Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Oktober 2011

Pointierte Synkopen von hinten

31.10.2011. BoingBoing beobachtet, wie das informationelle Selbstbestimmungsrecht in Großbritannien zugrunde gerichtet wird. In der FAZ plädiert der Grünen-Politiker Volker Beck für ein freies Internet. GigaOm berichtet über ein in den USA geplantes Gesetz, das die Freiheit im Netz stark einschränken wird. Die SZ bringt F.C. Delius' Büchner-Preisrede. In der taz erklärt der Gerichtsgutachter Jan Ilhan Kizilhan die Psychologie von Ehremorden. Und Stefan Niggemeier staunt über eine tolle Idee der SPD für die Öffentlich-Rechtlichen: Gebt ihnen  mehr Geld!

Staublose Datei im Netz

29.10.2011. Im Umblätterer erklärt die Literaturwissenschaftlerin Constanze Reichardt, was sie an F.C. Delius so schätzt: zum Beispiel seinen Blick auf den Terrorismus in Deutschland. Im Tagesspiegel antwortet der Büchner-Preisträger auf seine Kritiker. In der Welt äußert sich Alaa al-Aswani trotz allem optimistisch über den weiteren Fortgang der ägyptischen Revolution. Ulrich Beck setzt in der taz seine Hoffnung in die Occupy-Bewegung. Die FAZ gerät in Ekstase über Lou Reed und Metallica, die SZ streichelt Vintage-Editionen von Pink Floyd und Velvet Underground.

Alles ist einsehbar

28.10.2011. In der NZZ macht sich J.M. Coetzee Sorgen über die Wiederkehr der Religion. Die Welt fragt sich, was in Hanser-Verleger Michael Krüger gefahren ist: Machotum alter Schule? Spiegel-Redakteure müssen sich in ihrem neuen Haus vorsehen: Wenn sie einschlafen, geht das Licht aus. Frank Castorf darf den Bayreuther Jubi-Ring im Jahr 1813 inszenieren. In der SZ gibt er Auskunft über seine Ästhetik. Die FAZ kommt aus dem Staunen über den Fall Beltracchi nicht heraus.

Äh ... Was? ... Nein

27.10.2011. In der taz erklärt Bertrand Tavernier, wie er sich einen historischen Film erträumt: als Blick in eine Gegenwart. Nein, die tunesischen Islamisten sind nicht mit Erdogans AKP zu vergleichen, findet Caroline Fourest in ihrem Blog. Walter Laqueur macht sich im National Interest Nachtgedanken über Europa. Nach einer Attacke gegen Open Access in der FAZ lebt die Debatte auch in den Blogs wieder auf. Elisabeth Ruge kann nicht seine Nachfolgerin werden, erklärt Hanser-Verleger Michael Krüger in der Zeit, sie hat doch Kinder.  Und: Modernes Geld verstehen mit dem Freitag.

Plastilinöse Plumpheit

26.10.2011. In der taz zeichnet Juri Andruchowytsch ein düsteres Bild von der Lage in der Ukraine. Und Andrea Breth erklärt, warum sie Alban Berg bewundert. Das FAZ.Net bringt Evgeny Morozovs Polemik gegen Jeff Jarvis auf Deutsch, aber interessanter liest sie sich auf Englisch mit Jarvis' Antworten. Die FAZ fragt auch: Warum schasst die Ditib den Architekten der Kölner Moschee, Paul Böhm? In Le Monde fordert Jürgen Habermas mehr Kompetenzen für Europa. Anders als die meisten Kritiker kann Fritz Göttler von der SZ weder mit Spielbergs Tim noch mit Spielbergs Struppi viel anfangen.

