Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

März 2010

Der Wille zum Winterschlaf

31.03.2010. Kurz vor Ostern und kurz nach den Missbrauchsfällen geht der Trend zum Atheismus. In der Welt empfiehlt der Philosoph Daniele Dell'Agli den Vorkämpfer Karlheinz Deschner. Dieser wiederum erläutert im Humanistischen Pressedienst die katholische Maxime "si non caste caute". In der Zeit erzählt Thomas Hürlimann, wie er nach frühkindlicher Indoktrination in kirchlichen Institutionen einen Club der Atheisten gründete. Christopher Hitchens empfiehlt in Slate eine Festnahme des Papstes.

Irritierend entmaterialisiert

30.03.2010. Die Welt studiert mit Tidiane N'Diaye die Geschichte und Gegenwart der Sklaverei in der islamischen Welt. Mashable präsentiert Videos von Lady Gaga, die als erste Popmusikerin über eine Milliarde Videoaufrufe erreicht hat, samt Parodien und Satiren. Die NZZ freut sich über den Pritzker-Preis für das japanische Architektenbüro Sanaa, das gerade auch in der Schweiz gebaut hat. Die taz beugt sich über die Popkritik: Ist sie nun tot oder nicht?

Diese kantige, vogelartige, verstakste Lulu

29.03.2010. In der FAZ fordert Ulf Erdmann Ziegler die Verlage zum Handeln auf: Entmachtet Thalia, gründet Gegenkonzerne. Auch die NZZ macht sich am Beispiel Italiens Gedanken über die Buchhandelsketten. Jeff Jarvis schlägt in seinem Blog und im Guardian eine Bill of Rights für das Internet vor. In der Welt erklärt Arianna Huffington, warum Blogs besser sind. Die Welt und eine Studie des Publizistikprofessor Klaus Beck erkennen zugleich nur eine Perspektive für den Journalismus: die Bezahlschranke im Netz.

Kritik von Leuten über zwölf

27.03.2010. In der Welt glaubt Dave Eggers fest an die Verbreitung radikaler neuer Ideen durch den Roman, aber nicht ans Internet. Die Berliner Zeitung warnt vor zu häufigem Epilieren der Schamhaare. Die taz bricht eine Lanze für die Reformschulen. Die SZ macht Theater fürs Theater, ganz besonders in Wuppertal. In der FAZ erzählt der Schriftsteller Jean-Christophe Bailly von der ewigen Traurigkeit über den Feldern von Verdun.

Geist ist flüchtig

26.03.2010. Die Washington Post zitiert aus den neuesten Zensurvorschriften der chinesischen Regierung an die Medien des Landes: Organisieren Sie keine Diskussionen zum Google-Rückzug, stellen Sie keine eigenen Recherchen an! Timothy Garton Ash träumt im Guardian nach dem Google-Rückzug von Regeln für das globale Dorf. In der FR spricht Beate Klarsfeld über Naziverfolgung und Justiz. Die NZZ beschreibt, wie sich Irland von der katholischen Kirche emanzipiert. Die FAZ widmet sich den Kulturkürzungen in den Bundesländern.

Charmante Aufmachung

25.03.2010. Reformpädagoge Hartmut von Hentig wehrt sich in der Zeit sehr aggressiv  gegen Vorwürfe. Und die Zeit bringt gleichzeitig ein Dossier zum Thema, in dem auch ihre selige Heraugeberin und Freundin Hentigs Gräfin Dönhoff nicht gut aussieht. Die SZ fordert zumindest gegenüber der katholischen Kirche ein säkulares Recht ein. Die FAZ konstatiert: Die britischen Internate sind als traditionelle Brutstätten der Grausamkeit katholischen Institutionen an die Seite zu stellen. Außerdem in der Zeit: eine sehr interessante Reportage zum geostrategischen Kampf um Einfluss in Timbuktu.

Die Maschine ist fein gearbeitet

24.03.2010. Google in China ist das Thema. Die Regierung Obama sollte sich nicht nur außerhalb der USA für weniger Zensur einsetzen, sondern auch ihre Position in den Acta-Verhandlungen überdenken, meint die taz. Sergey Brin drängt die Regierung Obama im Guardian zu einer dezidierteren Haltung. Das Blog Searchengineland zweifelt an Googles Motiven. Außerdem: Die Welt fordert eine neue Inquisition. Und Christian Thielemann äußert sich in diversen Zeitungen über Wolfgang Wagner.

