Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

September 2006

Heute in den Feuilletons

30.09.2006. Die Buchmesse steht vor der Tür. Und überall schreiben und sprechen indische Autoren. In der Berliner Zeitung erklärt Vikram Chandra, wie sich Verbrechen, Politik und Religion zu einer unheiligen Allianz zusammentaten, die auch Stoff für zweibändige Romane abgibt. Die NZZ bringt eine ganze Beilage mit Betrachtungen zu Malerei, Musik, Bollywood und Literatur. In der SZ weiß der irgendwie ja auch indische Autor V.S. Naipaul, warum Bangladesch so glücklich ist.. In der FR liefert Mahesh Dattani Impressionen aus Deutschland. Außerdem: Die taz interviewt Necla Kelek. In der Welt bespricht Dan Diner die große Geschichte des Holocaust von Saul Friedländer.

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29.09.2006. Die FAZ weist mit Hilfe zweier Grass-Briefe an Karl Schiller von 1969 und 70 nach, dass der Autor zumindest bei anderen freimütige Geständnisse über die Vergangenheit befürwortete. Die FAZ weist außerdem nach, dass die mittelalterlichen Handschriften des Landes Baden-Württemberg diesem auch gehören. In der SZ preist der Historiker Ulrich Herbert das Gesamtwerk Saul Friedländers über den Holocaust als epochal. Die "Idomeneo"-Affäre beschäftigt die Feuilletons weiter: Die Berliner Zeitung nimmt sich den Berliner Kultursenator Flierl und Innensenator Körting zur Brust, der Tagesspiegel verfährt ebenso mit den Intendantenkollegen von Kirsten Harms.

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28.09.2006. Die NZZ beklagt anlässlich der Absetzung des "Idomeneo" den lokalpolitischen Dilettantismus im Berliner Milieu. Der Tagesspiegel fragt, warum Thomas Flierl die Opernintendantin zwei Wochen im Regen stehen ließ. Die FR sieht die Grundfesten des bürgerlich-westlichen Selbstverständnisses in Gefahr. Die taz zeigt sich überrascht von der plötzlichen Liebe der CDU zur Freiheit der Kunst. Im Spiegel ärgert sich Feridun Zaimoglu über Aufklärungsspießer. In der Zeit beklagt Navid Kermani die intellektuelle Auszehrung des Islam.

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27.09.2006. Idomeneo je oh je! Die Blätter sind voll und noch mutiger als damals, als sie die Mohammed-Karikaturen lieber nicht publizierten. In der SZ sagt Hans Neuenfels: "Wenn die Schere im Kopf schon bei diffusester Faktenlage von selbst zuschnappt, kann das ungeheure Auswirkungen haben für die Kunst". Die FAZ fordert, dass die Deutsche Oper Hans Neuenfels' abgesetzte "Idomeneo"-Inszenierung nun täglich bringt - mit anschließenden Diskussionen. Die Berliner Zeitung spottet über "die deutsche Kultur", die "für ihren staatlich bezahlten Mut weltbekannt" ist. Im Tagesspiegel unterrichtet der Berliner Innensenator Ehrhart Körting über das Wesen des Glaubens. Im Spiegel klagt Henryk Broder über Verletzung seiner nicht-religiösen Gefühle als säkularer Jude: Wo war bei Neuenfels der abgeschlagene Kopf des Moses? Auch die New York Times wurde schon auf die Peinlichkeit aufmerksam. In der Zeit online ärgert sich Klaus Harpprecht über die seiner Ansicht nach recht billige Kritik an Kirsten Harms. Die FR aber findet: Zumindest Harms, die Intendantin der Deutschen Oper, war nicht kopflos.

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26.09.2006. Die Berliner Zeitung berichtet über die Absetzung von Hans Neuenfels' "Idomeneo"-Inszenierung in Berlin wegen Köpfung des Propheten Mohammed. Das deutsche Theater hat sich hiermit keinen Gefallen getan, meint die Welt. Die NZZ überlebte den Steirischen Herbst. Die SZ stellt Lars von Triers neueste Erfindung vor, die "Automavision". Die taz fordert mehr Investigation im Kulturjournalismus.

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25.09.2006. Michael Thalheimers Inszenierung der "Orestie" am Deutschen Theater stellt einen Bühnenblutrekord auf - und stößt auf zwiespältige Reaktionen. Die FAZ wandelt über die Popkomm und stellt fest: Der Pop überlebt nur dank "Long Tail". Die NZZ berichtet über scharfe theologische Kontroversen in Ägypten. Die taz beklagt die missliche Lage der Muslime in den USA.

