Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Oktober 2012

Und quatsch nicht so viel

31.10.2012. Die Welt lernt von Tom Krell, dass sich Kant mit Soul verträgt. Die NZZ träumt vom kosmopolitischen Thessaloniki, bevor es griechisch wurde. In der FR erklärt Abdolkarim Soroush: Mit Gott darf man streiten - und mit Theologen auch. Die FAZ lässt sich von den HBO-Chefs erklären, wie man gutes Fernsehen macht. In der Zeit erinnert sich Michael Caine an drei Ratschläge von John Wayne.

Die ganze Welt im Angebot

30.10.2012. Hurrikan in der Bücherbranche: die Medien kommentieren jetzt breit den Zusammenschluss von Random House und Penguin. Ob's für die Autoren gut ist, bezweifeln in der Welt Literaturagenten. Rüdiger Wischenbart rückt im Perlentaucher die Proportionen zurecht: Der neue Gigant ist fünfzehnmal kleiner als Amazon. Die FAZ fragt: Und was ist, wenn die Einsamen in den Städten auf den Gemälden Edward Hoppers glücklich sind? Von Sandy kursieren eine Menge Fotos. Manche davon sind echt. Wir setzen die richtigen Links. 

Der Mann ist Philosoph

29.10.2012. Alle schreiben Nachrufe auf Hans Werner Henze, der das Neue wollte, aber nicht als Neutöner. Und ab und zu mal einen Stein warf. Und mit besseren Librettistinnen zusammenarbeitete als zum Beispiel Jörg Widmann, der laut Zeitungsberichten arge Mühe hatte, Peter Sloterdijks "verquaste Gedankengänge" in Opernmusik umzusetzen. Gabriele Goettle verbringt für die taz mit einer Kritikerin des Gesundheitssystems etwas mehr als die veranschlagte Zeit. Und rechnen Sie mit dem Guardian. Und mit Sandy natürlich.

Steh auf, nimm den Koffer und geh!

27.10.2012. Nicht das Christentum, sondern der Säkularismus war einst prägend für Europas Identität, erinnert sich Orhan Pamuk in der SZ. Die verabschiedet sich derweil schon einmal von Präsident Barack Obama. Die FAZ berichtet von den Unterdrückungsmethoden gegen die weißrussische Presse. Die taz erinnert sich an die Entführung der "Landshut" nach Mogadischu vor 35 Jahren und stellt fest: die Opfer gingen mal wieder leer aus. Vor einem allzu klaren Täter-Opfer-Bild warnt die Welt angesichts einer Ausstellung zur "Flucht und Vertreibung der Palästinenser". Und Gawker meldet, dass William Faulkners Rechteverwerter mit einem Prozess der Gefahr vorbeugen wollen, dass der Schriftsteller mit Sony verwechselt wird.

Die Hintertür der Ironie

26.10.2012. Die NZZ berichtet über erbitterte polnische Debatten um das neue Schlesische Museum in Kattowitz. Richard Herzinger zeigt in seinem Welt-Blog wenig Respekt für die Forderung nach Respekt für die Religionen. Die taz hat bei der Affäre Strepp ein ähnlich ungutes Gefühl von Mediengekungel wie seinerzeit bei der Affäre Wulff. Reuters erzählt, wie sich Wladimir Putin vor ausländischen Journalisten über Pussy Riot echauffierte. In der SZ erklärt Peter Sloterdijk den Opernkomponisten des 20. Jahrhunderts, was sie eigentlich hätten tun sollen. In der FAZ erzählt Jochen Hieber, wie Peter Handke ihn vor 25 Jahren wirklich schlug.

Im Deutschen weniger süffig

25.10.2012. Die NZZ würdigt das Bodybuilding als Bildhauerei am eigenen Leibe. Auf critic.de erfährt man Ungutes über den Zustand der Filmkritik im Internet. Die FAZ erblickt in den Bildwelten der DDR ein willkommenes Korrektiv zum "Kult um die Abstraktion" im Westen. Die SZ fühlt sich im "Homeland" nicht ganz wohl. In der Zeit versuchen Ulrich Beck und Daniel Cohn-Bendit nochmal zu erklären, was sie mit Europa meinen. Außerdem: die schönen Augen und die schöne Badehose von Franz Kafka.