Fortwährend richtig gekocht

25.10.2011. In der Welt plädiert Peter Sloterdijk für Rudolf Steiner. Bei den Ruhrbaronen plädiert Rudolf Steiner gegen sich selbstVanity Fair kann keinen Herren ernst nehmen, der nicht bei Anderson & Sheppard schneidern lässt. In Spiegel Online lässt sich KiWi-Verleger Helge Malchow nicht von Jeff Bezos in die Bredouille bringen.  Die SZ ist fassungslos: Einst spielte Ivo Pogorelich Klavier. Jetzt schmeißt er Granaten ins Kinderzimmer. Außerdem: Slants Liste der 25 besten Horrorfilme der Nuller.

Applaus, Applaus

24.10.2011. In Slate fragt Christopher Hitchens: Tragen die westlichen Alliierten Mitschuld daran, dass Gaddafi nun nicht vor ein Gericht gestellt werden kann? In der Welt erzählt Clemens Meyer ganz euphorisch von der Revolution in New York. Die FR ist begeistert von Steven Spielbergs "Tim und Struppi". In der FAZ meint Necla Kelek: Die türkischen Gastarbeiter waren für die Türkei wirtschaftlich viel nötiger als für Deutschland.

Kometen des Weltgeists

22.10.2011. In der taz erzählt Nancy Kienholz von den bitteren Lektionen, die sie in Berlin erfahren hat. In der NZZ besingt Hans Pleschinski seine Stadt München. Die Welt erfährt aus dem Briefwechsel der Heisenbergs Neues über den Plutoniumforscher Carl Friedrich von Weizsäcker. Die New York Times besucht Haruki Murakami in Japan. Die SZ kann von der Wall Street melden: Selbst die Protestler legen hier zu. Außerdem verehren die Zeitungen heute alle den maßlosen Franz Liszt, der vor zweihundert Jahren geboren wurde.

So ein Orchester ist ein Brett

21.10.2011. In der NZZ bangt der Hassouna Mosbahi um das demokratische Projekt in Tunesien. Der Standard erinnert an das Pariser Polizeimassaker an Algeriern mitten in Paris vor fünfzig Jahren. Die taz staunt über Heinrich von Kleists Wahnsinnsformulierungen. Die Welt wundert sich über Julia Francks DDR-Roman "Rücken an Rücken". Und endlich singt William Shatner die "Bohemian Rhapsody".

Wie dann die Köpfe fliegen

20.10.2011. Wie konservativ ist Steven Soderberghs Medienbild?, fragt die Berliner Gazette. Der New York Observer erklärt, wie die New York Times die digitale Klassengesellschaft im Journalismus abschafft. Ist Soundcloud das nächste Youtube?, fragt das ReadWriteWeb. Die FR/Berliner Zeitung stöhnt: Jetzt müssen wir auch noch den Kunstgeschmack unserer Großeltern bewältigen. In der NZZ versichert Viktor Jerofejew: Noch schlimmer als Putin ist das russische Volk.

Gleichsam im Zentaurenstadium

19.10.2011. Die taz diskutiert mit dem Historiker Paul Ginsborg über die Frage, ob Italien noch zu retten ist. Die FR findet die Bill and Melinda Gates Foundation gar nicht so wohltätig. Der Guardian ist zufrieden mit dem Booker-Preis für Julian Barnes. Alle Feuilletons und viele Blogs bringen Nachrufe auf Friedrich Kittler. Die Welt bringt noch ein langes Interview, das sie einige Monate vor seinem Tod führte.

Tonnenweise Erotika

18.10.2011. In der taz schildert Bahman Nirumand die Angst der iranischen Mullahs vor dem Gespenst der sanften Revolution. Die NZZ fragt: Warum hat der Wirtschaftsjournalismus in der Finanzkrise versagt? Agata Pyzik wendet sich in ihrem Frieze-Blog gegen verharmlosende Ostalgie. Jahrelang durften wir  Nazikunst nicht sehen, nun stellt sich in der FAZ heraus, dass sie schlicht banal war. Der SZ wird bei der Idee totaler Transparenz unbehaglich. 