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23.09.2006. Die Regensburger Papstrede ist unerschöpflich! In der Berliner Zeitung erklärt der Religionswissenschaftler Rolf Schieder, dass die Kritik am Protestantismus viel radikaler war als die Kritik am Islam. In der Welt ruft Anne Applebaum die westlichen Institutionen der Rechten, der Linken, der Mitte auf, die Redefreiheit des Papstes zu verteidigen. Das Böse wurde beim Deutschen Historikertag mit dem Namen Herr K. belegt, berichtet die taz. Die FR wagt sich in eine Sinnsucherfanganlage. In der NZZ beschreibt Bahman Nirumand die "freiwillige" Selbstkritik des iranischen Philosophen Ramin Jahanbegloo. Die SZ stellt das Projekt Berlin Townhouses vor.

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22.09.2006. In der NZZ verteidigt V.S. Naipaul die Errungenschaften des Empires. Die taz will sich mit dem Pop-Islam verbünden. Der Tagesspiegel zweifelt an der Möglichkeit des Dialogs zwischen arabischen und westlichen Intellektuellen. In der SZ will der ungarische Autor Peter Zilahy die Budapester Unruhen nicht recht ernst nehmen. In der FAZ klagt Walter Kempowski über die Verkennung seines Werks durch den Literaturbetrieb und auch über Günter Grass. In der Berliner Zeitung verneigt sich Kurt Flasch vor der Unfehlbarkeit des Papstes, um dann der Fehlbarkeit des Professor Ratzinger nachzuspüren.

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21.09.2006. Die Zeit lässt Elke Heidenreich und Christian Thielemann wissen: Es gibt kein Zurück in eine heile Opernwelt. In der FAZ fordert die Historikerin Fania Oz-Salzberger Europa zur Diskussion mit Israel auf. Und Michael Jürgs schreibt über die kommende Heimsuchung unserer Gesellschaft durch die Alzheimer-Krankheit. In der SZ bezweifelt der Islamwissenschaftler Thomas Hildebrandt die theologische Kundigkeit des Papstes. In der NZZ erklärt der polnische Jazztrompeter Tomasz Stanko, warum er nicht so einfach fröhlich sein will. SZ und taz und György Konrad im Tagesspiegel verteidigen den ehrlichen Lügner Ferenc Gyurcsany.

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20.09.2006. Abdelwahab Meddeb warnt in der taz vor dem diffusen Islamismus. In der FR markiert György Dalos die Unterschiede zwischen den ungarischen Unruhen 1956 und 2006. Frank Schirrmacher macht in der FAZ den Männerüberschuss in Mecklenburg-Vorpommern für den Erfolg der NPD verantwortlich. Der Schriftsteller Shashi Tharoor erklärt in der SZ, warum das Englische viel indischer ist als jeder indische Dialekt. Die NZZ staunt über Khushwant Singhs interreligiöse Problemlösung bei Orgasmusschwierigkeiten.

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19.09.2006. Die FAZ rät der Berliner Opernstiftung zur Selbsteinsparung. Die SZ hält nichts von Historikern, die die Ereignisse des Falls von Konstantinopel nicht einmal kurz hererzählen können. Der Welt erzählt der finnische Elektronikmusiker Jimi Tenor, dass seine Bearbeitungen klassischer Musik nicht immer gut ankommen. Die taz möchte die Naturwissenschaften doch noch mal einer Kritik unterziehen.

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18.09.2006. Die Auseinandersetzung um die Regensburger Papstrede treibt die Feuilletons noch einmal um. Anders als Johannes Paul II. sucht Benedikt XVI. das Streitgespräch, meint die SZ. Die FR verteidigt die unveräußerlichen Freiheitsrechte des Papstes. Die FAZ verurteilt den "erpresserischen Diskurs, bei dem über jedem falschen Wort eine Bombe hängt". Außerdem: In der taz findet Daniel Cohn-Bendit, dass die Pariser Zeitung Liberation ihren Charme längst verloren hat, und Vikram Chandra spricht über seinen Roman "Sacred Games". Und die Welt kann beim besten Willen nicht sagen, warum in Frankfurt und Berlin Schillers "Jungfrau von Orleans" aufgeführt wird.

