Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juni 2010

Die Unbändigkeit eines afrikanischen Morgens

30.06.2010. Der Tagesspiegel geht zielstrebige Umwege mit Max und Marcel Ophüls. Die SZ spricht mit der Künstlerin Shirin Neshat über ihren ersten Spielfilm "Women Without Men" und die Vorzüge von Raubkopien. Die FAZ kommentert Googles kompliziertes Spiel mit dem chinesischen Regime. Google wird in China wahrscheinlich abgestellt, meldet Gizmodo.Viele Zeitungen erinnern an die Unabhängigkeit des Kongo vor fünfzig Jahren und die traurige Rolle Belgiens in der finsteren Geschichte des Landes.

Geschützt und abgabenpflichtig

29.06.2010. Alma Guillermoprieto wundert sich im Blog der New York Review of Books über die Grazie einer halben Tonne Mortadella. Im Las Vegas Weekly erklärt der Komiker Penn Jillette die Grenzen heutigen Komischseins. Die FR schildert die Misere des italienischen Kulturlebens. Carta fragt: Was kostet 1 "Ätschivederci, Italien"? Im Spiegel annonciert Richard David Precht den Untergang des Abendlandes aus Anlass der Bundespräsidentenwahl. Die FAZ ist entsetzt: Precht ist Wulffs Voltaire.

Orientalistische Angstbilder

28.06.2010. Das Bachmann-Wettbewerb hinterließ einigermaßen ermattete Kritiker. Aber der Preis für Peter Wawerzinek scheint so weit in Ordnung zu gehen. Die Berliner Zeitung meldet Vollzug: Der Umbau des Berliner Viertels Prenzlauer Berg zum neobourgeoisen Familienparadies ist abgeschlossen. Die Clubs ziehen nach Kreuzberg. Die FAZ zeigt, dass schon im wilhelminischen Berlin der Fundamentalismus der Aufklärung wütete. In der Welt kritisiert der Herausgeber des Rolling Stone die Berichterstattung der großen amerikanischen Medien aus Afghanistan.

Wie mit den Tageszeiten das Weiß variiert

26.06.2010. Angela Merkel soll Schluss machen mit dem D-Mark-Nationalismus und die Taschen für notleidende Europäer weit öffnen, fordert Ulrich Beck in der NZZ. Der Tagesspiegel kritisiert Christian Wulffs Verbindung mit den Evangelikalen. Die SZ feiert Olivier Assayas' Dreiteiler über den Terroristen "Carlos" . In der FAZ will der CDU-Politiker Günter Krings per Leistungsschutzrecht für Innovation in den Zeitungen sorgen. Welt-Autor Marko Martin ist fassungslos über Christa Wolf  und die Liebhaber ihres neuen Romans.

Fast ganz Afrika ist rot gefärbt

25.06.2010. Slavoj Zizek ist ein Witzbold. Sein Satz "Hitler war nicht radikal genug" war nämlich gar nicht so gemeint, erklärt der Denker in der taz.  In der NZZ interpretiert Dan Diner die außenpolitischen Volten der Türkei. Die SZ zerbricht sich den Kopf über die Frage, ob Frauen mit Kopftuch freier seien als die Sexualobjekte des Westens. Ctrl-Verlust bei der FAZ, die das gleichnamige FAZ-Blog von Michael Seemann schlicht und einfach löschte. Die Blogosphäre lädt zum Beitritt in die Facebook-Gruppe Ctrl-Z ein.

Zitternde Nasenflügel

24.06.2010. Die Zeitungen hätten die Mohammed-Karikaturen abdrucken sollen, und zwar alle, meint der Philosoph Daniel Dennett im Tagesspiegel. Christian Wulff sollte aus dem Kuratorium der evangelikalen Organisation prochrist austreten, meint die Theologin Kirsten Dietrich im Deutschlandradio. Google hat einen Prozess gegen Viacom gewonnen und muss Videos nicht von Urheberrechtlern prüfen lassen, bevor sie hochgeladen werden, berichtet BoingBoing. In der FAZ befürwortet Gunnar Heinsohn einen Numerus clausus für Einwanderer. Die SZ ist gegen Kommunismus.

