Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Mai 2010

Charmant illustrierte Gedächtnisstütze

31.05.2010. In der SZ fragt Stefan Weidner: Gibt es einen Faschismus der Aufklärung? Gabriele Goettle besucht für die taz einen Cashflow-Club auf der Suche nach Reichtum und Erfolg. Man gratuliert Clint Eastwood. Man begräbt Dennis Hopper. Man liest das erste Bilderbuch für demente Senioren. Und, klar, wir sind Meyer-Landrut! Die FAZ mag ihre Bewunderung für Stefan Raab nicht ganz verhehlen, kriegt die Lippen dabei aber nicht ganz ungekräuselt. Die SZ sieht in Lenas Sieg auch einen Sieg der in den Casting-Shows praktizierten Demokratie. Wir setzen außerdem einige Links zu den aktuellen Ereignissen um den "Free Gaza"-Konvoi.

Gib ihm Leben, Mann, gib ihm Jazz!

29.05.2010. Die MRR-Geburtstagsmaschinerie läuft an. Das Geheimnis von Reich-Ranickis Erfolg beim Publikum ist sein Zentrismus, meint Stephan Wackwitz in der taz. In der Berliner Zeitung erklärt der britische Wirtschaftswissenschaftler  Paul Collier, warum Reichtum an Bodenschätzen eher Fluch als Segen ist. Empfindsamen unter den Kunstliebhabern rät die FAZ von einem Besuch der Bruce-Nauman-Austellung in Berlin ab. Auf großes Interesse stößt das Berliner Urteil, das einem muslimischen Schüler ostentatives Beten an der Schule untersagt.

Was im Netz ist, wird wahrgenommen

28.05.2010. Die FAZ fragt: Gäbe es einen Ismael im Google-Zeitalter? Die FR ließ sich von der Buchmesse nach Argentinien einladen und traf dort auf eine "zarte, eine schöne Hexe". Die NZZ stellt Blogs vor, in denen ägyptische Frauen ihr Recht auf Selbstbestimmung in Partnerwahl und Ehe fordern.  In einem Video von den TED-Talks erzählt Sharmeen Obaid-Chinoy, wie Taliban Kinder zu Selbstmord-Attentätern machen. Und Dietrich Fischer-Dieskau singt Hugo Wolfs "Morgenstimmung".

Nachdenkendes Tier, flankiert von Kürbissen

27.05.2010. Die FR feiert die zugleich bodenständige und raffinierte Naturlyrik Oswald Eggers. Der Tagesspiegel besucht Andres Veiel bei den Dreharbeiten zu seinem ersten Spielfilm - über Gudrun Ensslin und Bernward Vesper. Carta verabschiedet sich vom Papier. Die New York Times meldet: Erstmals ist Apple mehr wert als Microsoft. Clay Shirky fragt in seinem Blog: Können Medien sich anpassen, oder sind sie zu komplex? Und der Ukraine-Experte Timothy Snyder konstatiert im Blog der NYRB: Unter Janukowitsch ist Stalin nicht so böse wie unter Juschtschenko.

Gerade süß genug

26.05.2010. In der SZ antwortet  Thomas Ostermeier recht bitter auf Botho Strauß' Motzereien über jüngere Theatermacher. Die SZ stellt auch ein Kunstwerk vor, das Ai Weiwei ins Netz gestellt hat (und auf das wir verlinken). In der FAZ rechnet der spanische Schriftsteller Rafael Chirbes mit der sozialdemokratischen Zapatero-Regierung ab. Carta pfeift geistiges Eigentum.

Torpedokäferartige Energie

25.05.2010. In der taz erklärt Apichatpong Weerasethakul, warum die thailändischen Ereignisse durchaus auch ihre erfreuliche Seite haben. Die Goldene Palme für Weerasethakul findet allgemein Zustimmung. Die Financial Times und die Blogs staunen über Rupert Murdochs blickdichte Paywall bei der britischen Times. Die FR staunt mehr über Christoph Schlingensief selber als über sein Spektakel "Via Intolleranza II". Nach der Schaffung künstlichen Lebens erklärt Craig Venter, was wir eigentlich sind: Informationsmaschinen.

In der Distanz zum System entsteht eine Kraft

22.05.2010. In der NZZ stellt Laszlo F. Földenyi mit Canetti eine Frage, die aus der Mode gekommen ist: "Was ist der Mensch?"  Und Joachim Gauck spricht über Freiheit. Die Ankündigung von Google, ein Itunes in die Wolke zu stellen, macht Techcrunch froh: Der Kampf der Giganten Google/Apple ist einfach unterhaltsamer als die einstigen Kämpfe Apple/Microsoft und Google/Microsoft. In der Welt diagnostiziert Sibylle Lewitscharoff eine chronische Schlaffheit unter Kritikern. Und Cannes ist fast vorbei, und es ist Zeit, Apichatpong Weerasethakul zu feiern.

