Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

März 2011

Die Betrachtung fernen Unglücks

31.03.2011. Deutschland wollte in Peking eine Aufklärungsschau präsentieren, aber es wurde eine Biedermeierschau draus, finden SZ und Welt. Die Jungle World vermutet: Deutschland stimmt in der UNO mit China, weil es hauptsächlich dorthin exportiert. Die SZ verabschiedet sich außerdem von der FR, die demnächst in einem Berliner Mantel auftreten wird. In Cicero sagt Hamed Abdel-Samad: "Ich spreche grundsätzlich jeder Religion die Demokratiefähigkeit ab." Film der Woche: Debra Graniks "Winter?s Bone".

Pin-ups für lüsterne Humanisten

30.03.2011. Die FR steht vor den Bildern des niederländischen Renaissancemalers Jan Gossaert und staunt. Der Tagesspiegel erinnert an die goldenen Zeiten der Buchbranche. In der taz erzählt die Intendantin Karin Beier von der Schwierigkeit, populär zu sein. Der Ruf der Stadt Duisburg lässt sich nicht aufpolieren. Er ist zurecht ruiniert, finden die Ruhrbarone. Wir bringen Bilder und Links zu Eduardo Souto de Moura, der den Pritzker-Preis 2011 erhält.

Demeter ist für uns die Bibel!

29.03.2011. Es ist zwar keine Flucht, aber der chinesische Künstler Ai Weiwei zieht nach Berlin, meldet die Berliner Zeitung. Amerikanische Medien feiern Werner Herzogs Dokumentarfilm über die Höhlen von Chauvet. In der Welt mokiert sich Andre Glucksmann über Deutschlands Leisetreterei gegenüber Libyen. Außerdem erklärt Martin Walser, warum er als CDU-Wähler ein Grüner ist. In der FR stellt Michael Borgolte fest: Historisch gesehen ist die Behauptung, der Islam gehöre nicht zu Europa, Nonsens.

Der Weg der Moderne ist richtig

28.03.2011. In der Welt dankt Rafik Schami dem Westen (außer natürlich Deutschland) für das Engagement in Libyen, und der Japanologe Reinhard Zöllner ist fassungslos über die deutsche Reaktion auf die japanische Katastrophe. Spiegel Online fragt: Warum muss man überhaupt noch in eine Bibliothek fahren, um ein Buch zu lesen?  Die FAZ verabschiedet sich von der ungarischen Demokratie. Im Tagesspiegel wendet sich Gerhard Schulze gegen Ulrich Becks Begriff der "Risikogesellschaft".

Toccata und Tango

26.03.2011. In der Berliner Zeitung fragt Peter Glaser: Wo sind die Roboter in Fukushima? In der Welt erklärt Manfred Schneider, wie der Attentäter die politische Bühne betrat. In der NZZ empfiehlt der Wissenschaftshistoriker Anthony Grafton den Geisteswissenschaftlern, sich in die Grenzgebiete vorzuwagen. Die taz plädiert für mehr Mies van der Rohe in der heutigen Architektur. In der FAZ fordert Herta Müller die sofortige Freilassung Liu Xiaobos aus dem Gefängnis. Die SZ wird von Wolf Wondratschek mit dem Stempel "Bibliothek in die Papiertüte" geadelt.

Mildtätig beim Bad in der Menge

25.03.2011. In der New York  Times freut sich der Google-Kritiker Robert Darnton über das Scheitern des Google Books Settlement, ohne Googles Traum einer Bibliothek aller Bücher aufgeben zu wollen. Das Blog paidcontent.org ist pessimistischer und verabschiedet sich vorerst von diesem Traum. In der FR meint Ralf Bönt: Die German Angst ist keine Angstlust. Die SZ schildert die Internetstrategie des syrischen Präsidenten Assad.

Amerikas letzte Ritterin

24.03.2011. Alle sind sehr traurig: Elizabeth Taylor ist tot. Alle sind sehr zufrieden: Google darf das Weltwissen nicht ins Netz stellen. Außerdem: Der Freitag verweist auf eine Selbstrechtfertigung Hartmut von Hentigs in Akzente: Ihm sei es ergangen wie Jesus und Sokrates. Die NZZ erklärt, warum man in Hochhäusern vor Erdbeben sicherer ist als anderswo. In der Welt möchte Julia Kristeva den Arabern mit Philosophie helfen. In der Zeit erklärt Richard Sennett die Kluft zwischen Wissen und Macht.