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16.09.2006. Die Regensburger Rede des Papstes erhitzt die Gemüter. Die FAZ pocht auf Meinungsfreiheit und kritisiert imperialistischen Züge des Islams. Die FR erinnert daran, dass der Papst kein Muslim ist. Die taz glaubt, der Papst habe durchaus die Überlegenheit des christlichen Glaubens beansprucht. Die NZZ hofft inständig auf eine friedliche Diskussion. Imre Kertesz erklärt der SZ, dass der Roman an sich ein Trick ist, und nicht das Leben. Und für die Welt bestimmt der Journalist Vir Sanghvi den Zeitpunkt, an dem Indien optimistisch wurde.

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15.09.2006. Die NZZ prangert den anhaltenden Mao-Kult an sowie China-Touristen, die sich noch immer mit Massenmörder-Devotionalien eindecken. Außerdem wünscht sie sich eine Professionalisierung der Blogo-Sphäre. Die Welt berichtet, dass Michel Houellebecq seine Biografie ein wenig frisiert hat. Die FAZ erkundet die dialektische Zurechnungsfähigkeit von Nationaldichtern. Und in der SZ erklärt Herfried Münkler: das Schreiben am Computer macht geschwätzig.

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14.09.2006. Die Zeit stellt fest, dass im interaktiven Internet keine Schwarmintelligenz wirkt, sondern Herdenmentalität: Der Prozess ist reine Dynamik. In der Berliner Zeitung entlarvt Khalid Al-Maaly die Doppelzüngigkeit arabischer Intellektueller. Passend dazu berichtet die NZZ von einer peinlichen Solidaritätsadresse ebendieser an Günter Grass. Die SZ konstatiert ein neues Behagen am nautisch-militaristischen Jargon. Die FAZ schwärmt von Tom Tykwers atemberaubender "Parfüm-Verfilmung", und in der taz erinnert der Regisseur: "Das Buch riecht auch nicht."

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13.09.2006. Alle Zeitungen bringen Nachrufe auf Joachim Fest. Allen voran die FAZ, in der Frank Schirrmacher seinen Vorgänger als Innenarchitekt der offenen Gesellschaft würdigt. Die SZ bewundert Fests Respekt vor der geistigen Freiheit anderer. Und die taz hält ihn für den einflussreichsten konservativen Intellektuellen der Republik. Der vor zehn Jahren ermordete Rapper Tupac Shakur ist laut Welt eher ein Machiavelli des Rassen- und Klassenkampfs. Die NZZ registriert mit Missfallen, dass sich Manhattan nur noch Reiche leisten können.

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12.09.2006. Mit Martin Pollack reist die SZ durch Sarmatien zwischen Schwarzem Meer und Ostsee, Don und Weichsel. Die Welt sieht in Tom Tykwers "Parfum"-Verfilmung Nasenhärchen in Großaufnahme zittern und riecht doch nichts. Die NZZ zieht in Sachen Mozart Harnoncourts zwei Halbe den üblichen vier Vierteln vor. Die FAZ enthüllt den literarischen Trick des Papstes. Und FAZ wie Spiegel online melden, dass Joachim Fest tot ist.

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11.09.2006. Das Echo auf das Filmfestival von Venedig ist geteilt: Die taz hat so viele tolle Filme wie seit langem nicht gesehen. Die FAZ fragt sich, wer eigentlich keinen Löwen bekommen hat. Die SZ hat Hinweise, dass der Anfang vom Ende der Welt vielleicht schon im letzten Herbst eingeläutet wurde. In der Welt meldet Niall Ferguson aus dem Jahr 2031, dass dank der Nanotechnolgie der Krieg gegen den Terror gewonnen wurde. Die FR inspiziert die widerstandsfähigen Knautschzonen der neuen Hochhausgeneration. Und die NZZ inspiziert Googles digitale Bibliothek.

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09.09.2006. Thema Nummer eins ist der 11. September. Im zwölfseitigen Dossier der taz zum Jahrestag beklagt T.C. Boyle: "Die amerikanische Gesellschaft wird nur noch von Angst geleitet." In der NZZ glaubt Mark Lilla, der Terroranschlag habe die USA nicht aufgeweckt, sondern in einen Tiefschlaf versetzt. Und in der FR gerät Marlene Streeruwitz in die Depression der Sprachlosigkeit. Außerdem beschreibt der chinesische Nobelpreisträger Gao Xingjian in der Welt, wie Mao die Menschen zu Wölfen machte. Die SZ hat in Venedig eine sehr sinnliche und lehrreiche Architekturbiennale genossen. Die FAZ bewundert das schmutzige Genie Caravaggio.