Kreiselnd in der Hysteriespirale

21.05.2010. Die SZ erwägt nach dem spektakulären Raub in Paris die praktischen Vorteile geklauter Kunstwerke. Die taz fragt, was das für Damien Hirst heißt. BoingBoing stellt Google TV vor, das das Internet ins Fernsehen bringt. Die Welt staunt über die Birthler-Behörde, die dem Historiker Helmut Müller-Enbergs den Prozess macht, weil er die Stasi-Vergangenheit des Karl-Heinz Kurras enthüllte. In der FAZ entsteht nun zumindest künstliches Leben.

Selbstbezogener Koloss

20.05.2010. In der Zeit liest Jürgen Habermas deutschen Politikern in der Krise die Leviten. Außerdem fordert die Zeit eine Regulierung des Netzes durch den Staat. In der FR bestreitet Avi Primor, dass es einen neuen Antisemitismus gibt. Der Freitag liest ein Manifest, das der radikalen Linken den "lebendigen Schwung der Jugend" zurückgeben möchte. Auf Facebook wurde ein "Everybody Draws Mohammed Day" ausgerufen. Der FAZ wurde bei Andrej Ujicas aus Originalaufnahmen montierter "Autobiografia lui Nicolae Ceaucescu", die in Cannes gezeigt wurde, ziemlich unheimlich zumute.

Ausreichend Sex

19.05.2010. Amazon begibt sich immer mehr auf das Feld der Verlage, berichtet paidcontent.org. In Amerika will die Firma vor allem Übersetzungen publizieren. Anders als die ÖRA in Deutschland wird die BBC sparen müssen, berichtet Telepolis. Der Observer schickt eine Reportage aus Sodom-sur-mer (das liegt in Dubai). Facebook wird auf Kritik an Datenschutzbestimmungen reagieren, berichtet das Wall Steet Journal. Und Dirk Baecker verteidigt den Kapitalismus gegen die FR.

Wenn Geist und Materie zusammenschießen

18.05.2010. In der FR sprechen südafrikanische Regisseure über das Theater in ihrem Land sechzehn Jahre nach der Apartheid: "Nur bei Premieren haben wir ein gemischtrassiges Publikum." Die NZZ meldet Entspannungen im polnisch-jüdischen Verhältnis. Die taz rätselt über den neuen Godard. Die SZ lauscht verzückt dem Berliner Rundfunkchor im Berghain.

Prosa aus ungelüfteten Räumen

17.05.2010. Die NZZ steht im Pariser Musee d'Orsay vor den Köpfen guillotinierter Franzosen. Bei den Passionsspielen in Oberammergau möchte die FR den Schauspielern Socken anziehen, die Welt findet: Jesus ist einfach zu gut, um interessant zu sein. In Carta erklärt Wolfgang Michal, warum die FAZ Peter Kruse anschwärzt. In der FAZ sieht Botho Strauß nur noch schnellfertige Virtuosen im Theater.

Ich habe selbst in Oxford studiert

15.05.2010. In der NZZ geht Fabio Pusterla mit Philippe Jaccottet über einen verbrannten Hügel. In der Welt wechselt Theodore Dalrymple die Straßenseite: er hat einen britischen Politiker gesehen. Der britische Autor Will Self fürchtet in der taz eine Rückkehr der Schnösel mit antiquiertem Akzent. In der FR warnt Hans-Ulrich Wehler vor einer Demokratiekrise. Die SZ sagt mit dem Oberammergauer Regisseur Christian Stückl: Schalom, Jesus.

Rundum gelungene Verrohung der Sitten

14.05.2010. Für die NZZ endete die Münchner Musikbiennale im Allerlei - Zeit für ein neues Konzept. Die FR ist sehr froh über das Schauspiel Frankfurt unter Oliver Reese, das sich wieder in die Hirne und Herzen der Stadt spielt. Die Welt erlebte das Fiasko der Whitney Houston und den Triumph Lady Gagas in Berlin. In der FAZ kritisiert die Informatikerin Constanze Kurz das BGH-Urteil gegen offene WLAN-Zugänge. Was kommt als nächstes: Das Verbot des anonymen Netzzugangs?

Liebes junges türkisches Kino

12.05.2010. Die taz stellt dringende Fragen an das junge türkische Kino: "Warum rinnen an deinen Fenstern immer Regentropfen herunter?" Die FR liest den dritten Band von Warlam Schalamows Erinnerungen an den Gulag. Alle Zeitungen werfen einen Blick auf das Cannes-Programm, das eigentlich genauso aussieht wie jedes Jahr. Die Zeitungsverleger sind schon wieder traurig. Eben ging's ihnen noch prächtig, da müssen sie sich gegen die ÖRA wehren, meldet das Handelsblatt. Google bringt ein Gpad, meldet das WSJ. Und Ayaan Hirsi Ali verstößt gegen die Benimmregeln des Guardian.

Das sind nur Ideenwolken

11.05.2010. In der Welt wendet sich Städtebauer Albert Speer gegen allzuviel Eitelkeit von Einzelbauten, besonders von Zaha Hadid. In der taz wendet sich Marlene Streeruwitz gegen Stücke, die nur der Eitelkeit der Regisseure dienen. Die FR bringt gute Nachrichten: Den deutschen Zeitungen geht's prächtig. Weitersagen, bittet der Verlegerverband. Das Problem mit den Kandidaten für die Nachfolge am Zentrum für Antisemitismusforschung ist, dass sie keine Antisemitismusforscher sind, meint Clemens Heni in seinem Blog.