Ein Wort wie Plündern

23.03.2011. Das Google Book Settlement ist geplatzt - Begründung: Google hätte ein Monopol bekommen. Der Buchreport sammelt erste Reaktionen. Die NZZ bringt einen Hintergrund zu arabischen Rappern, die dazu beitrugen, Diktatoren zu stürzen - leider nicht immer im Namen sympathischerer Ideen. In der FAZ geht die Debatte um den Libyen-Einsatz weiter, den Peter Schneider in der Berliner Zeitung verteidigt. Das Blog Pusztaranger beobachtet die rechtsextremen Bürgerwehren in Ungarn, die zum Antirassismustag mit Hitlergruß gegen Sinti und Roma hetzen. Die Regierung bleibt bisher stumm.

Eva Braun, blackfaced

22.03.2011. Im pakistanischen Fernsehen macht Veena Malik Panik. Die Welt wundert sich: Das Otto-Suhr-Institut der FU Berlin bezweifelt Götz Alys Kompetenz für 1968. Zum ersten Mal wird Japan bemitleidet, schreibt Paul Theroux in Newsweek. In Liberation spricht Swetlana Alexijewitsch über Tschernobyl und Fukushima. In der FAZ erklärt der Jurist Reinhard Merkel, warum es juristisch korrekter wäre, Libyens Bevölkerung mit Gaddafi allein zu lassen. In der SZ schreibt Antonio Tabucchi: Italien wird 150. Und hat eine antiitalienische Regierung.

Lernen Sie Japanisch!

21.03.2011. In der FR reagiert der Philosoph Kenichi Mishima recht ungehalten auf einige Japan-Klischees der Feuilletons. Der Tagesspiegel deutet die German Angst als narzisstische Angstlust. Die NZZ lernte in Singapur: Eine trockene Haltung zur Kunst ist in den Tropen nicht möglich. Die SZ staunt: Deutsche Zeitungen florieren dank ihrer Fantasielosigkeit. Die FAZ ist sich uneins über Bernard-Henri Levy.

Dioxin in den Eiern

19.03.2011. Die NZZ sieht zu, wie Bruno Ganz von innen heraus explodiert. Im Spiegel fragt Monika Maron, warum die Erben der Aufklärung so abgeklärt sind. In der Welt muss Michael Kleeberg lange suchen, aber dann findet er doch noch einen guten französischen Roman. Die Berliner Zeitung verteidigt die German Angst. Haben Ebooks in Deutschlald so wenig Erfolg, weil sie soviele Nachteile haben? Laut SZ und Welt solidarisieren sich in Abu Dhabi Künstler mit Arbeitern gegen das Guggenheim Museum.

Mitsamt Kammerorchester und Herrenchor

18.03.2011. Die Welt begrüßt den Leipziger Buchpreis für das junge Genie Clemens J. Setz. Bei der NZZ kann man sich in die Neue Sachlichkeit verlieben. Die Berliner Zeitung kniet nieder vor der Kameliendame und vor Sophie Rois, vor allem aber vor der einen als der anderen. FAZ und SZ setzen sich weiter mit der japanischen Katastrophe auseinander. Die New York Times führt ihr neues Bezahlmodell fürs Internet ein. Zum Glück hat es aber Gucklöcher, konstatieren die Blogs.

Das Zentrum eines jeden Machtkampfes

17.03.2011. Das historische Elend des deutschen Liberalismus heißt Friedrich Naumann, denn der war eher ein Vordenker der Nazis, schreibt Götz Aly in der FR. Die NZZ bewundert die "komplex drapierten Stoff-Elemente" Yohji Yamamotos. Der Perlentaucher dokumentiert einen Aufruf französischer Intellektueller zur Sperrung des libyschen Luftraums. Für die taz kehrt Annett Gröschner in ihre schrumpfende Heimatstadt Schönebeck/Elbe zurück. Die Welt sagt das Ende von "Wakon Yosai" an.

Wieder und wieder die gleichen Fehler

16.03.2011. Die SZ besucht Kenzaburo Oe. Er arbeitet an einem Roman, der sich an Dantes "Inferno" anlehnt. Die Zeit bringt neben einem Chor der Kassandras auch ein Interview mit Catherine Deneuve. In der NZZ sagt Ian Morris den Untergang des Westens an, sofern der Osten ncht zuerst untergeht. Die FAZ schildert die chinesische Reaktion auf die japanische Katastrophe. Und die taz hat den japanischen Atom-Techniker gefunden, der alles erklären könnte - aber keiner interessiert sich für ihn.