Nerven und Neurosenkavaliere

17.10.2011. Boualem Sansal erzählt die Geschichte Algeriens in seiner Friedenspreisrede als eine Geschichte von Kriegen. Leider hat niemand die Rede online gestellt. Über der Buchmesse schwebte das Gespenst der Digitalisierung. Aber wie macht man Geld mit Ebooks - oder werden nur Amazon und Apple die Hand aufhalten?, fragt die FAZ. Die New York Times berichtet unterdes von der nächsten Amazon-Attacke: Das Unternehmen wird jetzt auch verlegerisch tätig. Und in Mailand wächst demnächst der erste vertikale Wald, meldet inhabitat.com.

Der Genuss des Übens

15.10.2011. In der NZZ erklärt Najem Wali, warum Friedenspreisträger Boualem Sansal in der arabischen Welt totgeschwiegen wird. Außerdem reist die NZZ durch das Land der Dogon. In der Welt spricht Jeffrey Eugenides über seinen neuen Roman "Die Liebeshandlung", und der Bookerprize-Träger Howard Jacobson sieht keinen Unterschied zwischen Antisemitismus und Antizionismus. Warum kann man Ebooks nicht bei den Verlagen herunterladen?, fragt Lothar Müller in der SZ. In der FAZ ruft der CDU-Politiker Peter Altmaier: Don't touch my Twitter.

Elegant urbane Ausgehuniformen

14.10.2011. Das New York Magazine zeichnet ein Porträt der Künstler David Foster Wallace, Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides als junge Männer. Sehen gut aus, die Occupy-Wall-Street-Demonstranten, meint die Welt. Selbst Griechenland will lieber überwachen als sanieren, lernen wir in der NZZ. In der FAZ porträtiert Theodor Laxness die Isländer als drogenabhängige Sadisten. Die SZ feiert Kraftwerk.

Das Wunderbare ist ganz nah

13.10.2011. Die Welt sucht Spuren einer Formidee in den Skulpturen von Georg Baselitz. In der Jungle World schildert Boualem Sansal die dramatische Lage von Homosexuellen in Algerien. In der NYRB beschreibt Charles Simic sein Lieblingsnotebook. Die NZZ mischt sich vorsichtig unter Occupy Wall Street. Die taz erzählt, wie Assad mit Death Metal lockt. Die FAZ bewundert Walter Moers' charmant tropfenförmige unterirdische Lebewesen.

Wozu Kunst?

12.10.2011. Gut gebaut und lebensklug findet die taz den Roman des Buchpreisträgers Eugen Ruge. In der Welt erklärt Ruge, warum er sich nach der Wende keine Hoffnung auf einen demokratische Sozialismus machte. Die SZ besucht eine Pariser Soliveranstaltungen für die syrische Protestbewegung. Die NZZ feiert das Südtiroler Architekturwunder.

Unverfroren an den Tatsachen vorbei

11.10.2011. Damit kann man leben, meint die Welt zum Deutschen Buchpreis für Eugen Ruge. Der taz graut es vor der Buchmesse. In der New York Review of Books findet J.M. Coetzee die deutschen Inspirationsquellen des Dichters Les Murray. In der FAZ erinnert Boualem Sansal an das blutige Ende des algerischen Frühlings 1988. Könnten deutsche Schriftsteller mal die Rockzipfel der Großeltern loslassen?, bittet die SZ.

Eine gute Theorie ist eine schöne Theorie

10.10.2011. Wolfgang Michal benennt in seinem Blog nach der Enttarnung eines "Bundestrojaners" durch den Chaos Computer Club das "Dilemma der Hackerbewegung". Auch die FAZ berichtet groß über den Bundestrojaner. Im Tagesspiegel streiten Kathrin Passig und Andreas Rötzer über Für und Wider des Ebooks. In der FR zieht Amitai Etzioni ein deprimiertes Fazit aus der Finanzkrise. In der Jungle World erklärt Laura Meritt, warum sie einen feministischen Pornopreis ins Leben rief. 

