Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Januar 2009

Wiederentdeckt, reanimiert, musealisiert

31.01.2009. Der Islam war im Iran nie so verpönt wie heute, erklärt der deutsch-iranische Schriftsteller Said in der FR. Im Guardian sieht Ian McEwan das Ende des Goldenen Zeitalters der amerikanischen Literatur gekommen. In der taz fürchtet der Journalist Kadri Gürsel eine geistige Abkopplung der Türkei vom Westen. Die Welt bilanziert das vergangene Krimijahr. FAZ und NZZ begehen den 200. Geburtstag von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Ein Arbeitsloser mit dem Namen Park Dae Seung

30.01.2009. Gegen einen Artikel von Richard J. Evans attestiert Karl-Heinz Bohrer in der SZ den Hitler-Attentätern eine "Höhe des sittlichen, charakterlichen und kulturellen Formats", die heutigen Politikern abgehe. Die FR bringt eine bisher unveröffentlichte Erzählung Mark Twains, in der dieser ein Gesetz über das Funktionieren von Öffentlichkeit formuliert. Die Welt beschreibt die wachsende Macht privater Opernagenturen. Die NZZ weiß, wer Minerva ist.

Unendlich unbefriedigendes Leben

29.01.2009. Haut doch endlich ab!, ruft eine der wenigen verbleibenden Kulturinstitutionen Frankfurts der anderen zu (nämlich das Feuilleton der FR dem Hause Suhrkamp). Außerdem in der FR: Burkhard Spinnen über John Updike. Die Zeit staunt: Barack Obama hat es so weit gebracht, dass die Grünen der CDU Antiamerikanismus vorwerfen. Crooked Timber diskutiert über den Science-Fiction-Autor Charles Stross, und zwar mit Paul Krugman und anderen Koryphäen.

So viel so gut

28.01.2009. In Open Democracy und der Nowaja Gazeta sieht Juri Afanasjew das Ende Russlands. Die NZZ erzählt, wie Fred Vargas einen fatalen Fehler machte und durch ein Telefonat ihren wegen Mordes in Italien gesuchten Freund Cesare Battisti fast ausliefern half. Die SZ beklagt die Automusealisierung der deutschen Autoindustrie. Die Welt findet, dass das Englische als Wissenschaftsprache auch Vorteile hat. Alle schreiben zum Tod von John Updike.

Manipulierte Depeschen

27.01.2009. Die NZZ liest neue japanische Romane von "extremer Frustration und Traurigkeit". Nicht Wilhelm II. war der eigentliche Kriegstreiber, sondern Moltke, sagt Wilhelms Biograf John C. G. Röhl in der Welt. Die taz empfiehlt die Palästina-Thriller des Briten Matt Beynon Rees. In der SZ klagt Assaf Gavron über Selbstgerechtigkeit und wachsende Intoleranz in Israel.

Die Onkels des deutschen Literaturbetriebs

26.01.2009. In der taz fordert die Autorin Jagoda Marinic: Autoren und -innen: emanzipiert euch von den Verlegern (aber auch -innen?) Die FR schildert, wie ein Interview mit Claude Lanzmann fast nicht zustande kam. In der NZZ rechnet Ernst-Wilhelm Händler mit den ökonomischen Kontrollillusionen der Unternehmerschaft ab. Die FAZ fordert akkurate Rekonstruktionen nicht mehr existierender Gebäude.

Guten Tag, wie geht es mir?

24.01.2009. In der Berliner Zeitung erklärt Claude Lanzmann, warum er nicht "Warum" fragt. Die FR greift beherzt ins fallende Messer. Die taz hat das geeignete Lokal für Suhrkamp in Berlin gefunden: das Schloss. Die FAZ bringt einen Artikel von Bernard-Henri Levy zum Gaza-Krieg. In der Welt freut sich der Leiter des Radio Vatikan: Der Papst spricht jetzt den Segen Youbi et Tubi.

Ideologischer Totalschaden

23.01.2009. Die Welt weiß es positiv: In Berlin sind schon die Makler unterwegs, um geeignete Lokale für den Suhrkamp Verlag zu finden. Die SZ schließt daraus auf ökonomische Probleme des Hauses. In der taz geißelt der Psychoanalytiker Martin Altmeyer den Antisemitismus von links. In der FAZ tröstet die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel die Zeitungsjournalisten: Nie wird das Netz so schön schreiben wie sie. Oh, und kennen Sie schon den australischen Obama?

Die süße Realität dieser Stunde

22.01.2009. Die Zeit bringt Grass' visionäres Tagebuch aus dem Jahr 1990: gegen die Einheit (Kohl), für die Einigung (Cool). In der FR erliegen Michael Rutschky und Durs Grünbein der Anmut beziehungsweise Erhabenheit Obamas. In der Welt meint David Grossman: Gegen die Hamas hilft nur eins: reden. Die SZ ist froh: Die Krise ist eine Chance für Architekten. In Spiked schreibt Frank Furedi über den neuen Antisemitismus in Europa.