Die Niederlage und die Geringschätzung dieser Niederlage

15.03.2011. In der Berliner Zeitung erklärt der Autor Ralf Bönt, warum es ihm nie so wehtat, Recht gehabt zu haben. Die FAZ erklärt Monika Maron zur Advokatin der Leitkultur. Im Weser-Kurier erklärt der Historiker Julius Schoeps, was ihn so daran stört, wenn die Bremer PDS zum Boykott israelischer Waren aufruft.  In der SZ erklärt der serbische Autor Sreten Ugricic, was er von der Literatur seines Landes, das Gast in Leipzig ist, erwartet.

Menetekel plus Kleingeschriebenes

14.03.2011. In der Welt appelliert Alexander Kluge an das kassandrische Vermögen in allen von uns. In der SZ sagt Ulrich Beck, dass er es ja immer schon gesagt hat. taz und NZZ berichten aus dem Literaturland Serbien. Die FR ist höchst beeindruckt von Michael Thalheimers Frankfurter Inszenierung der "Maria Stuart". Botho Strauß' neues Stück "Das blinde Geschehn" findet dagegen eine recht gemischte Aufnahme.

Die Trennung von Körper und - ja was?

12.03.2011. Angesichts der Katastrophe in Japan kommt uns die Feuilletonrundschau ziemlich unwichtig vor. Hier ist sie dennoch: In der taz berichtet Ulrich Enzensberger von einer Vortragsreise nach Venezuela. In der Berliner Zeitung freut sich Salman Rushdie über den Aufbruch in Ägypten. In der NZZ erzählt John le Carre die Wahrheit über den Kapitalmarkt.

Stein auf Stein sanft gestreichelt

11.03.2011. In der FR erzählt Najem Wali von einem Traumhaus in Bagdad. In Slate schreibt David Simon, Autor der Serie "The Wire": Für "Snoop" gilt die Unschuldsvermutung. In der New Republic fragt Nicole Krauss: Was wird im Zeitalter des Ebooks aus Buchläden? Die NZZ hält außerirdisches Leben für möglich. Die FAZ liest Jan T. Gross' Buch "Goldene Ernte".  Und die Welt fragt: Wer ist beliebt bei Links und Rechts? Äh, ... ach ja, das war Gaddafi.

Ich habe sechsmal das Scheusal erfunden

10.03.2011. Der Freitag liest Thomas Harlans Buch "Veit" als rasende Chronik der Gefühle. Auch die Filmzeitschrift Cargo liest das Buch und plädiert dringend für Harlans "differenziertes und diffiziles Werk". In der taz versichert der Verleger Christoph Links: Sein Verlag ist kein Parteiverlag. Die SZ bringt eine Hymne auf den Geigen-Virtuosen Frank Peter Zimmermann. In der Jungle World geißelt der Philosoph Sandor Radnoti die "antiliberale Demokratie" in Ungarn. In der FAZ wettert Ilija Trojanow gegen die Verheerungen der Islamkritik. Die Zeit muss in einem Dossier feststellen: Der Islamismus ist doch nicht nur das Hirngespinst seiner Kritiker.

Abgebrüht, koboldartig abwegig

09.03.2011. Die NZZ porträtiert die iranische Frauenrechtlerin Mansoureh Shojaee, die zur Zeit in Deutschland lebt. In der Welt erzählt Hubert Burda, wie er einmal dasselbe tat wie Andy Warhol. Die FAZ liest ägyptische Gehimdienstakten. Irights.info leakt ein Papier der Deutschen Industrie- ud Handelskammer, das sich gegen Leistungsschutzrechte ausspricht. Die SZ geht ins Konzert von stock11. Und Patrick Bahners fordert in dem Blog Grenzgängerbeatz noch einmal: Vergesst das mit dem Islam, das hat sich Necla Kelek nur eingebildet.

Tränen schießen ihr in die Augen

08.03.2011. Die taz hat zum hundertsten Frauentag exakt hundert Frauen gefragt, was sie sich denn wünschen würden, wenn sie dürften. In der SZ kritisiert Widney Brown von Amnesty International, dass die Frauen in Ägypten zu wenig am Demokratisierungsprozess beteiligt werden. Die FR sieht uns auf dem Weg zum Berlusconismus-Guttenbergismus. Außerdem kritisiert sie die recht unprofessionelle Kriegsberichterstattung deutscher Medien. In der NZZ erklärt Justin Smith, wie er Atlantic Monthlyonline neu erfand - und sanierte. Die FAZ erinnert an eugenisch begründeten Kindsraub im Spanien Francos.

