Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Februar 2010

Tack, und der Ton ist weg

27.02.2010. In der NZZ erklärt der Pianist Krystian Zimerman den Unterschied zwischen Lautstärke und Dynamik. Die taz war dabei als Frank Schirrmacher Martin Walser pathologisch nannte und Walser Schirrmacher quotensüchtig. In der Welt polemisiert Sonja Margolina gegen die Gesinnungskontrolle der liberalen Mainstream-Medien. Sascha Anderson (im ND) und Josef Haslinger (im Standard) nehmen Stellung zu Helene Hegeman. Die FR beobachtet, wie She She Pop auf der Bühne mit ihren Väter diskutieren. In der FAZ erklärt die "Human-Resources-Managerin" Anke Maruschka, wie man seinen Mitarbeitern kündigt. Die SZ weiß auch nicht, warum sie gerade beim Computerspiel "Heavy Rain" Probleme hat, jemanden zu erschießen.

Nicht an das Große rühren

26.02.2010. Von jenseits des Grabes erklingt nochmal die Stimme Johnny Cashs und lässt den einen oder anderen Feuilletonisten erschauern. Die NZZ präsentiert eine gute Idee für einen großen Teil der neuesten Kunst: Michael Landys' Kunstabfallcontainer. Die Welt bringt ein Gespräch mit dem Historiker Norbert Leithold, der einst das Pornokino reformieren wollte. Die FAZ feiert Michael Lentz' Sprache der Liebe, die SZ den Architekten Ole Scheeren, der den Westen schon hinter sich hat.

Ein Stück Rindfleisch unter der Heizung

25.02.2010. War das wirklich ein guter Scherz?, fragt Dirk von Gehlen in seinem Blog zum Grünbeinschen Hegemann-Späßchen. "Plagiat. Was denn sonst", diagnostiziert der Experte Philipp Theisohn in der NZZ zum selben Fall.  Außerdem verweisen wir auf zwei instruktive Prä-Hegemann-Texte. Timothy Snyder klärt im Blog der NYRB über Stepan Bandera und ukrainischen Nationalismus auf. In der Berliner Zeitung krümmt sich der gekerbte Raum der ortsgebundenen Dienste. Die FAZ feiert Caravaggio

Und dann die große moralische Frage

24.02.2010. Grünbeins Hegemann-Verteidigung in der FAZ ist zwar von Benn, aber er nimmt kein Wort zurück! Die SZ bringt nochmal mehrere Sonderseiten zum Fall Hegemann. Besonders rigide gegen jegliches Plagiat äußert sich hier der noch selber schreibende Feridun Zaimoglu. In der Welt versichert Petros Markaris: die Griechen sind selber schuld. Jakob Michael Reinhold Lenz ist nicht Kurt Cobain, erfahren wir von Frank Castorf in der taz. In der NZZ fragt Adam Krzeminski: Wie weit im Westen liegt heute der Osten? Oder umgekehrt?

Jenes 'Lawinengefühl', wie ich es nennen möchte

23.02.2010. "Dass jeder Satz und jeder Dialog durchatmet und durchströmt wird von der Inspiration einer großen Schöpferin": Durs Grünbeins feierliche Verteidigung der Helene Hegemann steht in der FAZ. In der NZZ gesteht Volker Braun, wie ihn die Schweiz zum Schreiben brachte. Für Gabriele Goettle erzählt der ehemalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl aus seinem Leben. Im Blog der New York Review of Books erinnert Charles Simic an den Dichter Heimrad Bäcker. BoingBoing rätselt über das Phänomen der singenden Hunde.

