Efeu - Die Kulturrundschau
Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
02.10.2023. Die taz besucht den 6. Berliner Herbstsalon im Gorki Theater, der den postjugoslawischen Raum in den Blick nimmt. Der Guardian bewundert die Wut Shirin Neshats, die in einer Londoner Ausstellung den iranischen Mullahs die Macht der Frauen vorführt. Die Welt verheddert sich in einer hypnotischen Variation von drei Tönen des Musikers Steven Wilson. NZZ und Welt sind uneins über Kilian Riedhofs Verfilmung von Takis Würgers Roman "Stella": Sechs Millionen Holocaustopfer und Riedhof stürzt sich ausgerechnet auf eine jüdische Kollaborateurin, fragt entsetzt die NZZ. Die Welt wüsste hingegen gern, warum der Film nicht auf der Berlinale gezeigt wurde.
30.09.2023. Der Filmemacher Emin Alper erzählt im taz-Gespräch von den Schwierigkeiten, in der Türkei einen Film finanziert zu bekommen: Die Darstellung autoritärer Strukturen kann man an den Behörden vorbeimogeln, aber die Thematisierung von Homophobie geht gar nicht. Wer darf wie über die DDR schreiben und wer nicht: Der Kampf um die Deutungshoheit ist im vollen Gang, beobachten 54books und Literarische Welt. Die nmz sieht mit "The Zeroth Law" einen Musiktheater-Abend, bei dem die Roboter die Macht längst ergriffen haben.
29.09.2023. Findet das Theater der Zukunft wirklich in der Virtual Reality statt, während man allein zu Haus sitzt, fragt die FAZ nach einer Kostprobe im Staatstheater Augsburg. In Graz entstaubt Andrea Vilter lieber den Kanon, zum Beispiel mit Christiane Schlegel, notiert eine anerkennende SZ. Der Standard spendet Renate Bertlmann im Wiener Belvedere freudig für die Reliquie des Hl. Erectus. Die NZZ durchstreift die Chanel-Ausstellung in London. Das Neue Deutschland huldigt der Neuen Musik beim Musikfest Berlin.
28.09.2023. Christian Thielemann wird Daniel Barenboims Nachfolger als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper: "Berlin hat ein Faible für tote Pferde", kommentiert Albrecht Selge in VAN. FAZ und SZ fürchten ein extrem schmales Repertoire für die Zukunft. Nur Welt und Freitag freuen sich über die Berufung. Die Berliner Zeitung starrt gebannt auf eine Kakerlake in Yana Thönnes' Vergewaltigungsdrama "In Memory of Doris Bither". Die FR blickt mit Emin Alpers Paranoiathriller "Burning Days" in die Abgründe einer enthemmten Gesellschaft.
27.09.2023. Die SZ freut sich, dass Intendant Anselm Weber am Frankfurter Schauspiel diese Saison ausschließlich Frauen inszenieren lassen will. Die FAZ wüsste allerdings gern, warum er dann Jessica Glauses Inszenierung von "Orlando" verstümmelt hat. Der russische Oligarch Roman Abramowitsch besitzt Kunst für rund eine Milliarde Dollar, aber wo ist sie, fragt Zeit online. Der KI-Film "The Creator" reißt die FAZ zu Kubrick-Vergleichen hin. Die Zeit unterhält sich mit dem Jazzmusiker Henry Threadgill, der sich vom menschlichen Herzschlag inspirieren lässt.
26.09.2023. Die polnische Filmemacherin Agnieszka Holland wird in ihrer Heimat von ihrer Regierung extrem angefeindet, berichtet die FAZ. Die Schriftstellerin Charlotte Gneuß fordert ein 1968 für die Ostgeschichte. Die FR saust mit Virgina Woolfs "Orlando" am Schauspiel Frankfurt durch die Jahrhunderte und Geschlechterrollen. Die SZ schmilzt beim elektronischen Geräuschglitzer des Cyber-Manga-Gothic-Popstars Yeule dahin.
25.09.2023. Die SZ ist wie elektrisiert von Rainald Goetz Stück "Baracke", das bei der Liebe beginnt und beim NSU-Terror endet. Der Filmemacher Christoffer Guldbrandsen findet sich mit seinem Porträtfilm "A Storm Foretold" über den US-Politikberater Roger Stone in einem amerikanischen Albtraum wieder, berichtet der Tages-Anzeiger. Die FAZ ist fasziniert von chinesischer Kunst aus der Gegend Jiangnan. Die NZZ blickt auf den postumen Erfolg der im vergangenen Jahr überraschend verstorbenen Jazzmusikerin Jaimie Branch.
23.09.2023. Die NZZ erkennt im Kimono das Kleidungsstück für fluide Identitäten. Der Tagesspiegel erinnert sich mit Hou Hsiao-Hsiens "Millennium Mambo" an die artifizielle, betörende Schönheit des Kinos der nuller Jahre. In der FAZ feiert der Schriftsteller Matthias Jügler die Geburtsstunde einer neuen Generation von Autoren mit Ost-Sozialisierung. Und der Literaturwissenschaftler Detlev Schöttker hält fest: Nicht Bertolt Brecht hat die Theorie des epischen Dramas erfunden, sondern Alfons Paquet. Bei Simon Rattle swingt sogar Haydn, freut sich die SZ über Rattles fulminantes Auftaktkonzert als neuer Chef des BR-Symphonieorchesters.
22.09.2023. Die SZ erlebt Formen der Agnosie in einer Duisburger Ausstellung der Bildhauerin Alicja Kwade. Die neue musikzeitung hat in Straßburg einen Riesenspaß mit Simon Steen-Andersens Oper "Don Giovanni aux enfers", die erzählt, wie es nach Don Giovannis Höllenfahrt weiterging. FAZ und SZ erliegen in der Zeche Zollverein dem Verzweiflungscharme von Nina Hoss in Barbara Freys Inszenierung von Dostojewskis "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch". Artechok fliegt nach Taipeh und lernt in einer Ausstellung über den Autorenfilmer Edward Yang, was Filmkunst ist.
21.09.2023. So kann man Identitätsfragen auch auf die Bühne bringen: mit Leichtigkeit, staunt die FAZ in Yasmina Rezas Pariser Inszenierung ihres neuen Stücks "James Brown benutzte Lockenwickler". Der Tagesspiegel erwartet sich von der Findungskommission für die neue Berlinale-Leitung genau gar nichts. Die Zeit bewundert in Düsseldorf die Filmarbeiten des britischen Künstlers Isaac Julien, der Politik und Schönheit radikal vereint. Tagesspiegel und Filmdienst versinken in "Music for Black Pigeons", einer Doku über den dänischen Jazzgitarristen Jakob Bro und seine Kollaborateure.