Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

November 2012

Apokalypse verkauft sich einfach besser

30.11.2012. Im Bundestag fand die Nachtung zu den Leistungsschutzrechten für Pressekonzerne statt. Stefan Niggemeier und das Medienblog dwdl.de werfen der FAZ, der SZ und Springer in ihrer Berichterstattung zum Thema Propaganda und Lüge vor. In der taz spricht David Berger über Homophobie und Fundamentalismus in der katholischen Kirche. In Atlantic erzählt Schriftstellerin Ann Patchett, wie sie in Nashville einen Buchladen eröffnete - und der läuft jetzt prächtig. Und die FAZ meint: Mit dem Untergang Venedigs wird so prächtig verdient, dass er kaum wirklich drohen kann.

Große Marken wie Lady Gaga

29.11.2012. Am Tag der Bundestagsberatungen über Leistungschutzrechte für Pressekonzerne nehmen die Journalisten nochmal ihren ganzen Mut zusammen und stellen sich einem neuen Totalitarismus entgegen. Denn Google ist ein Imperialist. Google ist quasi Stalin. Google stiehlt ihr "geistiges Eigentum". Sascha Lobo sieht die Medienkrise dagegen in Spon als Werbekrise und prophezeit, dass die Werbegelder immer mehr in soziale Medien gesteckt werden. In der SZ erfährt man, dass der Spiegel wegen des Rückgangs von Werbung über Kündigungen nachdenkt. Und in der Zeit erklärt Rainald Goetz, wie er mit den "mittleren Normalos", auch als Kritiker bekannt, zurecht kommt.

Das Brandenburg unter den Monaten

28.11.2012. In der taz erklärt die Übersetzin und Bloggerin Katy Derbyshire, warum sie mehr oder weniger die einzige Britin ist, die sich für deutsche Kultur interessiert. In Faust erklärt Jan Wagner, worauf's ankommt bei einem guten Gedicht. Bei Performance Today spricht Andras Schiff über das "Wohltemperierte Klavier" (und spielt es auch). Die Welt sagt Adieu zum Grimm. In Frankreich gründet Pierre Assouline ein Netz-Feuilleton. Die NZZ porträtiert die Optimistin unter den Balkannationen: Albanien. Und eines können die Zeitungen gar nicht fassen: Google ist beim Thema Leistungsschutzrechte nicht objektiv!

So richtig schiach

27.11.2012. Die NZZ rät ab von Knoblauch und Zwiebeln: Sie könnten Ihre Leidenschaften anregen, warnen zumindest die Mönche in Korea. Die Rolling Stones sind gar nicht so gealtert, findet die Welt, aber die Fans, die rollen mit ihrem Bauchspeck! Google mobilisiert seine Nutzer gegen Leistungsschutzrechte. Die taz verortet die Grünen zwischen Ekel vor der Unterschicht und neuer Bürgerlichkeit. Und: "Ingmar Bergman's Soap Commercials Wash Away the Existential Despair."

Die schöpferische Zerstörungskraft des Internets

26.11.2012. Die New York Times legt den Finger auf den wunden Punkt der Stadt Berlin: Man ist zwar kreativ, aber das heißt noch lange nicht, dass man etwas schafft. In der Welt will Marc Reichwein den "kollektiven Print-stirbt-Taumel" nicht mitmachen. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten müssen sich dringend neu legitimieren, findet Peter Littger auf vocer.org. In der FR fordert Andreas Huckele: Schließt die Odenwaldschule.  Die FAZ schließt sich ihm an. Und bringt einen Bocksgesang aufs Internet.

Albernheit schafft Distanz

24.11.2012. In der taz ruft der frühere FR-Chefredakteur Wolfgang Storz nach staatlicher Feuerwehr für private Zeitungen. In der Welt verzweifelt Zeruya Shalev am Nahostkonflikt. In der NZZ begründet Olga Martynova Russlands andere moderne Klassik. In der FAZ fürchtet Ivan Fischer die evolutionäre Sackgasse allzu lauter Orchester. In der SZ empfiehlt Jared Diamond papua-neuguineische Erziehungsmethoden. Außerdem erklären Ars technica und Wired, warum Softwarepatente der Industrie mehr schaden als nützen.