Das Recht auf Notizen, Zitate und Druck

07.03.2011. In der FR  bringt der Historiker Philipp Blom eine überraschende Idee ins Spiel: Wie wär's mit einer Trennung von Staat und Religion? Im Tagesspiegel vermisst Peter Schneider den Sadomaso-Aspekt in Andres Veiels Film über Gudrun Ensslin und Andreas Baader. Die Berliner Zeitung schildert das Generationenproblem in Tunesien. In der NZZ fragt Mark Lilla: Wie wahrscheinlich ist Demokratie in arabischen Ländern? Und die SZ stellt die Frage: Wie oft dürfen Bibliotheken ein Ebook "ausleihen", bevor sie eine neue Lizenz erwerben müssen?

Auster, Auster, Auster

05.03.2011. In der FAZ ruft David Gelernter nach einer Software-Kritik, die Computerprogramme nach ästhetischen Qualitäten beurteilt. Die SZ resümiert eine Mother-Jones-Recherche, die enthüllte, wie Gaddafi mit viel Geld Intellektuelle wie Joseph Nye und Benjamin Barber für seine Zwecke mobilisierte. Und KiWi-Verleger Helge Machow erklärt, warum das Ebook in Deutschland nicht so erfolgreich sein wird wie in den USA. Die Welt wendet sich gegen die nützlichen Idioten des politischen Islams.

Ein malariaverheertes Sumpfkaff

04.03.2011. In der FR hält die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer Demokratie in Ägypten für möglich, mit der Scharia und gegen die Scharia. In der SZ hält der Islamwissenschaftler Bernard Haykel Demokratie in Ägypten ebenfalls für möglich. Die Türkei sei das Vorbild. In Algerien sei die Stimmung dagegen seltsam zurückgenommen, berichtet die FAZ. Der Casus Guttenberg wird weiter bewältigt: Zeit und Spiegel halten fest, dass es nicht die Funktionäre, sondern die kleinen Doktoranden waren, die die Ehre der Wissenschaft wiederherstellten.

Im verschneiten Humboldthain das graue Bunkermassiv

03.03.2011. Der in diesem Fall ausnahmsweise ungläubigen Zeit erklärt der palästinensische Philosoph Sari Nusseibeh, warum ihm der Islam zuweilen gewaltig auf die Nerven geht. Die Welt gibt am Beispiel Herbert Marcuses Einblick in die Dialektik des Kalten Krieges. In der NZZ spricht Olivier Roy über Frankreichs traurige Rolle bei den arabischen Aufständen. Meedia teilt die aktuellen Zahlen des Springer Verlags mit - eine halbe Milliarde Euro Gewinn. Und darauf ein Leistungsschutzrecht!

Wir befinden uns in einer Explosion, ihr Ficker

02.03.2011. Einen Einbruch der Wirklichkeit in Fiktion erlebt die FR mit dem Dramatiker Wolfram Lotz. In der Welt schreibt Necla Kelek dem türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan eine Rede. In der NZZ schildert Fakhri Saleh die Vertreibung der Intellektuellen aus Libyen. Die taz hält den Doktortitel für überschätzt: Doktoranden sind gemeinhin rechthaberisch und kleinlich. Die Universität Bayreuth hat keinen Fehler gemacht, behauptet in der SZ der Bayreuther Juraprofessor Diethelm Klippel. Das summa cum laude erwähnt er nicht.

Überreife Früchte, Moder und Benzin

01.03.2011. In der Welt sondiert Bernard-Henri Levy die politischen Kräfteverhältnisse in Ägypten. Levys Blog La regle du jeu meldet, dass die iranischen Oppositionsführer Mir Mussawi und Mehdi Karubi ins Gefängnis gesteckt wurden. Für die NZZ hat Marko Martin das Museo militar in San Salvador besucht und sich gegruselt. In Spiegel Online bekennt sich Richard Dawkins als Romantiker des Darwinismus. Die SZ ist ganz einverstanden mit Judith Butlers Kritik an der kulturzionistischen Vereinnahmung Kafkas, aber nicht mit ihrer Kritik am Literaturarchiv Marbach, das ebenfalls scharf ist auf den verbleibenden Nachlass des Autors.