Die Eule der Lady Gaga

24.10.2012. Die NZZ fragt: Will der SWR seine Orchester fusionieren? Oder liquidieren? In der Welt spricht Dani Karavan über seinen Entwurf des Mahnmals für die ermordeten Sinti und Roma in Berlin. Laut futurebooks.net will Amazon auch weiterhin nicht erklären, wann es Kindle-Kontos sperrt und warum. Laut FAZ hält Detlev Bucks Verfilmung der "Vermessung der Welt" dem Original nicht stand. Der New Yorker zitiert aus Sartres Blog: "An angry crow mocked me this morning. I couldn't finish my croissant, and fled the café in despair."

Was soll das, Freddy?

23.10.2012. Die SZ freut sich über wiederaufgefundene Aufnahmen amerikanischer Weill-Songs. Die taz findet es seltsam, dass sich das Weimarer Theater von der szenischen Lesung der Breivik-Gerichtsrede distanzierte. Die FAZ berichtet, dass El Pais ein Drittel der Redaktion entlässt - obwohl die Zeitung Gewinne schreibt. Der Guardian geht in Saudi Arabien heimlich ins Kino. In der Welt fragt Peter Singer: Warum werden Länder wegen Rassen-, aber nicht wegen Frauendiskriminierung sanktioniert? Und die Public Domain Review verliebt sich ins Volapük. Außerdem: Amazon schließt laut einem  Blog willkürlich Kindle-Kontos.

Die Tonerde von Virginia

22.10.2012. Die Welt feiert die von Ai Weiwei verantwortete Ausgabe des New Statesman. Heise.de verfolgte einen Vortrag Lawrence Lessigs, der auf einem Kongress der Grünen ein neues Urheberrecht forderte. Die NZZ rehabilitiert die DDR-Kunst. Die taz staunt über die amerikanische Pornoindustrie, die im Namen der freien Rede das Recht erstreiten will, auf Kondome zu verzichten. Außerdem führen wir per Video in die Schönheiten der Jagwa Music ein.

Ob das wirklich die Wahrheit ist

20.10.2012. Die NZZ lotet die Untiefen des autobiografischen Romans aus. Telepolis fragt: Ist die Filmkritikerbranche eine Klassengesellschaft? Sollen sie doch moderne Kunst in seine Gemäldegalerie hängen, meint Christoph Sattler in der Welt: Aber achten Sie auf die Sockel! Die taz nimmt Liao Yiwu beim Wort. Die FR wandelt durch Bildwelten der DDR. Und auch die Leiden des Johnny Lydon haben ein Ende.

Sprühend vor Klangfarbenwachheit

19.10.2012. Der Spiegel meldet: Frankreich will Links besteuern, die Google auf Zeitungen setzt. Aber nun will Google keine Links mehr setzen. Netzpolitik hat neulich eine Studie zur Bestechlichkeit von Abgeordneten veröffentlicht. Nun soll das Blog sie zensieren - aus urheberrechtlichen Gründen! Die taz prangert den Prozess gegen den türkischen Pianisten Fazil Say an, der angeblich den Propheten beleidigte. Die NZZ fragt: Ist es ein Problem, dass einer der Nobelpreis-Juroren zugleich der Übersetzer Mo Yans war? Und Mathias Döpfner verkündet: Welt Online wird zahlbar. Und alle trauern um Wolfgang Menge.

Sprachlich elegante Reduktion

18.10.2012. Die taz Online veröffentlicht einen Aufruf der bekanntesten deutschen Filmkritiker gegen den Deutschen Filmpreis, so wie er jetzt ist. Die Jüdische Allgemeine beschwert sich: Günter Grass bringt den literarischen Antisemitismus in Verruf - da gab's schon originellere Nobelpreisträger. David Cole wehrt sich im NYRBlog gegen Malise Ruthvens Forderung, Beleidigungen des Propheten Mohammed zu verbieten. In der Zeit erklärt Roberto Saviano, warum die Mafia für nichts tötet. Und die SZ mahnt: Museumsbesucher sind die eigentlichen Opfer der grassierenden Kunstraube.

Das ist Lyrik, das ist Kunst

17.10.2012. Die Welt feiert einen Film über die polnische Punkband Paktofonika. In der taz hat Hans Ulrich Gumbrecht Überlebensprobleme. Die NZZ fragt: "Wo lässt sich schöner von der Antike träumen als in Tunesien?" Für Spiegel Online fährt Sascha Lobo mit Big Brother in London Auto. In Meedia bedankt sich Zeit Online-Chef Wolfgang Blau bei den deutschen Onlinejournalisten, aber nicht bei den deutschen Medienkapitänen, und geht ab zum Guardian. Und natürlich: Dagens Nyheter besingt eine magische halbe Stunde.