25 fatal lächelnde Kastenbrillenleichen

22.02.2010. Der Goldene Bär für den türkischen Film "Honig" stößt auf laue Zustimmung nach einer allgemein als etwas fad resümierten Berlinale. Gefeiert wird allerdings noch Dominik Grafs Fernsehserie "Im Angesicht des Verbrechens".  Nutzer des Iphones werden künftig ohne Sex auskommen müssen, meldet Techcrunch. Aber man kann zur Not sogar ohne Google auskommen, meldet Gizmodo. Wenn die jetzt bekanntgwordenen ACTA-Bestimmungen durchgesetzt werden, kommt demnächst vielleicht auch das Netz ohne Nutzer aus, wenn man BoingBoing glauben darf.

Auf Montage

20.02.2010. In der NZZ erklärt Don DeLillo, warum die Regierung Bush den Irak angegriffen hat. In der Berliner Zeitung erzählt Arthur Becker, wie er als 16-Jähriger allein in Polen auf seinen Pass für die Ausreise wartete. Die FR sieht ein Beckett-Licht aus Don DeLillos neuem Roman aufscheinen. Die taz geht mit Benjamin von Stuckrad-Barre spazieren. Die SZ besucht Rapidshare. In der FAZ führt Frank Rieger in die Überwachungsmöglichkeiten des Staates ein.

Die Knochen gelenkiger

19.02.2010. Die Welt erzählt, wie die israelische Regisseurin Yael Hersonski einen Nazi-Propagandafilm über das Warschauer Ghetto rekonstruierte. Die NZZ lauscht dem Tee-und-Kräuter-Rap des taiwanesischen Sängers Jay Chou. In der FR streiten Paul Krugman und Niall Ferguson über die Krise Griechenlands und den Euro. In der FAZ erklärt die Informatikerin Constanze Kurz, wie der Hacker tickt.

Wie im jemenitischen Teehaus

18.02.2010. In der FR erinnert sich der Opernregisseur Calixto Bieito an den sexuellen Missbrauch in seinem Jesuiten-Kolleg. Spiegel Online erklärt, warum das Internetsperregesetz in Kraft tritt, obwohl es niemand mehr will. Die NZZ bewundert eine japanische Scheibe Emmentaler Käse auf dem Campus der ETH Lausanne. In der Zeit tritt Iris Radisch dem backenbärtigen Teil des männlichen Kulturestablishment gegens Schienbein. Die FAZ findet Tutenchamuns Mutter.

Es triumphieren die Vorsichtigen

17.02.2010. Die Welt staunt über einen Friedhofsflirt. In der NZZ wünscht sich Hans Ulrich Gumbrecht mehr riskantes Denken beim geisteswissenschaftlichen Nachwuchs. In der taz spricht der iranische Regisseur Rafi Pitts über seinen Wettbewerbsbeitrag "Zeit des Zorns". In der FR schüttelt der haitianische Filmregisseur Raul Peck den Kopf über zottelige westliche Journalisten. In der SZ erzählt der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase vom Filmemachen in der DDR.

Dann singt Konstantin Wecker

16.02.2010. Laut Schriftsteller Sigfrid Gauch hat auch Peter Esterhazy abgeschrieben, ganze Kapitel sogar, allerdings ohne ein Hehl daraus zu machen. Die Debatte um Helene Hegemann geht ebenfalls weiter und entzweit sogar die FAZ. In der Welt spricht der iranische Regisseur Rafi Pitts über die explosive Stimmung in seinem Land. Die FAZ hat einen Ausbeuter freier Journalisten gefunden: Demand Media. In der SZ erzählt Ingo Schulze, wie er in Dresden den Aufmarsch der Neonazis verhinderte.

Im guten alten Totholzformat

15.02.2010. Der Fall Hegemann treibt die Medien doch noch um: Die FAZ am Sonntag brachte eine flammende Verteidigung der Jungautorin gegen den Hass, der ihr entgegenschlage. Auch die New York Times berichtet jetzt. Und in BoingBoing erklärt ein Leser den Unterschied zwischen Remix und Plagiat. In der taz spricht die  Regisseurin Feo Aladag über ihren Film "Die Fremde", der das Thema Ehrenmord aufgreift. Die FAZ erläutert die Kritik der Chinesen am Universalismus.