Klemmheimer im lila Cordanzug

23.03.2010. Wolfgang Wagner wallt zur Wiege. Christoph Schlingensief schildert in der Welt die Sternstunden der Musikausbildung, die er in Bayreuth erleben durfte. Auch die Debatte um den sexuellen Missbrauch geht weiter: Christopher Hitchens erklärt in Slate seinen Abscheu vor einer Organisation, die Kinder foltert und nichts dabei findet. Der Sozialpädagoge Martin Kutz erzählt in der SZ die schauerliche Geschichte katholischer Erziehung. Und Tilman Jens erinnert sich für den Spiegel an die Odenwaldschule. Die Blogs beschäftigen sich mit Googles Rückzug aus China.

Geheimsache des Heiligen Offiziums

22.03.2010. Die FR übernimmt Christopher Hitchens' Slate-Artikel zur Verantwortung Benedikts XVI. an der Vertuschung der Sexualdelikte in seiner Kirche. Auch die FAZ kritisiert den Papst. Der Tagesspiegel besucht den Kölner Ground Zero um das versehentlich geschleifte Stadtarchiv und stößt auf das schiere Nichts. In der SZ erklärt der Philosoph Wolfram Eilenberger sein Misstrauen gegen den allseits kompatiblen Begriff der Nachhaltigkeit. Die Meldung vom Tod Wolfgang Wagners kam zu spät für die Zeitungen.

Muss ich etwas zu sagen haben?

20.03.2010. Die Welt trifft den Dichter Bei Dao in Hongkong, dessen Bücher in China immerhin wieder erscheinen dürfen. In der FAZ erklärt Jürgen Kuri, dass nur Soziale Netzwerke Googles amoralischen Algorithmen etwas entgegensetzen können. In der SZ bekommen Mädchen und Damen wieder Zustände. In der taz hört Klaus Theweleit Jimi Hendrix.

Zurück in die Münzfernsprecher-Epoche

19.03.2010. In der FR erkennt Verena Auffermann in der Diskussion um Helene Hegemann die Angst vor der digitalen Zukunft. In der Welt bestätigt dies eine Studie und nennt auch eine Zahl: über 70 Prozent der Deutschen sind nie in der digitalen Gesellschaft angekommen. In der taz ist Liao Yiwu froh, dass seine Bücher illegal kopiert werden, sonst könnte sie niemand lesen. Die SZ porträtiert den künftigen tschetschenischen Nobelpreisträger Kanta Ibragimow, der seinen jüngsten Roman nur dank eines geschmuggelten USB-Sticks veröffentlichen konnte. In der FAZ rauft sich Constanze Kurz die Haare: Sendezeiten im Internet? Wo leben unsere Landespolitiker?

Arrondierte Männergruppen

18.03.2010. Die FR spekuliert über die Frage,ob Günter Grass von westlichen Geheimdiensten ausspioniert wurde. Im Welt-Interview mit Julia Kristeva stellt sich heraus, das es der Poststrukturalismus mit dem Tod des Subjekts gar nicht so gemeint hat. In der Presse erklärt Andre Müller, warum es für sein Metier von Vorteil ist, ohne Vater aufgewachsen zu sein. In der FAZ warnt der Internetskeptiker Evgeny Morozov vor Twitter und Co. Der Zeit ist eins klar: Wenn Männer Männer missbrauchen, sind auf jeden Fall schon mal Männer schuld.

Dinge zusammenzuleimen ist sehr einfach

17.03.2010. Die "Leipziger Erklärung" entfacht die Hegemann-Debatte neu. Die Welt erklärt, warum Christa Wolf Literatur ist, obwohl sie Sätze von Faulkner ohne Dank und Tüttel übernommen hat. Die SZ erklärt, warum Peter Esterhazy Literatur ist, obwohl er ganze Kapitel anderer Autoren abschrieb. In der SZ erklärt Sibylle Lewitscharoff, warum sie von Mashups nichts hält. In der Welt erklärt Claude Lanzmann, warum die Juden nicht gerettet werden konnten.  Auch die Debatten um die Abgründe der Reformpädagogik und  des Katholizismus gehen weiter: Hans Küng fordert in der SZ ein Mea Culpa des obersten Vertuschers.