Zahnlos, dafür aber schulterfrei

16.10.2012. In der SZ erzählt der kasachische Theaterregisseur Bolat Atabajew, wie ihm klar wurde, dass er auf die Weltbühne musste. Ähnliches hat laut Welt der Fantasy-Autor Christian Alexander Schreiber vor, der aber zunächst am Eingang der Frankfurter Buchmesse zu scheitern drohte. Die FR berichtet, dass Günter Grass auch im Alter von 85 Jahren an seinen Dummheiten festhält. Die FAZ empfindet dank einer Brüsseler Inszenierung neue Empathie für Lulu. SZ und FAZ befassen sich mit den Plagiatsvorwürfen gegen Annette Schavan.

Dieses Imperium muss auseinanderbrechen

15.10.2012. Die Buchmesse klingt nach. FAZ und taz sind ergriffen von Liao Yiwus Friedenspreisrede. Liao Yiwu hat das Allerheiligste des chinesischen Regimes angegriffen, beobachtet die Welt. Christoph Kappes erzählt den Medienfischen, was er und Sascha Lobo mit ihrem E-Book-Verlag vorhaben. Das Ebook boomt dank erotischer Literatur, und diese Literatur wird von Frauen gekauft, konstatiert AFP. Der Tagesspiegel liest ein Buch über Beschneidung und stellt fest, dass hier auch Menschenrechtsargumente nicht zählen.

Walser? Ein Psychopath!

13.10.2012. Die Welt erlebte, wie sich der neue Literaturnobelpreisträger Mo Yan bei seinem ersten Auftritt in China mit dem inhaftierten Liu Xiaobo solidarisierte. Außerdem lernt sie in Hans Werner Richters Tagebüchern, warum die Bundesrepublik vielleicht ein politisch-wirtschaftliches, aber kein literarisch-ästhetisches Erfolgsmodell wurde. In der NZZ huldigt Laszlo Földenyi dem Heiligen Sebastian und Peter Nadas. Die SZ taucht in die vertonte Comicwelt von Kiss. Und die FAZ gönnt den Griechen nicht einmal das Preisgeld für den Nobelpreis.

Die wildesten Anekdoten

12.10.2012. Die Jungle World geißelt die humorlosen Feuilletonreaktionen auf Rainald Goetz' Roman "Johann Holtrop". In der NZZ sieht der Harvard-Kunsthistoriker Jeffrey F. Hamburger mit dem geplanten Umzug der Berliner Gemäldegalerie auf die Museumsinsel imperiale Ansprüche aufleuchten. Und alle denken darüber nach, was der Literaturnobelpreis für Mo Yan bedeutet. Kritik kommt von Ai Weiwei, wie die Welt berichtet. Die deutschen Rezensenten sehen Mo Yan dagegen eher als gewitzten Literaten, der die Zensur mit Gewalt, Komik und Obszönität unterläuft.

Zu verdammt sauber

11.10.2012. Die Welt besichtigt in Paris staunend die unangepasste Kunstsammlung Michael Werners. Der Tagesspiegel porträtiert die 14-jährige afghanische Schülerin Malala Yousafzai, der Taliban eine Kugel in den Kopf schossen, weil sie zur Schule gehen wollte. Die taz spaziert durch ein wiederbelebtes Belgrad. Die Zeit möchte eigentlich keine von Anders Breivik inspirierten Theaterstücke sehen. In der SZ macht sich Oliver Stone nichts aus perfekten skandinavischen Mädchen. Die FAZ wirft ihm prompt männerbündlerische Ausgekochtheit vor.

Moderner Weltverkehr

10.10.2012. Auch die Intellektuellen in Ägypten interessieren sich nicht für die Rechte der Frauen, erklärt in der NZZ die Autorin Salwa Bakr. Kafka wollte keinen Sex mit Frauen, behauptet in der FR Saul Friedländer. In der SZ warnt der Jurist Stefan Huster vor dem Betroffenheitskitsch in politischen Debatten. Alle freuen sich über den Buchpreis für Ursula Krechel. Nur die SZ hätte sich etwas mehr ästhetischen Furor gewünscht.

