbt die Historikerin Ayesha Jalal für einen erweiterten Dschihad-Begriff. In der FAZ spricht Tom Segev über das Erfolgsmodell Israel. Und Jens Reich glaubt nicht, dass Gesine Schwan die Stimmen der Linkspartei kriegt. Ist ohnehin alles Ontotextologie, meint Giwi Margwelaschwili in der FR.

Hätte das menschliche Ohr einen G-Punkt

26.06.2008. In der FR kritisiert Georges-Arthur Goldschmidt die Herausgeber der "Pleiade": Die Pariser Klassikerbibliothek nimmt Ernst Jünger auf, aber nicht Thomas Mann. Die FAZ schildert eine respektvolle Begegnung zwischen Jürgen Habermas und Tariq Ramadan. Die NZZ ist abgestoßen von reichen Russen, die sich selbst als ihr eigenes Ideal ansehen. Die Zeit mag Streichquartette: Hier gilt's noch der Kunst.

Die ersten wirklichen Europäer

25.06.2008. Vor dem großen Halbfinale: In der Welt bekennt Zafer Senocak seine gespaltenen - oder doppelten - Loyalitäten. Auch in Frankreich wird über Journalismus im Internetzeitalter debattiert, wie ein Artikel von Pascal Riche in Le Monde zeigt. Die FR schildert eine denkwürdige Begegnung zwischen Tariq Ramadan und Jürgen Habermas. Die FAZ macht sich Sorgen um Olafur Eliasson: je monumentaler seine Werke, desto dekorativer.

Dieses Ticken der Schöpferschrecksekunde

24.06.2008. Obszön ist Peter Handkes Liebe zu Serbien, meint Jonathan Littell in der FR. "Wo treibt man in diesem Betonmeer eine Ziege auf?", fragen Anhänger des Voodookults in Bahia laut NZZ. Die Welt bringt eine Seite über die Geschichte der Sklaverei in Afrika und den USA. In der SZ streiten Günter Verheugen und Jürgen Habermas über das irische Nein. Alle nehmen Abschied vom großen Theatermann Klaus Michael Grüber.

Der Mond scheint hell dazu

23.06.2008. Rainald Goetz schließt sein Blog bei Vanity Fair mit Anmerkungen über Walter Kempowski. In der Berliner Zeitung erklärt Julia Kristeva, warum sie sich für weibliche Genies interessiert. Olivier Roy sieht in der FR die Wurzeln der islamistischen Radikalisierung im Westen. In der SZ kommentiert Slavenka Drakulic die Entscheidung der UN, Vergewaltigung als Kriegsverbrechen einzustufen.

Obamabananabonanza

21.06.2008. Der Klimawandel macht uns alle zu Indern, bemerkt der Filmkritiker Sukhdev Sandhu in der SZ. Die FAZ bemerkt, dass die Chinesen langsam beginnen, China zu mögen. Nicht Obama wurde diskriminiert, sondern Clinton, moniert die taz. Alles ist in Aufruhr, erfährt die NZZ von einer Schriftstellerin aus Simbabwe. Und in der Berliner Zeitung bereut Otto Waalkes die WG mit Lindenberg und Westernhagen.

Wir machen den Garten

20.06.2008. Die taz stellt uns den Bhangramuffin des Apache Indian vor. Die NZZ beschreibt die Obama-freundliche HipHop-Szene. In der Welt identifiziert ein französischer Gymnasiallehrer Godot. Anlässlich des Weltflüchtlingstages wirbt die SZ für Illegal - zumindest im Theater. Die FAZ will in der Lindenoper lieber die Architektur hören als die Kunst.

Amig@s

19.06.2008. Die Berliner Zeitung berichtet, dass die russische Staatsanwaltschaft die Ermittlungen zum Mord an Anna Politkowskaja nun aber endgültig als abgeschlossen erachtet. Die FR notiert "sanfte Ekstase" in Berlin über ein noch zu realisierendes architektonisches Meisterwerk im Bahnhofsviertel. In der NZZ rät Daniel Pipes zu alternativen Formen des Islam. In der FAZ äußert John Banville seine Bitterkeit über das irische "Nein". In der Zeit rät der Verleger Christoph Links: Das kapitalistische Verlagswesen soll sich mal ein Beispiel an der Zentralbücherei für Blinde nehmen. Mit Cyd Charisse-Video!