Philologie ist Philophilie

23.06.2010. Die amerikanische Regierung erklärt in ihrem Blog, wie sie das geistige Eigentum der USA gegen das Internet verteidigen will. Google wird ein Gtunes herausbringen, und das wird in der Wolke sein, meldet das Wall Street Journal. Die SZ beobachtet nach den Auseinandersetzungen um diverse katholische und evangelische BischöfInnen einen bedauerlichen Trend zur Säkularisierung. Die FAZ sucht nach der Nummer von Kim Jong-ils unsichtbarem Handy. Die Hannoversche Zeitung erzählt, wie der Dialog der Kulturen in Hannover für kurze Zeit unterbrochen werden musste.

Unschöne Binnen-Is in diversen Diskursen

22.06.2010. Mit Wehmut erinnert sich die NZZ an die investigativen Qualitäten des DDR-Fernsehens... in den paar Monaten vor der Selbstauflösung. In der Berliner Zeitung erklärt Bernd Neumann, dass er weiter wacker fürs Berliner Stadtschloss kämpft, auch wenn es eine große Mehrheit nicht besonders interessiert. In der FR informiert Charles Taylor: Auch in Kanada gibt es sogenannte Islamkritiker. Die FAZ beneidet die Norweger: Ein ganzer Staat macht Gewinn. In der SZ kritisiert die Ethnologin Ingrid Thurner die Fastnacktheit der Europäerinnen.

Figurendompteur und Text-Durchbuchstabierer

21.06.2010. In der FAZ träumen Geert Lovink und Franco Berardi von einem Internet ohne Kapitalismus. Im Guardian fordert der Medienprofessor John Naughton ein neues Urheberrecht fürs Internetzeitalter. Telepolis stellt Neal Stephensons Konzept für ein interaktives und kollektiv geschriebenes Buch vor. In der NZZ erinnert sich der peruanische Schriftsteller Daniel Alarcon mit Wehmut an die großen Zeiten des Fußballs im Radio. Die taz wundert sich über wirre Äußerungen von Judith Butler.  

Die Jakobiner waren nicht zimperlich

19.06.2010. Der SZ stockt der Atem angesichts Christa Wolfs revolutionärer Härte. In der NZZ erklärt Uli Sigg, wie das Internet die Reflexe der Herrschenden in China testet. Die FAZ begibt sich auf die Spuren der Armenier in der Türkei. Die taz beleuchtet verödende Darkrooms. In der Welt erzählt Marek Halter von Reinhard Heydrichs Kommando Golem. Und alle verabschieden den Literaturnobelpreisträger, Blogger und Marxisten Jose Saramago.

Alkohol, Ehebrüche und Abtreibungen

18.06.2010. Ein Traumtag für die Goncourts der Gegenwart? In der Akademie der Künste las Christa Wolf unter Anwesenheit Ulla Unseld-Berkewics' und sämtlicher Suhrkamp-Granden. Im Literarischen Colloquium las gleichzeitig Norbert Gstrein aus seinem Schlüsselroman über Ulla Unseld-Berkewics und Suhrkamp. Die Feuilletons sind mäßig erregt. PaidContent.org meldet, dass Google eine Art Itunes für Bezahlinhalte vorbereitet. In der Boston Review verreißt der Internetskeptiker Evgeny Morozov den Interneteuphoriker Clay Shirky.

Ein fantastisches Gebiss

17.06.2010. Der Freitag interviewt die Künstlergruppe reproducts, die aus dem Fernsehen der frühen Jahre die Geheimgeschichte der Bundesrepublik erstehen lässt. Die SZ wringt einen barocken Schwamm. Die Zeit rät ab vom Kommunismus und wirft ein Streiflicht auf die komischen Greise von der SZ. In der FAZ erkennt Martin Walser in Horst Köhler den Leidensgenossen im Gekränktsein. Die Bezwinger Spaniens amüsieren sich heute mit amerikanischen und russischen Frauen.

Freundlichkeit, ja Zärtlichkeit

16.06.2010. Schade, findet Matthias Spielkamp im Immateriblog: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger redet in ihrer Urheberrechtsrede von den Urhebern, aber nicht von den Total-Buyout-Verträgen, mit denen sie ausgepresst werden. In der FR kommentiert Geert Mak das niederländische Wahlergebnis als Flucht in den Provinzialismus. Außerdem ruft die FR der ARD zu: Es gibt auch Zuschauer unter 49!