Kaum verhüllte Kritik am Sonnenkönig

13.02.2010. In der FR nimmt Axel Lottel zu der Affäre um Axolotl mutig, wenn auch anonym Stellung. Das Leben selbst liefert die Literatur ohnehin nicht, meint die taz in einem weiteren Nachtrag zur Debatte. Wer seine Vergangenheit unter den Teppich kehrt, bei dem gärt's halt unter dem Teppich, ruft die tschechische Autorin Radka Denemarkova in der Welt an die Adresse ihrer Landsleute. In der SZ besingt Stefan Weidner die reinigende Kraft der Islamdebatte in unseren Medien. Die NZZ sucht nach Vorläufern zur Wikipedia im 18. Jahrhundert.

Das war mein Leben

12.02.2010. Die Welt verteidigt Jungfer Hegemann gegen alte Feuilletonbürokraten. Die taz wünscht sich, die Literaturkritik hätte Hegemanns Roman etwas weniger großkotzig gefeiert. In der FAZ erklärt Airen: Hegemanns Buch wäre auch ohne meine Stellen cool. Außerdem streitet sich Oscar Roehler mit Angela Schanelec und Benjamin Heisenberg. In der SZ möchte Hamid Dabashi, dass sich der Islam mit einem pluralistischen Gesellschaftsmodell abfindet. Die FR denkt über die Entstehung programmatischer Einheit nach. Die Berliner Zeitung fürchtet die Einführung einer Internet-Guillotine in Frankreich.

Einfach eine Tür auftreten

11.02.2010. Im Freitag erzählen die Gregors, wo sie im Kino immer sitzen und wo man heute Filme von Hans Richter findet. Im Tagesspiegel erinnert sich Volker Schlöndorff an unvergessliche Berlinalemomente. In der SZ erklärt Werner Herzog wie man seine eigene Berlinale organisiert. In der FAZ sieht der Theologe Manfred Lütz keinen Zusammenhang zwischen Zölibat und Pädophilie. Die Zeit feiert Googles Street View als Glücksfall für den Verbraucherschutz.

Salut l?artiste

10.02.2010. In der NZZ erklärt der Psychiater und Schriftsteller Ion Viona, warum das heutige Rumänien auf Treibsand gebaut ist. ReadWriteWeb äußert datenschutzrechtliche Bedenken gegen Google neuen sozialen Dienst Google Buzz. Der Spott auf Bernard-Henri Levy, dessen neueste Kant-Kritik auf einem Fake beruht, ist groß. Die Hegemann-Remix-Affäre ist in die Phase der  Meta-Betrachtung eingetreten.

Notschrei eines blutjungen Originalgenies

09.02.2010. Das Wall Street Journal attackiert das "German Cultural Appeasement". Das Chinese Law Prof Blog bringt Liu Xiaobos Rede vor dem Gericht, das ihn zu elf Jahren verurteilte: eine Weigerung zu hassen. Die FR bejubelt das Comeback des Gil Scott-Heron. Die FAZ bringt: Hegemann - Hermeneutik und Kritik. Die NZZ bilanziert die Auswirkungen des Erdbebens auf die Kulturlandschaft Haitis.  Und die Welt fragt: Was machen Niall Ferguson und Ayaan Hirsi Ali denn da? Schmusen die?

Härteste Türpolitik

08.02.2010. Das Blog Gefühlskonserve hat herausgefunden, dass Helene Hegemanns Roman "Axolotl" ein bisschen arg von dem Untergrundroman "Strobo" des Bloggers Airen inspiriert ist. Große Aufregung! Vielleicht lernen die aus dem Internet jetzt auch, was Urheberrecht ist, hofft die FAZ. In der FR beschreibt der italienische Staatsanwalt Roberto Scarpinato, wie Zersetzung des Staats und Aufstieg der Mafia zusammenhängen. Inszenierung des Wochenendes: Koltes' "Quai West" in der Regie von Andrea Breth in Wien.

