Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

November 2007

"Handgemachter Techno"

30.11.2007. In der FR spricht Amartya Sen über nationalen und religiösen Identitätswahn. Die NZZ meint: Der Islam kann Österreich gar nicht k.u.kratzen. Die Jungle World kritisiert konservative Feuilletonisten und die proiranische deutsche Außenpolitik. Die SZ befasst sich mit dem Genre des Videoblogs von Kollegen. Die taz schildert die Eichstätter Verzweiflung über den Mangel an Arbeitslosen. Die FAZ feiert Thetan Cruise, der von Titan Schirrmacher geehrt wurde. Wegen seiner Courage, den Stauffenberg zu spielen.

"Krähenjagen"

29.11.2007. In der NZZ erinnert der Schriftsteller Mircea Cartarescu an die ehemalige Versklavung der Roma durch die Rumänen. Die Zeit bringt zweimal Habermas, einmal zur religiösen, einmal zur europäischen Frage. In der FAZ fordert Esther Schapira die deutschen Politiker zur Klarsicht gegenüber dem Islamismus auf. In der FR meditiert Hans Christoph Buch über den Augenblick, in dem nicht nur die Darsteller, sondern auch die Besucher im dunklen Kinosaal vor Erregung zu stöhnen beginnen. In der SZ lernen wir über die Banlieue: Integration heißt erstmal Verkehrsanbindung.

"Was kennt denn Ostermeier von der Welt?"

28.11.2007. Die SZ findet: Dass der Charakter der Auftragskunst heute gern geleugnet wird, macht die moderne Kunst besonders anfällig für servile Gesten. In der FR fragt Leander Haußmann: Was kennt denn Thomas Ostermeier von der Welt? Die NZZ fragt: Warum lässt die kommunistische Partei Indiens Taslima Nasrin im Stich? In der Welt warnt Bernard Lewis: eine Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge käme der Zerstörung Israels gleich. Die Times berichtet, dass die Selbstzensur in den Hirnen selbst der größten Provokateure bestens funktioniert - wenn es um den radikalen Islam geht.

"Ich werde die Brüder vermissen"

27.11.2007. In der Welt seufzt Andrzej Stasiuk: "Ich werde die Brüder vermissen", und meint damit natürlich die Kaczynskis. Die FAZ sieht die niedergeprügelten Demonstrationen in Moskau als "die letzten Zuckungen des demokratischen Projekts". In Slate fragt Anne Applebaum: Warum hat Putin das getan? Golem berichtet, dass jetzt auch die Kulturindustrie auf "Vorratsdaten" zurückgreifen können soll. In der FR erzählt die schwedische Sopranistin Anne-Sofie von Otter über ihren Vater, einen Diplomaten, der vom abtrünnigen SS-Mann Kurt Gerstein als einer der ersten über die Vergasungen in Auschwitz informiert wurde.

"Weil ich ein Künstler bin"

26.11.2007. Im Tagesspiegel gewinnt Kerstin Decker aus den Erinnerungen Florian Havemanns ein recht unvorteilhaftes Bild der Dissidenz. In der FR dagegen betrachtet Yaak Karsunke diese Erinnerungen als "monströs aufgeschwemmte Klatschkolumne". Für die taz besucht Gabriele Goettle eine Märchenerzählerin. In seinem Blog beschreibt Rainald Goetz die Schwierigkeit des Schreibens über Journalismus.

"Dies ist sexueller Terrorismus"

24.11.2007. Die taz berichtet von einem "Völkermord mit anderen Mitteln", der sich im Osten Kongos unter unbeschreiblichen Grausamkeiten vor allem gegen Frauen richtet. In der Welt warnt Andre Glucksmann: Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der Somalisierug sein. Die NZZ beschreibt das Phänomen "Hallyu", mit dem zum ersten Mal eine länderübergreifende Popkultur in Asien entsteht. Die SZ befasst sich mit dem Genre des autobiografischen Comics. Die FAZ verteidigt Martin Mosebach als einen Modernen.