Aus Massenmedien werden Medienmassen

15.06.2010. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat gestern Abend ihre lang erwartete Rede übers Urheberrecht gehalten. Das Leistungsschutzrecht wird kommen. Aber es wird nicht reich machen. Die Blogger kommentieren. Die taz berichtet über italienische Kampagnen gegen Roberto Saviano. Die NZZ erzählt die Urgeschichte des Ipad bei Stanislaw Lem. In der SZ verflüssigt Peter Glaser die Zeitung, aber nur online. Der Freitag ist sauer auf die anderen Zeitungen, die die Sperrfrist für den neuen Christa-Wolf-Roman nicht respektierten: Am Ende leidet immer der Leser.

Theater ist das Land der alten Männer

14.06.2010. Der "innere Reichsparteitag" aus der gestrigen ZDF-Berichterstattung über Deutschland-Australien, beschäftigt Twitter, die Blogs und die Medien. In der taz kritisiert der politische Journalist Wolfgang Storz den politischen Journalismus in Deutschland. Wie wahnhaft so wahr findet die FR Christa Wolfs neuen Roman. Necla Kelek schreibt in der FAZ über eine Studie, die zeigt, dass muslimischer Hintergrund Integration von Jugendlichen erschwert. Der Tagesspiegel fragt: Warum brauchen ARD und ZDF 550 Mitarbeiter in Südafrika, wenn Sky mit fünfzig  auskommt?

Ich will Kunst als Poesie. Poesie!

12.06.2010. In der NZZ erklärt Jean-Christophe Ammann, warum das erste Opfer der Globalkunst der weibliche Körper ist. Die taz beschreibt die südafrikanische Designszene. In der FR staunt Karl Schlögel über den raschen Wandel der Städte nach 1989. In der Welt erklärt Leon de Winter die Unterstützer der Gaza-Flotille zu nützlichen Idioten in einem geostrategischen Spiel gegen Israel. Und alle würdigen den vorgestern gestorbenen Künstler Sigmar Polke.

Gleichsam antiker Edelboulevard

11.06.2010. Spiegel Online gratuliert den öffentlich-rechtlichen Anstalten: Wenigstens eine Institution, die in schwierigen Zeiten eine Bestandsgarantie erhält. In der taz spricht der Warschauer Kurator Pawel Leszkowicz über Homosexualität in Polen. Israel ist ein normaler Staat, meint Tony Judt in der New York Times, und darum soll Amerika die Nabelschnur durchschneiden. Die SZ macht bereits Vorschläge für David Grossmans Friedenspreisrede: Er soll in der Paulskirche fordern, dass die palästinensischen Flüchtlinge zurückkehren dürfen. Luc Bondys Wiener Inszenierung der "Helena" des Euripides stößt auf die Begeisterung der Kritik.

Raumgreifender Schritt in juristisches Sumpfland

10.06.2010. Der Freitag porträtiert Pierre Assouline, den ersten Literaturkritiker, der durch ein Blog zu Macht gelangte: 1000 Kommentare für einen Eintrag zu Georges-Arthur Goldschmidt. Außerdem steht der Freitag in seiner Abneigung gegen Gauck fest an der Seite der PDS. Die taz plädiert für ein Berichts-Moratorium zu Apple. Lawblogger Udo Vetter staunt über die neue Rundfunkszwangsgebühr: "Kann man wirklich für etwas zur Kasse gebeten werden, was man gar nicht nutzt?" Die NZZ berichtet über neue Dokumente zur Ermordung von Sudetendeutschen. In der Zeit erklärt Florian Illies, warum er damals für das Schloss war und heute dagegen und dabei immer Recht hat. Es hat mit Marx zu tun.

So schrill also schallt es

09.06.2010. Das Blog Little Green Footballs zeigt zwei Versionen eines Reuters-Fotos von der Mavi Marmara und fragt: Erkennen Sie den Unterschied? Tayyip Erdogan ist kein Islamist, sondern ein Populist, meint die SZ. Die taz bringt ein Gespräch mit dem amerikanischen Krimi-Autor Martin Cruz Smith. Der haitianische Autor Franketienne plädiert in der FR für Voodoo. Ausgerechnet die westliche Linke demontiert den Begriff der universellen Menschenrechte, schreibt Caroline Fourest im Perlentaucher. Und die NZZ demontiert Henning Mankell.