Sie wollen Sex, und sie sind wütend

21.01.2009. "So, pick yourself up, dust yourself off, start all over again": Barack Obama ist nun endlich Präsident und kann anfangen zu arbeiten. In den hiesigen Kinos läuft Bryan Singers Stauffenberg-Film "Operation Walküre" an: Die Welt hält ihn zeitgeschichtlich für ein Fiasko, die FAZ für den spannendsten Thriller der letzten Zeit. Für die taz ist Ilija Trojanow nach Darfur gereist und hat festgestellt: Es ist ja gar kein Völkermord, es ist nur Überlebenskampf.

Die Zerstreuung des Ichs im Netz

20.01.2009. Die Feuilletons fiebern Barack Obama Amtseinführung entgegen. In der FAZ brütet Charles Simic über der Frage, wie man ein Gedicht zu diesem Anlass schreibt. Die FR möchte gleich George Bush vor Gericht stellen. Im Tagesspiegel stellt der Historiker Peter Steinbach zum Stauffenberg-Film klar: "Ein Antreibender, viele Angetriebene - dies hat nichts mit der Realität des Umsturzversuches vom Sommer 1944 zu tun." Die SZ vergibt dagegen 100 Punkte an Tom Cruise und an sich selbst.

Özür diliyoruz

19.01.2009. Die SZ staunt über die Türkei, wo es möglich wird, über den Völkermord an den Armeniern zu sprechen. In der FR fragt der Schweizer Schriftsteller Martin R. Dean nochmals dringlich: Ist Barack Obama denn überhaupt schwarz genug? Die taz macht sich Sorgen über Obamas Evangelikalität. Im Guardian staunt Naomi Wolf über die Macht von Youtube. Die FAZ freut sich: "Operation Walküre" feiert 64 Jahre nach ihrer Erfindung doch noch Erfolge. Außerdem: Zwei Drittel der deutschen Alphablogger bloggen jetzt in der FAZ.

Hochmoralischer Bombenleger

17.01.2009. Die Welt betrachtet mit dem Weichtierkundler Edgar Allan Poe eine Schnecke. Im Tagesspiegel ärgert sich der linke israelische Popsänger Aviv Geffen, dass die Hamas ihn dumm aussehen lässt. In der taz will Ex-Weatherman Bill Ayers Barack Obama nicht ins Paradies folgen. In der NZZ erzählt Charles Simic von seinem unbedingten Wunsch, Amerikaner zu werden. Die FAZ lässt sich erklären, warum es ohne Holocaust keinen 20. Juli gegeben hätte. So schmalspurig war Stauffenberg auch wieder nicht, meint die Berliner Zeitung. Die SZ trocknet den Angstschweiß auf der Stirn aller Putin-Nachbarn.

Meister in Sambo

16.01.2009. Wie hell strahlt Daniel Kehlmanns "Ruhm"? Die Feuilletons sind uneins, aber alle pünktlich zur Stelle. Die Welt vernimmt amerikanische Rufe nach etwas ganz Unerhörtem: einem Kulturminister unter Obama. Im Rheinischen Merkur traut Noam Chomsky dem neuen Präsidenten aber gar nicht über den Weg. Im Freitag schildert György Dalos den kalten Bürgerkrieg zwischen Rechts und Links in Ungarn.

Vertrackte Hausaufgabe

15.01.2009. In der Berliner Zeitung fragt Norbert Bolz: Gibt es ein Fernsehen jenseits der Wonnen des Trivialen? Und antwortet mit Nein. Die FAZ genoss höheren literarischen Klatsch in den Tagebuchaufzeichnungen Susan Sontags. Die FR ist ganz verzückt über die Installation einer Inaugurationspoetin für Barack Obama.

Krimsekt und Tee

14.01.2009. In der NZZ klagt der palästinensische Lyriker Salman Masalha: "Ein grundlegendes Problem arabisch-islamischer Gesellschaften ist die fehlende Tradition der Gewissensprüfung." Die Welt online bringt Durs Grünbeins spöttisches Abschiedslied auf den Palast der Republik. Die FAZ liest die Erinnerungen Dominique Fernandez' an seinen Vater, den Kollaborateur Ramon. Alle Zeitungen (inklusive der Berliner) begrüßen die Übernahme des Berliner Verlags durch DuMont Schauberg.

Koninklijk

13.01.2009. Die Welt hat nachgerechnet: Den internationalen Museen gehen durch die Lehman-Pleite 39 Millionen Dollar im Jahr verloren. Und Gawker lästert: Yves Saint Laurents Kunstsammlung wurde neulich auf 780 Millionen Dollar geschätzt - und jetzt nur noch auf 380 Millionen. In der FAZ schickt Amir Hassan Cheheltan Neuigkeiten aus dem gläubigen Iran.

