Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Oktober 2007

"intellektuell attraktivster Limonadenstand"

31.10.2007. Der NZZ hat der Anbau vom Prado gut gefallen. Der Tagesspiegel freut sich auf den White Cube in Berlin-Mitte. In der SZ schlägt die ARD dem Grimm-Preisträger Frank Schirrmacher einen Deal vor. Die FR feiert Arts & Letters Daily. Und nun das Wetter: In der taz sagt die Punkband Gallows einen verfickten Tsunami aus Hass an.

"grau und einsam auf der Türschwelle"

30.10.2007. Die FAZ bringt Martin Mosebachs Büchner-Preisrede: Saint-Just. Büchner. Himmler. Die NZZ beugt sich über die Stigmata des Padre Pio. Spiegel Online bringt eine Replik auf Frank Schirrmachers Rede gegen das Internet. Die SZ schildert das schwierige Leben der zeitgenössischen Kunst im Iran. In der Welt analysiert Adam Krzeminski die Wahlen in Polen, dessen Westen wächst und wächst.

"Mosebach in Bestform"

29.10.2007. Die Frankfurter Zeitungen sind mit dem Frankfurter Schriftsteller Martin Mosebach hochzufrieden. In Bestform sei er bei seiner Büchner-Preisrede gewesen, meint die FR. Die FAZ ist ergriffen von Mosebachs Auseinandersetzung mit Büchner. Auch die NZZ findet: fulminant. Die Welt meint aber, dass selbst Mosebach einige Vorteile der Moderne hätte wahrnehmen dürfen.

"deutscher Rübengeschmack"

27.10.2007. Die NZZ erlebt einen Tsunami der Jugend im polnischen Theater. Außerdem bemerkt sie Anzeichen für eine Wiederauferstehung des amerikanischen Liberalismus. Die Welt enttarnt das Netzwerk der Kunstbewertung aus Galeristen, Händlern, Kuratoren, Kritikern und Sammlern. Die FR verliert mit Don DeLillo und seinem 9/11-Roman "Falling Man" jeden metaphysischen Trost. Die SZ beerdigt den Mythos 68. Und die FAZ meldet, dass die Franzosen auf den deutschen Rübengeschmack gekommen sind.

"das Ende der bürgerlich-liberalen Schweiz"

26.10.2007. In der FAZ erklärt der Dokumentarfilmer Eduard Erne, was das Massaker von Rechnitz von anderen Nazi-Verbrechen unterscheidet. In der NZZ bekennt Ralf König: Bloßes Schwulsein ist ihm allzu inhaltsleer. In der taz beweist Veteran Horst-Eberhard Richter, dass er den Schubkurbelflachkeilverschluss seiner Feldhaubitze bis heute blind bedienen kann. Die Berliner Zeitung stellt unbequeme Fragen über das Sexualleben der "Harry Potter"-Protagonisten. In der Welt fragt Meinhard Miegel: Was ist das Spezifikum unserer Kultur? Die Netzeitung trauert um ihren Pagerank.

"am Ende feuerten sie sechzig Mal"

25.10.2007. Die Zeit hat Fragen zum Massaker von Rechnitz, zum Beispiel: Traute man bei der FAZ der "Enthüllung" doch nicht so recht? Die SZ meint zum gleichen Thema: Es geht nicht um die Gräfin Batthyany. In der Welt stellt Olga Tokarczuk klar: die Polen sind Westeuropäer. Die NZZ beweist: die Europäer sind den Westafrikanern genetisch unterlegen, zumindest was den Sinn fürs Bittere angeht. Der Standard begibt sich mit Martin Mosebach in ein lebensvolles Chaos. Die FR freut sich, dass nun auch die zeitgenössische Kunst in Berlin-Mitte einzieht. Die FAZ bringt eine Reportage über die Suche nach Massengräbern in Srebrenica.

"als öffentliche Ächtung inszeniert"

24.10.2007. Die NZZ stellt die Seriosität der Behauptungen David R.L. Litchfields über das Massaker von Rechnitz in Frage. Im Titel-Magazin erregt sich Wolfram Schütte über die Inszenierung öffentlicher Ächtung durch die FAZ. Der Tagesspiegel bringt ein Porträt des niederländischen Autors A. F. Th. van der Heijden. In der FAZ wird Robert Redford geschirrmachert. Die Welt feiert Schönheit und Tragik der Mathematik. Spiegel Online war dabei, als Bild-Chef Kai Diekmann sein neues Buch präsentierte - ausgerechnet im taz-Gebäude. Alle staunen über die neue alte Anna-Amalia-Bibliothek.