"irrationalistisch-spätbürgerliche Ichbesessenheit"

23.11.2007. In der Welt fragt Rolf Schneider: Ist das linke Regietheater in Wirklichkeit reaktionär? Die NZZ beschreibt, wie im Balkan mit Straßenschildern Politik gemacht wird. Die taz bespricht das Buch zur Perlentaucher-Debatte über "Islam in Europa" und verteidigt anders als gegen Mosebach den Jakobinismus nun nicht mehr. Der Freitag seufzt: Gib mir meine Sontag wieder. Und die Jungle World stellt klar: Solidarität mit Israel ist links.

"großartig polymorph-perverses Filmdebüt"

22.11.2007. In der Welt fordert Bernard-Henri Levy die Europäische Union auf, der europäischen Bürgerin Ayaan Hirsi Ali Personenschutz zu geben. In Spiegel Online bewundert Henryk Broder den Realismus von Gazprom-Manager Gerhard Schröder. In Dagens Nyheter feiert Aris Fioretos den Perlentaucher. Die SZ verabschiedet das Hardcover in der britischen Belletristik. Die FR findet: Das islamische Kopftuch könnte reizvoll sein, sofern der Rest der Dame nackt ist. Und laut FAZ gleicht die russische Gesellschaft unter Putin einer Herde. Die Zeit übernimmt eine Antwort von Paolo Flores D'Arcais auf Jürgen Habermas' Verteidigung der Religion.

"Zusammenbruch des serbischen Traums"

21.11.2007. In der FR wirft György Dalos einen Blick auf die Lage im Kosovo. Die NZZ blickte bei der Buchmesse in Algier in tiefe Gräben zwischen Bärtigen und Säkularen. In der Welt kritisiert die Islamwissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann den Islamrat und die geplanten Moscheebauten in Deutschland. Die FAZ fragt: Sind die chinesischen Einzelkinder materialistisch und verantwortungslos? In der SZ stellt Sonja Margolina fest: Die Hoffnung der russischen Literatur wächst im Ural.

"Vielvölker-Offenheit mit deutscher Tiefe"

20.11.2007. Die FAZ schildert eine bizarre Reise von Staatssicherheits-Kadern a.D. ins süddänische Odense. Die Welt greift eine Recherche über eine Nacht im Fouquet's auf, in der ein düsterer Nicolas Sarkozy seinen Sieg im Präsidentschaftswahlkampf und seinen Abschied von Cecilia beging. Die taz feiert den rumänischen Film. Die FR blickt mit Wassili Grossman in die Abgründe des Totalitarismus. Für die SZ ist das Nationale in der Musik ein abgehalfterter Begriff. Außerdem fordert sie eine kulturpolitische Grundsatzdebatte in Deutschland.

"das Schweigen der namhaftesten italienischen Intellektuellen"

19.11.2007. Die NZZ freut sich, dass Italien in der Debatte um den Islam aufholt. Die Welt sieht dagegen eine neue Aufklärung in China aufziehen. Die SZ befasst sich mit Frankreichs neuem und recht "schwefeligem" Einwanderungsgesetz. Die taz hört die wilde, schöne Musik des Sebastian Claren.

"Ich traue der Sprache nicht"

17.11.2007. "Wird der Spiegel wieder links?", fragt die taz wunschdenkend nach Stefan Austs unfreiwilligem Abschied. Die NZZ fürchtet, dass aus der pakistanischen bald eine islamistische Bombe werden könnte. In der Welt stellt Michael Kleeberg fest, dass die Ära Helmut Kohl die Zeit war, in der wir hedonistisch wurden. Die FR widmet sich dem Extremismusproblem des italienischen Fußballs. Die FAZ hört auf, sich um die spanische Monarchie zu sorgen. Und die SZ erklärt, warum klagende Mieter Nervensägen, aber nützlich sind.

"Sagt nicht: Mir würde Fahrplantreue schon genügen"

16.11.2007. "Vergeßt den Anschluß, Leute, denkt in größern Zügen", spendet Durs Grünbein in der FR Bahnreisenden dichterischen Trost. In der NZZ verteidigt Ugo Riccarelli die Roma Roms, denen nur ein Leben in der Nähe des Lichtes vergönnt ist. Außerdem überblickt die NZZ dank sozialer Plattformen endlich die Kontakte ihrer Kontakte. Die Welt begibt sich ins Kloster Iviron auf dem Berg Athos. Der Tagesspiegel findet zu viel malerische Delikatesse in der deutschen Kunst und zu wenig soziale Realität. Und für die FAZ stellt sich angesichts Chinas keine Systemfrage.