Komplex, emotional und verständlich

12.01.2009. In der taz entschuldigt sich der türkische Publizist Sahin Alpay bei den Armeniern, auch wenn sie seinerzeit mit westlichen Kräften im Bündnis standen. Im Guardian fordert die Altermondialistin Naomi Klein: Kauft nicht bei Israelis! In der FAZ fordert Aravind Adiga westliche Unterstützung für Indien gegen den von Pakistan zugelassenen Terrorismus. In der SZ plädiert die Philosphin Martha Nussbaum für eine multikulturelle Gesellschaft.

Schwatzschwatz, meistens ernst, selten witzig

10.01.2009. In der SZ erinnert sich Sibylle Lewitscharoff an ihre Zeit bei der Gruppe Spartacus Bolschewiki-Leninisten. Die NZZ hat in Detroit in die vielen Gesichter des Nichts gesehen. In der taz beklagt der Schriftsteller Nir Baram das Versagen der Linken in Israel. Und die FAZ erkennt in der chinesischen Markenpiraterie die Intelligenz des Volkes. In Poynter rechnet Rick Edmonds vor, warum die New York Times im Mai bestimmt nicht pleite ist.

Das Scheitern der Patrone

09.01.2009. "Horror! Horror!" ruft Abdelwahab Meddeb mit Blick auf den Gazakrieg in der FR - und er spart nicht mit Kritik an beiden Seiten. In der Jungle World fragt Cord Riechelmann nach Parallelen zwischen dem Darwinismus und der Ideologie des Laissez-faire-Kapitalismus. Amerikanische Blogs entwerfen Szenarien für die Zeit nach der Pleite der New York Times. Auch die NZZ diskutiert über die Zukunft des Journalismus. In der SZ schreibt Burkhard Spinnen über den Freitod des Milliardärs Adolf Merckle.

Immer nur Abendessen für drei Leute

08.01.2009. In der NZZ erklärt Dan Diner, warum sich der Clinch zwischen Israel und den Palästinensern auch diesmal nicht lösen lässt. In der Zeit erklärt Francis Fukuyama, warum er trotz allem an die Macht Amerikas glaubt. In der taz erzählt Christian Petzold, warum er die Schauspieler in Autoszenen wirklich fahren lässt. Die SZ porträtiert den britischen Autor Matt Beynon Rees, der versucht, die Lage im Gaza-Streifen in seinen Krimis widerzuspiegeln.

Humility is endless

07.01.2009. In der SZ erklärt Regisseur Christian Petzold den Unterschied zwischen Filmen aus Berlin und Filmen aus München. Im Tagesspiegel erklärt Daniel Barenboim über seine Arbeit mit dem West-Eastern Divan Orchestra: Wir spielen weiter. Die Welt bringt eine Reportage über den Unternehmer Adolf Merckle, der sich vor einen Zug geworfen hat. Alle sind traurig: Unser Wedgwood ist zerbrochen. Und in der SZ schreibt Durs Grünbein zum Tod von Inger Christensen.

Federleichte Kosmologie

06.01.2009. Rhythmisch organisiert, beginnen die Wörter zu sprechen: Alle Zeitungen trauern um Inger Christensen. Die FAZ liest mit Begeisterung die Garcia-Marquez-Biografie des britischen Autors Gerald Martin. Im Perlentaucher schreibt Kenan Malik: 20 Jahre danach hat die Linke die Fatwa längst verinnerlicht.

Nur noch vierzig Kilometer

05.01.2009. In der FR protestieren zwei israelische Autoren, Gideon Levy und Yossi Sarid, gegen die Besetzung des Gaza-Streifens. Die FAZ schildert die Zusammenarbeit zwischen Iran, Hamas und Hisbollah. Im Tagesspiegel spricht Christian Petzold über die Sehnsuchtsorte von Brandenburg.

Morgen, Jungs. Wie ist das Wasser?

03.01.2009. In der Berliner Zeitung läuft Dimiter Gotscheff mit Heiner Müller gegen einen Baum. In Spiegel online nimmt Harald Welzer die Zukunft in Schutz vor heutigen Krisenbewältigern. Die FR begibt sich in den Morast der Schlacht im Teutoburger Wald. Barack Obama ist alles, nur keine unbefleckte politische Jungfrau, meint Leon de Winter in der Welt. In der NZZ erzählt Olga Martynova von den Veränderungen in St. Petersburg. Die taz steht heute auf Rumms. Die SZ würdigt Johannes Mario Simmel.

Die innere Schönheit: nichts zu wollen

02.01.2009. In der SZ beklagt Diedrich Diederichsen den Strukturwandel der Gegenöffentlichkeit durch das Internet. In der FR erklären ein palästinensischer und ein israelischer Autor, warum der jüngste Krieg im Gaza-Streifen gerecht beziehungsweise ungerecht ist. Die Welt macht sich Sorgen: 2009 scheint die annoncierte Krise nicht recht eintreten zu wollen, aber das historische Jahr 1989 sah ja auch keiner kommen.