Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

September 2008

LSD in der Baumschule

30.09.2008. Zum siebzigsten Jahrestag des Münchner Abkommens findet Ian Buruma in Project Syndicate strenge Worte für den "seltsam machtlosen" Westen - vor allem nach der georgischen Erfahrung. Auch die taz und die SZ beziehen den Jahrestag des Abkommens auf Georgien. Die NZZ berichtet über die Kontroverse um den rumänischen Germanisten Andrei Corbea-Hoisie. In der New York Times sagt Tom Wolfe das Armageddon der Hedge Funds für das heutige Datum an. Die FAZ bestaunt die Würde der Pflanzen in der Schweiz.

Überhaupt keine Allüren

29.09.2008. Nicht nur die FAZ verzweifelt: Die Welt wird jetzt ohne Paul Newman auskommen müssen. In der FAZ erinnert sich auch Michael Ballhaus an den großen Schauspieler. Und die taz seufzt: "Raindrops Keep Falling On Our Head". Während Newman, so die SZ, nun an der Pforte des Paradieses steht. In der NZZ zweifelt Cora Stephan an der Freiheit der befreiten Frau.

Urwaldexpedition des Geistes

27.09.2008. Die NZZ wirft mit Napoleon einen Blick auf das Dekollete von Madame de Stael. In der Welt geißelt Uwe Tellkamp die Bevorzugung des Temperierten in der Kunst. In der FR warnt der Althistoriker Christoph Ulf vor dem Missbrauch Homers. Die taz gratuliert sich zum Dreißigsten. Die FAZ ist heute gay and gray. Die SZ feiert Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Kafkas "Prozess". Die Berliner Zeitung reist nach Omsk.

Kreischbunte Lach-Blumen

26.09.2008. In der NZZ schildert die pakistanische Journalistin Shehar Bano Khan die Probleme ihres Landes mit dem Terrorismus. Eine Lehre will der Ökonom Robert Skidelsky in der Welt aus der Krise schon mal ziehen: Seine Wissenschaft ist keine Wissenschaft. Die taz weiß, warum Sigrid Löffler ihre Zeitschrift Literaturen verlässt. In der FAZ antwortet Evelyn Hecht-Galinski auf ihre Kritiker. Die SZ würdigt die Verdienste der CSU.

>Kultur ist, wenn... <

25.09.2008. Der taz wird lau beim "Baader-Meinhof-Komplex": Ist halt German cinema. In der Welt erklärt der Drehbuchautor der "Operation Walküre", wie es kam, dass Tom Cruise den Stauffenberg spielte. Im Observer sieht Tom Wolfe doch noch Chancen für den Kapitalismus. Die Berliner Zeitung berichtet über einen unter anderem von Imre Kertesz unterzeichneten Offenen Brief, der die Deutsche Welle zur Überprüfung ihrer China-Berichterstattung auffordert.

Der Rest ist Hummersuppe

24.09.2008. In der FAZ entscheidet die Filmkritik: Der "Baader-Meinhof-Komplex" verhält sich zu einem komplexeren Film wie ein Porno zum Liebesfilm. In der SZ zeigen sich die Verleger entsetzt über die Honorarwünsche der Übersetzer. In der Berliner Zeitung rät der Autor und Sozialarbeiter Wilfried N'Sonde Jugendlichen mit Migrationshintergrund: Anders bleiben. Und immer lächeln. Und alle freuen sich auf das Berliner Literaturfestival.

Soll ich das soo spielen?

23.09.2008. In der Welt zerstören Uli Edel und Moritz Bleibtreu den Mythos, sie hätten in ihrem RAF-Film den Mythos RAF zerstören wollen. Die FR meint: Wer die Religion kritisiert, ist ein Ausländerfeind. Die NZZ tritt (wie viele andere Zeitungen) in Schlingensiefs "Kirche der Angst" ein und erschauert. Die FAZ liest Caroline Thatchers Buch über die Demenzerkrankung ihrer Mutter. Die SZ ließ sich glücklich machen von Stockhausen in Simon Rattles süffiger Interpretation.

Auf keinen Fall ein Österreicher über fünfzig

22.09.2008. In der taz erklärt Michael Hardt der orientierungslosen Multitude, wo heute die Macht ist: auf Knoten in einem Netzwerk. Auf der Achse des Guten deckt der Politologe Matthias Küntzel eine überraschende Quelle für den modernen Dschihadismus im Islam auf: Kaiser Wilhelm. Die NZZ sieht die Finanzkrise als moralische Krise. In der FAS plädiert Daniel Kehlmann für eine Abschaffung des Deutschen Buchpreises. Die SZ begibt sich auf die Suche nach dem "Hidden Intellectualism".

Klare Nacht und drei Millionen Tote

20.09.2008. Die Feuilletons leiden mit den Übersetzern. Die SZ erfährt, wie naiv es ist, für David Foster Wallaces Opus Magnum vier Jahre Arbeit zu veranschlagen. Die FAZ lernt, dass Don Quijote nicht nur der Ritter der traurigen Gestalt, sondern auch des kläglichen Gesichts sein könnte. Der "Baader-Meinhof-Komplex" entzweit die taz: Ist der Film nun furchtbar niveaulos oder erfrischend ideologiefrei? Martin Amis erwartet in der NZZ vom globalen Terrorismus endlich mehr Pragmatismus.