Der, der uns fehlt

08.06.2010. Gauck soll Präsident werden!, ruft Katja Lange-Müller in der FAZ. Schumann ist für die Musikwelt verloren, ruft die SZ. Die FR verteidigt Tilman Jens. Im Blog der New York Review of Books schreibt Ahmed Rashid über das Massaker an Betenden der Ahmadiyya-Sekte in Pakistan. In der Welt will Paul Scheffer in Integrationsfragen beides: Konfrontation und Selbstkritik. Wir bringen viele Informationen zur Verhaftung eines angeblichen Wikileaks-Informanten.

Danke, dass es Sie gibt

07.06.2010. Ein deutsches Mafia-Buch sorgt in Italien für gewaltigen Ärger, berichtet die SZ. Henryk Broder hat eine Frage an Marcel Reich-Ranicki: Spiegel Online druckt Broders Rede aus Anlass des Börne-Ehrenpreises auf den Jubilar. Alle (oder fast) sind für Gauck: Bricht die Kanzlerinnendämmerung an, fragt Cora Stephan in ihrem Blog. Die taz bringt Angela Merkels Laudatio auf Gauck vom Januar dieses Jahres. Die NZZ macht sich Sorgen: Krisendiskurse sind zwischen Abwiegeln und Alarmismus in die Krise geraten.

Dreißig putzige Dingerchen

05.06.2010. Erfrischt und beglückt verlässt die Welt Peter Steins zwölfstündige Inszenierung von Dostojewskis  "Dämonen". Ulrich Beck denkt in der FR über Globalisierung in ihrer kleinsten Zelle, der Familie, nach. Die Freischreiber freuen sich: Immer wenn die Total-Buy-Out-Verträge für freie Autoren vor Gericht kommen, werden sie annulliert. Die FAZ meint: Gauck wäre der bessere. Die SZ erklärt auf zwei Themenseiten, wie im Internet das Ich zur Ware wird.

Die zentrale Leerstelle

04.06.2010. Das Blog Esowatch fragt: Wie präsidentiabel ist ein Politiker, der im  Kuratorium einer evangelikalen Bewegung sitzt, welche gegen Schwule hetzt und sich für den Kreationismus stark macht? Die NZZ hat sich in den Oderbruch aufgemacht und warnt vor dem Biber. In der SZ schreibt  Moshe Zimmermann über die Ereignisse vor Gaza. Die Welt zeichnet ein Porträt Katharina Hackers, die ein Porträt ihrer Generation zeichnet. Laut Berliner Zeitung hat Henning Mankell in Berlin eine positive Bilanz der "Free Gaza"-Aktion gezogen.

Creme-weiße Fata Morgana aus Marmorspitzen

03.06.2010. Die NZZ hat die Nase platt. Vom Schaufenstergucken bei Hermes Paris. Amos Oz kommentiert in der New York Times die Vorfälle vor Gaza. The Daily Beast wundert sich über das Tempo der UNO bei Israel und ihre Langsamkeit bei Nordkorea. Meedia fragt: gibt es in Deutschland einen politisch-medialen Komplex? Die meisten Zeitungen sind aber noch ausgeschlafener als sonst: Die halbe Republik ist Fronleichnam.

Verunsichert, verwirrt, verschreckt

02.06.2010. In der FAZ bekennt David Grossman seine Verzweiflung über den Vorfall vor Gaza. In der NZZ wendet sich Hans Ulrich Gumbrecht gegen den lieben Frieden in Europa. In der Zeit erklärt Heinz Holliger seine Liebe zu Schumanns Wahnsinn. Der Tagesspiegel kommentiert die moralische Aufwallung unserer Medien gegen Horst Köhler: "Immer eins in die Fresse, und wenn er fragt, warum, noch eins für die dumme Frage." Und alle gratulieren MRR.

Sie winseln dann nicht

01.06.2010. Laut Techcrunch hatte auch hohe Politik ihre Hände im Spiel, bevor Facebook gegenüber Pakistan einknickte. In Ägypten foltert Polizei  Facebook-Nutzer, um an das Passwort zu kommen, meldet die NZZ. Facebook ist auch für Iphone-Besitzer gefährlich, berichtet Spiegel Online. Israel hat den Krieg der Bilder verloren, meint Bernard-Henri Levy in Ha'aretz. Gawker staunt über die Coolness der Marina Abramovic. In Srebrenica werden die Vereinten Nationen jetzt mit einer "Säule der Schande" geehrt, berichtet die FAZ.