Man steht, tendiert zur Bedeutung

08.10.2011. In der NZZ erzählt Einar Karason, warum die Isländer seit achthundert Jahren Bücher schreiben. In der FAZ erzählt Hallgrimur Helgason, warum jeder isländische Dichter am Ende im gottverfluchten Brunnen Mimirs landet. Die Sagas sind besser als jeder Tarantino, versichert Kristof Magnusson in der SZ. In der Welt erzählt Henryk Broder isländische Sagas von einst und jetzt. Und glaubt Rüdiger Safranski tatsächlich, dass man mit einem Schergen Achmadinedschads in einen Dialog der Kulturen treten kann?

Instantan verfügbar

07.10.2011. Um es knapp und klar zu sagen: Alle sind happy mit Tranströmer. In der taz würdigt ihn Daniela Seel als "heimlichen Schutzpatron der jungen wilden Dichtung und Szene". Laut NZZ sind seine Verse "muskulös und sehnig, sie federn. Und doch steuern sie auf etwas Schwarzes zu". Steve Jobs beschäftigt die Medien ebenfalls: ReadWriteWeb beleuchtet seine dunkle Seite. Pitchfork sieht ihn als musikalischen Revolutionär. Und wie tickt die Piratenpartei politisch?

Kirsten Dunst im blauen Licht

06.10.2011. In der Zeit erklärt Jean-Luc Godard, was ihn an Urheberrechten am meisten stört: die Enkel. Die FAZ liest Fitzgeralds "Großen Gatsby", der die Rechteinhaber gerade überlebte, als aktuelle Kapitalismuskritik. In Interviews mit verschiedenen Medien arbeitet Lars von Trier das Trauma von Cannes auf. Zum Tod von Steve Jobs bringen wir das Video seiner berühmten Stanforder Rede von 2005 und Links zu älteren und aktuellen Texten.

Wo ist Stockhausen, wenn man ihn braucht?

05.10.2011. Morgen wird der Literaturnobelpreis verliehen. Die Chancen für Bob Dylan sind in den Wettbüros gestiegen, meldet der Guardian. Wollen die Zeitungen das Netz oder nicht?, fragt  die Berliner Gazette. Die FAZ sieht Lars von Triers neuen Film "Melancholia" auch als dialektische Reminiszenz an die heroisch gescheiterte Dogma-Episode. In der FR ruft Claus Leggewie nach Gegenmodellen zum Kapitalismus. Die SZ feiert Dea Lohers Stück "Unschuld" in der Regie von Michael Thalheimer.

Von unserer Überraschtheit überrascht

04.10.2011. Die FR hat "das Äußerste an visueller und philosophischer Dichte" gesehen, das Film heute zu bieten hat. Der Nachteil: Man mag danach nie mehr ins Kino gehen. The Daily Beast staunt über die neue Kollektion von Rei Kawakubo: lauter Hochzeitskleider - aber nicht nur für glückliche Bräute. Die Welt lauschte in Frankfurt einem schalkhaften Buddhisten. Ein großer Konzern stellt heute ein neues Smartphone vor. Mashable ist aufgeregt. Und die New York Times ist aufgeregt über Mashable. Die FAZ hat einen neuen Internetauftritt. Aber wo ist die Zeitung geblieben?

Wundermaschine des Untergangs

01.10.2011. Die Welt erlebte mit Karin Beier "Demokratie in Abendstunden" und ein Höchstmaß an kakofonischer Perfektion. In der FR spricht Patrice Chereau über die Last des langen Vorlaufs. Die SZ vermisst die Piratenmutter. Die FAZ unterhält sich mit Umberto Eco über Verschwörungstheorie, vielleicht hat es sich aber auch ganz anders zugetragen. In der taz erklärt der regimekritische chinesische Blogger Michael Anti seine Strategie, Konflikte mit dem Staat zu vermeiden. Und die NZZ erlebt in China grenzenloses historisches Desinteresse.