"Ihr sollt den dolch im lorbeerstrausse tragen"

15.11.2007. Die Zeitungen begehen heute allesamt den hundertsten Geburtstag Graf von Stauffenbergs, den, wie die SZ weiß, gerade mal die Hälfte der Deutschen überhaupt kennt. In der FAZ schreibt Stefan-George-Biograf Thomas Karlauf , in der Welt Hans Mommsen. Die FR konstatiert, dass die SPD keinen Begriff von Regierungspolitik mehr hat. Und der taz beweist Münteferings Rücktritt, dass die emotionalen Grundlagen unserer Gesellschaft stabil sind.

"Anarchoide"

14.11.2007. Die SZ blickt mit Ridley Scotts "American Gangster" in das spießbürgerliche Herz des HipHop. Die FAZ sympathisiert mit den friedliebenden Sufis, die von der iranischen Regierung drangsaliert werden. Das Bermudadreieck des Antiquitätenhandels vermutet die Welt in der Nähe von Maastricht. Die FR ernennt die Lokführer zur wichtigsten bewusstseinsbildenden Kraft in Deutschland.

"ein räudiges, schuppiges Ding"

13.11.2007. Heute soll vor dem OLG Frankfurt das Urteil in Sachen FAZ und SZ gegen Perlentaucher fallen. In der FR bricht Ulrike Ackermann eine Lanze für den Perlentaucher. Die blogbar setzt sich mit den Äußerungen des DJV-Chefs Michael Konken auseinander, der das Internet "quantitativ entrümpeln" und "qualitativ ausdünnen" will. Die taz besucht die neue Galerie am Kupfergraben. In der SZ versichert der belgische Regisseur Luk Perceval: Flamen und Wallonen leben relativ friedlich nebeneinander.

"besonderer Zugang zum göttlichen Willen"

12.11.2007. Berserker, Kraftlackel, Schwergewichtsschreibmonster: Alle Zeitungen nehmen Abschied von Norman Mailer. Die taz besucht die Stadt Sarajewo, die entlang ethnischer und religiöser Narben auseinanderzubrechen droht. In der SZ ermahnt Norbert Bolz die Architekten: Die Welt des Konsums zu verachten, reicht nicht, es kömmt darauf an, sie zu verändern. In der Welt warnt Udo di Fabio vor einer Selbstabschaffung des Westens aus Angst vorm Terrorismus.

"Von Ihnen habe ich nie gehört"

10.11.2007. Die Regierung hat laut SZ niemandem vorzuschreiben, wie an die DDR erinnert werden soll. Wolfgang Sofsky reitet in der NZZ eine Attacke auf die Gleichgültigen. Die FAZ sieht sich in ihrer aufklärerischen Tätigkeit durch das Vorratsdatenspeicherungsgesetz erheblich eingeschränkt. Daniel Kehlmann entschuldigt sich in der Welt für seine Unbekanntheit. Und die taz stellt fest, dass die Berliner Volksbühne von beinahe allen guten Geistern verlassen ist.

"Es gab ja die Gemüse-Stasi"

09.11.2007. Zum 9. November bedankt sich Durs Grünbein in der NZZ bei den Polen für Solidarnosc und die entscheidende Drehung aus der Eiszeit. Sein polnischer Kollege Wojciech Kuczok dagegen fürchtet in der FR um sein Land nach zwei Jahren kompromittierender PiS-Herrschaft. Welt und FAZ taxieren das herrschende Ausmaß der Ostalgie. In der SZ erklärt Heribert Prantl das neue Vorratsdatenspeicherungsgesetz als Angriff auf den Journalismus.

"Aber ja! Wie eine Rakete!"

08.11.2007. Die SZ vermutet hinter der Debatte um Martin Mosebach vor allem ein diffuses Bedürfnis nach Debatte. Die taz sieht dagegen Mosebach zusammen mit Kai Dieckmann und Hans-Olaf Henkel an der Restauration arbeiten. Der FAZ wird angesichts der neu entfachten Kriegsstimmung in den USA ganz mulmig. Die Welt verabschiedet drei Pariser Unis aus dem schicken Quartier Latin in die Banlieue. Und die Zeit überbringt Robert Redford ein unmoralisches Angebot von Paul Newman.