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08.09.2006. In der SZ bedauert Tony Judt Amerika für den Kollaps seiner liberalen Intelligenz. In der FAZ bedauert Thomas L. Friedman Europa für seine Unfähigkeit, Leute schnell feuern zu können. Die NZZ erklärt, wie Hoteljournalismus im Irak funktioniert. Die taz beschreibt die Härten der Karriere-Konsolidierung im Pop-Geschäft. Und die Welt feiert einen gigantischen Werbeclip für Richard Strauss' "Rosenkavalier".

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07.09.2006. Daniel Barenboim rät Israel in der Zeit, nicht alles auf die Karte Amerika zu setzen. Ayaan Hirsi Ali rät Europa im Tagesspiegel, die muslimischen Frauen nicht links liegen zu lassen. In der SZ vermisst Najem Wali in den arabischen Medien eine Beschäftigung mit den fundamentalistischen Wahhabiten. Die FR ist mit den westlichen Erklärungsansätzen nach dem 11. September noch nicht zufrieden. Für die Welt riecht Patrick Süskinds Zurückgezogenheit nach Selbstvermarktung.

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06.09.2006. Die SZ verabschiedet sich mit Joachim Fests gutbürgerlichen Erinnerungen "Ich nicht" von zwei Generationen moralischen Kaspar Hausers in Deutschland. In der FR hält Marcel Reich-Ranicki das politische Engagement von Schriftstellern für wirkungslos bis schädlich. Der Dresdner Museumsdirektor Martin Roth plädiert in der Welt für einen Fonds zum Rückkauf restituierter Kunstwerke. Die NZZ warnt Venedig vor dem neuen Roma-Cinema-Festival. Und die FAZ kratzt am Image des boomenden Indiens.

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05.09.2006. In der taz kritisiert Klaus Modick die Häme, Machtimpulse und Verunglimpfungskritik der Feuilletons. In der SZ pocht Oliver Stone darauf, dass sein 9/11-Film "WTC" unpolitisch ist, was ihm Slavoj Zizek jedoch nicht durchgehen lassen will. Die FAZ berichtet über das Walten der chinesischen Internet-Polizei. Die Welt begutachtet die neo-putinistische Architektur in Moskau. Die Berliner Zeitung beschreibt, wie heikel historische Themen für türkische Autoren sind. Und die NZZ schwärmt von John Banvilles Roman "Die See".

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04.09.2006. Die Welt porträtiert die Berliner Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates, die nach einem weiteren Überfall resigniert ihre Kanzlei schließt. Außerdem hat sie schon Jonathan Franzens morgen erscheinenden Erinnerungen an seine ereignislose Jugend in Missouri gelesen. In der SZ preisen die Architekten Almut Ernst und Armand Grüntuch die deutsche Großstadt. Die taz erkennt in Bazon Brock einen Papa Schlumpf-Laokoon. Die FR ist begeistert von Robert Wilsons Schönberg-Inszenierung "Erwartung", die NZZ eher entgeistert von Thomas Ostermeiers "Sommernachtstraum".

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02.09.2006. Die Welt stellt erfreut fest, dass der 11. September die Wirklichkeit in die Literatur zurückgebracht hat. In der Berliner Zeitung schlägt Adriano Sofri Israel vor, auf seine Atomwaffen zu verzichten. Die NZZ inspiziert das Gegenwartstheater und fürchtet, dass Interventionen von Theatergruppen im Libanon sinnlos wären. Die SZ fühlt sich in Paul Verhoevens Film über das von Nazis besetzte Holland wie in einem B-Katastrophenrettungsmovie der Siebziger. Die taz spielt Adventures mit George Bush zitierenden Army-Sergeants. Yasmina Rezas Beziehungsstück "Im Schlitten Arthur Schopenhauers" kommt nicht gut weg. Die Reza ist halt nicht Albee und schon gar nicht Strindberg, erklärt die FAZ.

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01.09.2006. Das Welt-Feuilleton hat als einziges mitbekommen, dass der gestrige Tag ein geisteshistorisch einschneidendes Datum war: Google Book Search stellte Tausende Klassiker online. In der SZ kritisiert Pawel Huelle polnische Politiker, die aus dem Fall Grass Kapital schlagen wollen. Die FAZ bringt ein Interview über den kommenden Roman von Wolf Haas, ein Interview. Die taz nimmt Luftwurzeln und Orchideen zu Hilfe, um die Schönheit von Apichatpong Weerasethakuls venezianischem Wettbewerbsbeitrag "Sang Sattawat" zu beschreiben.