"Regime von Ausschlusskriterien"

23.10.2007. Die meisten Zeitungen sind ja ganz begeistert von Keith Jarrett, nur die FR sieht ihn als tief sentimentalen amerikanischen Pianisten. In der SZ freuen sich polnische Schriftsteller: Die Kaczynskis sind weg vom Fenster. Die NZZ plädiert mit dem Postkolonialismusexperten Albert Memmi für die metissage.

"Das nenne ich Kreolisierung"

22.10.2007. Die FAZ sah einen Francis Ford Coppola in Rom, der wie ein Buddha war. Die SZ lässt sich von Edouard Glissant erklären, was Kreolisierung ist. Die Welt fragt, was Nicolas Sarkozy mit der alljährlichen Verlesung des Briefs von Guy Moquet an den französischen Schulen bezweckt. Die taz kritisiert die Fixierung des französischen Staates auf religiöse Vertreter des Islam, die die säkularen Netzwerke der Immigranten immer mehr verdrängen. Die NZZ lässt sich in der britischen Bahn von Heißluftballons überholen.

"erprobte imperialistische Kunst"

20.10.2007. Die taz spürt dem Verhältnis Heiner Müllers zu seinem Vater nach. Die NZZ fragt sich, ob David Litchfield seine Geschichte über das Massaker in Rechnitz ein bisschen aufgemotzt hat, um es in Independent und FAZ zu schaffen. Die FR bewundert die Vervollkommnung imperialistischer Kunst durch die russische Künstlergruppe AES+F. Im Tagesspiegel denkt Fritz Stern über den Widerstand der Deutschen gegen ihre Widerständler nach. Georg Klein feiert in der SZ Harald Bergmanns monumentale Dokumentation über Rolf-Dieter Brinkmann. In der FAZ erklärt der Skyrunner Christian Stangl, wie er sich für einen Dauerlauf auf den Mount Everest motiviert.

"der schleimige Übergang von Vegetation in Feuchte"

19.10.2007. In der FR spricht Anita Albus über den Raum, der ihr zugewiesen wurde. In der NZZ meditiert der Literaturwissenschaftler Sandro Zanetti über das in Schreibkrisen schließlich Geschriebene. In der FAZ erklärt Werner Spies, warum der schleimige Übergang von Vegetation in Feuchte bei Courbet nicht nach Baudelaires Geschmack war. Im Tagesspiegel schwärmt Neil Young von seinem eigenen Autofriedhof, auf dem die originellsten Modelle vor sich hinrosten. Und die SZ staunt über das europäische Wunder Rumänien.

Das Massaker in Rechnitz

18.10.2007. In der Welt sieht Adam Krzeminski die Kaczynskis mit ihrer Vergangenheitspolitik scheitern. In der NZZ findet Bahman Nirumand westliche Finanzhilfen für Regimegegner im Iran eher kontraproduktiv. In der SZ erklärt der Literaturhistoriker Bernd W. Seiler, warum das Esra-Urteil für ihn in Ordnung geht. In der FAZ beschreibt David R.L. Litchfield den Mord an 200 Juden im Haus Thyssen-Bornemisza. Im Tagesspiegel erklärt Klaus Wagenbach, warum nicht wenige 68-er zu Antizionisten wurden - aus Hass auf Axel Springer. Auch die taz weiß: Wenn die RAFler die Juden ins Meer treiben wollten, dann nicht aus Antisemitismus.

"Adrenalinarchitektur für 300 Millionen Euro"

17.10.2007. In der taz bewertet der Random-House-Jurist Rainer Dresen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Maxim Billers Roman "Esra" als deutlichen Fortschritt für die Kunstfreiheit. In der SZ kritisiert der Theologe Jochen Teuffel den Paternalismus europäischer Missionarsgegner. Die FAZ gruselt es vor dem Putin-Kult. Die FR begutachtet die Adrenalinarchitektur von Coop Himmelb(l)aus BMW-Zentrum.