Ein Mann wie Winnetou

16.03.2010. Der Tagesspiegel bringt eine Petition deutscher Großschriftsteller von Grass bis Wolf gegen einen möglichen Leipziger Buchpreis für Helene Hegemann. Gerhard Amendt belehrt in der Welt Josef Haslinger, dass er in seinem Text über pädophile Priester an einem kindlichen Zustand der seelischen Ohnmacht festhalte. Micha Brumlik findet für die taz  von Anfang an homoerotische Aspekte in der deutschen Reformpädagogik. In der FAZ kritisiert Necla Kelek die islamischen Verbände in Deutschland.

Dass er zu einem Eis am Stiel wird, dann splittert

15.03.2010. In der Welt warnt Ibn Warraq vor den Scharia-Gerichten in England. In der SZ schreibt Richard Swartz über Korruption in Kroatien. Die FAZ erinnert an Zeiten, als zum Frommen der Kunst Knaben kastriert wurden. Gawker gefriert bei Ian McEwans Satire auf den Klimawandel und deckt eine von Sean Penn begangene Ungerechtigkeit auf. Und im Tagesspiegel gratuliert Jürgen Neffe dem Perlentaucher zum Zehnten.

Ich war verstört

13.03.2010. In der Welt erinnert sich Joseph Haslinger an seine Jugend in einem katholischen Internat: "Die Pädophilen waren in dieser Sphäre von klösterlicher Gewalt eine Oase der Zärtlichkeit." In der FAZ begibt sich Bruce Sterling auf den betrügerisch vernetzten Basar der Geschichte. Im Guardian schreibt Timothy Garton Ash über Ryszard Kapuscinski und die Grundregeln des Reporters. In der taz erklärt Kate Pickett, dass Ungleichheit auch Reiche stresst. In der NZZ bannt Beat Furrer mit Bas Hilfe altägyptische Zerfallsphantasien. Und die FR vernimmt beglückt das Lachen eines bebauchten, bärtigen Buddhas

Zeitung lebt

12.03.2010. In der NZZ erklärt der Autor Hans Maarten van der Brink, warum die Holländer im Juni Geert Wilders zum Premier wählen könnten. Die FR möchte kein Leichtgewicht mehr sein, sondern ein Trumm werden. Die Welt wünscht Griechenland mehr anglikanische Arbeitsethik. Die taz hat Freude an Joanna Newsoms Organ. Die FAZ verteidigt die Freiheit der Kunst.

Damals war die Zukunft heute

11.03.2010. Ai Weiwei ist sich in der FR sicher: Durch das Internetzeitalter verändert sich die gesamte Machtstruktur. Die Welt liefert eine Reportage über die Verfertigung einer kritischen Koranausgabe. Im Freitag plädiert Clemens Meyer gegen allzuviele Literaturpreise. Der Guardian weiß, womit sich Marianne Faithfull schminkt. Golem berichtet über eine Resolution des Europaparlaments gegen ACTA. Die taz bringt ein Interview mit dem Kapuscinski-Biografen Artur Domoslawski. Die Zeit erinnert sich mit Wehmut an die Zeit, in der sie modern war.

Baukomplexe mit heimelig-prätenziösen Namen

10.03.2010. An der Zeitungskrise ist das Internet gar nicht schuld - sie ist nämlich schon viel älter,  meint Google in seinem Policy Blog. Auf Telepolis erklärt Hamed Abdel-Samad den Zusammenhang zwischen Rechtspopulismus und Islamkritik: Der erste kommt, wenn die zweite ausbleibt. In  taz und NZZ sprechen iranische Autoren über die Repression in ihrem Land. Wir verlinken auf die gerade online gestellte letzte Kollektion von Alexander McQueen.

Zerrissene Blätter, zerbröselte Siegel

09.03.2010. Christopher Hitchens graust es in Slate vor dem saudischen Anwalt Ahmed Zaki Yamani, der die dänische Zeitung Politiken mit Klagedrohungen dazu brachte, sich für den Abdruck der Mohammed-Karikaturen zu entschuldigen. Darf man einfach die Geschichte verdrehen? Bernard-Henri Levy kritisiert in den neuesten Filmen Tarantinos und Scorseses eine Tendenz zum Revisionismus. Laut BBC betrachten 80 Prozent aller Weltbürger Internetzugang als fundamentales Menschenrecht. Und Oscar-Preisträgerin Kathryn Bigelow erklärt in der Welt, wie Journalismus funktioniert.