Eine Machtposition ganz neuer Art

23.11.2012. Alle Hoffnung passée. Heute um elf Uhr wird den Mitarbeitern der FTD nun doch das endgültige Aus verkündet, meldet das Handelsblatt. Das Gute an Zeitung ist, dass sie von Realität trennt, meint die taz. In der NZZ stellt sich heraus: Auch Taubblinde haben in erster Linie religiöse Probleme. Die FAZ macht sich Sorgen um den Leser von Ebooks. Und Sensation: Thomas Mann hätte Actimel empfohlen.

Was aber, wenn aber die FAZ unterginge?

22.11.2012. Die Financial Times Deutschland ist heute also auch erschienen. Spiegel Online meldet, dass noch nicht alle Hoffnung verloren sei. Die Zeit sucht unterdes nach Rettung für den Qualitätsjournalismus und zitiert gut zwanzig Medienchefs, die alle zugeben, das Internet verschlafen zu haben. Das aber andererseits auch schuld ist. Die Jüdische Allgemeine sammelt Stilblüten deutscher Qualitätsjournlisten zum neuesten Nahostkonflikt. Geoffrey O'Brien feiert im Blog der New York Review of Books Steven Spielbergs "Lincoln"-Film.

Die dicken Balken der Literatur

21.11.2012. Gestorben wird diese Woche nicht nur in der ARD. Erscheint heute schon die letzte Ausgabe der Financial Times Deutschland? So behauptet es jedenfalls der Guardian. Die drastischen Kürzungen bei den Wirtschaftsmedien von Gruner und Jahr sind auch Thema in anderen Medien. Laut taz hat hier vor allem das Bürgertum in seiner Analyse des allgemeinen Kulturverfalls versagt. Laut der FR hakt es dabei auch im Jahr-Clan, dessen Sprosse sich nicht mehr für Journalismus interessierten. Der Tagesspiegel resümiert Professoren-Zank um Kleist-Ausgaben. Die FAZ staunt über Pierre Schoellers Film "Der Aufsteiger" und  noch mehr über die Katalanen.

Macht Geld und haltet den Mund

20.11.2012. Die Welt plädiert für ein zumindest im Humanitären großzügiges Engagement des Westens für Syrien. Die taz nimmt Abschied von der Welt im Besonderen und der Zeitung im Allgemeinen. Im New York Magazine sieht es Tina Brown ganz ähnlich. Im Freitag vermisst Harry Rowohlt sein Kinngrübchen und dann auch wieder nicht.  In der FAZ gibt BHL Angela Merkel in einem Punkt recht. Die NZZ begibt sich mit Dieter Rams in einen Tempel der Klarheit, Materialgerechtigkeit und Funktionalität. Der SZ graust es vor dem China des Malers Yue Minjung.

Im Internet steht immer guter Stoff

19.11.2012. Die neue Zeitungskrise sorgt für Rauschen im Netz. Neueste Gerüchte besagen, dass Gruner und Jahr bei seinen Wirtschaftstiteln radikal kürzen will. So langsam rückt die Zeitung in den Status der Vinylplatte, meint Lutz Hachmeister in der taz. Der sueddeutsche.de-Chefredakteur Stefan Plöchinger richtet auf vocer.org einen Weckruf an die Kollegen vom Print. In der Welt analysiert Wolf Lepenies den Familienstreit in der französischen Linken.

Weißes Trampeltier zeitgenössischen Bauens

17.11.2012. Die taz bringt eine Sonderausgabe, ausschließlich von Frauen für Frauen und Männer. Die Welt kritisiert, dass in der ostslowakischen Stadt Košice, die im nächsten Jahr europäische Kulturhauptstadt ist, die Erinnerung an den Holocaust ausgespart bleibt. In der SZ trauert ein Teil von Led Zeppelin um einen anderen Teil von Led Zeppelin, in der FAZ trauert Frankfurt um Frankfurt. Die NZZ bewundert den Rock der Mätresse Baudelaires.

Genug Papier verschwendet

16.11.2012. Anlässlich des Petreaus-Skandals philosophiert die SZ über die Schriftmedien der Liebe; die FAZ denkt angesichts des auch auf Twitter ausgefochtenen Konflikts zwischen Israel und Hamas über die Schriftmedien des Krieges nach. Die taz würdigt Gudrun Guts Beitrag zur Poptheorie. In der NZZ erklärt Erwin Mortier die diversen belgischen Separatismustendenzen. Und die Welt amüsiert sich über Gewinner und Verlierer der Political Correctness.