Nur ein Piekser, mehr nicht

10.05.2010. Der Gesetzesentwurf der Verlage für ein Leistungsschutzrecht ist in den Medien der Verlage noch nicht Thema. Irights.info fragt: Sind sich Wirtschaft und Behörden über die Kosten für ein solches Gesetz im Klaren? In Albanien darf man zu Ostern wieder ungestraft Eier färben, erzählt die NZZ. Die SZ skizziert die Debatten zum Burkaverbot in Frankreich. Für die Welt berichtet die Filmemacherin Eva Munz aus Thailand.

Der mit den Haien schwimmt

08.05.2010. Dem Blog Irights.info wurden Gesetzentwürfe der Verleger und Gewerkschaften für ein Leistungsschutzrecht zugespielt. Wer auf Presseerzeugnisse verweisen will, wird demnächst einen Antrag stellen müssen! Die FAZ enthüllt zweierlei: Warum die öffentlich-rechtlichen Anstalten in dem neuen Entwurf für die Rundfunkgebühr so leichthin auf Werbeeinnahmen verzichten und warum TV-Serien heute aufregender sind als Romane. In der Welt klagt Hans Pleschinski über den deutschen Literaturbetrieb: Kein Werk, kein Gedanke und keine Kritik.

Die RAF war keine Kinderhilfsorganisation

07.05.2010. Ulrike Meinhof hat ihre Töchter Bettina und Regine Röhl aus Mutterliebe verschleppen lassen, meint Jutta Ditfurth nach den Missbrauchsvorwürfen gegen Klaus Rainer Röhl in der taz und ruft damit den wütenden Protest Bettina Röhls in der FR auf den Plan, die Jutta Ditfurth Schönfärberei vorwirft. Spiegel Online bestreitet die ZDF-Version in punkto Westergaard-Absage. Caroline Fourest erzählt in ihrem Blog die Geschichte der Frauen von Hassi Messaoud. Die Neupräsentation der Topografie des Terrors stößt allgemein auf Zustimmung.

Kraft-ohne-Freude-Demonstration

06.05.2010. In der FAZ beklagt der britische Filmemacher Adam Curtis in einem Wort zu den britischen Wahlen den Konsumismus, in dem wir uns eingerichtet hätten. Die Zeit hat nach Gesprächen mit Kopftuchträgerinnen eines verstanden: "Kategorisch wird man dem Kopftuch in keinem Fall gerecht." Die SZ bringt eine ganze Seite über die italienische Opernkrise. In Spiegel Online zieht Henryk Broder eine polemische Bilanz von fünf Jahren Holocaust-Mahnmal: tonnenschwere Entlastung.

Absurde Logik der Angst

05.05.2010. In der FAZ denkt Hans Belting über das Islamische im Film nach. In BoingBoing erklärt Cory Doctorow, warum er Facebook hasst. Welt und Tagesspiegel greifen ein Plakat der dänischen Gruppe Surrend auf, das unter dem Titel "Endlösung" Israel von der Landkarte tilgt. Die SZ meldet, dass das ZDF den Zeichner Kurt Westergaard nun angeblich doch interviewen will. Die taz erzählt die Geschichte eines ägyptischen Zahnarztes, der trotz deutschen Doktortitels nicht in deutschen Zähnen bohren darf.

Die Loyalität, die Bereitschaft mitzumachen

04.05.2010. Die taz begrüßt den deutsch-ivorischen Kulturaustausch. In der Welt erklärt der Freejazzer und Musiklobbyist Dieter Gorny, warum er den Jazz so sehr mag, dass er eine Echo-Gala für ihn organisiert. In der FR spricht der Historiker Michael Wildt über die Neupräsentation der "Topografie des Terrors" in Berlin. Die SZ bringt letzte Aufwallungen der Popkritik gegen das Internet und eine Theorie des katholisch-evangelischen Theologen Klaus Berger zur Missbrauchsbewältigung.

Momente des Vergessens und des Trosts

03.05.2010. Aktualisiert um 14.50 h. Karikaturist Kurt Westergaard ist laut Welt online empört über Absage des ZDF.  Aktualisiert um 10.15 h: Roman Polanski wendet sich in Bernard-Henri Levys Blog an die Öffentlichkeit: "Ich kann nicht länger schweigen." In der taz schreibt Bahman Nirumand über drakonische Strafen gegen Künstler, die im Iran gegen Achmadinedschad demonstrierten. In den Blogs wird weiter über Apple spekuliert. Steve Jobs verbietet Flash auf seinen Geräten, damit  man Medieninhalte, die man bei ihm als App bezahlen soll, nicht anderswo im Netz lesen kann, vermutet paidcontent.org. Matthias Spielkamp wendet sich in einer Rede vor dem Publisher's Forum gegen die Gratismentalität in den Medien. Der FAS ist ein Wunder geschehen: Es heißt Igor Levit und kann  Klavier spielen. Kritiker, die über ihren Bedeutungsverlust klagen, werden trotzdem zitiert.