"Sie wollen den Alten endlich loswerden"

16.10.2007. Günter Grass ist achtzig! Die Welt verteidigt ihn gegen die Bürgerkinder des liberal-urbanen Justemilieu und andere Wortführer unter seinen Verächtern. Die FR bringt eine lange Hommage von John Irving. In der taz tragen heute alle Schnauzbart. Im Tagesspiegel äußert er sich selbst - und zwar gegen den Überwachungsstaat. Die SZ bedauert, dass er nicht immer auf der Höhe seiner Kunst blieb. Die FAZ stellt sich an die Spitze des Justemilieu, in dem sie Grass praktisch gar nicht gratuliert.

"Zeigen, was fehlt"

15.10.2007. Die NZZ vernahm bei der Laudatio Wolfgang Frühwalds auf Saul Friedländer billiges Klatschen im Publikum. Die anderen Zeitungen fragen sich, ob Friedländer nun auf Martin Walsers Friedenspreisrede antwortete oder nicht. Der Tagesspiegel porträtiert den ägyptischen Fernsehprediger Amr Khaled. Die SZ beschreibt, wie die Griechen maximalen Druck auf London ausüben, um den Parthenonfries wieder ganz zu haben. In der Welt fürchtet Richard Dawkins den Einfluss der Religion auf die amerikanische Politik.

"kalt-vergnügte Bauchfrei-Marie"

13.10.2007. Maxim Billers Roman "Esra" ist vom Bundesverfassungsgericht endgültig verboten worden, was einige verdammen, nicht wenige aber auch nachvollziehen können. Den Friedensnobelpreisträger Al Gore kürt die FAZ zum Weltinnenpolitiker neuen Typs. Die NZZ malt sich mit Freeman J. Dyson dagegen lieber aus, wie kunterbunt das schon angebrochene Jahrhundert der Biologie werden könnte. Und im Tagesspiegel bezweifelt Saul Friedländer, dass in Nazi-Deutschland viel verdrängt wurde.

"Weiterbildung ist in Redaktionen ein Fremdwort"

12.10.2007. Fast alle Zeitungen gratulieren Doris Lessing zum Literaturnobelpreis. Die FR erkennt auf der Londoner Kunstmesse Frieze Grenzen der Subversion. Die NZZ beschreibt die Unfähigkeit der Zeitungsverlage, klug auf das Internet zu reagieren. Die taz möchte endlich gewürdigt wissen, dass die RAF immerhin Nazis ermordete.

"Die große Penetrationsschlacht"

11.10.2007. Die FR feiert Suhrkamps neue Bibliothek der Weltreligionen als Dokument der Entweihung. Die taz freut sich über die Romantik des Weitermachens bei kleinen Verlage. Warum Europa die Türkei braucht, erklärt in der SZ die Schriftstellerin Elif Shafak. In der FAZ sind die Komponisten Walter Zimmermann und Dieter Schnebel geteilter Meinung über Pfitzners Kantate "Von deutscher Seele". In der Zeit rekapituliert Jane Fonda ihre große Penetrationsschlacht.

"Autor ohne Vaterland"

10.10.2007. Die Buchmesse ist eröffnet: Die NZZ meldet gute Stimmung in der Branche und einen Hauch von Wachstum. Der Tagesspiegel sieht den Buchmarkt dagegen immer gleichförmiger werden. Die FR sieht im Gastland-Konzept der Buchmesse einen politischen Wurm. In der Welt fragt die katalanische, aber spanisch schreibende Schriftstellerin Nuria Amat, ob es eigentlich der zweisprachige Kafka auf die Buchmesse geschafft hätte. Ebenfalls in der Welt fragt Salman Rushdie, ob die niederländische Regierung aus Feigheit oder Dummheit Ayaan Hirsi Ali den Personenschutz entziehen will.

"Traurige Frauenschicksale supreme"

09.10.2007. In der taz kritisiert Jörg Sundermeier vom Verbrecher Verlag die Rabatt- und Verramschungspolitik der großen Verlage. Der Tagesspiegel findet die Vergabe des Deutschen Buchpreises an Julia Francks Roman "Die Mittagsfrau" wegen hoher Zielgruppenkompatibilität irgendwie konsequent. Die Welt ist mit der Wahl einverstanden, fand aber schon die Longlist vollkommen richtungsfrei. Die NZZ besucht eine Englisch-Sommerschule im brandenburgischen Dorf Wust. Die SZ untersucht den leisen Fundamentalismus in der Schweiz. In der FAZ erfahren wir, welcher Autor den Leser treten und welcher ihn lieben will.