Schwirren und fliegen und sausen

08.03.2010. Ja doch, Christoph Waltz hat den Oscar als bester Nebendarsteller gewonnen. Wir setzen Links zu Videos, Galerien, Listen und Roben. In der NZZ wendet sich der Maskulinologe Gerhard Amendt gegen das Opferbild Frau. Die taz bringt am Frauentag gleich eine ganze Männertaz mit einem Manifest für ein neues Selbstbewusstsein des Mannes. In der FR erklärt der Ökonom Robert Fogel, warum das alte Europa gegenüber China zurückbleibt: Es ruht sich allzu gerne aus. In Carta erklärt ein Burda-Manager, warum er Leistungsschutzrechte will: weil er seine Inhalte kostenlos ins Netz stellt.

Denken Sie an Klaviersaitendraht

06.03.2010. In der Welt geißelt Margaret Atwood die Schuld der Menschen an den Vögeln - und nennt dabei auch Zahlen. In der FR kommentiert Ulrich Beck das endgültige Ende des Bankgeheimnisses. Die taz warnt vor Acta. In der SZ kritisiert der Verfassungsrechtler Christoph Möllers die Vertuschungstaktik der katholischen Kirche: Für Verbrechen wie sexuellen Missbrauch ist der Staat zuständig. Die FAZ beschreibt den Einfluss von Bloggern auf die Modeindustrie.

Antipathie gegen Beton und Stahl

05.03.2010. Der Kultur geht's an den Kragen: Die Welt schildert die Folgen des Bevölkerungsschwunds und der Steuerpolitik für Städte wie Dessau. Die taz erwägt das Für und Wider eines Films über Rudi Dutschke, der in der Rudi-Dutschke-Straße Premiere hatte. Die NZZ kritisiert die Bürger von Bukarest, welche die Errungenschaften der klassischen Moderne nicht ausreichend würdigen. Das Buch über Günter Grass' Stasi-Akten sorgt für respektvolles Aufsehen.

Ein Fingernagel in ihrer Suppe

04.03.2010. In der FR erzählt Liao Yiwu, wie ihn das Gefängnis zum Reportageschriftsteller machte. Golem meldet: Die Telekom löscht 19 Terabyte Vorratsdaten. In der NZZ trägt der Theologe Friedrich Wilhelm Graf zur weiteren Ernüchterung Margot Käßmanns bei. Die Welt warnt: Man kann Joanna Newson nicht einfach den New Weird Americana zuordnen. In der taz kritisiert Ralf Bönt das neue Prestige der Religionen. 

Ein Trost am Rand meines Grabes

03.03.2010. Liao Yiwu schickt seinen deutschen Lesern einen Trauergesang  für die Dongxiao - die taz bringt ihn. Philip Gourevitch trägt außerdem im New Yorker einige sehr interessante Links zu Liao bei. Der NZZ geht das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung nicht weit genug: Sie fragt, was aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung geworden ist. In Sachen Leistungsschutzrechte spielt die Bundesjustizminsterin im Magazin promedia auf Zeit.In der FR schreibt der chilenische Autor Ariel Dorfman über das Erdbeben.

Ich saß bereits im Flugzeug

02.03.2010. Die Debatte über Ryszard Kapuscinski geht weiter. Laut Welt war er ein parteilicher Autor, der es mit der Wahrheit nicht so genau nahm. In der NZZ erklärt Martin Pollack, warum er die Biografie nicht übersetzen will - nicht wegen ihrer Wahrheiten, sondern wegen ihres Tons. Die FAZ beklagt den Einfluss der Sammler auf den heutigen Kunstbetrieb. In der SZ fordert Ulrich Johannes Schneider: Digitalisiert die Bücher! Die taz präsentiert die furiose Geigerin Patricia Kopatchinskaja und NPR das neue Album der Gorillaz.

Eine Kultur der Jetzigkeit

01.03.2010. Die SZ  berichtet über die Demontage eines Denkmals in Polen: Ryszard Kapuscinski wird vorgeworfen, dass er nicht nur dem Regime recht nahe stand, sondern auch ganz schön geflunkert hat.  Die NZZ ist auf dem Quivive und hat herausgefunden, dass Brooklyn inzwischen angesagter ist als Manhattan, vor allem bei den "Helicopter Moms". Die FAZ liest mit Staunen Cory Doctorows Roman "Little Brother".  Das Blog Carta meldet, dass die SZ 21 Stellen in der Redaktion streicht.