Die Härte und Kälte des Alten

18.06.2008. Wild und dunkel ist Josef Winklers Kärnten. Die FR überschreitet mit dem designierten Büchnerpreisträger die Grenze zum Animalischen. Teile der Welt lehnen dies aus sittlich-ästhetischen Erwägungen ab. Wenigstens spreizt Winkler nicht den kleinen Finger ab wie Mosebach, meint dagegen der Tagesspiegel. Die FAZ findet Winkler zwar unzeitgemäß, aber darum noch längst nicht groß. Die taz porträtiert die amerikanische Essayistin Joan Didion.

Wir flogen Business Class

17.06.2008. In der SZ lobt Jürgen Habermas die Iren für ihr Nein und fordert Referenden in ganz Europa. Außerdem ist die Zeitung unzufrieden: Die Städte werden hübscher, aber niemand kann sich mehr leisten, in ihnen zu wohnen. Die Welt unternimmt einen Rundgang durch europäische Opernhäuser und empfiehlt Umbau. Auch die taz war mit Daniel Barenboim in Buenos Aires. Und sie sagt auch, wer's bezahlt hat. Die FAZ informiert über die IM-Tätigkeit Lech Walesas in den siebziger Jahren.

Sei Perser!

16.06.2008. Die Feuilletons beschäftigen sich weiter mit dem Abbau von Aufbau. Sie kommentieren ein Spiegel-Interview des Aufbau-Verlegers Lunkewitz, der sich gegen Kritik verteidigt. Die SZ bringt außerdem einen gepfefferten und ganzseitigen Aufsatz des Verlegers. Die taz bringt einen irlandkritischen Artikel. Der Tagesspiegel zur Staatsoperndebatte: Avantgarde, ja bitte! In der FAZ beklagt A.L. Kennedy den Niedergang der britischen Kultur wegen der Marktwirtschaft.

Texturelle Umorganisation

14.06.2008. In der FAZ wendet sich Monika Maron gegen einen Pakt von PDS und SPD, und sei er für Gesine Schwan. In der NZZ spielt Peter Sloterdijk Fußball mit der größten aller denkbaren Kugeln und sie mit ihm. In der Achse des Guten fragt Richard Wagner: Warum entziehen sich die Iren ihre eigene Geschäftsgrundlage? Spiegel Online lanciert eine Debatte über den Klimawandel und den angeblich zu suchenden Einklang mit der Natur

Ich sag so gerne du zu dir

13.06.2008. In der Berliner Zeitung äußert sich der DDR-Germanist Dieter Schlenstedt empört über die Reaktion der Westmedien auf die Enthüllungen über Erwin Strittmatter. Außerdem schreibt Jenny Erpenbeck einen Nachruf auf ihre eigene Mutter, die Übersetzerin Doris Kilias. Die taz beschreibt, wie die ARD mit "Julia, Wege zum Glück" im Internet ihren Volksbildungsauftrag erfüllt. In der Welt plädiert Daniel Barenboim für einen modernen Staatsopernsaal. In der NZZ erzählt Patti Smith, wie ihr Hillary Clinton das Herz brach. Keine feuchten Augen bei der Beerdigung des Kursbuchs.

Die Liebe, immer wieder, immer noch

12.06.2008. Die NZZ legt eine neue Serie zum Islamismus auf: ein Ex-Islamist fragt, wo die Märtyrer des Pluralismus sind. Die FR lernt denken mit Josef Ackermann: Die CSR ist Teil der DNA der DB. Richard Wagner nimmt in der Achse des Guten Abschied vom Kursbuch. Die FAZ beklagt die Abwicklung der letzten Reste der DDR-Architektur.

Hirngerechtes Lernen

11.06.2008. In der Welt sieht Rolf Schneider die Enthüllungen über die SS-Mitgliedschaft Erwin Strittmatters als weiteren Beweis für die Verlogenheit des Antifaschismus in der DDR. Karl Corino äußert in der FR dagegen Verständnis für Strittmatter. Die SZ staunt: In New York darf die mittlere Architektengeneration nochmal Revolution machen. In der FAZ erfahren wir von Gesine Schwan: "Dissens ist kein Unfall der Demokratie."

Selbstironischer Ich-Umkreiser

10.06.2008. Die taz hat herausgefunden: Judy Garland war im "Zauberer von Oz" auf Speed. Alle trauern um Peter Rühmkorf. Matthias Politycki nennt ihn auf spiegel.de "herrlich hallodrihaft". Die SZ sucht das Politische im Dichter. Für Reich-Ranicki war Rühmkorf ein Dichter der Gasse und der Masse. Die NZZ erinnert an den Zürcher Literaturstreit vor langer langer Zeit.