Material und Moral

09.10.2012. Ursula Krechel erhält für ihre Vergangenheitsbewältigung "Das Landgericht" den Deutschen Buchpreis. Die FR freut sich. Die FAZ noch mehr. Die Welt nicht ganz so. Die taz bleibt neutral. Der Merkur eröffnet ein Blog. Die NZZ erliegt dem Charme des sanft vor sich hinrostenden West-Berlin und seiner verwitternden Wahrzeichen. In der FAZ sind sich Kultur- und Wirtschaftsteil über die Freuden der Digitalisierung im Buchgewerbe uneins. Die SZ huldigt den Vasen Carlo Scarpas. Außerdem Bilder von Bäumen und Straßenkreuzungen, Paris und James Deen.

Wahnsinnig toll gezeichnet

08.10.2012. In der Welt erfahren wir, wie Peter Zadek seinen Freund Christoph Schlingensief vom Krebs befreien wollte. In der FAZ beteuert der Schriftsteller Laurent Binet, dass François Hollande gar nicht mal so langweilig sei. In der SZ feiert Willibald Sauerländer die Karlsruher Camille Corot-Ausstellung. Die taz fragt: Wie kann man die "Begegnung" mit einem Land inszenieren, das ausländische NGOs als Spione behandelt. Die NZZ nimmt Russlands "heroische Geschichtsschreibung" unter die Lupe.

Favelas der unteren Mittelschicht

06.10.2012. In der NZZ erklärt der neuseeländische Autor Alan Duff, warum der schönste Geistesblitz manchmal nichts wert ist. Die taz experimentiert mit dem E-Book und lobt die Widerstandskraft des Taschenbuchs. In der Welt planiert Ulf Poschardt schon mal Berlins Schrebergärten. FR und SZ sind entsetzt über die Ausstellung "Russen und Deutsche": weich gespülte Geschichtsversion, kritisiert die SZ. Die FR plädiert gleich fürs Einmotten. NZZ und FAZ erscheinen heute mit Literaturbeilage.

Der Sieg des kapitalistischen Spaßes

05.10.2012. Einen höchst deprimierten Zustandsbericht über die deutsche Literaturkritik veröffentlicht buchreport.de: Freie Journalisten können das Genre allenfalls noch als Hobby betreiben. In der FAZ rät Salman Rushdie von Respekt vor Religionen ab. Die NZZ berichtet aus Malmö, wo der sozialdemokratische Bürgermeister nach Ausschreitungen gegen Juden sagte, er dulde weder Antisemitismus noch Zionismus.  Außerdem feiern die Feuilletons goldene Hochzeit mit den Beatles und James Bond.

Unselbständig aber glücklich

04.10.2012. Yasmina Rézas neues Stück "Ihre Version des Spiels" nimmt das Ritual der Dichterlesung aufs Korn. Die Kritiker sind begeistert. Weniger begeistert ist dagegen Thomas Hettche von den Kritikern, die sich mit den Autoren nicht mehr solidarisieren, klagt er in der Zeit. Wie gut passt die Shortlist des Buchpreises zum eigentlich lesenden Publikum, den Damen über sechzig?, fragt der Freitag. Die SZ arbeitet sich mal wieder an der Aufklärung ab. Und Slate hat alle Experten gefragt: Aber keiner fand im Kandidatenduell Obama besser als Romney.

Verwildertes Freund-Feind-Denken

02.10.2012. In der taz beschwört Daniel Cohn-Bendit die Perspektive eines Europas mit viel weniger Deutschland. In der NZZ fragt sich der Historiker Christoph Jahr, warum Eric Hobsbawm sein Leben lang dem Glauben an den Kommunismus treu blieb. Wir verlinken auf die Prêt-à-porter-Schauen in Paris: Endlich Puschen mit Absätzen! In Zeit online wendet sich der Jurist Reinhard Merkel gegen den "kläglichen" Gesetzesentwurf zur Beschneidung. Die FAZ verteidigt die Aura eines hinter seinem Buch verschwindenden Autors gegen die Digitalisierung.

Gott ist der einzige Universalhistoriker

01.10.2012. In der taz verortet Joachim Unseld die Zukunft des Buchs irgendwo zwischen Manufactum und Amazon. Die NZZ trinkt keinen Cappuccino in Triest. In der FR wendet sich Jörg Fischer gegen die Idee der Globalgeschichte. In der SZ fordert Marcel Beyer mehr Fantasie von deutschem Aufklärungspersonal.