Fortschreitend äußerlich

19.09.2008. In der Welt attackiert Adam Krzeminski die deutschen Russlandversteher von Peter Scholl-Latour bis Martin Winter. In der taz erzählt der britische Pophistoriker Jon Savage die Geschichte der Jugend. Im Perlentaucher verteidigt Stefan Weidner den Begriff des Kulturkampfs. In der FAZ liest Botho Strauß die Gedichte Martin Heideggers: "In der Prosa ein gemessen Schreitender wird der Philosoph ein Inständiger in seinem gedichteten Denken." Alle würdigen Maurizio Kagel.

Fast mitgeheult

18.09.2008. In der Zeit kritisiert Gerhart Baum, dass Eichingers RAF-Film nicht zeigt, was mit dem Rechtsstaat geschah. Die Berliner Zeitung notiert die in dem Film ausgespielte Erotik der Gewalt: "Ach, wie sexy blitzen die nackten Schenkel, wenn bewaffnet über den Banktresen gegrätscht wird." Der Tagesspiegel meint: "Baller-Meinhof". Viele respektieren die Sperrfrist aber auch nach ihrem Ablauf.

Von der intensiven Atmosphäre gefesselt

17.09.2008. Drastisch! Die SZ hat die dpa in Bernd Eichingers RAF-Film geschickt und verrät jetzt schon alles. Die FAZ hält sich im Gegensatz zur FAS an die Sperrfrist und lässt vorerst noch fünf jüngere Regisseure über RAF-Filme älterer Kollegen schreiben. Die Welt trägt die Kartons der arbeitslosen Broker mit Fassung. Und Ernst-Wilhelm Händler meint: Nicht der Kapitalismus hat versagt, sondern der Staat.

Information, Energie und Höchstfrequenz

16.09.2008. In der FR zieht Garri Kasparow eine Parallele zwischen Südossetien und dem Sudetenland. Noam Chomsky würdigt stattdessen den russischen Widerstand gegen die USA. In der Welt liest Friedrich Kittler mit Kindle, und das ist gut so. Die NZZ bestaunt hässliche Bilder in Wien. Die FAZ findet die in Venedig präsentierte neueste Architektur verlogen.

Spiellust des Lustspiels

15.09.2008. Der "berüchtigte Großschauspieler" Brandauer als Dorfrichter Adam und die "erwartungsgemäß textfromme" Inszenierung Peter Steins versetzen die Kritik wider Erwarten in Begeisterung, na ja, zumindest teilweise. Der Selbstmord des Autors David Foster Wallace im Alter von 46 Jahren schockiert die Zeitungen. In der FAS begeht Frank Schirrmacher den "Untergang 2".

Die Kunst bin ich

13.09.2008. Während die Architektur die Utopie gerade neu entdeckt, hat das deutsche Theater sie schon aufgegeben, diagnostiziert die NZZ. Die SZ hat in Uwe Tellkamp ihren Thomas Mann des Ostens gefunden. Die FR fragt sich, warum es einen Barack Obama, aber keine deutsch-türkischen Bürgermeister gibt. Autor Ulrich Holbein plant in der taz, einmal ein Buch über seine Drogenerfahrungen herauszubringen, dass Ernst Jüngers "Annäherungen" um einige Jointlängen schlägt. Und in der FAZ reist Andrzej Stasiuk ins öde Krasnokamensk, in dessen Straflager russische Ex-Oligarch Michail Chodorkowski festgehalten wird.

Prüfgesellschaft für Sinn und Zweck

12.09.2008. Im Freitag fordert der georgische Schriftsteller Dato Barbakadse die russischen Intellektuellen auf, sich von ihren chauvinistischen Traditionen zu verabschieden. In der SZ stellt John Gray klar, dass uns im Kaukasus kein neuer Kalter Krieg bevorsteht, sondern die alten geopolitischen Konflikte des 19. Jahrhunderts. Die FAZ blickt nach Gazela, in das Roma-Ghetto von Belgrad. Dank Jeff Koons verspürt die NZZ noch einmal den genius loci von Versailles. Mehr Stifter als Dostojewski entdeckt die FR in Orhan Pamuks neuem Roman "Das Museum der Unschuld".

Zu Italo-Pop gemordet

11.09.2008. FAZ und Zeit bewundern und fürchten Damien Hirsts Coup, seine neuesten Werke bei einer Auktion selbst zu versteigern: Wird er den Kunstmarkt einbrechen lassen? Die Welt annonciert eine Glamour-Offensive der Opern. Die SZ preist Matteo Garrones schmutzigen Camorra-Film "Gomorrha". Die FR plädiert für einen weltweiten Kampf gegen die Unbildung. Der Tagesspiegel fragt, wie viele Milliarden Physiker-Träume wert sind.