Lügenmärchen von einer behaupteten Vielfalt

15.11.2012. Das Aus für die Frankfurter Rundschau bewegt die Feuilletons: die Welt nimmt Abschied von einer verflossenen Liebe, die taz beantwortet pragmatische Fragen und Thomas Knüwer findet: selber schuld. In der Zeit denken Juli Zeh, Michael Krüger und Helge Malchow über die Zukunft des Buchs und der Kulturwissenschaftler Byung-Chul Han über das Töten auf Knopfdruck nach. Die FAZ prophezeit Frankreich ein Rendezvous mit der Geschichte. Und alle gratulieren Daniel Barenboim zum Siebzigsten.

Einmal die ersten!

14.11.2012. Bestürzung - und Bitterkeit - herrscht über die Insolvenz der FR. Die taz meint: In der Not ist Häppchenjournalismus der Tod. In der FR selbst schwärmt Navid Kermani von Kleist. Die NZZ geht in Siena in die Schule der Gesten. In der SZ erklärt Werner Herzog, dass der Weg zum Filmemachen eher über den Sexclub führt als über ein Studio.

Ein echtes Straßenkind

13.11.2012. Die taz lauscht beim Open-Mike-Wettbewerb Matrosenlyrik und Primzahlgeschichten. Im Falter bleibt Daniel Kehlmann bei seiner Kritik am deutschen Regietheater. Im Arts Journal beklagt Bernhard Haitink einen pathologischen Mahler-Kult. Welt und Berliner Zeitung diskutieren über die Zukunft der Krawallschachteln in der Politik. Und die SZ beobachtet BBC-Journalisten, die BBC-Journalisten zur Krise bei der BBC befragen.

Unordnung in der Nachrichtenbewertung

12.11.2012. Die BBC-Affäre schlägt in britischen, aber auch deutschen Medien große Wellen. Die BBC hatte fälschlich einen Politiker des Kindesmissbrauchs bezichtigt. Aber auch das Publikum ist in dieser Affäre nicht unschuldig und verbreitete die Gerüchte via Twitter, hält der Guardian fest. Und zuvor hatte die BBC jahrezehntelang einen eigenen Moderator gedeckt, merkt die FAZ an. Die NZZ resümiert die Reaktion amerikanischer Intellektueller auf die Wahlen. Und was machen FAZ und SZ  auf Safari mit Thyssen?

Es sind die verrückten Wissenschaftler, die ich liebe

10.11.2012. Die Welt erlebt einen intensiven Moment mit Tori Amos und lernt auch von ihrer Literaturpreisträgerin Zeruya Shalev, wie langweilig wir sind: Immer auf dem Mittelweg. In der NZZ erinnert sich Martin Meyer freudig daran, wie Hans Blumenberg ihn vom Schlafen abhielt. Die taz fürchtet, dass Toleranz auch nur eine perfide Form der Machtausübung sein könnte. In der FAZ wünscht sich Bodo Kirchhoff eine literarische Bestsellerliste. Und die SZ verliebt sich in die Zahnlücke von Léa Seydoux. Im Tagesspiegel trinkt Rudolf Thome ein grünes Fläschchen mit Hong Sang-soo.

Zwei Fäuste schweben wie die Fühler einer Schnecke

09.11.2012. In der Welt findet der Grünen-Politiker Werner Schulz sehr wohl (und ganz anders als Richard Schröder), dass die Frauen von Pussy Riot den Luther-Preis verdient haben.  Die taz betrachtet mit Faszination die Bilder alter Körper. Worth1000 verliebt sich in Frau Gere. Die FR staunt über die Tarif-Achterbahn der Gema. In der FAZ fragt Viktor Jerofejew: Wer steckt hinter dem Roman "Maschinka und Welik"? Die SZ befasst sich mit dem Antisemitismus der Linken. Und die NZZ spricht sich vor der Volksabstimmung in Zürich für die Erweiterung des Kunsthauses aus.