"Überlebenskampf in den Megacitys"

07.11.2007. In der Welt hätte Hans Stimmann nichts gegen den einen oder anderen Abriss von Monumenten der Nachkriegsmoderne einzuwenden. Der Tagesspiegel erlitt beim Filmfestival von Pusan den Clash der Mystik mit dem Materialismus. Die FAZ erklärt die vertrackte Dialektik der allerneuesten chinesischen Kunst. Die SZ setzt sich mit dem zwiespältigen "Dojczland"-Verhältnis der Polen auseinander. In der taz rät Ilija Trojanow den Afrikanern, sich auf ihre Tradition zu besinnen. Außerdem begeht die taz den Jahrestag der russischen Revolution.

"Sie begehrt einzig seine Textgestalt"

06.11.2007. Die Berliner Zeitung ging zu Take That und sah ein Gesamtkunstwerk geradezu pophistorischen Ausmaßes in blasslila Lacklederkostümen. In der SZ schimpft Ingo Schulze auf die Kommerzialisierung der Kultur. In Spiegel Online erklärt Henryk Broder, warum das Vanity Fair-Gespräch zwischen Horst Mahler und Michel Friedman ein Skandal ist. Im Tagesspiegel dagegen hat Harald Martenstein dagegen Mitleid mit Mahler. Die taz meint: Das Jazzfestival war nichts, aber das TMM - total!

"als hätte man sich an mir satt gesehen"

05.11.2007. In der SZ sieht der britische Publizist Tariq Ali die Amerikaner hinter Musharrafs Coup d'Etat in Pakistan. In der Welt erklärt Maria Schrader, warum sie so lange nicht mehr auf der Leinwand zu sehen war. Die NZZ befasst sich mit Bernard-Henri Levys Kritik an der französischen Linken. Und Kirsten Harms' Inszenierung von Strauss' "Elektra" an der krisengeschüttelten Deutschen Oper Berlin stößt auf freundliche Resonanz.

Saint Just. Mosebach. Himmler.

03.11.2007. Die Welt verteidigt Martin Mosebach gegen seine Verächter und zertrümmert mit eichenbüfetthafter Wucht die ganze Moderne gleich mit. In der taz beharrt Christian Semler auf seinem Anti-Mosebach-Standpunkt: Der Terror der Revolution hatte Vorbedingungen. In der FAZ verbreitet Jonathan Littell seine tiefschwarze Weltsicht: Früher hatten wir noch Ideologien, jetzt haben wir gar nix mehr. Die SZ stellt Grundsatzfragen zum Zustand von Pop und Jazz. Die NZZ feiert den rumänischen Schriftsteller Mircea Cartarescu.

"Wer liebt hier eigentlich wen?"

02.11.2007. In der Welt sieht Andre Glucksmann den eingekerkerten Oligarchen Michail Chodorkowski als den Sacharow unserer Tage. Spiegel Online zitiert kartellrechtliche Bedenken gegen mögliche Deals zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und den großen Zeitungen im Netz. In der NZZ verteidigt der argentinische Autor Martin Kohan den venezolanischen Populisten Hugo Chavez. Die taz hört noch einmal die letzte aller denkbaren Jazzplatten, Miles Davis' "On the Corner". Die FR bewundert nach den Urteilen gegen die Attentäter von Madrid den spanischen Rechtsstaat. Die FAZ fragt: Was meint die taz mit Revisionismus?

"Abgrund zwischen Wollen und Nichtmehrkönnen"

01.11.2007. Mosebach hat unrecht, findet die taz: Man darf den revolutionären Terror, der nur Reaktion war, nicht mit dem Terror der Nazis vergleichen. Die Welt ist beeindruckt von Enrique Sanchez Lanschs Dokumentarfilm "Das Reichsorchester" über die Berliner Philharmoniker in der Nazizeit. Die NZZ meint: Die "Fleischeslust" ist kein reines Vergnügen, jedenfalls nicht die Bündner Fleischeslust. Die FR meint: Der "Ursprung der Welt" aber schon. Die FAZ hat Philip Roth' neuen Roman schon auf Englisch gelesen. In Spiegel Online repliziert Frank Schirrmacher auf Kritik an seiner Grimm-Preisrede. Er ist nicht gegen das Netz, man hat ihn missverstanden, es ist unheimlich.