Wenn Hawking recht hat

10.09.2008. Wir blicken gebannt nach Genf, wo heute der Teilchenbeschleuniger LHC in Betrieb geht. Der Tagesspiegel sieht kaum Chancen auf einen von wissengierigen Atomphysikern provozierten Weltuntergang. In der SZ beschreibt der Physiker Klaus Hentschel, wie am Cern kommuniziert wird. In der NZZ brandmarkt Arkadi Babtschenko Russlands Willen, um jeden Preis Großmacht zu sein. In der Welt erklärt Leoluca Orlando seine Solidarität mit Georgien. Die FR feiert Matteo Garrones ganz unglamourösen Mafia-Film "Gomorrha". Die FAZ will Google nicht auch noch die Vergangenheit der Zeitung überlassen.

Eine Horde Orang-Utans

09.09.2008. Das Drama der SPD beschäftigt auch die Feuilletons: Die FAZ verzweifelt über fehlende Verzweiflung. Die FR sieht das Politische in ein Trivialspektakel verwandelt. Im Tagesspiegel erzählt Christoph Schlingensief von seinem Kampf gegen größere Mächte. Und die SZ analysiert die Ökologie des Gehirns. Don Alphonso bezweifelt, dass ein bisschen Communitygedöns über die lausige Qualität von Qualitätsportalen hinweghilft.

Wille zur ästhetischen Unreinheit

08.09.2008. Am Ende hat Venedig die Kritiker doch noch zufriedengestellt, Mickey Rourke als abgehalfterter Wrestling-Star rührte sie sogar zu Tränen. Die FR verteidigt die Unwägbarkeiten des öffentlichen Raums. In der SZ erinnert Marcia Pally an die schmutzigen Kriege demokratischer US-Präsidenten.

Wahnsinn ohne Methode

06.09.2008. Juri Andruchowytsch erwartet in der NZZ, dass der "bespredelschtschik" Russland sich als nächstes die Ukraine vornimmt. Peter Glaser huldigt in der taz der zehnjährigen "Jetzt-sofort-alles-Maschine" Google. Die Welt erschrickt über venezianisches Mittelmaß. Die SZ spricht mit Dina Babbit, die für Josef Mengele Porträts malen musste, die FAZ plaudert mit dem gefürchteten Literaturagenten Andrew Wylie über das Verhältnis von Brad Pitt und Literatur.

Er stinkt und fasziniert

05.09.2008. Die Jungle World erkundet mit Theodor Lessing akademischen Antisemitismus und jüdischen Selbsthass. In der Welt erzählt Christoph Schlingensief, wie es ist, wenn es plötzlich im Leben knallt. In der FR schildert Barbara Frischmuth, wie die türkische AKP die Gunst der Intellektuellen verspielte. Die NZZ warnt vor dem Aussterben der italienischen Denkmalschützer. Die Tages-Post nimmt Gerhard Schröders Reden für Russland auseinander. Die FAZ führt mit Bernhard Bueb.

Zu hochhackig die Schuhe!

04.09.2008. Die SZ wehrt den Angriff gegen die Vernunft durch modische Dissidenten ab. Die taz warnt fröhlich vor Gefühlschaos und emotionalen Eskapaden im Rentenalter. In der FR erklärt der Schriftsteller Tom Piazza den Unterschied zwischen New Orleans und Albuquerque. Die Zeit vermisst intellektuelle Frauen in Deutschland. In der Welt stellt Cora Stephan klar, dass die Bundeswehr nicht der militärische Arm von amnesty international ist. Und die FAZ sieht ein neues schöpferisches Computerspiel-Zeitalter heraufziehen.

Ein Faltenwurf, so schön wie vergänglich

03.09.2008. Die Welt schildert, wie in Thailand königstreue Traditionalisten gegen neonationalistische Neureiche um die Macht kämpfen. Die FR liest das Menetekel von New Orleans. In der SZ spürt Ralph Hammerthaler einem Bild von Neo Rauch im Archiv von Beeskow nach. Die NZZ ärgert sich über den schlechten Wettbewerb von Venedig. Im Blog Parallel Film streiten die Regisseure Christoph Hochhäusler und Marco Kreuzpaintner darüber, wie viele Filme man für zehn Millionen Dollar drehen sollte.

Formen menschlicher Zusammenrudelung

02.09.2008. Mit Erleichterung nehmen die Feuilletons das Ende des Bayreuther Erbfolgekriegs auf, die FAZ wittert allerdings den Bierzimmerdunst der erfolgreichen Intrige. Die taz bewundert die großen Ohren und feinen Hände Günter Grass'. In der FR sieht Juri Andruchowytsch die Zukunft der Ukraine trotz zunehmender russischer Feldzüge positiv. In der SZ schreibt Navid Kermani über den Konflikt in Kaschmir.

Mit zehn schnaubenden Rössern

01.09.2008. In der FAZ schaltet sich Alfred Grosser in die Debatte um Henryk M. Broder und den Antisemitismusvorwurf. Die Welt fragt: Sterben für Poti? FR und SZ lauschten Raoul Schrotts donnernder Neuübersetzung der Ilias. Für die SZ reist Richard Swartz außerdem durch Albanien. Die NZZ untersucht die iranische Philosophie.