Lachend gegen eine Laterne

08.11.2012. Die Blogs staunen über die amerikanische Verwertungsgesellschaft HFA, die Rechte auf den Radetzky-Marsch einforderte. In der Welt malt Hans-Ulrich Gumbrecht in düsteren Farben das postpolitische Zeitalter aus, dessen erster Präsident Barack Obama heißt. Atlantic diagnostiziert ideologische Verrücktheit bei den amerikanischen Konservativen, die zur Verkennung der Realität führte. Die FR empfiehlt das Brockdorff Klang Labor, eine politische Dancefloorband mit Retrotouch. Die SZ stellt den Goncourt-Preisträger Jérôme Ferrari vor.

Der Sphärenharmonie Konkurrenz

07.11.2012. Nach einer aufregenden Nacht steht der Sieger dieser Wahlen fest: Nate Silver, so Mashable, hat mit seinem Blog Fivethirtyeight 50 aller 50 Staaten richtig vorausgesagt. Wir verlinken außerdem auf Barack Obamas Siegestweet, das er abschickte, bevor er seine Rede hielt und das mehr als hunderttausend mal retweetet wurde, und, mit Gawker, auf die Tweets einiger schlechter Verlierer. Die NZZ hält unterdes fest: Unser eigentliches Problem ist Sauerstoff. Glenn Gould spielt zur Feier des Tages auf dem Wohltemperierten Klavier.

Erinnerung an das Fieber

06.11.2012. Die taz feiert vierzig Minuten Musik, die vor hundert Jahren die Welt veränderten. Die New York Times staunt über die französischen und deutschen Debatten zu Google-Steuern auf Presseinhalte. In Frankreich wird gefragt, wieviel Geld Google wirklich mit der Verlinkung auf Zeitungen verdient. In der FAZ will der Politikberater und Autor Robert Kagan partout nicht an einen Niedergang Amerikas glauben.Und: Elliott Carter ist tot.

Wie grasende Tiere in der Savanne

05.11.2012. Die Welt ist sich sicher: Niemand singt eine Frauenrolle so glockenklar wie ein guter Countertenor. In der NZZ bekennt Brigitte Kronauer ihre Vorliebe für Unklassisches. Die FAZ hat in Lens gesehen, wie ein Museum ein Ereignis sein kann, ohne zum Event zu werden. Die SZ staunt über den späten Erfolg der Mormonen in den USA. Und für alle Ignoranten der Kinogeschichte: Die Top 250 der imdb in zweieinhalb Minuten.

Du herrlich Glas, nun stehst du leer

03.11.2012. In der taz erklärt Ruth Klüger, warum sie sich lieber auf Rädern, statt auf Wurzeln bewegt. In der NZZ erzählt Jan Koneffke, warum in Rumänien allenfalls fantastische Literatur an die Realität heranreicht. Cargo bringt eine Hommage auf die Filme von Hong Sang-Soo. Es wäre ein Fehler, die Neonazis nicht ernst zu nehmen, meint die Welt, und ein noch größerer, ihre Macht zu übertreiben. In der Abendzeitung blickt Joseph von Westphalen in die Abgründe der Selbstverantwortung. Und Dietrich Fischer-Dieskau singt Schumann.

Der Rest ist Rampe

02.11.2012. Lawblog und Heise verabschieden das Fernmeldegeheimnis. Zeit online kommentiert die Verlängerung der Schutzfristen auf Musik: So erdrosselt sich eine Kultur selbst. Die NZZ staunt über die Geilheit europäischer Medien nach der Apokalypse in Amerika, die dann doch vertagt wurde. Der Observer erklärt, warum der einflussreiche amerikanische Kunstkritiker Dave Hickey die Nase voll hat vom Kunstbetrieb. Und die Welt hat jetzt verstanden, wie bei Herbert Grönemeyer das Wort zur Musik findet.

Unentgeltlich, versteht sich

01.11.2012. Der Freitag bringt ein Loblied auf die musikalische Internationale der Roma und Sinti. Kann man als Independent-Musiker noch von seiner Musik leben?, fragt Atlantic und gibt angesichts der Pleite von Cat Power eine klare Antwort: nein. In der NZZ wehrt sich Pieke Biermann gegen Kritik an einer ihrer Übersetzungen und Kritik an Übersetzungen überhaupt. Und paidcontent hat einen Rat für Zeitungen, die eine Paywall einrichten möchten: am besten betteln. Das Merkur-Blog sinniert mit Améry über Proust.