Wetlands

09.06.2008. In der Times plädiert Bob Dylan für Barack Obama. Und durch die New York Times dringt Charlotte Roches "cri de coeur" bis in die Vereinigten Staaten. Die FR findet den von der Türkei finanzierten Frankfurter Lehrstuhl für islamische Religion höchst problematisch. Die FAZ outet den SS-Verschweigefall Ost: Erwin Strittmatter. Die SZ hat herausgefunden: Pop zitiert heute unironisch. Die taz forscht in Hongkong nach dem Schicksal des Cantopop.

Herz und Stimme zittern mit

07.06.2008. In der NZZ findet der in Peking bauende Architekt Jacques Herzog, dass man China die Demokratie nicht aufzwingen dürfe. In der FR will der Schriftsteller Ma Jian trotzdem nicht das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens vergessen. In der Welt erzählt Ruth Westheimer, wie sie Scharfschützin der Haganah wurde. Die SZ erklärt, wie man aufmerksamkeitsökonomisch den großen Reibach macht. Die taz beklagt die Metaphernautomatisierung Walter Benjamins. Und in der FAZ porträtiert Sarah Khan einen kommenden Fußballstar.

Zwei gleichermaßen abgestorbene Kulturen

06.06.2008. In der FAZ prangert der sudanesische Übersetzer Daoud Hari die Gleichgültigkeit der Welt und die Komplizenschaft der Chinesen bei den Morden in Darfur an. Die Welt recherchiert: Die Fernsehanstalten geben ihre Enttäuschung über allzu knappe Gebühren als Gagensenkung an Schauspieler weiter. Die Berliner Zeitung beschreibt konfliktuelle Komplizenschaft bei Springer. Luc Bondys Wiener "Zofen"-Inszenierung sorgt für schärfste Kritikerprosa. Die SZ staunt: Dubai hat den höchsten Eiffelturm der Welt.

600 Kilogramm Nutella

05.06.2008. Viele finden die Friedenspreisentscheidung für Anselm Kiefer mutig. Nur die taz ist doppelt skeptisch. Und die FR befremdet. Die SZ besucht einen Friedhof für gekillte Youtube-Videos. Im Freitag sagt Jakob Augstein, was er mit dem Freitag machen will. In der Zeit sagt Rem Kohlhaas sinngemäß etwa so: "Wenn mich die Chinesen so klasse bezahlen, dann ist das doch die Schuld der kritischen Medien."

Riesige Filtztiere behindern das Durchkommen

04.06.2008. Die Welt hat in einer Ausstellung über ein Massaker vor 7.100 Jahren festgestellt: Die edlen Wilden waren zwar wild, aber nicht edel. In der FAZ erinnert sich Marcel Reich-Reinicki an die drückende Atmosphäre in der Bundesrepublik vor 50 Jahren. Die FR meint: Kunstpreise sinken nicht, solange die Globalisierung steigt. Die Berliner Zeitung klagt über Schwabenhass. In der taz stellt Bahman Nirumand den iranischen Philosophen Abdolkarim Soroush vor, der die Autorschaft des Korans in Frage stellt. 

Ein salziger Strom von Epitheta

03.06.2008. Ein Gernegroß: Die Welt geht sehr hart mit Aufbau-Verleger Bernd Lunkewitz ins Gericht. Auch Richard Wagner schickt ihm im Tagesspiegel keine Freundlichkeiten hinterher: "Er ist als Mäzen auf der Flucht und als Gläubiger im Anmarsch." Über die Ukraine denkt Wagner ebenfalls nicht so gut und macht es in der NZZ bekannt. Alle würdigen, wie Yves Saint Laurent die "Geheimnisse der männlichen Uniform in das frivole Reich der Seiden" zog. Huffington Post und Gawker wissen, wen Bill Clinton 'sleazy', 'dishonest', 'slimy' und einen 'scumbag" nannte und warum und mit wem er verheiratet ist.

Er hat das ästhetische Territorium verlassen

02.06.2008. In Spiegel Online schreibt Matthias Matussek einen wutschnaubenden Offenen Brief an Alice Schwarzer. Die Welt warnt vor schwerwiegenden kulturellen Missverständnissen bei der Kontaktaufnahme mit unbekannten Völkern. Die FR findet: Pina Bausch geht weit zurück, aber geht sie auch zu weit? In der NZZ spricht der australische Philosoph Peter Singer über Kindstötung. Die FAZ findet die neue Kölner Moschee nach außen offener als nach innen. Die New York Times bringt bereits einen ausführlichen Nachruf auf Yves Saint Laurent.