Verhängt die Fenster

06.02.2010. In der FAZ sieht Stephen Baker das menschliche Gehirn auf dem Rückzug. Die NZZ fragt, ob Apple das Internet in kleine herstellerabhängige Netze zerschlagen wird. Die Welt trifft die Deutschen in der Kälteregion des Daseins. Die taz erkennt mit Thea von Harbou auf die List der Geschichte. In der FR beklagt Ulrich Beck die McDonaldisierung der Universitäten. Der Tagesspiegel begibt sich auf die Spur des Clans, der Hatun Sürücü ermorden ließ. Und im Perlentaucher unterstützt Herta Müller die Forderung nach dem Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo.

Pneumatische Prozesse

05.02.2010. Die Welt staunt über Pat Metheny, der sich mit großem Tüftleraufwand ein Orchestrion zusammenbauen ließ. In der NZZ denkt Thomas Hettche über das Soldatische, aber auch über den Pergamon-Altar nach. Die FR fordert ein Wahlrecht für Migranten. Die FAZ begleitet Österreich in seinem verzweifelten Ringen um Restsouveränität. Die SZ erklärt, wie man Regeln der Scharia übernimmt, ohne den Rechtsstaat zu verraten. 

Wie Einbrecher in der Nacht

04.02.2010. Im Tagesspiegel erklärt der Pädophilie-Experte Klaus Beier, warum die katholische Kirche eine solche Anziehung auf Pädophile hat. Immer schon, wie die SZ vermerkt. Der Freitag bemüht sich um Differenzierung beim Islam: Dschihad heißt sich abmühen. Die taz wäre gegen die Burka, wenn es nicht islamfeindlich wäre, gegen die Burka zu sein. In der Zeit erklärt Werner Herzog, warum er keine andere Wahl hat als Filme zu machen. Die FAZ ermisst den realen Ernst der virtuellen Lage.

So viel wie ein junges Nashorn

03.02.2010. Wie uralt ist diese Bundesrepublik!, ruft die Welt nach Ansehen einer DVD-Edition mit Kulturfilmen von Bernhard Grzimek. Ebenfalls in der Welt empfiehlt Zafer Sencoak in der aktuellen Islamdebatte einen Blick auf die Türkei. Die FR berichtet vom Fajr Film Festival in Teheran, das von den Juroren boykottiert wird. Auf den Seiten des amerikanischen PEN Clubs schlägt Kwame Anthony Appiah den Autor und Dissidenten Liu Xiaobo für den Friedensnobelpreis vor. Die chinesische Regierung warnt vor dieser Idee.

Irgendwo in einer fernen Wolke

02.02.2010. Anders als die Kritikophoben gehen die Islamkritiker ein persönliches Risiko ein, meint die NZZ. Nichts ist wohlfeiler als Kritik am Islam, meint dagegen Stefan Weidner im Rheinischen Merkur.  Die FR fühlt sich von der Islamdebatte verstört. Spiegel Online berichtet über die geheimen Verhandlungen zum internationalen Copyright-Abkommen ACTA. In der FAZ sieht der New York Times-Redakteur John Markoff den Ipad auch als ein Statement gegen die sozialen Netze.

Vermutlich wurde er ermordet, vermutlich in Tokio

01.02.2010. Die Washington Post enthüllt, wie viele CDs man verkaufen muss, um auf Platz 1 der amerikanischen Klassikcharts zu landen. Die Beliebigkeit der Literaturkritik ist nicht nur ökonomischem Druck geschuldet, findet die Jungle World. In der NZZ erzählt Angelika Overath von der Verfertigung eines Schulhausromans in Sankt Moritz. Die Zerstörung in Haiti bestürzt mehrere Feuilletons. Die SZ legt nach im Islam-Streit. Die Berliner Zeitung bekennt in der gleichen Sache ihre Ratlosigkeit.