Musalsalat im Ramadan

08.10.2007. In der taz wundert sich Micha Brumlik, dass die Protestanten glauben, was sie glauben. Die NZZ zieht Parallelen zwischen dem Terror der RAF und dem Terror der Islamisten. Die FAZ stimmt sowohl ihre deutschen als auch ihre internationalen Leser auf die Buchmesse ein. Die Welt stellt den Science-Fiction-Autor Cory Doctorow vor, dessen letzter Roman kostenlos im Netz steht und 700.000 mal heruntergeladen wurde. Die SZ sieht sich die Seifenopern an, die in Ägypten zum Ramadan gereicht werden.

"Sentimentale Massenliebesaffäre"

06.10.2007. Die Norweger fürchten sich vor Mädchen, die besser Mathe können als Jungs, berichtet die NZZ. In der Welt erklärt Opernregisseur Calixto Bieito den Unterschied zwischen einem Katalanen und einem Galizier. In der FAZ macht ein gewisser Ralph Martin den Antiamerikanismus verantwortlich für die Vorliebe der Deutschen zur amerikanischen Highbrow-Literatur. Alle Zeitungen würdigen den verstorbenen Walter Kempowski.

"Stabilität eines Leichenschauhauses"

05.10.2007. Die taz lässt sich vom russischen Satiriker Wiktor Schenderowitsch über Stabilität in Russland aufklären. Die NZZ feiert Peter Zumthors protestantische Ethik, die sich in Bregenz besichtigen lässt. Die SZ diagnostiziert bei den Franzosen seit der Rugby-WM ein Fieber der Physis. Der Tagesspiegel meldet: Tom Cruise muss seine Szenen im Bendler-Block noch mal drehen. Während die FAZ nicht mehr nur in neuer Rechtschreibung, sondern auch ohne Fraktur erscheint, setzen sich zwei Medien mit dem FAZ-Feuilleton auseinander: Der Freitag würdigt Frank Schirrmachers filmkritisches Schaffen. Im titel-magazin kommt Gunther Nickel noch einmal auf die Inszenierung der Walser-, Grass- und Handke-Debatten zurück.

"Ich würde mich nicht mehr mit der FAZ einlassen"

04.10.2007. In der FR vergleicht Günter Grass die deutsche und die amerikanische Literaturkritik. Die amerikanische gewinnt. In Spiegel Online kommentiert Leon de Winter die erzwungene Rückkehr Ayaan Hirsi Alis in die Niederlande. Die taz liest Joschka Fischer, der mit ihrem Übervater nicht zurecht zu kommen scheint: "'Ströbele! Immer wieder Ströbele. Dieser Meister grüner Selbstzerstörung', stöhnt er." Im Tagesspiegel kritisiert der chinesische Filmregisseur Jia Zhangke seinen Kollegen Zhang Yimou. In der Welt schildert der Schriftsteller Ljubko Deresch, wie Julia Timoschenko mit Motiven aus der Popkultur die Ukraine erobern wollte. Die SZ besucht den Prozess gegen die Mörder von Hrant Dink. Die FAZ bringt Hildegunst von Mythenmetz und seinen Übersetzer Walter Moers an einen Tisch.

Die Quandts im Nationalsozialismus

02.10.2007. Die Welt fragt: Warum verteidigt Sigrid Löffler Peter Handke, nicht aber Martin Mosebach? Die FR ist amüsiert über die amerikanischen Milliardäre und ihre Berücksichtigung in den amerikanischen Museen. Die taz staunt über den gezähmten Kapitalismus nach Scharia-Regeln. Die FAZ befürchtet eine Entphilologisierung der Orientalistik. Die SZ greift die Berichte über die Quandts und die Zwangsarbeit auf.

"Deutschland entwestlicht sich"

01.10.2007. Der indische Autor Amitav Ghosh erklärt in der Sonntags-FAZ, warum ihm die Unruhen in Burma Hoffnung machen. Die Welt stellt eine beunruhigende Diagnose: Deutschland entwestlicht sich. Die FR findet: Auf dem Art Forum Berlin gibt's Qualität zu sehen. In der SZ beschreibt der amerikanische Religionshistoriker Philip Jenkins den zunehmenden Einfluss evangelikaler Kirchen in Europa. In der NZZ gratuliert Luc Bondy seinem Kollegen Peter Stein zum Siebzigsten.